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Das Buch für Alle.

M l.

hatte in Wien eine junge und schöne Schauspielerin,
Namens Anna Hall, kennen und lieben gelernt und
wollte sich mit ihr ehelich verbinden; das einige Jahre
jüngere Mädchen stand im besten sittlichen Rufe, war
auch als Künstlerin geachtet, aber es gehörte einer klein-
bürgerlichen, armen Familie an, und damals bestanden
die Vorurtheile gegen dergleichen Mesalliancen noch sehr
stark und wurden auch von Gregors Eltern getheilt.
Diese machten alle möglichen Versuche, durch Bitten
und ernste Drohungen ihren Sohn von einer solchen un-
passenden Parthie zurückzuhalten; sie nöthigten ihn, längere
Zeit bei ihnen zu bleiben, und wußten es zu veranstalten,
daß er mit der schönen Tochter Valeska eines Nachbarn,
des Grafen Jazierski, der dein ältesten Adel des König-
reichs angehörte, aber vermögenslos und sehr verschuldet
Ivar, in nähere Berührung kam; er sollte sie heirathen
und man zwang ihn sogar förmlich — sie selbst that
auch das Ihrige dabei — sich öffentlich mit ihr zu ver-
loben.
Indessen ließ sich Gregor dadurch nicht abhalten, seine
vertraulichen Beziehungen zu Anna Hall fortzusctzen,
kheils brieflich, theils indem er wiederholt zu ihr reiste;
vielleicht glaubte er, daß der Tod seines damals schon
sehr kränklichen Vaters ihm seine volle Freiheit wieder-
geben würde.
Der Tod trieb jedoch eigensinnig ein ganz anderes
Spiel, als sich erwarten ließ; er nahm im Jahre 1841
die jugendliche Anna Hall zu sich und ging an dem alten
Grafen vorüber. Gregor schien lange ganz untröstlich
zu sein, dann ließ er sich in der Resignation seines
Schmerzes, wenn auch nicht ohne heftigen Widerstand,
überreden, Valeska Jazierska seine Hand zu geben. Als
ob der alte Graf nun seinen Beruf erfüllt Hütte, starb
er kurze Zeit uach dieser Hochzeit, und auch seine Gattin
folgte ihm bald.
Anfänglich fiel die Ehe Graf Gregors noch ziemlich
glücklich aus, wiewohl er sehr ernst blieb und Valeska,
die neun Jahre jünger war wie er, nicht immer die
liebenswerthesten Eigenschaften entwickelte; sie besaß keinen
Sinn für Häuslichkeit und stilles Familienleben, klagte
über die Zurückgezogenheit, die ihr Mann verlangte, wurde
mürrisch gegen ihn und benahm sich hochfahrend und stolz
gegen alle Welt. Niemand liebte sie.
Nach dem ersten Jahre der Ehe (1843) wurde dem
Paare ein Sohn geboren, doch trug auch dieses Ereigniß
nicht zu einer besseren Verständigung bei, hatte später
sogar die entgegengesetzte Wirkung. Der Graf zeigte nie
eine besondere Zärtlichkeit für den Knaben und trug da-
durch wohl selbst dazu bei, daß dieser sich gänzlich der
Mutter anschloß und sich nach ihrem Charakter bildete;
sie verzärtelte und verwöhnte ihn, und er schlug nicht
zum Besten ein, so daß sein Vater endlich Wohl Grund
hatte, mit ihm unzufrieden zu sein.
Der junge Gregor wollte Nichts lernen und machte
manchen nicht allein dummen, sondern auch böswilligen
Streich; die Dienerschaft und die Leute im Dorfe be-
kreuzigten sich heimlich vor ihm und wünschten, daß er
je eher desto lieber den Hals brechen möge. Dieser fromme
Wunsch sollte auch zeitig genug in Erfüllung gehen.
Nach einem heftigen Streite mit seinem Vater, zu dem
er die Veranlassung gegeben hatte, verließ der Sohn, der
auch der Mutter keine wirkliche Zärtlichkeit zutrug, die
Eltern heimlich und man suchte längere Zeit vergeblich
eine Spur von ihm; mit Geld war er reichlich versehen
gewesen.
Dies geschah zu Anfang des Jahres 1860, und im
Herbste traf die gewisse Nachricht ein, daß der siebenzehn-
jährige Gregor OlinSki als Freiwilliger in die Gari-
baldi'schen Schaaren eingetreten und bei dem Angriffe
auf Reggio tödtlich verwundet gefallen sei. Der Graf
selbst reiste dorthin, um die Leiche aufzuhebcn und zu-
rückzuführen, doch war dieselbe nicht mehr auszufinden,
dagegen brachte er die unumstößlichsten Zeugnisse mit
zurück, daß sein Sohn wirklich jenes Schicksal erlitten hatte.
