Äünstlergeschichte oder Kunstgeschlchte.
der in den rückwärtigen Räumen gewiß nicht ganz
würdig untergebracht wurde. Ein Vorraum zeigt als
neuen Iuwachs aus der Sammlung Fiedler die Reiher-
schützen und einen St. Georg. Den Thoma, den wir
lieben, vertreten hier vielmehr eine Reihe von Ieich-
nungen, im nächsten Raum ein früheres Porträtpaar:
die Schwarzwaldlandschaft mit den Aiegen von 1872
und der Feldblumenstrauß aus dem gleichen Jahr.
Jm dritten Thomaraum sind neu ausgestellt die großen
„Musikanten", ursprünglich für ein Frankfurter Wein-
restaurant geschaffen, eine volkstümlich-glückliche Er-
werbung, dazu aus der Sammlung Fiedler zwei köst-
liche Ansichten von Florenz und das Bildnis Fiedlers.
Das neue Haus, das so im Rohbau vor uns steht,
wird mehr und mehr ein Spiegel des lebendigen Daseins
unserer Tage werden. Es wird sich seine Iwischen-
stellung zwischen der Tagesausstellung und der bleibenden
Galerie ständig zielvoller zunutze machen und immer
weniger Werke vorführen, über die die Akten schon
geschlossen sind, immer mehr, um die der Kampf der
Meinungen tobt, und die man einer historisch gerichteten
Sammlung nicht zumuten dürfte. Wie das Urteil des
Tages sich wandelt, muß es der Jnhalt der neuen Galerie
tun; die Grenze zwischen Nationalgalerie und Kron-
prinzenpalais muß eine fließende bleiben. Jn stetem
Wandel und Wachstum wird die Sammlung das Au-
fällige der Tagesschau allmahlich abstreifen und am
Ende zum überzeugenden Abbild der großen Tendenzen
unseres Aeitalters werden. f892ss Grete Ring.
ünstlergeschichte oderKunstgeschichte.
Die Frage, ob Künstlergeschichte oder Kunst-
geschichte, war nach der heute allgemein geltenden
Ansicht entschieden in dem Augenblick, alöWinckelmann auf
der zweiten Seite des zweiten Bandes seiner Geschschte
der Kunst des Altertums in offenbar bewußtem Gegen-
satz zu Vasari die Worte schrieb: „Da ich nun eine Ge-
schichte der Kunst und nicht der Künstler (habe) geben
wollen, so haben die Leben von diesen, die ja von vielen
beschrieben sind, hier keinen Platz; aber ihre vornehmsten
Werke sind angegeben, und einige sind nach der Kunst
betrachtet."
Jn ungemein reizvoller Art, in glücklichster Mischung
von scharfer Verstandesarbeit und warmherzigster mensch-
licher Anteilnahme an seinem Thema laßt uns Ernst
Heidrich* in zwei Vorträgen diesen Wandel in der Auf-
fassung der Kunstgeschichtsschreibung miterleben. 'Jn
Vasari, dem geschäftigen eifrigen Verkünder des laut
tönenden Ruhmes der italienischen Künstlerschaft, ersteht
ein ganzes Stück des italienischen Rinascimento vor
uns: hochstrebend, ruhmsüchtig, lern- und lehreifrig und
erfüllt von echtester Menschlichkeit im guten und bösen
Sinne, so reichfarbig und plastisch greifbar, als hätte
Heidrich die Luft um einen Lionardo und Michelangelo
geatmet. Die Kunstgeschichtsschreibung der Renaissance
geht von den eigentümlichen Bedürfnissen der Künstler-
schaft selbst aus,ist also nichts anderes,als ein Erziehungs-
mittel für den Künstler im Geiste der Renaissance. Der
* Crnst Heidrich. Beiträge zur Geschichte und Methode der
Kunstgeschichte. Basel 1917. Benno Schwabe s- Co.
mittelalterliche Handwerker tritt zurück und an seine
Stelle tritt der individuell freischaffende Künstler, der,
ergriffen von dem großen Schwung, der das gesell-
schaftliche Leben erfaßt hatte, sich zu einer reicheren
und stolzeren Lebensführung bekennt. Es ist kein Aweifel,
zum erstenmal taucht das auf, was man „Gesellschaft
nennt", die auch sofort den Künstler zu sich heranzieht.
