Der deutsche Weltberuf.
immer neue Masken und immer neue Symbole für
diese Antithetik und reißen den Gegensatz immer weiter
auseinander. Das bleibt nur verständlich, wenn man
sich vor Augen hält, daß seine Liebe und sein Haß zu-
sammengehören wie die beiden Schalen eincr Kugel.
Auf gegenseitiger Steigerung beruht ihre wachsende
Leidenschaft. Es ist Eines, dem seine Liebe und sein Haß
gilt, jenem einheitlichen Doppelwesen, das noch nicht
ist, sondern erst werden soll. Keiner hat alle Gefahr und
Hoffnung dieses Doppelwesens tiefer erlebt als Nictzsche.
Seine Selbstdeutungen sind die leidenschaftlichste Aus-
einandersctzung des deutschen Gewissens mit sich selber.
Jn diesem Sinne ist Nictzsches Bild, wie es Bertram
zeichnet, mit Recht eine „Mythologie" des Deutschen
zu nennen. „Der deutsche Geist setzt sich in Nietzsche
als Nietzsche mit sich selbst auseinander, sucht sich leiden-
schaftlich zu verdeutlichen, mit sich ,fertig zu werdech;
Nietzsche ist eine Form deutschen Werdens, eine einzige
unvergeßliche Gebärde des deutschen ,Über sich hinausH
deutscher Selbstüberwindung, von der seine einzelnen
persönlichen Ubcrwindungen, seine leidenschaftlichen
Askesen nur Abglanz und GleichniS sind." So ist auch
Nietzsches Deutschenhaß zu verstehen, als Selbsthaß und
wenn irgendeiner, als Liebeshaß. Er darf nicht für
sich gesehen werden, sondern nur zusammen mit dem
Iarathustrasymbol. Jn diesem einerseits und seinem
Deutschenhaß anderseits hat die Antithetik ihre äußerste
Spannung crreicht. Sein Deutschenhaß galt den inneren
Gefahren des Deutschen, die er auch als seine eigenen
Gefahren kannte; er haßt nicht den werdenden Deut-
schen, sondern den, der seine Werdepflicht verraten hatte.
„Jhm ist Deutschtum nur als Hoffnung, als ungeheure
Möglichkeit, als Forderung (vor allem an sich selber)
denkbar, als ein Postulat und als ein Stachel zu Uber-
windungen. Ein Deutschtum, das sich am Iiele glaubt,
das schon seine Verkörperung (seine ,KulturH erreicht
sieht, ist ihm nichts als ein grotesker Greuel. —
So verzieh Nictzsche es dem Deutschtum nicht, daß
es sich durch die satte Selbstgenügsamkeit an dem
allzu rasch, allzu leicht errungenen ,Seich des neuen
Reichs jenes edlen Ungenügens an sich selber bc-
raubte, das doch einzig den immer noch werdenden
deutschen Geist zu der ihm vorherbestimmten Höhe
hinauftreiben konnte."
Jm Begriff des „Deutschen Werdens" fließt zu-
sammen, was Natorp und Thomas Mann vom Deutsch-
tum bezeugt haben. Aber nicht als „Begriff" darf es
genommen werden, es will „ernst" und das heißt als
Aufgabe genommen sein. Darin erfüllt sich erst das
deutsche Wesen. Denn das Werden schließt notwendiger-
weise die Aweiheit ein, eines kleinen Heute und eines
großen Morgen oder Ubermorgen, dessen, was ist und
dessen, was werden soll. Das Werden ist uns Ver-
pflichtung. Sie liegt in dem dauernd Unfertigen als
.ein Keim, als ein Gesetz, das über sich hinausstrebt
einem bestimmten, doch stets unerreichten Bilde zu.
Das bedeutet keine Begrenzung der unendlichen Auf-
gabe, denn die Bestimmtheit ist nur bestimmte Richtung.
Ohne bestimmte Richtung und Ziel ist kein Werden,
sondern nur Auflösung möglich. Das Werden schließt
den lutherischen Satz ein, daß Gott i n der Welt ist und
nicht irgendwo außer oder über ihr. Diese Gottbestimmt-
heit ist nicht bloß der ölan vital, nicht bloß dunkler
Drang des Lebens überhaupt, sondern sie ist bestimmtes
und damit sittliches Wollen, Gebundenheit an eine be-
sondere Aufgabe, „das dämonische Gesctz, wonach du
angetreten", ein Gesctz, das ebenso für das Volk wie für
den einzelnen gilt. Nicht das Ubersichhinauswollen,
das „Entwerden" und „Entdeutschen" allein ist das
Wesentliche, sondern das Hinstreben, besser das dämo-
nische Hingetriebensein zu einem bestimmten Iiel, das
im bloß Seienden als ein richtendes und verpflichtcndes
Gesctz beschlossen liegt. Denn damit erst wird das Werden
zur Tämonie. Das bloße Entwerden, dem alle Mög-
lichkeiten des Zieles offenstehen, ist noch kein Werden.
