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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 29.1919

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Heft 3/4
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Schwarzkopf, Nikolaus: Der schöne Frauentag von Stuppach
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Keim, Heinrich Wilhelm: Franz Werfel
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https://doi.org/10.11588/diglit.26487#0080

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Der Schöiie Krauentag von Stuppach.

herunter, weil sie so traurig ist. Jch möchte auch über-
flutet sein .. . und ich lasse die Speise des Leibes stehen
und schreite wieder ins Kirchlein.

Da stehe ich nun wieder seitlich neben der weißen
Altardecke und nehme nicht teil an dem göttlichen Licht.
Wär' ich die kleine Eidechse an dem Stein, die Blume
in dem irdenen Topfe, eine Biene, ein Blatt am ver-
kappten Kreuz, das Kreuz selber, so ware ich übergossen
von dem göttlichen Licht! Jch möchte wieder Meßdiener
sein wie in meiner Jugend und beten dürfen: Introlbo
ucl altare Osi, nä Oeum, qui laetiticnt juvsntutsm
msam! Jch trete zurück und stoße mit dem Fuß an den
Miniaturbeichtstuhl der Gcmeinde, der unmittelbar ani
Altare steht: viel zu klein für mich und meine Seele!
O, daß man glauben könnte! Daß man das Lichtlein
des Meisters Mathias in sich trüge!

Maria ist unsagbar traurig, der König hat geweint,
was will ich arme Kreatur mit dem äulci jubilum in
meiner Seele?

Und doch, und doch!

Der Abend bricht herein, das rote Ampelchen be-
ginnt zu stören.

Jch steige zur Empore, wo die Orgel steht. Sie ist
offen, der Blasbalg wird von elektrischer Kraft getreten,
und ich kann also ungestört spielen. Dic liebkosenden
Muttergotteslieder Lalvo R<Lina, Wunderschönprächtige,
Große und Mächtige, entströmen da in leisen Registern
in den Abend.

Jch weiß nicht, was es ist; ich vcrmeine, ein eigenes
Lichtlein sei in meinem Herzen entzündet, und die Orgel
strömt über in Gesängen, die noch kein Mensch gesungcn
noch fernerhin singen wird. DaS Ampelchen stört nicht
mehr, der Himmel wirst sein grelles Licht über den
Schönen Frauentag und mir entgegen. Oder sollte
das himmlische Leuchten aus dem kleinen Tabernakel
zu mir kommen?

Jch weiß es nicht. Meine Weise gleitet über in
D-Moll, in das Largo jener Sonate, die in meinem Buche
vor der Pathetique steht. Wohin steuert meine Seele?
Was schreit da aus ihren Tiefen, was jubiliert in ihren
Höhen? Wohin stampfen die wuchtigen Pedale? Ruhe!
Ruhe! Das Lichtlein leuchtet wieder auf. . .

*

Noch einige Worte über den rechten Flügel des
Maria-S'chnee-Altars, der in Freiburg im Museum
hängt. Am Rande des Schnees, vorn neben dem Papste,
der die Hacke einschlägt, knicn zwei alte Leutchen, die
man für Meister Mathias und seine Frau hält. Jch
leite die Wahrheit dieser Behauptung, abgesehen von
Ahnlichkeiten, die sich in anderen Selbstbildnissen
finden, aus dem Blick des einen der beiden Diakone,
die den Mantel des Papstes halten. Diescr breit lächelnde
Kopf beansprucht (auch kompositorisch) eine besondere
Aufmerksamkeit. Er ist einer von denen, oder besser
gesagt, er ist jener von den Klerikern, die das kleine,
rote Malerlein, oder besser gesagt, die dic Kunst nur
soweit gelten lassen, als sie sich ihnen zum Schmucke
zur Verfügung stellt. Wenn Mathias Grünewald dies
zum Ausdruck bringen wollte, so ist seine Rache in hohem
Grade vornehm!

Die Architektur des Bildes soll den Lateran, den
Palast der Papste, vom Esquilinhügel aus wieder-
geben; doch, sagt man, sei der Meister offenbar nicht in
Rom gewesen, da Verschiedenes nicht stimme! Gut,
gut, mag Verschiedenes nicht stimmen! Das Bild ist
überhaupt von den erhaltenen dasjenige, das, selbst
als Flügel, am wenigsten in die Heilölehre des Meisters
hinabsteigt. Um wievicl mehr mag der Künstler die
Gelegenheit willkommen geheißen haben, „Freunden
»nd Gönnern" nebenbei etwas zu sagen.

Jch könnte dieses Bild besitzen!

Es gehörte bis vor ein paar Jahren der Base meines
Freundes Franz Rieffel und hing in deren großem
Hause. Als sie starb, diese Base, vermachte ihr Testament
das Bild der Freiburger Galerie. Damals kannte ich
Mathias Grünewald noch nicht, kanntc auch meinen
Freund noch nicht und war fern aller Erkenntnisse eine
BluMe oder ein Lamm hinter meinen Bergen. Die
Welt kam und lockte. Sie ist so seltsam, diese Welt:
sie wirft Freuden aus, und etliche verwundet sie mit
diesen ihren Freuden; sie heißt blühen, und ctliche
müssen Früchte tragen! Aufgezerrt müssen diese wenigen
unter der Last des Segens ihre Tage verbringen . . .
Wie's um mich bestellt ist, weiß ich nicht!

Hätte Frau Thiry den Flügel, wie sich's gehörte,
meinem Freunde gegeben, da er ihn als Grünewald
ja auch entdeckt hat, so hätte ich das Bild jetzt unfehlbar
bekommen! Und ich besäße etwas, was ich bedürftigcn
Menschen, die gar oft zu mir kommen, zeigen könnte,
ihre Herzen zu laben! Es hinge in meiner fcierlichen
Aelle, ich machte die Tür auf und zöge mich zurück . . .
So aber habe ich nichts fürs Menschenherz als das
eigene, das nicht einmal immer fröhlich ist, wenn es
jubelt; und die alten Kunstgelehrten, die in den Taschen
präzise Lupen tragen, und die jungen Dichter, denen
nichts entgeht, lacheln und sagen unter sich: in dem
Jubel seiner Seele steckt verkappt ein winziges Kreuz;
hast du es gesehen? f843j

ranz Werfel.

Unsere Zeit hat sich nachgerade daran gewöhnt,
den Wert des Dichters nach dem Volumen seiner
Werke zu beurteilen. Wer ani Ende seines Lebcns
auf eine stattliche Aahl von Bänden zurückblicken kann,
darf in dem ruhigen Bewußtsein die Augen schließen,
von der Nachwelt das Epitheton groß als Belohnung
zu empfangen. Und es kann dabei nicht einmal von
einer Schuld auf der einen und andern Seite ge-
sprochen werden. Denn die Notwendigkeit zum Schaf-
fen beruhte nicht auf dem fordernden Drängen des
dichterischen Geistes, sich mit der Welt auseinander-
zusetzen, sondern auf der Reizung des Lebens, sich ini
künstlerischen Werk widergespiegelt zu finden. Die
Grundfrage aller selbständigen Denktätigkeit: wie stellt
das Subjekt sich zum Objekt — die Frage, die Kunst,
Philosophie und Religion hervortrieb — war auf die
einfachste Weise dadurch gelöst, daß das Subjekt sich
schrankenlos dem Objekt hingab, in dessen getreuer
Wiedergabe es aller Welt Heil zu finden glaubte. Da
 
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