Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 29.1919

DOI Heft:
Heft 1/2
DOI Artikel:
Heise, Carl Georg: Zur kunstpolitischen Lage: (aus der Einleitung zum Katalog der Sammlung des Frhrn. A. v. d. Heydt, Elberfeld)
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.26487#0052

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
ur kmistpolitischen Lage.

(AuS der Einleitung zum Katalog der Samm-
lung deö Frhrn. A. v. d. Heydt, Elberfeld.*)

Die Verösfentlichung einer so bedeutenden Samm-
lung wie die des Barons von der Heydt, die bewußt
und bewegend eingreift in die Kunstförderung unserer
Ieit, darf nicht hinausgehen ohne ein klärendes Wort
über die kunstpolitische Lage. Jmmer noch steht jede
Art aktiver Anteilnahme an allen Kunstäußerungen,
die wir mit dem unzulänglichen Sammelnamen Er-
pressionismus zu benennen uns gewöhnt haben,
unter dem Aeichen lebhaften Kampfes gegen die
langsam absterbende Weltanschauung einer alternden,
aber immer noch herrschenden Generation. Ein sol-
cher Kampf ist zu allen Aeiten geführt worden und
wird im Jnteresse der langsamen Erstarkung und Klä-
rung jeder neuen Bewegung selbst niemals aus den
ersten, lebendigsten Entwicklungsjahren fortgewünscht
werden dürfen. Ja, der Grad seiner Jntensität ist der
beste Wertmesser sür die Gesundheit und werbende Kraft
dessen, was kämpfend durchgesetzt werden soll. Aber
im Kunststreit der Gegenwart spielt neben den typischen,
immer wiederkehrenden Hemmungen ein neuer, zer-
setzender Faktor eine entscheidende Rolle, der in dieser
gespitzten Form zum erstenmal auftritt und in erschrecken-
dem Umfang hindernd und verwirrend zu wirken be-
ginnt. Nebcn den Reaktionären aller Art wirken am
lautesten die falschen Freunde der jungen Kunst, und
es mag fraglich erscheinen, welche von beiden am ge-
fährlichsten sind.

Die überstürzte Entwicklung unserer Tage, die bei
der Fülle der Halbgebildeten eine geistige Einstellung
erzeugt hat, die ungeprüft allem Neuen nur um der
Neuheit willen zugetan ist, hat rasch eine übertriebene
Wertung aller erpressionistischen Versuche heraufgeführt
und gleichzeitig fast, in dem Wunsch, schon die Anfänge
als endgültige Resultate auszuspielen, aus den noch
tastenden Außerungen eines heranreifenden Geschlechts
voreilig programmatische Forderungen abgeleitet, so daß
die Theorie der Literaten den Leistungen der Künstler
vorauszueilen schien. Was nur als freier schöpferischer
Trieb sich entfalten kann, den Bemühungen des Ver-
standes allein nicht zugänglich, schien plötzlich lern-
bar, und der ungeschulte Betrachter konnte glauben, die
junge Künstlerschaft tanze nach den mehr oder minder
verworrenen Orakelsprüchen verstiegener Schriststeller-
Propheten. Und weil die unselbständigsten Jünger be-
strebt sind, am eindeutigsten den theoretischen Forde-
rungen zu entsprechen, die bedeutendsten Schöpfungen
der wenigen genialen Neuerer aber sich mit jeder Ent-
wicklungsphase von neuem der nur mühsam nachhinken-
den literarischen Ausdeutung entziehen, so ist der selt-
same Austand eingetreten, daß zwar die ganze Richtung
eine gewisse Achtung sich bereits erzwungen hat, die
geringsten Künstler aber am meisten belobt werden, die
besten dagegen im Schatten bleiben oder selbst sich er-
bittert ihren unzulänglichen Verkündigern entziehen. Das
aber wirkt doppelt verhängnisvoll: es stärkt die Re-

*) S. „Mitteilungen" in diesem Hest.

