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Verloren.
Roman
von
Ludwig Kctzichj.
(Nachdruck verboten.)
n den: Gemache des Schlosses, in welchem
der Besitzer, desselben, Baron Eisenberg, mit
fiebergerötheten Zügen auf seinen: Schmer-
zenslager ruhte, herrschte ein sanftes Däm-
merlicht, da die Borhänge an den Fenstern
sorgsam herabgelassen waren. Neben dcm
Bette saß eine schlanke hochgewachsene Fran
mit scharfen energischen Gesichtszügcn, die Stiefschwester
des Barons, Frau v. Hammerstein.
„Da siehst Du, wie kält und lieblos er ist!" äußerte
sie in diesem Augenblicke. „Er kommt nicht, obwohl er
weiß, wie schwer Du erkrankt bist, und Du jetzt die
Hand zur Versöhnung nach ihm ausstreckst;
aber er hat ja nicht Zeit! Seine philo-
sophischen Studien nehmen ihn zu sehr in
Anspruch." Ein höhnisches kurzes Lachen
folgte den zwar mit leiser, doch mit ziem-
lich scharfer Stimme gesprochenen Worten.
„Und Du hast ihm noch einmal tele-
graphirt und ihm mitgetheilt, daß es schlimm
mit mir steht?" fragte der Kranke mit
matter Stimme.
„Gewiß, lieber Georg. Ich habe sofort
Deinen Wunsch erfüllt."
Der Baron blieb eine Weile nachdenk-
lich, plötzlich richtete er sich halb empor.
„Wer hat die Depesche anfgegcben?" fragte
er langsam und zögernd und seine unruhi-
gen Blicke richteten sich ans die blasse feine
Frau neben ihm, die jede seiner Bewegungen
mit ihren blauen, halb verschleierten Augen
aufmerksam verfolgte.
„Warum?" fragte sie ruhig zurück. „Ich
selbst."
„Wo ist die Quittung?"
„Quittung?" wiederholte sie unbefan-
gen. „Was meinst Du damit?"
„Die Bescheinigung über die gezahlten
Telegraphengebühren."
„Ist das wirklich nöthig? Ich habe
mir eine solche Quittung nicht geben lassen."
„Dann will ich noch eine telegraphische
Depesche an ihn abschicken."
„Wozu, lieber Bruder? Unsere Be-
amten sind ja so zuverlässig. Du kannst
ganz sicher sein, daß Herr v. Haidhausen
die Depesche erhalten hat. Als Pessimisti-
scher Philosoph wird ihn freilich Dein Lei-
den wenig berühren; Dein Schwiegersohn
gönnt Dir sicher eine baldige Befreiung
von: Schmerz des Daseins und braucht
nicht den Trost, sich vorher mit Dir ver-
söhnt zu haben," und ein höhnisches Lächeln
glitt jetzt wieder über das feine bewegliche
Antlitz, das trotz seiner fünsundfünfzig

Jahre noch immer Spuren von wirklicher Schönheit
zeigte.
Das fiebergeröthete Gesicht des Kranken verfinsterte
sich, die starken Weißen Augenbrauen zogen sich zusam-
men und die jetzt schwache Hand fuhr dennoch unruhig
über die Weiße seidene Bettdecke. Er starrte einige Se-
kunden finster vor sich hin, dann sagte er in einem
festen entschiedenen Tone, der im Widerspruch mit seiner
großen Körperschwäche stand: „Bitte, Karola, rufe mir
Fritz, ich will noch einmal selber eine Depesche absenden."
„Aber wozu sollst Du Dich unnütz aufregcn, lieber
Bruder?" sagte die Schwester und. suchte ihre etwas
scharfe Stimme möglichst zu dämpfen. „Wenn Du cs
durchaus wünschest, werde ich sehr gern die Sache wie-
der besorgen, obwohl —"
„Nein, Fritz soll kommen," sagte der Kranke mit
jener eigensinnigen Gereiztheit, die solchen Leidenden
eigenthümlich ist.

In den klugen scharfen Augen der Schwester blitzte
ein lebhafter llnmuth auf, sie nagte an ihrer Unter-
lippe, dennoch fuhr sie in sehr sanftem Tone fort, der
freilich etwas Gekünsteltes hatte: „Wie Du willst. Ich
werde Fritz rufen," und sie wollte rasch und geräusch-
los aus dem Zimmer gleiten.
Der Kranke hatte aber schon die an der Wand seines
Bettes befindliche Klingel gezogen, und als darauf ciu
Dienstmädchen erschien, befahl er leise: „Fritz soll
kommen!"
Das Mädchen mußte den Herrn nicht gleich ver-
standen haben, denn es fragte: „Was befehlen der Herr
Baron?" während ihre Augen auf der Schwester des
Kranken ruhten, die seinen Befehl wiederholte, dabei
aber mit der schlauen Dirne vcrständnißvolle Blicke
austauschte, die nun auch wirklich sogleich die Antwort
gab: „Fritz ist soeben ausgcgangen."
Das blasse, von schweren Leiden entstellte Gesicht
des Barons färbte sich ein wenig und heftig
stieß er hervor: „Das ist Dienertreue. Er
hält mich schon für todt und glaubt es
nicht mehr nöthig zu haben, sich um seinen
alten Herrn zu bekümmern."
„Kann nicht Auguste ebenfalls die De-
pesche besorgen?" fragte die Schwester.
„Nein, Fritz soll cs," cntgcgnete der
Kranke eigensinnig.
Frau v. Hammerstein gab den: Mäd-
chen einen Wink, sich zu entfernen, dann
sagte sie sanft und einschmeichelnd: „Ist
cs Dir nicht wohlthuender, daß schwester-
liche Liebe Dich umgibt? Mir wäre der
Gedanke entsetzlich, wenn ich Dich der Pflege
bezahlter Hände überlassen müßte."
Der Kranke hob die ihn: bereits schwer
werdenden Augenlider und ein Blick des
Mißtrauens schweifte über seine Pflegerin
hinweg, die soeben wieder an seinen: Bette
Platz nehmen wollte. —
Zwischen: Baron Eisenberg und seiner
Stiefschwester hatte niemals ein zärtliches
und inniges Verhältnis; bestanden. Der
Baron war eine zu einfache schlichte Natur,
um sich zu einer Fran hingczogen zu füh-
len, deren höchstes Glück darin bestand, in
der großen Welt zu leben und sich allen
Glanz und allen Luxus zu gestatten, den
nur ihre Verhältnisse irgend erlaubten.
Ihm war Karola stets kalt, berechnend und
herzlos vorgckommen, und er hatte des-
halb für seine Stiefschwester nie große
Sympathie gehegt, wie sehr sich auch diese
bei ihren zeitweiligen Besuchen bemühte,
seine Gunst zu erwerben. Auch für ihre
beiden erwachsenen Söhne, die er freilich
sehr selten gesehen chatte und nur ober-
flächlich kaunte, hatte der Baron keine be-
sondere Zuneigung gefaßt; der Eine schien
ihn: das Ebenbild der Mntter zu sein und
der Andere war ihn: wieder zu leichtsinnig
und Phantastisch vorgekommen,

Eduard v. Partmaun, Nach einer Photographie gezeichnet von T. Kolb. (S, 7.)
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