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Kunstwart und Kulturwart — 26,1.1912

DOI Heft:
Heft 1 (1. Oktoberheft 1912)
DOI Artikel:
Weber, Ernst: Absolutismus oder Demokratie im Schulstaate?
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https://doi.org/10.11588/diglit.9024#0039

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verlangen auch das des Außern, der Iustiz, des Verkehrs — oder wie
man es sonst nennen will — für ihre Selbstbetätigung. Die Ent-
wicklung unsrer Staatsversassungen von der autokratischen zur parla-
mentarischen Regierungsform wiederholt sich ähnlich im kleinen inner--
halb der einzelnen Schulgruppen und -klassen.

Am reinsten finden diese Forderungen ihre Ausprägung in
Amerika; aber auch bei uns in Deutschland mehren sich die Stimmen,
die den Schülern ein Recht der sreien Selbstbestimmung zusprechen,
die eine Art Arbeitsgemeinschast auch innerhalb der Verwaltungs--
angelegenheiten einzelner Klassen sordern.

Die neuen Reformgedanken haben auf den ersten Blick hin viel
Bestechendes: Was die Schüler selbst beschließen und anordnen, was
ihrer eigenen Äberlegung und Aberzeugung entsprungen ist, das
pflegen fie auch mit größerer Lust und Kraft durchzuführen als die
diktierten Befehle einer autoritativen Macht. Der Geist der Ge-
meinsamkeit wird gestärkt. Die Zahl der innern Widerstände gegen
die selbst verfaßten Disziplinarbeschlüsse schrumpft zusammen. Der
ewige Kamps zwischen Lehrer- und Schülerwillen weicht einer fried-
lichen Löfung. Das bedeutet eine gewaltige Kraftersparnis, wo srüher
über Kraswergeudung geklagt werden mußte. Gleichzeitig wächst das
Verantwortlichkeitsgefühl. Ieder einzelne fühlt und handelt als Bür-
ger seines Schulstaates und findet damit zugleich die beste Vorbereitung
für seine künftige Stellung als Bürger des großen Staates, in dessen
Dienst er einst denken und wirken soll.

Derartige Folgen kann unter Rmständen eine Selbstverwaltung
seitens der Schüler mit sich bringen; aber das muß nicht der Fall
sein. E8 kann unter Umständen auch das Gegenteil eintreten. Genau
wie im großen Staate auch. Ein Volk, das sich selbst re-
gieren foll, muß reif zur Selbftregierung sein. Wo
dies nicht der Fall ist, verkehrt sich der Segen in Fluch. Das gilt
auch für den Staat im kleinen, für die Schule. Besonders in Schul-
gattungen, wo die Schüler noch auf einer verhältnismäßig niedern
Stufe der Entwicklung stehen: in Volksschulen, in den unteren Klassen
der Gymnasien und Realschulen. Hier'wäre eine Selbstverwaltung,
welche die Autorität des Lehrers und Erziehers in der angegebenen
Weise einschränkt oder gar ausschaltet, verfrüht.

Alle Verwaltungsmaßnahmen sind nur Mittel zum Zweck. Ziel
ift Bildung und Erziehung des jungen Menschen. Die Art dieses
Zieles bestimmt die Art der Verwaltungsmaßnahmen. Wer einen
Kodex der Schülerpflichten festsetzen will, der muß fich vorerst klar
geworden sein über die eigentlichen Ziele, denen jene Mittel dienst-
bar gemacht werden sollen. Er muß die inneren und äußeren Be-
ziehungen zwischen Mittel und Zweck kennen. Wem diese Kenntnis
abgeht, der verwechselt Mittel und Zweck. Der erblickt in der Ver-
waltungsäußerlichkeit selbst ein Ziel, das des Erstrebens wert ist.
Diese Gesahr ist um so größer, je unreifer der Schüler ist. Dann
werden Kleinigkeiten zu staatserhaltenden Angelegenheiten aufge-
bauscht. Eine unverhältnismäßig große Summe von Kraft wird
für Nebendinge verausgabt, wo das Befehlswort einer maß-
gebenden, selbstsicheren, zielklaren, gereiften Persönlichkeit den gan-

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