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Kunstwart und Kulturwart — 26,1.1912

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Heft 5 (1. Dezemberheft 1912)
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Balkankrieg-Nebengedanken
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Avenarius, Ferdinand: Juden, Antisemiten und wir: ein offener Brief an den Verein zur Abwehr des Antisemitismus
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https://doi.org/10.11588/diglit.9024#0367

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und Völker, die wir bisher nur als Barbaren verlacht oder als
Störenfriede bemurrt haben, treten in neuem Sinn in die Geschichte
ein. Die Folgen davon werden nicht nur durch die ganze islamitische
Welt, sie werden über die ganze Erde zittern, und welche Kräfte--
spannungen sie, sei es als wirkliche Ursache, sei es als Vorwand, zur
Entladung bringen werden, das wissen wir erst recht nicht. Noch
erhöhtes Mißtrauen gegen alles als sicher Mitgeteilte könnte
für den Denkenden die erste unmittelbare Folge dieser Lrlebnisse sein.
Was unsre Presse noch so bestimmt als sicher, was sie mit noch so
großer Gebärde als selbstverständlich behandelt, o Leser, mach du
ein Fragezeichen dahinter, noch besser: mache dahinter zwei. Nur:
mache auch hinter deine eignen Gedanken zum Thema einige. Ansre
Presse ist kein schlechter, sie ist in ihren besten Teilen sogar ein
bewundernswerter Apparat, aber von den unendlichen Verwickelungen
des Lebens kann sie nur dies und das ertasten, während die Zeiger
doch auf bestimmten Zifsern spielen müssen. Sichern kann uns im
Weltgetriebe nichts. Stärken zum Widerstande für alle Fälle
unsre Wehr, vor allem aber unsre Krast. Kraft wächst von innen
heraus. Die Ereignisse mögen im Engsten oder Weitesten spielen,
nationale Kultur lehren sie uns alle.

Juden, Antisemiten und wir

Ein offener Brief

an den Verein zur Abwehr des Antisemitismus

er »Fall", wegen dessen ich mich öffentlich an Sie, meine Herren,
^-D^wende, hat deshalb ein öfsentliches Interesse, weil er aufklärend

hell Methoden und Gesinnungen beleuchtet, wie sie bei der
Auseinandersetzung zwischen Iudentum und Nichtjudentum heute noch
möglich sind. Anter Ihrer Zulassung und Beihilfe, meine Herren.
Ihr Verein ist zur Abwehr des Antisemitismus gegründet. Ich be-
schuldige Sie, daß Sie den Antisemitismus bei Ilnbesonnenen sördern
und bei Besonnenen verzeihlich machen. Und behaupte, daß ich Sie
dessen auch im Sinne aller vornehm denkenden Iuden beschuldige.

Das Vorspiel unsres „Falls" ist schnell skizziert. Wie die Leser
wissen, hatte im Kunstwart eine ^Aussprache mit Iuden" stattgesunden,
in der unter eigner Verantwortung eine große Anzahl jüdischer
Herren sich mit einer Minderheit von Nichtjuden über gegenseitige
Beschwerden unterhielt, und hierbei hatte auch ein Antisemit ge-
sprochen. Ohne Kenntnis von seinen Meinungen und ohne Kenntnis
auch seines Tons wäre das Bild vom beiderseitigen Verhalten un-
vollständig und gefälscht gewesen, doch ließ ich ihm keinerlei Beleidi-
gung eines andern Debatteredners durchgehn, und in einem Leit-
aufsatze führte ich meine eigne weit abweichende Meinung aus. Gegen
die Bemerkungen des antisemitischen Debatteredners über Ihren Ver-
ein nun sandte mir der Abgeordnete Gothein als Ihr Vorsitzender
einen Brief. Zunächst verstand ich ihn so, als wäre er für eine
Fortsetzung der Aussprache bestimmt, erklärte mich sofort bereit, bei
ihrer Erneuerung sein Wesentliches zu bringen, ersuchte aber zugleich
um Weglassung der persönlichen Herabsetzungen des andern Debatte-

s. Dezemberheft 297
 
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