Dämonisch, friedenstörend, dem Seienden unheimlich
und verdächtig, ja schuldig wird das Werden erst da,
wo es auf ein bestimmtes Aiel, auf das gottgegebene
Gesctz des eigenen Seins verpflichtet ist. Raum zu
haben für diese seine dämonische Verpslichtung für das
„Werde, der du bist", heißt dem Deutschen Freiheit.
Wenn er Freiheit will, so will er sie für seine Gebunden-
heit an sein eigenes Gesetz. Denn die Freiheit, Gott
und dem Gewissen zu folgen, ist einzig positive Frei-
heit! f833jj Hermann Herrigel.
va und Abel.
Von Frida Bettingen.
Kriegsjahr 1918, den Müttern zugeeignet.
Evas Ahnen.
Der Weinstock krankt,
Die Garbe siecht,
Der Schakal in der Wüste schreit,
Die Herde, wie vergiftet, kriecht,
Sie schleppt sich durch die Dunkelheit.
Am Himmel brennt ein fahles Rot,
Dumpf, ohne Leben, steht die Flur,
Als hätte jede Kreatur
Sich großgesäugt an Angst und Not.
Vom Lager reißt es mich empor:
Das Unheil würgt,
Schließ ab das Tor,
Entwurzelt fällt der Dattelbaum,
Die Aweige bricht der leere Raum,
Die Früchte pflückt der bittre Tod.
Jch träumte schwer,
O helf mir Gott.
Es saugte mir den Atem aus,
Es blieb vor meinen Lippen stehn,
Wie Blut vor jungen Wölfen steht,
Stand ich vor schauderndem Geschehn,
Es hing sich an mich wie ein Graus,
Die Füße in das Nichts gestellt,
Es türmte sich zu einem Schrei,
Es fiel, wie Stein zu Steinen fällt,-
Das war der Schlange letztes Wort
immer neue Masken und immer neue Symbole für
diese Antithetik und reißen den Gegensatz immer weiter
auseinander. Das bleibt nur verständlich, wenn man
sich vor Augen hält, daß seine Liebe und sein Haß zu-
sammengehören wie die beiden Schalen eincr Kugel.
Auf gegenseitiger Steigerung beruht ihre wachsende
Leidenschaft. Es ist Eines, dem seine Liebe und sein Haß
gilt, jenem einheitlichen Doppelwesen, das noch nicht
ist, sondern erst werden soll. Keiner hat alle Gefahr und
Hoffnung dieses Doppelwesens tiefer erlebt als Nictzsche.
Seine Selbstdeutungen sind die leidenschaftlichste Aus-
einandersctzung des deutschen Gewissens mit sich selber.
Jn diesem Sinne ist Nictzsches Bild, wie es Bertram
zeichnet, mit Recht eine „Mythologie" des Deutschen
zu nennen. „Der deutsche Geist setzt sich in Nietzsche
als Nietzsche mit sich selbst auseinander, sucht sich leiden-
schaftlich zu verdeutlichen, mit sich ,fertig zu werdech;
Nietzsche ist eine Form deutschen Werdens, eine einzige
unvergeßliche Gebärde des deutschen ,Über sich hinausH
deutscher Selbstüberwindung, von der seine einzelnen
persönlichen Ubcrwindungen, seine leidenschaftlichen
Askesen nur Abglanz und GleichniS sind." So ist auch
Nietzsches Deutschenhaß zu verstehen, als Selbsthaß und
wenn irgendeiner, als Liebeshaß. Er darf nicht für
sich gesehen werden, sondern nur zusammen mit dem
Iarathustrasymbol. Jn diesem einerseits und seinem
Deutschenhaß anderseits hat die Antithetik ihre äußerste
Spannung crreicht. Sein Deutschenhaß galt den inneren
Gefahren des Deutschen, die er auch als seine eigenen
Gefahren kannte; er haßt nicht den werdenden Deut-
schen, sondern den, der seine Werdepflicht verraten hatte.
