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Kunstwart und Kulturwart — 26,1.1912

DOI Heft:
Heft 5 (1. Dezemberheft 1912)
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Buschmann, Johannes: "Fabrikware"
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Salomon, Alice: Von der Charitas zur Sozialpolitik
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https://doi.org/10.11588/diglit.9024#0385

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weiter mit dem Makel der Minderwertigkeit brandmarken, dann er--
schwert man ihr die Arbeit zum Schaden der Gesamtheit. Deshalb
scheint mir's an der Zeit, nachdrücklich zu betonen, daß das Wort
„Fabrikware" an sich überhaupt keine qualitative Wertung ausdrückt,
sondern lediglich eine begriffliche Definition der angewandten Technik
und Organisation enthält, die unverständig, aber auch verständig be--
nutzt werden kann und benutzt worden ist. Das ist auch ein Stück
Ausdruckskultur. IohannesBuschmann

Von der ChariLas zur Sozialpolitik

illiam Stead hat vor etwa zwei Iahrzehnten die sozialen Pro--
V Hbleme unsrer Zeit in einem Buch behandelt, dem er den Titel

^^^gab: „Wenn Christus nach Chicago käme! Was würde er tun?"
Unter dem Eindruck der unbeschreiblichen Not und des wirtschaftlichen
und sozialen Chaos, das nach der Weltausstellnng in der schnell an-
gewachsenen Industriestadt herrschte, die Tausende von Arbeitskräften
angezogen hatte, wollte er darstellen, daß die Bevölkerung Chicagos
sich ihren kommunalen und sozialen Pslichten nicht gewachsen zeigte.
Und was von ihm damals für Chicago ausgeführt wurde, trifft in
geringerem oder stärkerem Amfang für alle großen Industriezentren,
trifft für unsre Zeitverhältnisse im ganzen zu. Äberall in christlichen
Ländern können wir tausendsach Hungrigen begegnen, die nicht ge-
speist wurden, Obdachlosen, die wir nicht beherbergten, und Hundert-
tausenden, die so schlecht beherbergt sind, daß es allen Gesetzen der
Hygiene und der Sittlichkeit Hohn spricht. Aberall sind die Städte er-
füllt von Stätten, in denen das Laster wohnt, in denen das Volk zu
übermäßigem Alkoholgenuß verführt wird, während es an Gelegenheiten
zu edler und würdiger Erholung für die Masse des Volkes fehlt. Das
alles, weil Tausende von Bürgern ruhig dahinleben, ohne sich um die
Angelegenheiten der Gemeinde, der Stadtverwaltung zu kümmern, ohne
das Gefühl, für soziale und öffentliche Einrichtun-
gen v e r a n t w o r t l i ch zu sein.

Wenn die Gebote der Nächstenliebe heut ausgeführt werden sollten,
in dem Sinne, in dem sie in den Evangelien ausgesprochen wurden,
dann wäre das großstädtische Elend unsrer Zeit unmöglich; denn dann
müßte das Gefühl der Verpflichtung für den „Nächsten" in modernem,
in umfassendem Sinne aufgefaßt, in Taten umgesetzt werden. Dann
würde dieses Gefühl sich auch in der kommunalen und sozialen
Politik Ausdruck schaffen und betätigen. William Stead kam gerades-
wegs zu dem Ergebnis, daß es eine christliche Pflicht des Bürgers ist,
sich um Politik zu kümmern und zwar so lange, bis er geholfen
hat, die wirtschastlichen und sozialen Zustände seiner Heimat und seines
Vaterlandes zu bessern.

Diesem Gedankengang, der Stead vom Evangelium zur Sozialpolitik
führte, kann ein andrer zur Seits gestellt werden, der, von der Lharitas
ausgehend, sich in derselben Richtung bewegt und bei demselben Ziel
endigt. Wie die Forderung, die Hungrigen zu speisen und die Frieren-
den zu kleiden, die Ausdrucksform des Gebotes der Nächstenliebe war»
die den Bedürfnissen eines primitiven Wirtschaftslebens entsprach, so war

s. Dezemberheft W2 -P5 ^
 
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