Der ernste, stets trübe Mann bezeigte nicht eine zu
tiefe Trauer, wenigstens nicht äußerlich, und auch seine
Gemahlin fügte sich schneller und besser in das Unver-
meidliche, wie man erwarten gekonnt hätte. In ihren
sonstigen Verhältnissen trat keine Aenderung ein. Seit
Beginn dieser Ehe schon hatte sich Graf Olinski von
seinen Nachbarn und Standesgenossen möglichst zurück-
gehalten, lebte stets ans Opalin und unternahm nur all-
jährlich eine mehrwöchcntliche Reise, über deren Ziel
Niemand recht in das Klare kam; man bekümmerte sich
auch nicht viel darum. Seine Frau entschädigte sich
dadurch, daß sie öfter die renommirten Bäder des Aus-
landes srequentirte, wiewohl ihre Gesundheit Nichts zu
Wünschen übrig ließ, und einen Theil der Wintersaison
in der Warschauer vornehmen Gesellschaft zubrachte; es
hieß, sie spiele dort noch eine Rolle, und sie war auch
noch eine schöne Frau, — Graf Gregor ließ sie ruhig
gewähren, er hatte nie Liebe für sie gehabt, daher auch
keine Eifersucht. In letzterer Zeit kümmerten sich die
Eheleute kaum noch um einander.
Da wurde zu Anfang 1862 Graf Gregor von einem
bösen Nervenfieber befallen, und obgleich man die besten
.Aerzte der Umgegend zu Hilfe rief, konnte er nicht ge-
rettet werden; er starb im Februar 54 Jahre alt.

Er hatte ein gerichtliches Testament gemacht und in
Radom deponirt. Nach seiner eigenen Verfügung sollte
dasselbe sofort nach seiner Beisetzung im Schlosse zu
Opalin in Gegenwart aller der weitläufigeren Verwandten,
die sich eingefunden haben würden , sowie sonstiger an-
wesender Bekannten und der Hausdienerschaft eröffnet
werden. !
Aus dieser Verfügung wollten die Betheiligten nur
entnehmen, daß Gras Gregor für sie Legate ausgesetzt
hätte; im klebrigen zweifelte Niemand, daß seine Ge-
mahlin Univcrsal-Erbin werden würde, da ihm ja kein
Anderer näher stehen konnte. Die Gräfin theilte voll-
kommen diese Ueberzeugung, und wenn sie auch tiefe
Trauer zur Schau trug, als ob sie einen ganz unersetz-
lichen Verlust erlitten, hätte, so lag doch der Verdacht
sehr nahe, daß sie eigentlich froh sei, eines lästigen Zwanges
ledig geworden zu sein und in den unbeschränkten Besitz
eines großen Vermögens zu kommen, von dem sie doch
wenigstens den vollen Zinsgcnuß erwarten konnte.
Die Verwandten waren auch recht zahlreich erschienen,
Leute, um die sich der Graf bei seinen Lebzeiten nicht
viel bekümmert hatte und sie sich nicht um ihn; auch
Einige aus der Jazierski'schen Familie waren da, um jetzt
der theuren Cousine, der reichen Erbin, den Hof zu machen.
Seit einigen Tagen ging es im Schlosse — wir wollen
es einmal so nennen, wie das alte Gebäude dort betitelt
wurde — recht lebhaft zu, denn sämmtliche Zimmer
waren mit Gästen angefüllt, die gut oder übel vorlieb-
nahmen. Das Haus ließ nämlich auch in seiner inneren
Einrichtung Manches zu wünschen übrig, nur die von
dem verstorbenen Grafen und der Gräfin benutzten Ge-
mächer waren gut und bequem meublirt. Im Ganzen
waren dreißig lus vierzig Gäste eingetroffen, darunter nur
ein paar Damen.
Am Abende wurde die eingesargte Leiche unter zahl-
reicher Begleitung und mit Fackelnbeleuchtung zu Wagen
nach dem nächsten Kirchdorfe übergeführt, das noch zum
Gute gehörte; in den Souterrains dieser Kirche befand
sich die gräfliche Familiengruft, in der schon eine Reihe
halbvermoderter Särge stand.
Die Geistlichen nahmen dort den Sarg in Empfang,
man stellte ihn auf eine von Wachskerzen umgebene,
schwarz behängte Estrade vor dem Altäre, eine kurze Messe
wurde gelesen, und die Leidtragenden begaben sich wieder
nach Opalin zu einem gemeinschaftlichen Mahle zurück.
