Dichtung Alfred Momberts.
rs "NurindertapferenDemutseinerirdischenPilger-
eincr für das Zenseits vorsorgcnden
Weltflucht kann das Jch sich zum All erlösen, kann die
Seele m Gott sein. Mit solchcr Tapferkeit allein könnte
aucy der Dichter das Tor auftun, aus dcm Zusammen-
bruch dieser Tage in den Garten einer erneuten Mensch-
heit zu leiten. Denn nur eine Frage ist es, die uns
wirklich beschäftigt: die nach der Heimat der Seele.
Wilhelm Schäfer, Die Sendung des Dichters.
Mfred Momberts Dichtung erhebt sich als das
Werk eines Titanen aus dem Chaos der modernen Lite-
ratur. Jnmitten eines von raffinierter Difserenzierung
und bohrender Psychologie erfüllten Schrifltums steht ein
Dichter, der zu den großen Urproblemen der menschlichen
Seele und zu monumentaler Gestaltung von Sprache
und Rhythmus sich durchgerungen hat. Kein Wunder,
daß die morbide tin äe siöcls-Stimmung, die in der
Ieit vor dem Kriege in den literarisch interessierten
Kreisen unseres Volkes vorherrschte, für die vom
Alltag gelöste Absolutheit dieses Dichters nicht zu auf-
nehmendem Verständnis bereitet war. Seit einem
Vierteljahrhundert wird die deutsche Nation mit den
reinen und glühenden Dichtwerken Alfred Momberts
beschenkt, aber bisher haben sie noch keinen nennens-
werten Widerhall gefunden. Hätte nicht Arthur Moeller
van den Bruck in seinem Buche „Die moderne Lyrik"
mit ahnungsvollem Nachdruck auf die Erstlingswerke
Momberts hingewiesen und hätte nicht der treffliche
Friedrich Kurt Benndorf in zwei Schriften*) voll echter
Jnterpretendemut das Schaffen Momberts zu deuten
und zu würdigen versucht — es fehlte an jcdem Ieugnis,
daß es schon Leser gebe, welche empfänglich sind für die
elementare Gewalt des großen deutschen Mystikers und
Mythenschöpfers unserer Aeit.
Nur ein Deutscher der Gegenwart könnte allenfalls
zugleich als Wahlverwandter und als Antipode MombertS
genannt werden: Theodor Däubler, der Dichter des
mythischen Epos „Das Nordlicht". Die Quellen des
Erlebnisses, aus denen Mombert und Däubler schöpfen,
sind dieselben: jene Urgründe der Mystik, aus denen
die große kosmische Dichtung aller Ieiten ihre Krast
empfangen hat. Aber Theodor Däubler ist ein bewußter
und zielstrebiger Architekt, ein klug wägender Former
und Bewältiger seiner oft wahrhaft visionären Erlebnisse,
begabt mit einem artistischen Wissen, selbst um die
raffiniertesten Kompositionen stilistischerTechnik — Alfred
Mombert ist von einer schlichten und herben Größe, der
all die bewußten Künste Däublers als künstelnde Pro-
fanierung heiligster Offenbarungen erscheinen müssen.
Theodor Däubler ist Virtuos des sprachlichen Ausdrucks,
der vokalreich wie die großen italienischen und spanischen
Dichtungen uns ins Ohr tönt und wohlgefällig in for-
malen Klangspielereien sich verschwendet, - Alfred
Mombert aber ist ein Abgründiger, der aus seinen
schütternden Visionen kacim noch zurückfindet in die
Täglichkeit unserer Worte, ein Stammelnder, der es
leidvoll empfindet, wie schlecht die Welt der Sinne das
*) Lcipzig, Xenien-Berlag 1910, und Dresden, A. Giesecke
1917: das erste Buch behandelt die Lyrik, das zweite den Aeon-
Mythos.
Übersinnliche wiederzugeben verniag, wie weniq die
schwachen Worte des Menschen imstande sind, das Un-
aussprechliche zu sagen, das'Unausdeutbare zu deuten.
An artistischem Konnen mag Däubler den oft abrupten
Fragmenten und übersteigerten Melodien Momberts
überlegen sein, als Kunder geheimer Urgründe ragt
Mombert über Daubler wie über alle Dichter seiner Ieit.
, Schvn in „Tag und Nacht"*) (1894), dem erfiaunlich
fruhreifen Erstlingswerk des Iweiundzwanzigjahrigen,
spurt man, sv sehr Angelesenes aus der zeitgenössischen
und der romantischen Lyrik auf Erlebnis und Formung
nachwirkt, doch schon die Eigenart des Dichters: gerade
dort am meisten, wo er sich gar nicht zu sagen vermag.