Jch denke hier nicht nur an die Symposien von Careggi.
Aber so souverän ist er, daß er die ungeheure Gefabr,
die für ihn darin besteht, daß er im Dienste der Gesell-
schaft arbeitet, überwindet. Das Können wird ent-
scheidend und Jtalien der Nabel der Welt. Die Antike
erscheint als höchste Vollendung, das Mittelalter als
völliger Aerfall, und die Neubelebung der Künste er-
klimmt ihre höchste Stufe in Michelangelo. Das Un-
historische von Vasaris Künstlergeschichte liegt darin, daß
die Frage nach der Höhe einer Leistung gestellt wird,
unabhängig von den Geschehnissen (in tieferem Sinne)
der Aeit, in der sie entstanden sind. Die Bedingtheit
und Notwendigkeit des Geschehens, deren Feststellung
der Kunstgeschichtsschreibung den eigentlichen wissen-
schaftlichen Charakter geben, wird vermißt, aber, „was
(später) an Erkenntniswerten damit unleugbar ge-
wounen ist, ist an Anschauung und sinnlicher Nähe des
Lebens selbst verloren gegangen". Und nun einen der
schönen Sätze, die uns die Ausführungen Heidrichs allein
schon lieb und wert machen können: „Aber dem aufmerk^
samen Beobachter tönt hinter den ausgeschliffenen
Phrasen dieser biographischen Jntroduktionen (Vasaris)
das unaufhörliche Flüstern und Rauschen des Lebens
entgegen mit einer ewigen Ruhelosigkeit und einer
grandiosen Gewalt." Was man zugunsten der Künstler-
geschichte sagen kann, es hätte sich nicht trefflicher sagen
lassen. Es ist die Anteilnahme an dem Schicksal des
Menschen und seinem Werk, das als die Verkörperung
des seelischen Jchs vor uns erscheint. Was später an
wissenschaftlicher Objektivität dem Kunstwe^ke gegenüber
gewonnen wurde, ging andererseits verloren an warm-
herzigem Mitfühlen und genußfreudigem Miterleben
des Schöpfungsaktes. Das Kunstwerk wurde Objekt
einer wissenschrftlichen Untersuchung. Das ist echt
deutjch, und es kann nicht wundernehmen, daß es ein
Deutscher, Winckelmann, war, der als der große Neuerer
die Kunstwissenschaft begründete. Sein Auftreten be-
deutet die Entthronung Roms gegen Griechenland,
selbst wenn er auch gelegentlich einmal von „den großen,
fast allgemeinen Talenten der Menschen in den wärmsten
Ländern von Jtalien spricht". (Winckelmann, Geschichte
der Kunst des Altertums, Bd. 1, S. 52.) An Stelle der
Künstlergeschichte treten die „allgemeinen Probleme
einer historischen Erkenntnis", oder, wie Winckelmann
es in seiner fest geprägten Art ausdrückt: „Ebenso sinnlich
und begreiflich als der Einfluß des Himmels (Klima)
in der Bildung ist, ist zum zweiten der Einfluß desselben
in die Art zu denken, in welche die äußeren Umstände,
sonderlich Erziehung, Verfassung und Negierung eines
Volkes einwirken." (Geschichte der Kunst des Altertums,
Bd. 1, S. 48.) Wir wisjen, wie Taine in seiner Milieu-
theorie (Ululosoplüe cke I art.) dies fast naturwissen-
schaftliche Prinzip bis zur äußersten Konsequenz zu
Ende geführt hat. Und so, wie Heidrich Vasaris Art,
Kunstgeschichte zu schreiben, aus den Aeitumständen zu
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der in den rückwärtigen Räumen gewiß nicht ganz
würdig untergebracht wurde. Ein Vorraum zeigt als
neuen Iuwachs aus der Sammlung Fiedler die Reiher-
schützen und einen St. Georg. Den Thoma, den wir
lieben, vertreten hier vielmehr eine Reihe von Ieich-
nungen, im nächsten Raum ein früheres Porträtpaar:
die Schwarzwaldlandschaft mit den Aiegen von 1872
und der Feldblumenstrauß aus dem gleichen Jahr.