Früh am nächsten Morgen wurde in der Kirche, wo
sich Alle wieder eingefunden hatten, auch eine Menge
Landvolks, die große Todtenmesse celebrirt und dann der
Sarg beigefetzt. Noch Vormittags war man wieder im
Herrenhause, und die ganze Gesellschaft und Hausdiener-
schaft versammelten sich in dem großen Saale, der noch
schwarz ausgeschlagen und mit Trauer-Emblemen ver-
sehen war, da man die Leiche bis zum vergangenen Abende
dort ausgestellt hatte.
Eine Gerichts-Kommission aus Radom war am Morgen
mit dem Testamente angelangt; sie bestand aus einen!
höheren Beamten, der den Rathstitel führte, und einem '
jungen Sekretär von guter Familie, welcher die höhere
Carriere in Aussicht genommen hatte, aber nach zurück-
gelegten Rechtsstudien noch auf der ersten Stufe derselben
stand.
Dieser junge Mann, Roman Solkowitsch, ein Adliger,
, hatte sein Quartier bei einem der schon anwesenden Gäste
genommen, dem ihm im Alter etwa gleichen Doktor der
Medicin Oskar Dorn, einem alten Bekannten und ver-
trauten Freunde, wie sich aus ihrer gegenseitigen herz-
lichen Begrüßung schließen ließ.
In der That hatten sie zusammen auf einer deutschen
Universität studirt, der Eine die Jurisprudenz, der Andere
die Medicin, später besuchte Solkowitsch eine russische
Universität, Dorn die medicinischs Akademie zu Warschau;
da Ersterer in Radom angestellt wurde, Letzterer sich
prakticirend in dem nicht fernen Opatow niederließ, fanden
sie Gelegenheit, ihren Freundschaftsbund noch inniger zu
befestigen.
Roman Solkowitsch besaß Vermögen, Doktor Dorn
war erst auf dem Wege, sich dasselbe zu schaffen. Sein
Vater, ein Deutscher, war ein beliebter Arzt in Radom
gewesen, wo er sich mit einer schönen, aber nicht sehr
begüterten Polin verheirathet hatte; es würde zu weit-
läufig sein, zu erwähnen, wie ihn das Schicksal hierher-
geführt und gefesselt hatte; als er starb, hinterließ er
seiner Wittwe und dem einzigen Sohne nicht viel, doch
genug, um eine anständige Lebensstellung zu behaupten.
Oskar Dorn, russischer Unterthan, siedelte nach Opatow
über, wo er eine genügende Praxis fand, und seine Mutter-
wohnte bei ihm. Er zählte jetzt 27 Jahre und wohnte dort
seit zweien, in welcher Zeit er öfter nach Opalin gerufen
worden war, ohne daselbst gerade als Hausarzt engagirt
zu werden. Graf Gregor hatte ihn besonders liebge-
wonnen und er denselben anfänglich in seiner letzten Krank-
heit auch allein behandelt, bis er selbst es für geeignet
befand, noch einen älteren Collegen zur Hilfe herbcizu-
s rufen. Es war Wohl nur eine Form der Höflichkeit,
; daß die Gräfin ihn gebeten hatte, bis zum Begräbnisse
! auf Opalin zu bleiben, wo er nun schon seit beinahe drei
Wochen logirte.
Die beiden jungen Männer umarmten sich mit einer

gewissen Zärtlichkeit, und Solkowitsch legte sogleich ein
umfangreiches, mehrfach versiegeltes Packet auf den Tisch.
„Was ist das?" fragte Oskar.
„Das Testament deS Grafen, das wir nachher er-
öffnen werden, wenn die Beisetzungsfeierlichkeitm vorüber
sind. Wie ich sehe, bist Du schon angekleidet, um daran
theilzunehmen, und obgleich ich von der Nachtreise gehörig
ermüdet bin, würde ich Dich gern begleiten, um mit Dir
Plaudcrn zu können, aber leider muß ich diese Papiere
mit Argusaugcn bewachen; ich werde ordentlich vergnügt
sein, wenn ich ihrer ledig bin."
„Ist denn dieses Testament so wichtig? — Hast Du
schon irgend eine Kenntnis; von seinem Inhalte?"
„Bewahre! wie sollte ich? — Graf Olinski hat es
schon vor länger als einem Jahre, gleich nach dem Tode
seines Sohnes, an Stelle eines früheren bei einem anderen
Beamten unseres Gerichts aufsetzen lassen, und es ver-
steht sich, daß das strengste Dienstgeheimniß darüber be-
wahrt worden ist. Was soll es indessen Besonderes ent-
halten? — Die Gräfin wird lluiversalerbin; — ich wünsche
nur, daß er Dir in dankbarer Anerkennung Deiner Tieust-
oder Hilfeleistungen auch ein hübsches Legat ausgesetzt
hätte."
