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Die ephesischen Kultbilder

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es sich bei dem hier erwähnten um das
Kultbild des 4. Jhs. v. Chr. handelt, so
war auch dieses bereits 400 Jahre alt und
daher für die religiöse Gemeinde altehr-
würdig. Es lag natürlich im Interesse der
Priesterschaft, das Kultbild als möglichst
alt und damit authentisch zu propagieren.

Die «vielbrüstige» Artemis Ephesia

Charakteristisch für ein altes Kultbild aus
Holz, ein sog. Xoanon, ist das altertüm-
liche, hieratisch-steife Standmotiv der
Figur, die mit geschlossenen Beinen und
waagerecht nach vorne angewinkelten
Armen ganz frontal ausgerichtet ist. Der
Kopfaufsatz der Figuren, der Polos, ist
oft mit Tierprotomen geschmückt. Die
Göttin trägt meist Ketten in verschiede-
ner Form, und ihr Unterkörper wird be-
deckt von einem schürzenartigen Klei-
dungsstück, dem sog. Ependytes, der in

Abb. 85 Goldblech mit der Darstellung
einer nackten Frau. Neben einer von D. G.
Hogarth gefundenen nackten Elfenbein-
figur ist dies eine der wenigen weiblichen
Darstellungen einer nackten Frau aus dem
Artemision.

Abb. 86 Statuette einer Göttin aus Gold.
Vollguß, Höhe 5,3 cm, gefunden 1993 zu-
sammen mit drei Löwenkopfgoldfibeln.
Ohne Angabe der Füße steht die Göttin lang-
gewandet auf einer leicht profilierten Basis.
Ihre überlang wiedergegebenen Arme liegen
aufbeiden Seiten des säulenförmig gestalte-
ten Körpers eng an. Ober- und Unterkörper
werden von dem seitlich leicht vorstehenden
langen Schleiertuch gerahmt. Der Oberkör-
per mit Angabe der Briiste geht ohne eigent-
lichen Hals in den breiten Kopfüber, in dem
die riesigen Augen dominieren. Um 620
v. Chr. Vgl. Abb. 75, 99.

Abb. 87 Goldstatuette. Gefunden 1980 an
der Westkante des archaischen Tempels. Es
handelt sich um ein Sphyrelaton, ein über
einem — heute verlorenen — Holzkern getrie-
benes Goldblech. Der untere Abschluß die-
ser Figur ist nicht erhalten, ihr so stark in die
Breite gezogenes Gesicht kam durch eine
Eindellung des Goldbleches auf der Rück-
seite zustande. Auch bei dieser Figur muß es
sich um eine Göttin handeln. Sie trägt eben-
falls einen Chiton, im Unterteil gefältelt,
beim Halsausschnitt und auf den Ärmeln mit
einer mäanderähnlichen Verzierung verse-
hen. Derlange Schleier weist auf der Rück-
seite ein rautenfömiges Muster auf. Diese
Statuette ist weit gereist; in den 80er Jahren
wurde sie bei Ausstellungen in Japan, Ita-
lien, Österreich und in der Türkei gezeigt.
Um 580 v. Chr.

quadratischen, axial unterteilten Feldern
figürliche Reliefs aufweist, die beim
alten Kultbild ursprünglich aus Gold-
plättchen bestanden haben dürften. Ober-
halb des Gürtels, den ebenfalls die mei-
sten Nachbildungen zeigen, sind in Rei-
hen die merkwürdig vermehrten «Brüste»
als Fruchtbarkeitssymbolearrangiert. Die-
ser Teil der Statue ist überhaupt das
Charakteristikum der Ephesia und hat
den Betrachtern der Figur schon immer
Rätsel aufgegeben. Die Deutung der sack-
artig herabhängenden Gebilde als Brüste
geht nämlich schon in die Zeit des frühen
Christentums zurück: Eines der ältesten
Zeugnisse dafür ist das des gelehrten Kir-
chenvaters Hieronymus, der am Ende
des 4. Jhs. n. Chr. in der Vorrede seines
Kommentars zum paulinischen Epheser-
Brief schreibt: «Die Epheser verehrten
die vielbrüstige (multimammia) Diana,
nicht jene Jägerin, die den Bogen hält und
gegürtet ist, sondern jene vielbrüstige,
die die Griechen polymastos (= multi-
mammia) nennen und von der sie auf-
grund eben ihres Kultbildes vorgeben,
daß sie aller Tiere und Lebewesen Nähre-

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