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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 16.1905

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Rapsilber, Maximilian: Kayserzinn
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Gross, Karl: Die Wahrhaftigkeit im kunstgewerblichen Unterricht
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https://doi.org/10.11588/diglit.4872#0177

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' s

170

DIE WAHRHAFTIGKEIT IM KUNSTGEWERBLICHENJUNTERRICHT

houette. So schwer sie ist, so bequem fügt sie sich
der Hand und so sehr ist auch die Schwerfälligkeit
dabei vermieden. Das kommt wohl durch die bizarr
verlaufenden, sich windenden, verschlingenden, ver-
knotenden Linienspiele des Dekors, welche die Maße
und die Flächen der 28 Zentimeter hohen Kanne

ganz eigenartig beleben. Die Tischglocke endlich
in Gestalt des Biedermeiermädchens mit dem steifen
Krinolinchen vervollständigt die Reihe der figuralen
Arbeiten in Kayserzinn gev/i." recht glücklich. Die
Glocke ist völlig in Zinn gegossen und hat dabei
einen angenehmen und dezenten Klang.

M. RAPSILBER.

DIE WAHRHAFTIGKEIT
IM KUNSTGEWERBLICHEN UNTERRICHT')

MEINE Herren! Unser gesamtes Schulwesen ist,
wie Sie ja wissen, zurzeit in der Umbildung be-
griffen und nicht zuletzt jenes, welches die
Geschmacksbildung unseres Volkes erstrebt. Der Ver-
band der deutschen Kunstgewerbevereine hat daher
diese Frage bereits auf dem letzten Delegiertentag
behandelt und auch heute ist darüber zu sprechen.

Wir haben vorzügliche Referate über diese wich-
tige Frage gehört, aber ein Punkt scheint mir doch
noch nicht genügend betont.

Wir sind dabei, eine neue Maschine zu kon-
struieren, welche nach aller Berechnung sehr gut
laufen wird, wir haben aber noch nicht untersucht,
ob deren Kraft auch weitergeleitet und dadurch erst
nutzbar gemacht werden kann.

Denn, meine Herren, unter Wahrhaftigkeit im
kunstgewerblichen Unterricht verstehe ich das Be-
streben, nicht um der Schule willen zu lehren, son-
dern zur direkten Befruchtung des praktischen Lebens.

Das klingt ganz selbstverständlich und doch wird
vielfach ganz unbewußt von den Schulmännern nur
»durch die Schule für die Schule« gelehrt.

Gestatten Sie mir eine kleine Geschichte.

An einem herzerquickenden Frühlingstage lag ein
Mann im Fenster und freute sich des Frühlingswindes,
der ihm ein wonniges Gefühl von Knospen und
Werden ins Gemüt hauchte.

1) Nach dem von Professor K. Oroß-Dresden auf
dem XV. Delegiertentage des Verbandes Deutscher Kunst-
gewerbevereine erstatteten Referat.

Und weil er darüber gar so selig war und sie
diesen Schatz für immer bannen wollte, fing er sich
diesen köstlichen Wind in Flaschen, schloß das Fenster
und freute sich seines Besitzes.

Er schrieb fein säuberliche Etiketten und klebte
sie auf die Flaschen, womit er auch seinen lieben
Mitmenschen eine Freude zu machen gedachte.

Dieser Mann war nämlich ein Schulmeister und
dieser abgezapfte Frühlingswind befähigte ihn, einen
berühmt gewordenen Lehrgang zur Erziehung des
menschlichen Gemüts in seiner Schule einzuführen,
der auch die staatliche Anerkennung fand und durch
diesseitigen Regierungsbeschluß an die jenseitige Be-
hörde zur Darnachachtung weitergegeben wurde.

Meine Herren! Auf diese Art ungefähr ist viel-
fach unser kunstgewerblicher Unterricht zustande ge-
kommen.

Aber: Frisch bläst der Wind in der Praxis, bald
von Ost, von Süd, von Nord und West, starre Hinder-
nisse knickt er, Windmühlenflügel treibt er, dem
praktischen Menschen dienend, so oder so, stets <<■>
er an der Arbeit.

In der Schule eingesperrt ist er aber lahme Luft,
die nur der Blasbalg des Lehrganges bewegt. Hierin,
meine Herren, liegt die ernsteste Unwahrhaftigkeit
unseres Schulunterrichts.

All die Unterströmungen, mit denen die Praxis
zu rechnen hat, wie Angebot und Nachfrage, die
stets neu auftauchenden und auszunützenden techni-
schen Möglichkeiten, die Zeit- und vor allem die
wichtige Preisfrage können im Schulunterricht keine
 
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