aktionäre, die geschickt die Blößen auszunutzen verstehen,
die eine kritiklose Verhimmelung aller neuen Werte und
Unwerte sich schamlos gibt, und treibt die Verwirrung
des Publrkums auf die Spitze, das, ohnehin mißtrauisch
gegenüber allen ungewohnten Erscheinungen, bei der
unabweisbaren Erkenntnis einer weit verbreiteten Uber-
schätzung wertlosen Mitläufertums das Kind mit dem
Bade auszuschütten geneigt ist. So trennt sich immer
stärker eine sektenhaft gläubige Gemeinde, die ein sonder-
bares Gemisch darstellt von Fanatikern, reinen Toren
und gefährlichen geistigen Hochstaplern, von der Masse
derer, die sich immer entschlosscner gegen alle erpressio-
nistischen Neuerer zur Wehr setzen. Die Kluft weitet
sich, anstatt von den Vorkämpfern langsam überbrückt
zu werden. Die ständige Erweiterung der Einflußzone
bleibt unwirksam, weil sie meist nur innerhalb der
gleichen Gruppe fragwürdiger Elemente sich vollzieht;
der Landgewinn bei den Gegnern ist äußerst gering.
Da darf es nicht erstaunen, wenn selbst Wohlgesinnte
ernstlich glauben, es sei der Propaganda schon zu viel
geschehen und die dringlichste Aufgabe der Gegenwart
sei, durch Schweigen und strengste Zurückhaltung die
Sünden der Marktschreier wieder gutzumachen. Es
ist nicht ganz leicht, solch triftigen Warnungsruf ab-
zuweisen und ihm zum Trotz auf einem besonnenen
Aktivismus zu bestehen, den Kampf auf der Doppel-
front aufzunehmen gegen die Gehässigkeit der Gegner
und die Auchtlosigkeit der Lobredner, unbekümmert den
beschwerlichen Weg planvoller Kunstförderung zu gehen,
den verantwortungsbewußte Einsicht vorschreibt. Aber
der endgültige Sieg der jüngsten künstlerischen Jdeale
wird einzig davon abhängen, ob die Schar derer wächst,
die diese undankbare Aufgabe zu erfüllen bereit sind.

Einer allerdings mag zutreffen von den Einwänden
der ängstlich Besorgten: daß nicht das Wort, das arg
mißbrauchte, im Augenblick das geeignetste Mittel ist
zur Beschwörung des chaotischen Austandes. Wirk-
samer als Rede und Gegenrede ist die Erziehung zu
vorurteilsloser Betrachtung. Es kann nicht oft genug
gesagt werden, daß uns nichts notwendiger ist als immer
wiederholte Anschauung, als ein geschultes Auge, das
sich selbst das Rüstzeug erobert zur Gewinnung ob-
jektiver Maßstäbe. Wenn also auch die Kunstförderung
durch Wortreklame gewiß der Einschränkung bedarf, so
kann doch die Förderung durch die Tat nicht energisch
genug betrieben werden. Es ist ein hoffnungsvolles
Aeichen, daß immer ausgedehntere Sammlungen neu-
zeitlicher Kunst im Werden sind und von hier aus langsam
die klärende Wirkung ausgeht durch das Ieugnis der
Werke selbst, das die schiefen Litaneien widerlegt. Nur
muß dies Sammeln geschehen ohne vorgefaßte Ab-
sichten, in Ehrfurcht hingegeben dem neuen Geist, der
sich in den Schöpfungen der jungen Meister ausspricht,
nicht ihn intellektuell vorausbestimmend und ihn mit
Hilfe des Kunstwerks beweisend, sondern bereit zur über-
raschendsten Erkenntnis, ihm aufmerksam folgend und
lernend untertan. Es soll daher ausdrücklich darauf
verzichtet werden, aus dem reichen Bestand der Samm-
lung von der Heydt durch besondere Hervorhebung und
Gruppierung einzelner Werke in der üblichen Form
ein übersichtliches Gesamtbild der Kunst der Gegenwart
 
Annotationen