„Jhm ist Deutschtum nur als Hoffnung, als ungeheure
Möglichkeit, als Forderung (vor allem an sich selber)
denkbar, als ein Postulat und als ein Stachel zu Uber-
windungen. Ein Deutschtum, das sich am Iiele glaubt,
das schon seine Verkörperung (seine ,KulturH erreicht
sieht, ist ihm nichts als ein grotesker Greuel. —
So verzieh Nictzsche es dem Deutschtum nicht, daß
es sich durch die satte Selbstgenügsamkeit an dem
allzu rasch, allzu leicht errungenen ,Seich des neuen
Reichs jenes edlen Ungenügens an sich selber bc-
raubte, das doch einzig den immer noch werdenden
deutschen Geist zu der ihm vorherbestimmten Höhe
hinauftreiben konnte."
Jm Begriff des „Deutschen Werdens" fließt zu-
sammen, was Natorp und Thomas Mann vom Deutsch-
tum bezeugt haben. Aber nicht als „Begriff" darf es
genommen werden, es will „ernst" und das heißt als
Aufgabe genommen sein. Darin erfüllt sich erst das
deutsche Wesen. Denn das Werden schließt notwendiger-
weise die Aweiheit ein, eines kleinen Heute und eines
großen Morgen oder Ubermorgen, dessen, was ist und
dessen, was werden soll. Das Werden ist uns Ver-
pflichtung. Sie liegt in dem dauernd Unfertigen als
.ein Keim, als ein Gesetz, das über sich hinausstrebt
einem bestimmten, doch stets unerreichten Bilde zu.
Das bedeutet keine Begrenzung der unendlichen Auf-
gabe, denn die Bestimmtheit ist nur bestimmte Richtung.
Ohne bestimmte Richtung und Ziel ist kein Werden,
sondern nur Auflösung möglich. Das Werden schließt
den lutherischen Satz ein, daß Gott i n der Welt ist und
nicht irgendwo außer oder über ihr. Diese Gottbestimmt-
heit ist nicht bloß der ölan vital, nicht bloß dunkler
Drang des Lebens überhaupt, sondern sie ist bestimmtes
und damit sittliches Wollen, Gebundenheit an eine be-
sondere Aufgabe, „das dämonische Gesctz, wonach du
angetreten", ein Gesctz, das ebenso für das Volk wie für
den einzelnen gilt. Nicht das Ubersichhinauswollen,
das „Entwerden" und „Entdeutschen" allein ist das
Wesentliche, sondern das Hinstreben, besser das dämo-
nische Hingetriebensein zu einem bestimmten Iiel, das
im bloß Seienden als ein richtendes und verpflichtcndes
Gesctz beschlossen liegt. Denn damit erst wird das Werden
zur Tämonie. Das bloße Entwerden, dem alle Mög-
lichkeiten des Zieles offenstehen, ist noch kein Werden.
Dämonisch, friedenstörend, dem Seienden unheimlich
und verdächtig, ja schuldig wird das Werden erst da,
wo es auf ein bestimmtes Aiel, auf das gottgegebene
Gesctz des eigenen Seins verpflichtet ist. Raum zu
haben für diese seine dämonische Verpslichtung für das
„Werde, der du bist", heißt dem Deutschen Freiheit.
Wenn er Freiheit will, so will er sie für seine Gebunden-
heit an sein eigenes Gesetz. Denn die Freiheit, Gott
und dem Gewissen zu folgen, ist einzig positive Frei-
heit! f833jj Hermann Herrigel.
va und Abel.
Von Frida Bettingen.
Kriegsjahr 1918, den Müttern zugeeignet.
Evas Ahnen.
Der Weinstock krankt,
Die Garbe siecht,
Der Schakal in der Wüste schreit,
Die Herde, wie vergiftet, kriecht,
Sie schleppt sich durch die Dunkelheit.
Am Himmel brennt ein fahles Rot,
Dumpf, ohne Leben, steht die Flur,
Als hätte jede Kreatur
Sich großgesäugt an Angst und Not.
Vom Lager reißt es mich empor:
Das Unheil würgt,
Schließ ab das Tor,
Entwurzelt fällt der Dattelbaum,
Die Aweige bricht der leere Raum,
Die Früchte pflückt der bittre Tod.
Jch träumte schwer,
O helf mir Gott.
Es saugte mir den Atem aus,
Es blieb vor meinen Lippen stehn,
Wie Blut vor jungen Wölfen steht,
Stand ich vor schauderndem Geschehn,
Es hing sich an mich wie ein Graus,
Die Füße in das Nichts gestellt,
Es türmte sich zu einem Schrei,
Es fiel, wie Stein zu Steinen fällt,-
Das war der Schlange letztes Wort