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Kunstwart und Kulturwart — 26,1.1912

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Heft 5 (1. Dezemberheft 1912)
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Balkankrieg-Nebengedanken
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https://doi.org/10.11588/diglit.9024#0366

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„Vorwürfen" zu reden, so muß man wenigstens zugeben, daß sie
doch schwerlich die berufsmäßigen Vertreter der „ösfentlichen Mei»
nung" tressen, die Iournalisten als Stand. Der Bürger, der ge--
legentlich das große Wort vom „versehlten Beruse" gelassen nach--
spricht, ahnt nicht, welche Summe von Betriebsamkeit und Fleiß,
aber auch von Kenntnissen und Geist dazu gehört, auch nur das oft
so unsolide Kartenhaus zu bauen, das man in der schlichten Form
„seines" Blatts auf dem Kaffeetisch sindet. Auch ist zwar tau--
sendmal behauptet, aber nie und nirgend bewiesen worden, daß der
Iournalismus als Ganzes, als Stand irgendwie korrupter sei,
als ein andrer, und wahrscheinlich ist das schon deshalb nicht, weil
der Iournalist durch den Berussgenossen von der andern Partei
schärfer kontrolliert und häufiger angegriffen wird, als innerhalb seiner
Kollegenschaft irgendein andrer Mann. Aber alles beiseite, was mit
Anredlichkeit oder irgendwelcher Rnsauberkeit sonst zu tun hat, es
bleibt doch wahr, daß der selbständig arbeitende Iournalist, daß der
Mann der Presse, der dem Dutzend-Zeitungsmacher die wertvollen
Informationen und die zusammensassenden Gedanken verschafft, daß
er, der den Geist der Zeitungen „speist^, unter ungemein erschweren--
den Umständen arbeitet.

Da ist das Publikum, der Konsument seiner Ware, der Macher
der Nachsrage. Es will, was ihm gesällt, und will's, wie es ihm
gesällt, sonst kaust es eben dies Gedruckte nicht. Da ist der Ver--
leger, der Vertreter der Publikums-Interessen, aber auch seiner
besondern und vielleicht noch derer seiner tzintermänner. Da ist die
Partei, die sich so oder so „festgelegt" hat. Da sind die Inter--
essentengruppen mannigfaltigster Art, die osfen oder versteckt
mitspielen. Da ist die Nmwelt, deren Anschauungen zumal aus
den Berichterstatter auch gegen seinen besten Willen so leicht absärben.
Nnd nun erst und all dem gegenüber: da ist dieses große zu (Lrfor--
schende, die „Sache^, die heute sestbleibt und morgen sich pro--
Leisch wandelt, die sich selber heute so erscheint und morgen anders,
die wahrscheinlich immer nicht so ist wie sie aussieht, und die von
hier aus so dargestellt wird, von dort aus unbewußt oder geslissent--
lich anders. Diese „Sache", zwischen all deren Punkten zudem die
große Spinne Politik ihre Fäden zieht, unaushörlich daraus aus,
den Iournalisten zu ihrem Zwecke zu fangen. Wirklich: es ist ent--
schuldbar, wenn wir schlecht unterrichtet wurden! Aber die Tatsache
bleibt, daß wir von all dem, was sich jetzt begibt, so gut wie nichts
voraussehen konnten. Nnd die noch wichtigere Tatsache auch: daß
wir nicht das mindeste Sicherheitsgesühl haben dürfen, nunmehr
werd es anders werden. Nicht nur deshalb nicht, weil kein Mensch
aus der Lrde voraus wissen kann, was für Funken aus den Schüssen
aus dem Balkan in die europäischen Pulverfässer springen. Sondern
auch einsach deshalb nicht: weil sich die Bedingungen der europäischen
Insormation im wesentlichen nicht ändern lassen ohne eine Ande--
rung ihrer zivilisatorischen Vorbedingungen.

Aber Byzanz verbleicht der Halbmond, gegen dessen Bannerträger
wir uns frühere Iahrhunderte hindurch in heiligen Kriegen gewehrt
und mit dem wir schließlich — so schöne Geschäste gemacht haben,

2Z6 Kunstwart XXVI, 5
 
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