Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Winghart, Stefan [Editor]; Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Editor]; Institut für Denkmalpflege [Editor]; Kaspar, Fred [Oth.]; Gläntzer, Volker [Oth.]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Güter, Pachthöfe und Sommersitze: Wohnen, Produktion und Freizeit zwischen Stadt und Land ; [... 23. Jahrestagung der nordwestdeutschen Hausforscher im März 2011 ...] — Hameln: Niemeyer, Heft 43.2014

DOI article:
Kaspar, Fred: Einleitung: Güter, Pachthöfe und Sommersitze : Wohnen, Produktion und Freizeit zwischen Stadt und Land
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51273#0016
License: Creative Commons - Attribution - ShareAlike

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
(r

12

Einleitung

ehemals schichtenübergreifenden Lebensformen auf-
zeigen ließen. Diese These wird insbesondere gern mit
Aussagen belegt, dass im Spätmittelalter selbst der
niedere Adel (noch) in solchen Bauten gelebt habe
und darüber hinaus Hallenhäuser noch bis in das 18.
Jahrhundert auch von „der Beamtenschicht'' genutzt
worden seien. Schon 1912 hatte Werner Lindner
„nichtbäuerliche Hallenhäuser" erkannt und für diese
den Begriff des „gesteigerten Bauernhauses" ge-
braucht.’1 Bei erster Beobachtung baulicher Erschei-
nungen scheinen diese Thesen auch naheliegend und
richtig. Dennoch sind nach wie vor Zweifel ange-
bracht, ob die im Detail sehr verallgemeinernden
Vorstellungen die historischen Zustände ausreichend
erklären oder ob sie nicht eher den Blick auf die kom-
plexe Wirklichkeit verstellen. Diese seit Langem kon-
trovers diskutierte Fragestellung mit weiteren Quellen
und Grundlagen weiter zu präzisieren und zu verfol-
gen, war wesentliches Anliegen der Tagung.
Eine in diesem Zusammenhang seit nunmehr 100
Jahren immer wieder gern bemühte Inkunabel für das
Thema des herrschaftlichen Hallenhauses ist das
Hauptgebäude auf dem Gräftenhof „Haus Rüsch-


haus" nahe von Münster, in den Jahren 1745-1748
für den „Architekten" Johann Conrad Schlaun (1695-
1773) nach seinen eigenen Planungen erneuert und
durch ihn als eigene Besitzung genutzt. Vor dem
Hintergrund der Ergebnisse der im Folgenden doku-
mentierten Beiträge handelt es sich bei Haus Rüsch-
haus um ein Landgut im Besitz einer in der Stadt le-
benden Person, die man dort zu den führenden
Schichten zählte. Das Gut wurde von ihm verpachtet,
wobei der Pächter in „seinem" Bauernhaus eine nur
temporär genutzte Sommerwohnung für den
Verpächter vorhielt.
Dieses allseits bekannte Beispiel ist daher bestens da-
zu geeignet, ein bis heute alltägliches Problem bauge-
schichtlicher, kunstgeschichtlicher und hauskundli-
cher Forschung auf den Punkt zu bringen, denn bei
den Argumentationen der vielfachen, seit über 100
Jahren zu diesem .Baukomplex vorgelegten Betrach-
tungen und Untersuchungen wurde an entscheiden-
den Punkten der damit umrissenen Betrachtungsebe-
nen stets unscharf und damit letztlich mit weit über
das Ziel reichenden Folgen argumentiert: Von einem
Forscher geäußerte Vermutungen werden später von
anderen als gegeben und bewiesen akzeptiert und
nicht mehr ausreichend kritisch überprüft. Durch wie-
derholtes Zitieren wird Vermutetes allmählich zur
Gewissheit, sodass das entsprechende Objekt später
für viele und zum Teil auch gegensätzliche Argumen-
tationen herhalten muss.
Haus Rüschhaus wurde wohl erstmals 1897 als histo-
risches Gebäude beschrieben. Hierbei reichte aller-
dings noch die Charakterisierung, dass es sich um
einen Ziegelrohbau von 1745 handele und dort die
Schriftstellerin Annette von Droste-Hülshoff gelebt
habe.12 1900 wurde anhand dieses Gebäudes erst-
mals darauf hingewiesen, dass auch Herrenhäuser
dem „Stile des ländlichen Wohnhauses" gefolgt
seien. Schlaun „errichtete den jetzigen Bau, wobei er
sich die Aufgabe stellte, die Form des altwestfälischen
Bauernhauses [siel] beizubehalten und dabei doch
einerseits den Renaissancestil zur Anwendung zu
bringen, andererseits genügende Wohnräume für


Auf der Schlossanlage Sondermühlen bei Melle (Lkr. Osna-
brück) wurde 1576 (d) an der Innenseite der massiven Um-
fassungsmauer im Auftrag von Hermann von Nehem und
seiner Frau Margarethe von Vincke - der Erbin des Besitzes -
ein großformatiger Längsdielenbau mit unterkellertem
Kammerfach errichtet. Die ursprüngliche Nutzung des Ge-
bäudes ist ungeklärt, zumal der Wohnsitz der Bauherren-
schaft nicht bekannt ist. Bislang wurde das Gebäude vielfach
als Beleg gewertet, dass Herrenhäuser noch im 16. Jahr-
hundert den großen Bauernhäusern glichen. Die Gestalt lässt
allerdings nach heutiger Kenntnis eher vermuten, dass es der
Wohnsitz eines Pächters oder eines Rentmeisters gewesen
ist. (Fotos Volker Gläntzer 2012).
 
Annotationen