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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 21.1927

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Strich, Fritz: Symbol in der Wortkunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.14169#0356

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FRITZ STRICH.

Fritz Strich:
Symbol in der Wortkunst.

(Verhandlungsleiter: Ferdinand Joseph Schneider.)

Die Bildwelt der Dichtung entsteht aus dem Willen des, dichte-
rischen Geistes nach einer Welt, in der nur die Gesetze oder Forde-
rungen dieses Geistes gültig sind, in deren Schöpfung und Erlebnis
also er sich frei und unbedingt von dem Schicksal der nur empfangenen,
erlittenen Welt betätigt. Ich gehe hier nicht darauf ein, wie weit ur-
sprünglichste Dichtung diese Freiheit von der Natur, diese Schöpfung
einer bildlichen Gegennatur zu magischen Zwecken, zur Beschwörung
und Beherrschung der Natur gebrauchte, indem das Bild nach altem
Glauben zum Herrn und Meister über das Ding zu machen vermag.
Es läßt sich wohl denken, daß auch eine vorgestellte Handlung, der
Kampf etwa von Frühling und Winter gleich einer Zauberformel den
Winter fort und den Frühling herbeizwingen wollte. Gewiß ist auch
in aller Dichtung bis auf unsere Zeiten hin solch magischer Wille
noch verborgen, und was wir manchmal Lehre, Tendenz, oder Absicht
einer Dichtung nennen, wird richtiger und besser, wo es sich um
wahre Dichtung handelt, als magische Beschwörung durch das Bild
zu verstehen sein.

Die Dichtung also ist die Schöpfung einer Welt aus eigener Kraft,
nach eigenem Gesetz. Dies ist nicht so gemeint, daß sie nur ein Traum
der Phantasie, die Illusion von einer besseren, geistbeherrschten Welt
sei. Denken wir an Goethe. Für ihn war die wirkliche Welt so, wie
er sie im Bilde schuf. Die Forderung des Geistes sah er in der Natur
bereits erfüllt. Aber nur der dichterische Geist, die Intuition, so wußte
er, vermag in dieser Welt ihr wahres, geistiges Wesen zu erschauen.
Die Dichtung ist die bildliche Gestaltung dieser so erschauten Welt.
Vielmehr, da Schauen selber schon ein Schaffen ist: die Schöpfung
einer urbildlichen Natur. Die Dichtung also ist das Urbild, die Natur
das Bild.

Freilich, auch eine andere Möglichkeit besteht. Wenn Schiller eine
urbildliche Natur in seiner Dichtung schaffen wollte, so nicht darum,
weil er sie in der gegebenen Welt erschaut hatte und nur in ihrer
reinen, wesenhaften Form gestalten wollte. Er vielmehr schuf sie als
die Erfüllung und Verwirklichung einer geistigen Forderung, eines
aufzustellenden Maßes, eines Ideals. In beiden Fällen aber handelt es
sich um die Schöpfung einer geistbeherrschten, geistgeformten Welt.
Ich meine das in diesem Sinne: Die nur erlittene Wirklichkeit bietet
eine unendliche Fülle von individuellen, verschiedenen und an sich
 
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