Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 11.1900

DOI Artikel:
Schölermann, Wilhelm: Giovanni Segantini
DOI Artikel:
"Niederrheinischer Brief, [2]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.5771#0066

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
11 5 Niederrlieinischer Brief. 116

standen oder geistig auf ähnliehen Wegen strebten, j
Was Segantini gefunden, hat er getreulich berichtet.
Sein Auge sah die dünne, klare, flirrende Luft der |
Hochalpen, wo die magere Vegetation mit harten
klammernden Organen an dem steinigen Boden klebt,
die feinen Halme, die vom »Schneefegen« gepeitscht
oder von den Sonnenstrahlen gedörrt werden, während j
Bäume, Felsen und menschliche Gestalten sich, wie
aus Stahl geschnitten, scharf und mit fast dramatischer !
Wucht gegen das klare Firmament abheben. In dieser I
dünnen Luft atmete er und so atmen auch seine
Werke diese kühle und kristallene Luft.

Die Oestalt Giovanni Segantinis wird mit der
Entfernung unseres Standpunktes wachsen, wie alles
Echte. Sie erfordert einen gewissen Abstand, wie
seine Bilder, inhaltlich und technisch, diesen Abstand
verlangen. Es ist in ihm das grosse kosmische
Flimmern des Lichtes, das uns in Rembrandt so
elementar und mystisch zugleich entgegendämmert I
und in seine magischen Kreise bannt. Nur dass
Rembrandt das dunkle, Segantini das helle Geheimnis
in ewig wechselnder Erscheinung zu durchdringen
sucht. Der Holländer fühlt Gott im Dämmerschein des
nebligen Zwielichts seiner meerbespülten Niederlande;
der Maler der Hochalpen preist den Schöpfer, der sich
in Lawinen und Gletschern, kristallnen Bergseen, im
blauen Himmelsgewölbe, in grünen Halden und
schneeigen Firnen offenbart. Beide sind Lichtanbeter,
beide aber zugleich heimatliche, dem Boden entwachsene I
Menschen. Darum sind sie äusserlich so verschieden, I
innerlich so ähnlich und wesensverwandt. Mit einem
andern Grossen ist Segantini verglichen worden, mit
Jean Francois Millet. Wer die Zeichnungen des i
Italieners gesehen hat, wird dies begreiflich und be-
rechtigt finden. Ich habe diese Entdeckung bei Ge- j
legenheit der ersten Ausstellung der Wiener Sezession j
(in der Gartenbaugesellschaft) an der Hand der aus-
gestellten Studienblätter seinerzeit in der Kunstchronik !
des näheren besprochen (Kunstchronik No. 23. Jahr-
gang 1897/98). Die feierliche Linie der Einzelfiguren
in der Silhouette gegen einen klaren Abendhimmel
waren äusserlich das Hauptmerkmal dieser inneren !
Verwandtschaft der beiden Maler, die im einfachen
Bauern und Hirten dasselbe entdeckt haben, was
Meunier in den belgischen Grubenarbeitern wieder- I
gefunden hat: Würde und tragische Kraft. Das ist \
ein Element, das diese Künstler mit der Antike näher
verknüpft, als alle klassizistischen Nachahmungen an-
tiker Reliefs oder Statuen. Wir müssen unser Auge !
daran gewöhnen, das Wesen der Antike im modernen
Leben zu sehen, und unterscheiden lernen, was falsches
und was echtes antikes Empfinden ist. Dann erst I
wird uns der richtige Massstab gegeben, das richtige
Werturteil gegenüber den Erscheinungen der Gegen- i
wart ermöglicht. Das Neue und das Alte wird durch
ein festes Band verknüpft, welches zwar nicht für
jeden sichtbar, aber dennoch vorhanden ist, und
nur von den Tieferblickenden erkannt wird. Die
Alten sind manchmal »unglaublich modern«. So giebt
es auch Moderne, die unglaublich viel an die Alten
gemahnen. Ein solcher Moderner war Segantini.

Streng und doch milde, wie ein Sienesisches Bild des
vierzehnten Jahrhunderts, mit seinem dichten schwarzen
Haar und Vollbart, welche die feinen Lippen und
die hohe freie Stirn kühn und doch weich um-
rahmten, so steht er uns geistig vor Augen, ein Nicht-
zuvergessender, ein Ganzer und ein Meister, der sich
in dem Lebenswerk, das er geschaffen, die Unsterb-
lichkeit und uns die Pflicht zu liebender Verehrung
und eine tiefe Dankesschuld hinterlassen hat

»NIEDERRHEINISCHER BRIEF.-

Zu meinem grossen Bedauern fand ich heute die
Kollektion Leibi nicht mehr bei Schulte vor. Also
eine Erfrischung weniger. Ich hatte mich auf diesen
Trunk aus einer ungetrübten Quelle echt deutschen
Ursprungs gefreut wie ein Kind. Leibl's Lieblings-
spruch war es früher: Die Kunst ist so schwer. Man
muss stark, stark sein, um sie richtig zu packen. Ich
z. B. bin kaum stark genug.« Das pflegte er in
München um die Zeit 1875 zu sagen. Es zeigt, wie
ernst ers mit dem Malen« meinte.

Zur Erholung fiel es ihm dann wohl mal ein, im
sogenannten Affenkasten, dem HerrenstübP im Augus-
tinerbräu auf der Neuhauserstrasse seine Herkules-
schulter anzustemmen und 8 -10 neben ihm Sitzende
langsam aber sicher von der Bank herunter zu streifen.
Der Pinsel war ein Instrument, das seine Armmuskeln
nicht genug in Thätigkeit setzte. Damals hörte man
von dem übermütigen »Kölner Jungen« manchen
Gewaltstreich. Daneben malte er jeden, der's wollte,
auf der ganzen Akademie, als lebensgrossen Studien-
kopf in 2 2'/2 Stunden, breit, kräftig, prima, immer
wunderbar im Ton.

So ist er immer seinen Weg weitergegangen, hat
sich herzlich wenig um Schlagwörter gekümmert da
hinten in seinem Aibling zwischen seinen Bauern, die
auch nicht viel reden, Leibi, eine Künstlerkolonie für sich.

Also mit Leibi ist's heute nichts.

Aber es giebt doch einige recht gute Bilder da
von Düsseldorfern, die es mit Recht übelnehmen
würden, wenn sie unerwähnt blieben. Oben im
Saal ein grosses dekoratives Seestück von Becker, dem
früheren Schüler Dücker's, mit Figuren von Klein
Chevalier. Wie viel besser würde das tüchtige Bild
sich in einem grösseren Räume ausnehmen, wie hier,
wo es oben und unten anstösst und lange nicht die
Wirkung ausübt, die ihm zukäme. Das Wasser ist, wie
immer, vorzüglich gemalt, wenngleich ich ein wenig das
Dramatische in Wasserwie Figuren vermisse, etwas, was
man in den guten Bildern Andreas Achenbach's niemals
vermisst. Auch muss ich immer wieder ein klein
wenig das persönlich Leidenschaftliche vermissen, das
Wuchtige, was bei einem Sturm auf hoher See, wenn
er in solcher Grösse auftritt, natürlich wäre. Es
hängt gerade jetzt ein Andr. Achenbach vom Jahre 1874
in der Kunsthalle. Nennen wir ihn braun, nennen
wir ihn wie wir wollen aber er ist persönlich,
hat Bildwirkung, hat Stimmung. Becker ist im
besten Alter. Er sucht nach neuen Ausdrücken, und
es erfreut, ihn ruhig und objektiv zu beobachten.
 
Annotationen