Selbst wenn er in einem Gedicht in der damals herrschen-
den impressionisiischen Art cin Nachtkaffce schildert, in
dem die Dirnen auf roten Polstern sitzen, steigert sich
das Erlebnis des Dichters ahnungsvoll zum Kosmischen:
er muß grübeln, „warum im ehernen Weltraum das
sei". Jn dieser Dunkelheit seines Iweifels an der Welt
steigt dann plötzlich die Bewußtheit seines Denkens auf
— sieghaft wie dasDescartesche „coZito, erZo sum", aber
zur kosmischen Vision geformt:
„Urfinster schwieg die Nacht:
Doch einmal silbern stieg ein Mond herauf:
als ich bedacht,
daß mein Geist wacht
und drüber grübelt."
Neben solchen sinnend bohrenden Versen stehen in
dem Gedichtbuch des Studenten Mombert Naturbilder,
Stimmungen, Anekdoten, Schelmereien, Liebeslieder
wirr durcheinander — manches ist kaum über dem
lyrischen Mittelmaß, aber dann tauchen auf einmal Bilder
auf, die durch plastische Treffsicherheit den künftigen
Meister voraus künden: „Jch sah ihn traumhaft in den
abendglühenden Buchen schwinden", „die weiße Geiß-
blattlaube duckte noch im Ahornschatten", „von Wolken-
asche beschmutzt der Mond", „an den Pflastersteinen nagt
des Südens quälerische Sonne". Als Motive der Gedichte
überwiegen in dem Erftlingswerke noch Eindrücke der
sinnlichen Außenwelt; wohl sehnt er auch die Geheimnisse
der Seele zu gestalten, aber schmerzhaft muß er erkennen,
„wie arm, o arm unserc Seele ist, erscheinungslos arm".
So sind die tiefsten und eigentlichsten Erlebnisse ver-
dammt, keinen Ausweg zu finden in die sinnliche Ge-
staltung.
„Ewiger Mangel an Form.
Ewige Sehnsucht nach Form.
Unstillbar.
Baume dich auf im Urdrang! —
Arme Seele,
dir wird
keme Crlösung,
keine Vollendung,
keine Crscheinung."
Das nächste Gedichtwerk „Der Glühende" (1896)
bedeutet dennoch den verwegenen Versuch einer Abkehr
des Dichters von der äußeren Anschauung der Sinnen-
welt, eine Einkehr in die eigene Seele; „glühend in
einem neuen Heimat-Urgefühle" findet Mombert in
*) Die sämtlichen Werke Alfred Mombcrts sind in den Jnsel-
Verlaq, Leipziq, übergegangen. Cin billiges Auswahlbändchen
seiner Lyrik erschien untcr dem Titel „Musik der Welt" als Nr. 181
der Insel-Bücherei.
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rs "NurindertapferenDemutseinerirdischenPilger-
eincr für das Zenseits vorsorgcnden
Weltflucht kann das Jch sich zum All erlösen, kann die
Seele m Gott sein. Mit solchcr Tapferkeit allein könnte
aucy der Dichter das Tor auftun, aus dcm Zusammen-
bruch dieser Tage in den Garten einer erneuten Mensch-
heit zu leiten. Denn nur eine Frage ist es, die uns
wirklich beschäftigt: die nach der Heimat der Seele.
Wilhelm Schäfer, Die Sendung des Dichters.
Mfred Momberts Dichtung erhebt sich als das
Werk eines Titanen aus dem Chaos der modernen Lite-
ratur. Jnmitten eines von raffinierter Difserenzierung
und bohrender Psychologie erfüllten Schrifltums steht ein
Dichter, der zu den großen Urproblemen der menschlichen
Seele und zu monumentaler Gestaltung von Sprache
und Rhythmus sich durchgerungen hat. Kein Wunder,
daß die morbide tin äe siöcls-Stimmung, die in der
Ieit vor dem Kriege in den literarisch interessierten
Kreisen unseres Volkes vorherrschte, für die vom
Alltag gelöste Absolutheit dieses Dichters nicht zu auf-
nehmendem Verständnis bereitet war. Seit einem
Vierteljahrhundert wird die deutsche Nation mit den
reinen und glühenden Dichtwerken Alfred Momberts
beschenkt, aber bisher haben sie noch keinen nennens-
werten Widerhall gefunden. Hätte nicht Arthur Moeller
van den Bruck in seinem Buche „Die moderne Lyrik"
mit ahnungsvollem Nachdruck auf die Erstlingswerke
Momberts hingewiesen und hätte nicht der treffliche
Friedrich Kurt Benndorf in zwei Schriften*) voll echter
Jnterpretendemut das Schaffen Momberts zu deuten
und zu würdigen versucht — es fehlte an jcdem Ieugnis,
daß es schon Leser gebe, welche empfänglich sind für die
elementare Gewalt des großen deutschen Mystikers und
Mythenschöpfers unserer Aeit.
