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Kunstwart und Kulturwart — 26,1.1912

DOI Heft:
Heft 5 (1. Dezemberheft 1912)
DOI Artikel:
Thoma, Hans: Zum Thema Traum und künstlerisches Schaffen
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https://doi.org/10.11588/diglit.9024#0378

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Zum Thewa Traum und künstlerisches Schaffen

^-^s ist wohl keine verwunderliche Sache, wenn man annimmt, daß
E^das künstlerische Schafsen, die Phantasietätigkeit, aus dem es ent-
^^springt, aus dem gleichen Wesensgrund seinen Ursprung hat,
aus dem auch der Traum sich aufbaut.

Wie beim Traum, so ist auch bei der Phantasie, aus der das künst-
lerische Schaffen hervorgeht, ein groß Teil des Verstandes, den wir
in gewissem Sinne mit den Tieren, und, wir wissen es ja nicht, viel--
leicht auch mit den Pflanzen, gemeinsam haben, ausgeschaltet. Es ist
dies die Erkenntnis von Ilrsache und Wirkung und ihrem gesetzmäßigen
Fortgang aus die Veränderung aller Dinge mit den Möglichkeiten
bedingt von Raum und Zeit, in die wir mit unserm natürlichen Denken
eingeschlossen sind. Äber Traum und Phantasie hat dieser Teil von
Verstand keine große Berechtigung. Vielmehr das Losgebundensein
von Raum und Zeit und von der Veränderlichkeit der Dinge in Ur-
sache und Wirkung, das Außerhalbstehen von diesen den Verstand
beherrschenden Dingen ist es, was es dem Menschen möglich macht,
sich die Kunst zu schaffen. Dadurch ist die schasfende Phantasie nahe
verwandt mit der Angebundenheit, den sprunghaften Unmöglichkeiten
des Traumes.

Das willkürliche, nicht von unserm Verstand und seinen Erfahrun--
gen abhängige Spiel, welches in geheimnisvoller Tiefe des Seins
unsre Seele mit den uns von den Sinnen, diesen Eingangspforten
für die uns umgebende Welt, gelieferten Tatsachen treibt, ein
Spiel, bei dem der Verstand kaum zugezogen werden kann, ist in Traum
und Phantasievorstellungsbild sehr verwandter Art, in beiden sind
die Gesetze, an die unser Denken gebunden ist, aufgehoben. Den selt--
samsten, ja den verrücktesten Traum nehmen wir ruhig hin, ohne
darüber zu staunen und ohne an seiner Möglichkeit zu zweifeln, so--
lange uns der Schlaf umfaßt.

Meiner Erfahrung nach besteht der Traum meist aus Sehbildern.
So sehr der Traum nun vielfach gegen alle Lrsahrungen von Raum
und Zeit und der verstandesgemäßen Folge von Verwandlung der
Dinge verstößt, in bezug auf Farben und Lichtvorstellungen scheint
er nie zu verstoßen, so daß man wohl annehmen könnte, daß das
Gesetz der Farbenharmonie seinen Ursitz im Auge selbst haben müsse;
die prachtvollen wechselnden Farbenbilder, die in der Dunkelheit ent--
stehen, wenn man vorher in ein blendendes Licht gesehen hat und
noch viel andre Experimente weisen auf diese innere Augentätigkeit hin.

Die Gesetze der Optik, daß die Sehstrahlen nur in bestimmten Win--
kelabständen in das Auge gelangen können, sind im Traum aufge-
hoben, denn im Schlafe ist die Eingangspforte geschlossen, und das
innerliche Sehen ist nicht davon abhängig.

Im Traum gibt es keinen Augenpunkt, durch den Lage und Ort
der Gegenstände bestimmt werden kann. Es kommt mir vor, als ob
das Auge während des Traumes ein Mittelpunkt wäre, in dem all-
seitig gesehen wird, so daß es für das Auge sodann kein Vorne und
Hinten, kein Oben und Anten gibt, es ist wie eine Kristallkugel, in der
Sehvorgänge sich von allen Seiten spiegeln, es scheint mir, daß erst



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