Jm dritten Thomaraum sind neu ausgestellt die großen
„Musikanten", ursprünglich für ein Frankfurter Wein-
restaurant geschaffen, eine volkstümlich-glückliche Er-
werbung, dazu aus der Sammlung Fiedler zwei köst-
liche Ansichten von Florenz und das Bildnis Fiedlers.
Das neue Haus, das so im Rohbau vor uns steht,
wird mehr und mehr ein Spiegel des lebendigen Daseins
unserer Tage werden. Es wird sich seine Iwischen-
stellung zwischen der Tagesausstellung und der bleibenden
Galerie ständig zielvoller zunutze machen und immer
weniger Werke vorführen, über die die Akten schon
geschlossen sind, immer mehr, um die der Kampf der
Meinungen tobt, und die man einer historisch gerichteten
Sammlung nicht zumuten dürfte. Wie das Urteil des
Tages sich wandelt, muß es der Jnhalt der neuen Galerie
tun; die Grenze zwischen Nationalgalerie und Kron-
prinzenpalais muß eine fließende bleiben. Jn stetem
Wandel und Wachstum wird die Sammlung das Au-
fällige der Tagesschau allmahlich abstreifen und am
Ende zum überzeugenden Abbild der großen Tendenzen
unseres Aeitalters werden. f892ss Grete Ring.
ünstlergeschichte oderKunstgeschichte.
Die Frage, ob Künstlergeschichte oder Kunst-
geschichte, war nach der heute allgemein geltenden
Ansicht entschieden in dem Augenblick, alöWinckelmann auf
der zweiten Seite des zweiten Bandes seiner Geschschte
der Kunst des Altertums in offenbar bewußtem Gegen-
satz zu Vasari die Worte schrieb: „Da ich nun eine Ge-
schichte der Kunst und nicht der Künstler (habe) geben
wollen, so haben die Leben von diesen, die ja von vielen
beschrieben sind, hier keinen Platz; aber ihre vornehmsten
Werke sind angegeben, und einige sind nach der Kunst
betrachtet."
Jn ungemein reizvoller Art, in glücklichster Mischung
von scharfer Verstandesarbeit und warmherzigster mensch-
licher Anteilnahme an seinem Thema laßt uns Ernst
Heidrich* in zwei Vorträgen diesen Wandel in der Auf-
fassung der Kunstgeschichtsschreibung miterleben. 'Jn
Vasari, dem geschäftigen eifrigen Verkünder des laut
tönenden Ruhmes der italienischen Künstlerschaft, ersteht
ein ganzes Stück des italienischen Rinascimento vor
uns: hochstrebend, ruhmsüchtig, lern- und lehreifrig und
erfüllt von echtester Menschlichkeit im guten und bösen
Sinne, so reichfarbig und plastisch greifbar, als hätte
Heidrich die Luft um einen Lionardo und Michelangelo
geatmet. Die Kunstgeschichtsschreibung der Renaissance
geht von den eigentümlichen Bedürfnissen der Künstler-
schaft selbst aus,ist also nichts anderes,als ein Erziehungs-
mittel für den Künstler im Geiste der Renaissance. Der
* Crnst Heidrich. Beiträge zur Geschichte und Methode der
Kunstgeschichte. Basel 1917. Benno Schwabe s- Co.
mittelalterliche Handwerker tritt zurück und an seine
Stelle tritt der individuell freischaffende Künstler, der,
ergriffen von dem großen Schwung, der das gesell-
schaftliche Leben erfaßt hatte, sich zu einer reicheren
und stolzeren Lebensführung bekennt. Es ist kein Aweifel,
zum erstenmal taucht das auf, was man „Gesellschaft
nennt", die auch sofort den Künstler zu sich heranzieht.
