Justus Möser.
Und immer weiter alle andern Sterne,
Und in der Raumunendlichkeit die Nebcl,
Die Welten sind.
Und auf der stillen Erde
Wirst du dich selber schauen, wie du ruhst
Und wie in deines Jnnern Dämmerlicht
Die Rose langsam ihre Blätter öffnet,
ttnd wie im balb erschlossnen Rosenkelch
Der goldne Mond schwimmt in der Weltenbäue,
Und die Planeten und die andern Sterne.
Dje Laute bin ich in des Gottes Hand,
Selig ersterbend lieg' ich ihm im Schoß;
Die lehten Welten klingen leise weiter,
Die seine Hand aus nür ertönen ließ.
Sein Finger ruht, und stumm liegt seine Laute.
Nun ist nur Gott und Laute mehr und Nichts.
Paul Ernst-
c^ustus Möser.
P Justus Möser ist einer der wenigen politischen
'^d^Schriftsteller großen Stils, die wir in Deutschland
haben: das macht, er denkt in und sür Massen, und sein
letztes Argument sür oder gegen eine Einrichtung, eine
Jdeenrichtung, eine politische oder kulturelle Tatsache
ist ihre Nützlichkeit oder Schädlichkeit für den durchschnitt-
lichen Menschen von gesunden Jnstinkten. Das macht
weiter, er denkt konservativ, d. h. er berücksichtigt die
Gegebenheiten des Lebens in sittlicher und sinnlicher
Rücksicht; er ist kein Jdeologe einer Partei, sondern ein
Politiker im höheren Sinne des Wortes, ein Staats-
mann, der auf den Bestand einer Nation und auf die
Wohlfahrt ihrer Mitglieder sieht. Endlich: er ist ein
Schriftsteller, d. h. er versteht in Wort und Bild sein
Jdeal von Menschentum zu gestalten, es anreizend und
anlockend auszumalen und damit auf die Menschen zu
wirken.
Möser war von Haus aus Jurist. Jn einem kleinen
geistlichen Staate des 18. Jahrhunderts geboren, er-
rang er sich rasch das Iutrauen der Stande — er war
anfänglich Sachwalter der Ritterschaft — i:nd zugleich
das Vertrauen des Regenten — er war späterhin ver
höchste Verwaltungsbeamte des Stiftes Osnabrück.
Seine stärksten Eindrücke empfing er in England, wo er
einige Monate in Amtsgeschäften weilte, Eindrücke,
die sein ganzes Leben lang nachwirkten: ein freies, sich
selbstverwaltendes Volk, ohne große Bureaukratie, mit
großer innerer Vernunft und unendlichem Unabhangig-
keitssinn, so sah er die Engländer, so wünschte er seine
Deutschen. Jn diesem bureaukratiefeindlichen Sinne
hat er sein Ländchen verwaltet und alles gesammelt und
zu beleben versucht, wgs von Resten der freien Gemeinde,
des freien Bauerntums, der stolzen Bürgerlichkeit noch
vorhanden war in dem westfälischen Winkel, der seiner
Sorge anvertraut war. Seine ganze Schriftstellerei ist
ihm dazu ein Mittel zum Aweck. Möser war kein Literat
— er schrieb aus der Fülle der Anschauung und des
Erlebnisses heraus;er schrieb in seinen wenigen Ncben-
stunden für die Jntelligenzblätter der kleinen west-
fälischen Städte im Stil der moralischen Wochenblätter
seine kleinen Aufsätze, die durch den Aauber ihrer Form,
durch die Größe der Gesamtanschauung und die Kraft
des politischen Jnstinkts alles in den Schatten stellen.
was wir Deutschen an politischer Schriftstellerei besitzen.
Es ist ein tragisches Aeichen für unsere politischen Au-
stände und Entwicklungen, daß Möser seine unsterblichen
Aufsätze unter dem Titel „Patriotische Phantasien"
herausgab — und daß er mit diesem resignierten Titel
recht behalten hat. Daß seine Jdeen und seine Politik
patriotische Phantasien blieben — ist am Ende schuld an
dem Chaos, welches wir Europa zu nennen uns gewöhnt
haben.
