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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 29.1919

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Heft 7/8
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Sydow, Eckart von: Der seelische Sinn der expressionistischen Kunstform
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Waldt, Gustav: Zwei Gedichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.26487#0180

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Der seclische Sinn der expressionistischen Kunstform.

zieht sich freilich auch auf das andere der Bildeinheit —
aber vollzieht seine Wesenhaftigkeit in strenger, un-
nachgiebiger Härte, jähem Kämpfertum der Farbe und
Linien, die aufeinander rechtwinklig stoßen, in grellen
Farbgegensatz zueinander sich stellen. Wer Erpressionis-
mus sagt, meint: Dramatik der Bildstruktur!

Der Jmpressionist ist Künstler der Jdylle,
der Erpressionist Künstler der Dramatik.

Gewiß: starkes Gefühl will im Erprcssionistischen
mitklingen, Übermenschlichcm wollen Nolde, Meidner
Symbole schaffen. Und doch: handelt es sich hierin
eigentlich um Gefühle, hauptsächlich um Gefühle?

Jch meine: es zeigte doch die Analyse des Eksta-
tischen, wie wenig gerade hier das Gefühl zu tun hat.
Denn „Ekstase" heißt ja: eine Wirklichkeit jenseits der
Sichtbarkeit erleben. Wie aber konstituiert sich solche
Jenseitigkeit im Menschen? Nicht durch das Gefühl.
Denn das Gefühl hat immer eine starke Passivität in
sich. Es ist zu schwach, um Jenseitigkerten konstruieren
»nd aufrechterhalten zu könncn. Das Schöpfertuni
ist nicht Gefühlssache, sondern Aufgabe des Willens.
Das Gefühl ist nur das Lot, mit welchem der Strom
des Willens ermessen wird.

Wie käme auch das Gefühl dazu, alle Gegebenheiten
so schroff, wie wir dies bei dem Erpressionisten gewöhnt
sind, zu vergewaltigen. Der „Gefühlsmensch" ist doch
regelmäßig auf Anerkennung aller augenblicklichcn Macht-
faktoren eingeschworen. Und horchen wir auf die Rufe
der Literaten, die immer ungestümer eine politische
Kunst, also Tendenzkunst, also eine Kunst für den
Willensmenschen fordern, die den Willen zur Macht
für alle Jntellektuellen predigen und fordern, — wie
kann man sich da über den unendlichen Umschwung
noch unklar sein: statt der unpolitischen Kunst für den
Gefühlsmenschen wird die Kunst für den Aktivisten,
den Menschen der Tat proklamiert.

Sicherlich soll das Gefühlvolle nicht geleugnet
werden. Aber dies Gefühl weiß sich nur als die Lust-
empfindung angesichts einer großen, selbstverständlichcn
Stärke. Nichts anderes crfüllt die Gefühlswelt dcs
eigentlichen Dramatikerü, als die Lust an der Handlung
schlechthin, solange sie groß und lebendig ist. Und eben
die Handlung als solche ist dem Lyriker gleichgültig.
Auch er muß handeln, wenn er unmittelbar fühlen will;
— denn jeder Subjektivismus ist irgendwic im Hand-
gemenge mit der Objektivitat. Aber das Wescntliche
für ihn ist doch nicht dies: daß etwa die Welt untcrgeht,
sondern die Traurigkeit, das schwermütige Unlustgefühl,
so ihn bei der Vorstellung ergreift: wie ist sie zerstört,
die schöne Welt! — während im Dramatiker rein
die Freude am kämpferisch Bewegten triumphiert.

Man prüfe nur die Landschaften aller „Brücke"-
Künstler auf ihren Gefühlsgehalt hin, und man wird
höchstens bei Otto Müller noch ein fernes Mitschwingen
jener seelischen Beigabe spüren, die wir als „sentimental"
abzulehnen gewöhnt sind. Die andercn aber, von
Schmidt-Rottluff bis Nolde und Hodler hin, sind ganz
unsentimentale Naturen fast in jedem Stücke ihrer so
umfänglichen Produktion. Die Ausartung der Sen-
timentalität fehlt so radikal, weil auch das berechtigte
Element: das Gefühl, geringer bewertet wird.

Wer die Einstcllung auf das Dramatische der Le-
bendigkeit hin als den Wesenskern der erpressionistischen
Kunst erlebt hat, wird die Einheit der bildenden Kunst
mit der Lyrik und dem sozialen Leben deutlich spüren.
Das Volksrednerische der Becher und auch Werfcl
wird nun verständlich und ihre Aerfetzung der herkömm-
lichen Sprachstruktur durch die hereinbrechenden Willens-
impulse, die ungeregelt aus der tiefen Schicht der Un-
mittelbarkeit revolutionär und bacchantisch hervorstürzen,
erplodieren, erupieren. Und fügt jene Auffassung nicht
das Künstlerisch-Neue der sozialen Revolution mühelos
ein? Klar wurde doch vor ganz kurzer Aeit, wie willens-
hart gerade diejenigen Volkskreise wurden, von denen
man bislang gutmütigste Weichheit gewohnt war.
Soziales und Künstlerisches ist inhaltlich beseelt vom
Willen zum Handeln aus der allgemeinsten Jdee heraus,
— und formal gleichartig vom Willen zur Größe, zur
Massenwirkung. Wer für die erpressionistische Kunst
leidenschaftlich kämpft, muß sich — konsequenterweise —
auch bekennen zur sozialistischen Republik, zum revo-
lutionären Staat! f839jj Eckart v. Sydow.

wei Gedichte von G. Waldt.

i.

Die Wolken brach der Wind zu großen Brocken
und treibt sie langsam durch die Abendröte.

Jn Weidenstümpfen spielt er seine Flöte
und wühlt den Niren in den blonden Locken.

Dann kommt die Nacht auf ihren grauen Socken.

Sie wischt den letzten Nauch vom Mund der Schlöte,
sie heilt der kleinsten Fenster Fiebernöte,
und nasse Wimpern laßt sie werden trocken.

Und offen mach ich meine Brust der Stunde,
da jäh sich reißet aus der Ieit ein Tag
und flatternd flieht zum Aiel, zum ungewissen.

Da, wo er schmerzlich sich hat losgerissen,
klafft schmal ein Spalt, wie eines Säbels Schlag.

Da träuft das Blut aus weher Aeiten Wunde.

II.

Aerdrückt, zerbrochen hat der Wind aus Osten
Mit harter Hand der schweren Kuppel Blei,
die uns bewölbte; blau und klar und frei
blinkt schon der Himmel unter nahen Frosten.

Es läßt der Herbst uns seine Süße kosten;
die reifen Garben spenden uns die Speise,

Augvögel singen uns von ferner Reise,
und Früchte tränken uns mit ihren Mosten.

Und Geister, die im Sommer ruhlos schweiften,
sie kommen, mit uns unterm Dach zu wohnen.

Nun füllt das Haus, woran sie wandernd streiften;
jed fremdes Pflänzlein wuchert schnell wie Bohnen,
kaum schlug es Wurzel, als schon Früchte reiften,

Und Bäume träufen Gold aus schweren Kronen.
 
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