Der junge Sekretär sagte dies leichthin, im Tone des
Scherzes, der bedeutend gegen die auf einmal sehr ernst
gewordene Miene des Doktors abstach; aber er bemerkte
die letztere nicht einmal, und Oskar drängte sie schnell
wieder fort, indem er die vielen Siegel auf dem Pallete,
anscheinend blvs neugierig, musterte.
„Welche Vorsichtsmaßregeln!" sagte er.
„Das ist so bestimmungsmäßig. Es sind die Siegel
des Grafen selbst, seines Advokaten und des Gerichts.
Mit Deiner Erlaubniß werde ich nun mein Frühstück
einnehmen und mich dann, bei verriegelter Thüre, mit
dem Testament im Arme, auf Deinem Sopha ausschlafen,
bis ihr von dem Begräbniß zurückkehrt."
So geschah es auch, und der Doktor ging, nachdem
er mit seinem Freunde noch eine kurze Unterhaltung über
die Erlebnisse seit ihrem letzten Zusammensein vor einigen
Wochen geführt hatte. —
Als die vorher schon erwähnte Versammlung in dem
großen Saale behufs der Testaments-Eröffnung stattfand,
war auch Dr. Dorn zugegen, der freilich auf kein Legat,
sondern nur auf das übliche ärztliche Honorar von Sei-
ten der Gräfin zu rechnen hatte.
Einem Tische gegenüber, welcher der Gerichts-Kom-
mission zur Disposition gestellt war, gruppirtcn sich in
erster Linie ans Sesseln und Stühlen die Wittwe und
die Verwandten, nebst anderen Gästen, die an der Leichen-
feierlichkeit theilgenommen hatten, dahinter stehend die
Dienerschaft des Hauses, männliche und weibliche. Bei
letzterer sah man viele Lhrünen fließen, aufrichtiger oder
verstellter Trauer, die Anderen sahen sehr ernst aus, die
Wittwe erschien ziemlich gefaßt, wiewohl sie das Spitzen-
taschentuch häufig vor die Augen fühlte; ein schon ält-
licher Cousin stand ihr zur Seite.
Gräfin Valeska war, wie bereits irwühnt, noch eine
recht ansehnliche Dame; sie zählte ja euch erst 45 Jahre;
— Viele mochten sie noch für recht schön halten. Ihre
Figur war groß und schlank, dabei von recht vollen
Formen, und trug sich sehr gut; die frische Gesichtsfarbe,
das reiche dunkle Haar, das die Bitlwenhaube nicht
ganz bedeckte, die etwas kräftigen, dreh immerhin regel-
mäß gcn und wohlgefälligen Züge und die lebhaften
braunen Augen machten sie zu einer noch jugendlichen
Erscheinung, und die vollkommene Schönheit wurde höch-
stens durch die ein wenig zu starker Lippen und einen
Blick, der Stolz und Külte ausdrükte, zuweilen auch
wieder zu leidenschaftlich aufflammte, beeinträchtigt.
Die Gerichts-Kommission ließ licht lange auf sich
warten; die beiden Herren im schvarzen Fracke traten
sich verbeugend ein, und während d,r Rath der Gräfin,
der er gleich bei seiner Ankunft au Morgen vorgestellt
worden, einige Artigkeiten sagte, legt- Roman Solkowitsch
i das Testament auf den Tisch und bereitete Alles vor,
um das Protokoll über die Verhandlung nachher von
den Interessenten unterzeichnen zu lassen.
Die Meisten in der Versammiung betrachteten das
wichtige Packet mit schwer zu verheimlichender Neugierde;
die gewöhnlichen Leute schlossen aus dessen Umfange, daß
ihnen auch ein um so größerer Antheil zufallen würde,
die Verständigeren wunderten sich darüber, was der ver-
storbene Graf so viel zu testamcntircn gehabt haben
möge, und die, welche Nichts zu erwarten hatten, sahen
einer sehr langweiligen Verhandlung entgegen.
Der Rath erfüllte nur die nothwendigsten Formen,
ließ die unverletzten Siegel Prüfen und ersuchte dann
seinen jungen Kollegen, dieselben zu erbrechen und die
Schriftstücke der Reihe nach laut vorzulesen.
Nachdem dadurch der Nachweis für die Vollgiltigkeit
der Testamentsverfügungen geführt worden, folgten zu-
nächst die einzelnen Legate, welche Graf Gregor schon
früher, vor Niederlegung seines zweiten Testamentes,
stipulirt hatte — das erste hatte er nach dem Tode seines
Sohnes natürlich zurückgenommen und vernichtet — und
welche unverändert erhalten bleiben sollten. Die gestimmte
Dienerschaft, viele seiner Gutsangehörigen und Beamten,
milde Stiftungen waren dadurch so reichlich bedacht, daß
 
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