Möser lebte in der Aeit des Frühkapitalismus — und
haßte aus tiefstem Herzen diesen Urgrund alles Elends und
seine Symptome. Mit einer erstaunlichen Schärfe sah er
voraus, wohin diese Entwicklung, deren wichtigste Symp-
tome die zunehmende Ubervölkerung, die Verwischung
der seelischen und sittlichen Unterschiede, die Mechani-
sierung des Lebens, die bureaukratisierte Verwaltung des
Staates, die Knechts- und Sklavengesinnung, die Herr-
schaft der Literatenideen sind, Deutschland und Europa
führen würde. Möser war der erste konservative
Politiker großen Stils, der in seiner Praxis dabei zu
revolutionären Maßnahmen durchaus bereit war. Sein
Konservativismus ging von folgenden wenigen Grund-
gedanken aus: der Staat ist am besten, die Nation am
glücklichsten, die eine möglichst große Anzahl von freien
Männern umfassen. Freie Männer gedeihen aber nur
unter Lebensumständen, die weder zu dürftig noch zu
üppig sind. Bauer und Handwerker sind die eigentlichen
siaats- und volkstragenden Stände. Auf ihre Erhaltung,
ihre Bedürfnisse, ihr Blühen und Gedeihen muß alles
politische Tun eingestellt sein. Daraus ergibt sich, daß
alles, was das Leben kompliziert: die Massenhaftigkeit
derBevölkerung,die Maschinen, dieModen, die Bureau-
kratie, die ungesunden Bedürfnisse aller Art, zu be-
kämpfen ist, und daß im Gegentcil alles, was geeignet
ist, das Leben zu vereinfachen und zu erhöhen: einfache
Feste, vernünftige wirtschaftliche Verbesserungen, Ge-
festigtheit des Besitzes, traditionsbildende Sitten und
Gebräuche, zu stärken ist. Jn diesem Sinne hat er gegen
die modischen Narrheiten seiner Zeit in der Kleidung,
im Lurus,in derEmpfindsamkeit, in den rousseauischen
Jdeen geschrieben; aus diesem Gefühl heraus hat cr für
den verantwortungsbewußten Kaufmann und gegen den
öden Krämergeist gekämpft, hat er sich gegen die Ver-
mehrung der nichtlandbesitzenden Bevölkerung*), gegen
die Anfänge eines sich bildenden städtischen Proletariats,
gegen die Maschinen und für die handwerkliche Hand-
arbeit gekämpft. Jn immer neuen Wendungen hat er
die wirklichen Reize des Landlebens ausgespielt gegen
die Sentimentalitätcn einer rousseauischen, idyllischen
Schäferei; hat er die Landfrau gegen die Dame ver-
teidigt, die EmpfindsamkeiteN in der Erziehung, in der
Beurteilung von Verbrechern, in der Religion, in der
Sittlichkeit gegeißelt, immer mit der Absicht, ein freies
Volk auf freiem Grunde zu schaffen, zu erhalten, zu
fördern. Goethe hat mit seiner Formulierung im Faust,
II. Teil, vom freien Volk auf freiem Grunde bewußt
oder unbewußt untcr dem Einfluß von Mösers
politischen Grundansichten gestanden, die, gründlich
betrachtet, auf eine Verneinung des Staatsgedan-
*) Dgl. Von dem Cinfluß der Bevölkerung durch Ncbenwohncr
auf dje Gesehgebung, 1773, in Bd. II der Schriften.
I-tS
Und immer weiter alle andern Sterne,
Und in der Raumunendlichkeit die Nebcl,
Die Welten sind.
Und auf der stillen Erde
Wirst du dich selber schauen, wie du ruhst
Und wie in deines Jnnern Dämmerlicht
Die Rose langsam ihre Blätter öffnet,
ttnd wie im balb erschlossnen Rosenkelch
Der goldne Mond schwimmt in der Weltenbäue,
Und die Planeten und die andern Sterne.
Dje Laute bin ich in des Gottes Hand,
Selig ersterbend lieg' ich ihm im Schoß;
Die lehten Welten klingen leise weiter,
Die seine Hand aus nür ertönen ließ.
Sein Finger ruht, und stumm liegt seine Laute.
Nun ist nur Gott und Laute mehr und Nichts.
Paul Ernst-
c^ustus Möser.
P Justus Möser ist einer der wenigen politischen
'^d^Schriftsteller großen Stils, die wir in Deutschland
haben: das macht, er denkt in und sür Massen, und sein
letztes Argument sür oder gegen eine Einrichtung, eine
Jdeenrichtung, eine politische oder kulturelle Tatsache
ist ihre Nützlichkeit oder Schädlichkeit für den durchschnitt-
lichen Menschen von gesunden Jnstinkten. Das macht
weiter, er denkt konservativ, d. h. er berücksichtigt die
Gegebenheiten des Lebens in sittlicher und sinnlicher
Rücksicht; er ist kein Jdeologe einer Partei, sondern ein
Politiker im höheren Sinne des Wortes, ein Staats-
mann, der auf den Bestand einer Nation und auf die
Wohlfahrt ihrer Mitglieder sieht. Endlich: er ist ein
Schriftsteller, d. h. er versteht in Wort und Bild sein
Jdeal von Menschentum zu gestalten, es anreizend und
anlockend auszumalen und damit auf die Menschen zu
wirken.
Möser war von Haus aus Jurist. Jn einem kleinen
geistlichen Staate des 18. Jahrhunderts geboren, er-
rang er sich rasch das Iutrauen der Stande — er war
anfänglich Sachwalter der Ritterschaft — i:nd zugleich
das Vertrauen des Regenten — er war späterhin ver
höchste Verwaltungsbeamte des Stiftes Osnabrück.
