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Der Sieg des Marmors

hoffte? Sein Bewußtsein war dahinge-
hend sensibilisiert, daß die Politik auch
vom numerischen Instrumentarium ab-
hing. Für einen Menschen des 4. Jhs.
v. Chr. waren die Ziffern nicht mehr ma-
gische und mystische Wesen, was sie
vielleicht noch in der archaischen Peri-
ode waren, sie hatten jetzt eine konkrete
und politische Bedeutung. Die zweite
neue Interpretation ist die Einfiihrung
von egalitären, gewissermaßen moleku-
laren Qualitäten in die Pläne, Grund- und
Aufrisse der Architektur. Die Pläne der
Bauwerke und der Städte waren ein Netz,
das aus gleichen und auswechselbaren
Quadraten aufgebaut war.

Beim Bau des Jüngeren Artemisions
waren drei Momente mitbestimmend für
den Entwurf und die Ausarbeitung der
Details: der Einfluß der orientalischen
Formen - etwa bei den Columnae cae-

latae und dem großen ojfenen Hof -, die
archaisierenden Motive (s. o. S. 55) und,
nicht zuletzt, die atomistischen mathema-
tischen Vorstellungen.

Nachspiel: Das Artemision in
römischer und byzantinischer Zeit

Das Artemision hat aber nicht nur eine
griechische, sondern auch eine römische
Vergangenheit, die sich bis heute vor
allem mit Bauwerken fassen läßt, die in-
nerhalb des Temenos standen. Im Nord-
westen des Artemisions wurden drei rö-
mische Bauten teilweise freigelegt. Der
älteste Bau weist schön gearbeitete Stufen
an seiner Westkante auf. An diese wurde
nachträglich ein Podiumstempel ange-
baut, wobei die Stufen des älteren Baues
teilweise integriert worden sind. Der <Po-

diumstempeb hat im Süden einen kleinen
Hof, in welchem ein Altar stand. Bei die-
sem Gebäude wurde ein großer Marmor-
kopf einer Göttin gefunden (Abb. 71).
Östlich davon wurde ein rechteckiges
tempelartiges Gebäude errichtet, das auf
einem Orthostatensockel stand und im
Süden vielleicht eine Apsis aufwies.
Nördlich davon ist aus Spolien entweder
ein Altar oder eine Statuenbasis errichtet
worden. Wie immer diese Gebäude im
einzelnen zu interpretieren sind, ihre
Existenz läßt auf einen Kaiserkult im Ar-
temisionareal schließen.

Das Artemision wurde im Jahre 263
n. Chr. von den Goten geplündert; seine
eigentliche Zerstörung erfolgte aber erst
nach 400 n. Chr. als der antike Kult ein-
gestellt wurde. Altar und Ringhalle des
Tempels mit Gebälk wurden offenbar ab-
getragen, verkauft oder im Areal der
Johanneskirche wiederverwendet. Die
Johanneskirche selbst und ihre äußeren
Mauern waren voll mit Spolien aus dem
Artemision. Im Artemision selbst aber
wurde ebenfalls eine Kirche errichtet.
Dazu wurden an die Längsmauern des
Sekos in frühbyzantinischer Zeit Pfeiler
angemauert, welche offenbar das den
Hof überspannende Kirchendach tragen
sollten. Schon John Turtle Wood hatte
diese Kirchenpfeiler identifiziert und
darin nach Spolien der beiden Marmor-
tempel gesucht. Unter diesen fanden sich
viele Fragmente der Skulpturen des
archaischen Tempels. Diese haben die
spätklassische Bauphase des Tempels
deshalb <überlebt>, weil sie in großer Zahl
für das Fundament des spätklassischen
 
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