Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 26,1.1912

DOI Heft:
Heft 2 (2. Oktoberheft 1912)
DOI Artikel:
Stapel, Wilhelm: Kunstgeschichte für Kunstgenuß?, [2]
DOI Artikel:
Seeliger, Johannes: Schützt die alten Holzkirchen!
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.9024#0124

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
einem Kunstwerk stellen, wie wir uns darauf „einstellen" können, worauf
wir ihm gegenüber achten sollten; aber das Beste bleibt dem Betrachter
am Ende doch selbst zu tun: vor den Kunstwerken selbst lebendig a n--
zuschauen. Der Band Bilder, der dem Waetzoldtschen Buche bei-
gegeben ist, hilft da nicht weit. Das Werk setzt voraus, daß der Leser
sich eine „Hausbilderei" von guten Nachbildungen anlegt und so oft als
möglich die öffentlichen Kunstsammlungen besucht. Nur dann lohnt sich
die nicht geringe geistige Anstrengung, die es dem Laien zumutet.

Schließlich kann auch reine Kunstgeschichte als solche für die Ver-
tiefung des Kunstgenusses fruchtbar gemacht werden. Ls läßt sich sehr
wohl denken, daß, etwa aus der Stilgeschichte oder aus der Künstler-
geschichte, das, was den Kunstgenuß vorbereiten kann, znsammen-
getragen und zur Hinleitung und Einstellung benutzt wird. Für das
Gebiet der Baukunst scheint mir das sogar unumgänglich zu sein.
Die Dome, Rathäuser, Schlösser, Patrizierhäuser werden ganz lebendig
nur aus dem Lebenszusammenhang, in den sie hineingehören. And

was etwa bei einer Radierung die Kenntnis der Technik für den Be-

trachter bedeutet, das bedeutet für ein Bauwerk nicht nur die Kenntnis
des Materials, sondern auch die seiner Baugeschichte. Für den An-
fänger gibt es da zwei feine Büchlein von Adalbert Matthaei,
die in Teubners Sammlung „Aus Natur und Geisteswelt" erschienen
sind: sie behandeln die deutsche Baukunst im Mittelalter und die neuere
bis zum Ausgang des achtzehnten Iahrhunderts in einer Weise, die

den Leser zu selbständigem Schauen anregt und ihn nicht mit der Vor-

stellung entläßt, nun „Bescheid zu wissen" und fertig zu sein.

Schließlich muß sich jeder seinen Weg zur Kunst selbst bahnen.
Denn Kunstgenuß, immer wieder gesagt, ist ein Erleben. Es hilft
einem nichts, wenn man „ihre Geschichte auswendig kennt", nichts, wenn
einem vor jeder Plastik, vor jedem Gemälde im Museum einfällt: „Aha,
da ist das zu wissen und zu beachten!" Wir genießen ihrer erst, wenn
sie in uns selber eindringt, uns durchblutet, uns ernährt und uns
wachsen macht. Wilhelm Stapel

Schützt die alten Holzkirchen!

in oberschlesisches Dorf mit einfachen Häusern aus Holz und Stein,
I )^dazwischen schon ein paar Maurermeisterkästen, die die Nähe der

Stadt verraten — aber aus einmal, von Bäumen halb verdeckt,
etwas Neues, nie Gesehenes, und doch auf den ersten Blick überzeugend
in seiner Schlichtheit: eine Kirche ganz aus Holz gebaut! Das war die
frohe Entdeckung. Nnd nun ging es an ein Forschen, Wandern, Photo-
graphieren und Sammeln, bis ein ganzer Schatz heimlicher Schönheit
beisammen war.

Oberschlesien ist noch heut auf der rechten Oderseite mit weiten Nadel-
wäldern bedeckt, und ehedem war das Waldkleid noch viel dichter. In
einer Gegend, wo Steinmaterial selten ist, war es natürlich, daß man
das Holz beim Bauen bevorzugte. Häuser, Scheunen, Kirche — alles
aus Holz, und noch jetzt kann man abgelegene Dörfer finden, die fast
ganz aus Holzbauten bestehen. Die Stämme werden vierkantig zu-
gehauen, an den Ecken verzinkt, die Fugen mit Lehm verstrichen, und

92 Kunstwart XXVI, 2
 
Annotationen