Seine stärksten Eindrücke empfing er in England, wo er
einige Monate in Amtsgeschäften weilte, Eindrücke,
die sein ganzes Leben lang nachwirkten: ein freies, sich
selbstverwaltendes Volk, ohne große Bureaukratie, mit
großer innerer Vernunft und unendlichem Unabhangig-
keitssinn, so sah er die Engländer, so wünschte er seine
Deutschen. Jn diesem bureaukratiefeindlichen Sinne
hat er sein Ländchen verwaltet und alles gesammelt und
zu beleben versucht, wgs von Resten der freien Gemeinde,
des freien Bauerntums, der stolzen Bürgerlichkeit noch
vorhanden war in dem westfälischen Winkel, der seiner
Sorge anvertraut war. Seine ganze Schriftstellerei ist
ihm dazu ein Mittel zum Aweck. Möser war kein Literat
— er schrieb aus der Fülle der Anschauung und des
Erlebnisses heraus;er schrieb in seinen wenigen Ncben-
stunden für die Jntelligenzblätter der kleinen west-
fälischen Städte im Stil der moralischen Wochenblätter
seine kleinen Aufsätze, die durch den Aauber ihrer Form,
durch die Größe der Gesamtanschauung und die Kraft
des politischen Jnstinkts alles in den Schatten stellen.
was wir Deutschen an politischer Schriftstellerei besitzen.
Es ist ein tragisches Aeichen für unsere politischen Au-
stände und Entwicklungen, daß Möser seine unsterblichen
Aufsätze unter dem Titel „Patriotische Phantasien"
herausgab — und daß er mit diesem resignierten Titel
recht behalten hat. Daß seine Jdeen und seine Politik
patriotische Phantasien blieben — ist am Ende schuld an
dem Chaos, welches wir Europa zu nennen uns gewöhnt
haben.
Möser lebte in der Aeit des Frühkapitalismus — und
haßte aus tiefstem Herzen diesen Urgrund alles Elends und
seine Symptome. Mit einer erstaunlichen Schärfe sah er
voraus, wohin diese Entwicklung, deren wichtigste Symp-
tome die zunehmende Ubervölkerung, die Verwischung
der seelischen und sittlichen Unterschiede, die Mechani-
sierung des Lebens, die bureaukratisierte Verwaltung des
Staates, die Knechts- und Sklavengesinnung, die Herr-
schaft der Literatenideen sind, Deutschland und Europa
führen würde. Möser war der erste konservative
Politiker großen Stils, der in seiner Praxis dabei zu
revolutionären Maßnahmen durchaus bereit war. Sein
Konservativismus ging von folgenden wenigen Grund-
gedanken aus: der Staat ist am besten, die Nation am
glücklichsten, die eine möglichst große Anzahl von freien
Männern umfassen. Freie Männer gedeihen aber nur
unter Lebensumständen, die weder zu dürftig noch zu
üppig sind. Bauer und Handwerker sind die eigentlichen
siaats- und volkstragenden Stände. Auf ihre Erhaltung,
ihre Bedürfnisse, ihr Blühen und Gedeihen muß alles
politische Tun eingestellt sein. Daraus ergibt sich, daß
alles, was das Leben kompliziert: die Massenhaftigkeit
derBevölkerung,die Maschinen, dieModen, die Bureau-
kratie, die ungesunden Bedürfnisse aller Art, zu be-
kämpfen ist, und daß im Gegentcil alles, was geeignet
ist, das Leben zu vereinfachen und zu erhöhen: einfache
Feste, vernünftige wirtschaftliche Verbesserungen, Ge-
festigtheit des Besitzes, traditionsbildende Sitten und
Gebräuche, zu stärken ist. Jn diesem Sinne hat er gegen
die modischen Narrheiten seiner Zeit in der Kleidung,
im Lurus,in derEmpfindsamkeit, in den rousseauischen
Jdeen geschrieben; aus diesem Gefühl heraus hat cr für
den verantwortungsbewußten Kaufmann und gegen den
öden Krämergeist gekämpft, hat er sich gegen die Ver-
mehrung der nichtlandbesitzenden Bevölkerung*), gegen
die Anfänge eines sich bildenden städtischen Proletariats,
gegen die Maschinen und für die handwerkliche Hand-
arbeit gekämpft. Jn immer neuen Wendungen hat er
die wirklichen Reize des Landlebens ausgespielt gegen
die Sentimentalitätcn einer rousseauischen, idyllischen
Schäferei; hat er die Landfrau gegen die Dame ver-
teidigt, die EmpfindsamkeiteN in der Erziehung, in der
Beurteilung von Verbrechern, in der Religion, in der
Sittlichkeit gegeißelt, immer mit der Absicht, ein freies
Volk auf freiem Grunde zu schaffen, zu erhalten, zu
fördern. Goethe hat mit seiner Formulierung im Faust,
II. Teil, vom freien Volk auf freiem Grunde bewußt
oder unbewußt untcr dem Einfluß von Mösers
politischen Grundansichten gestanden, die, gründlich
betrachtet, auf eine Verneinung des Staatsgedan-
*) Dgl. Von dem Cinfluß der Bevölkerung durch Ncbenwohncr
auf dje Gesehgebung, 1773, in Bd. II der Schriften.
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