Nur ein Deutscher der Gegenwart könnte allenfalls
zugleich als Wahlverwandter und als Antipode MombertS
genannt werden: Theodor Däubler, der Dichter des
mythischen Epos „Das Nordlicht". Die Quellen des
Erlebnisses, aus denen Mombert und Däubler schöpfen,
sind dieselben: jene Urgründe der Mystik, aus denen
die große kosmische Dichtung aller Ieiten ihre Krast
empfangen hat. Aber Theodor Däubler ist ein bewußter
und zielstrebiger Architekt, ein klug wägender Former
und Bewältiger seiner oft wahrhaft visionären Erlebnisse,
begabt mit einem artistischen Wissen, selbst um die
raffiniertesten Kompositionen stilistischerTechnik — Alfred
Mombert ist von einer schlichten und herben Größe, der
all die bewußten Künste Däublers als künstelnde Pro-
fanierung heiligster Offenbarungen erscheinen müssen.
Theodor Däubler ist Virtuos des sprachlichen Ausdrucks,
der vokalreich wie die großen italienischen und spanischen
Dichtungen uns ins Ohr tönt und wohlgefällig in for-
malen Klangspielereien sich verschwendet, - Alfred
Mombert aber ist ein Abgründiger, der aus seinen
schütternden Visionen kacim noch zurückfindet in die
Täglichkeit unserer Worte, ein Stammelnder, der es
leidvoll empfindet, wie schlecht die Welt der Sinne das
*) Lcipzig, Xenien-Berlag 1910, und Dresden, A. Giesecke
1917: das erste Buch behandelt die Lyrik, das zweite den Aeon-
Mythos.
Übersinnliche wiederzugeben verniag, wie weniq die
schwachen Worte des Menschen imstande sind, das Un-
aussprechliche zu sagen, das'Unausdeutbare zu deuten.
An artistischem Konnen mag Däubler den oft abrupten
Fragmenten und übersteigerten Melodien Momberts
überlegen sein, als Kunder geheimer Urgründe ragt
Mombert über Daubler wie über alle Dichter seiner Ieit.
, Schvn in „Tag und Nacht"*) (1894), dem erfiaunlich
fruhreifen Erstlingswerk des Iweiundzwanzigjahrigen,
spurt man, sv sehr Angelesenes aus der zeitgenössischen
und der romantischen Lyrik auf Erlebnis und Formung
nachwirkt, doch schon die Eigenart des Dichters: gerade
dort am meisten, wo er sich gar nicht zu sagen vermag.
Selbst wenn er in einem Gedicht in der damals herrschen-
den impressionisiischen Art cin Nachtkaffce schildert, in
dem die Dirnen auf roten Polstern sitzen, steigert sich
das Erlebnis des Dichters ahnungsvoll zum Kosmischen:
er muß grübeln, „warum im ehernen Weltraum das
sei". Jn dieser Dunkelheit seines Iweifels an der Welt
steigt dann plötzlich die Bewußtheit seines Denkens auf
— sieghaft wie dasDescartesche „coZito, erZo sum", aber
zur kosmischen Vision geformt:
„Urfinster schwieg die Nacht:
Doch einmal silbern stieg ein Mond herauf:
als ich bedacht,
daß mein Geist wacht
und drüber grübelt."
Neben solchen sinnend bohrenden Versen stehen in
dem Gedichtbuch des Studenten Mombert Naturbilder,
Stimmungen, Anekdoten, Schelmereien, Liebeslieder
wirr durcheinander — manches ist kaum über dem
lyrischen Mittelmaß, aber dann tauchen auf einmal Bilder
auf, die durch plastische Treffsicherheit den künftigen
Meister voraus künden: „Jch sah ihn traumhaft in den
abendglühenden Buchen schwinden", „die weiße Geiß-
blattlaube duckte noch im Ahornschatten", „von Wolken-
asche beschmutzt der Mond", „an den Pflastersteinen nagt
des Südens quälerische Sonne". Als Motive der Gedichte
überwiegen in dem Erftlingswerke noch Eindrücke der
sinnlichen Außenwelt; wohl sehnt er auch die Geheimnisse
der Seele zu gestalten, aber schmerzhaft muß er erkennen,
„wie arm, o arm unserc Seele ist, erscheinungslos arm".
So sind die tiefsten und eigentlichsten Erlebnisse ver-
dammt, keinen Ausweg zu finden in die sinnliche Ge-
staltung.
„Ewiger Mangel an Form.
Ewige Sehnsucht nach Form.
Unstillbar.
Baume dich auf im Urdrang! —
Arme Seele,
dir wird
keme Crlösung,
keine Vollendung,
keine Crscheinung."
Das nächste Gedichtwerk „Der Glühende" (1896)
bedeutet dennoch den verwegenen Versuch einer Abkehr
des Dichters von der äußeren Anschauung der Sinnen-
welt, eine Einkehr in die eigene Seele; „glühend in
einem neuen Heimat-Urgefühle" findet Mombert in
*) Die sämtlichen Werke Alfred Mombcrts sind in den Jnsel-
Verlaq, Leipziq, übergegangen. Cin billiges Auswahlbändchen
seiner Lyrik erschien untcr dem Titel „Musik der Welt" als Nr. 181
der Insel-Bücherei.
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