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Kunstwart und Kulturwart — 26,1.1912

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Heft 2 (2. Oktoberheft 1912)
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Gregori, Ferdinand: Schauspieler vor die Front!
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Schumann, Wolfgang: Vom Singen lernen
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https://doi.org/10.11588/diglit.9024#0118

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gewordenes Wort und dramatisch begründeter Ort. Alles andre, so
schön und sinnvoll es auch relativ sein mag, darf erst in Erscheinung
treten, wenn Wort und Ort ohne Tadel aufgebaut sind.

Ferdinand Gregori

Vom Singen lernen

allein für den Privatliebhaber ist die Frage hier gestellt,
Lsondern auch und vor allem für den, dem das Auftreten im
^ ^Konzertsaal als letztes Ziel vorschwebt, während für den Bühnen--
gesang zu einem gewissen Teil andere Gedanken gelten. Für die andern
ist die übliche Meinung die, daß man, koste es was es wolle, einen berühm-
ten Stimmbildner ein paar Iahre lang besuchen müsse, um sleißig übend
allmählich jene metallene Stärke und jene Einheitlichkeit der Register
zu erlangen, die, wie man meint, allein einen Saal (mit Klang und
mit Publikum) füllen kann. Wir sprechen nachher davon, was nur
allzu häufig bei diesen Bemühungen heraus kommt, ich möchte vorher
die einfache Frage aufwerfen, warum etwa ein Natursänger wie Scho--
lander ohne „Bildung" das vermag, was so viele Sänger mit „ge--
bildeter" Stimme nicht vermögen oder nur halb und halb: ein Publi--
kum anzulocken und sogar dauernd zu fesseln. Auch der ohne Ver-
gleich erfolgreichste „Kunst^-Sänger der letzten (5 Iahre, Ludwig Wüll-
ner, war doch an Stimmbildung nicht ebensoweit wie an Erfolg den
andern voraus. Wenn also, wie jeder von vornherein weiß, die Stimm-
bildung allein über den Kunstwert des Gesangs nicht entscheidet, so
sehen wir auch, daß sie nicht einmal über den Erfolg allein bestimmt.
Ich glaube aber darüber hinaus, daß sie den Knnstwert des Gesangs sogar
häufig schädigt, in vielen Fällen nahezu vernichtet. Damit ist nicht ge-
sagt, daß man gar nichts lernen und lieber einfach drauflossingen solle wis
und was einem gerade einfällt. Ich bekämpfe nur die verbreitete Auf-
fassung, die in Sätzen deutlich wird wie: „Sie haben aber doch einq
prachtvolle Stimme! Wollen Sie die wirklich nicht ausbilden lassen?"
Oder in jener Tatsache, daß so viele Fleischhauertöchter uns „Weylas
Gesang" und so viele Droschkenkutscher uns den „Prometheus" nach-
schaffen, noIente8 voIente8. Oder die in Reichmanns berüchtigtem Tage-
buch lebt oder in jenes Lebenden Ausspruch: „I bin halt a dumma
Tenor!" Ich bekämpfe die Auffassung, daß die Hauptsache der Ausbildung
eines künftigen Musikinterpreten die seiner „Mittellage" und der zwin-
gendste Grund, Sänger zu werden, eine natürliche Stimmanlage sei.
Oder endlich die, daß der Besitz eines bloßen „Talents" schon zur dauernden
Beachtung dieses Talents verpflichte, und daß eine nennenswerte Sing-
stimme schon ein Kunsttalent bedeute. Dagegen meine ich, daß eine mensch-
liche Stimme nicht ein Stück Fingernagel oder Wangenhaut ist, das man
„pslegen" kann um Schönheitwirkungen zu erzielen nnd auch nicht ein
Werkzeug, das man vernickeln und polieren läßt. Sie ist in ihrer Brauch-
barkeit zu ästhetischem Zweck weit mehr von innern psychischen Ein-
flüssen abhängig als von äußeren physischen. Anders ausgedrückt: vor
allem muß ein Sänger ein Mann von allgemeiner seelischer Klarheit und
Selbstbeherrschung und Bewußtheit und Kraft und Vielseitigkeit sein.
Dann erst steht in Frage, ob er auch eine gut klingende Stimme hat;
für die Stimme, die Persönlichkeit-Ausdruck, Persönlichkeit-Wert ist,

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