Jch denke hier nicht nur an die Symposien von Careggi.
Aber so souverän ist er, daß er die ungeheure Gefabr,
die für ihn darin besteht, daß er im Dienste der Gesell-
schaft arbeitet, überwindet. Das Können wird ent-
scheidend und Jtalien der Nabel der Welt. Die Antike
erscheint als höchste Vollendung, das Mittelalter als
völliger Aerfall, und die Neubelebung der Künste er-
klimmt ihre höchste Stufe in Michelangelo. Das Un-
historische von Vasaris Künstlergeschichte liegt darin, daß
die Frage nach der Höhe einer Leistung gestellt wird,
unabhängig von den Geschehnissen (in tieferem Sinne)
der Aeit, in der sie entstanden sind. Die Bedingtheit
und Notwendigkeit des Geschehens, deren Feststellung
der Kunstgeschichtsschreibung den eigentlichen wissen-
schaftlichen Charakter geben, wird vermißt, aber, „was
(später) an Erkenntniswerten damit unleugbar ge-
wounen ist, ist an Anschauung und sinnlicher Nähe des
Lebens selbst verloren gegangen". Und nun einen der
schönen Sätze, die uns die Ausführungen Heidrichs allein
schon lieb und wert machen können: „Aber dem aufmerk^
samen Beobachter tönt hinter den ausgeschliffenen
Phrasen dieser biographischen Jntroduktionen (Vasaris)
das unaufhörliche Flüstern und Rauschen des Lebens
entgegen mit einer ewigen Ruhelosigkeit und einer
grandiosen Gewalt." Was man zugunsten der Künstler-
geschichte sagen kann, es hätte sich nicht trefflicher sagen
lassen. Es ist die Anteilnahme an dem Schicksal des
Menschen und seinem Werk, das als die Verkörperung
des seelischen Jchs vor uns erscheint. Was später an
wissenschaftlicher Objektivität dem Kunstwe^ke gegenüber
gewonnen wurde, ging andererseits verloren an warm-
herzigem Mitfühlen und genußfreudigem Miterleben
des Schöpfungsaktes. Das Kunstwerk wurde Objekt
einer wissenschrftlichen Untersuchung. Das ist echt
deutjch, und es kann nicht wundernehmen, daß es ein
Deutscher, Winckelmann, war, der als der große Neuerer
die Kunstwissenschaft begründete. Sein Auftreten be-
deutet die Entthronung Roms gegen Griechenland,
selbst wenn er auch gelegentlich einmal von „den großen,
fast allgemeinen Talenten der Menschen in den wärmsten
Ländern von Jtalien spricht". (Winckelmann, Geschichte
der Kunst des Altertums, Bd. 1, S. 52.) An Stelle der
Künstlergeschichte treten die „allgemeinen Probleme
einer historischen Erkenntnis", oder, wie Winckelmann
es in seiner fest geprägten Art ausdrückt: „Ebenso sinnlich
und begreiflich als der Einfluß des Himmels (Klima)
in der Bildung ist, ist zum zweiten der Einfluß desselben
in die Art zu denken, in welche die äußeren Umstände,
sonderlich Erziehung, Verfassung und Negierung eines
Volkes einwirken." (Geschichte der Kunst des Altertums,
Bd. 1, S. 48.) Wir wisjen, wie Taine in seiner Milieu-
theorie (Ululosoplüe cke I art.) dies fast naturwissen-
schaftliche Prinzip bis zur äußersten Konsequenz zu
Ende geführt hat. Und so, wie Heidrich Vasaris Art,
Kunstgeschichte zu schreiben, aus den Aeitumständen zu
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