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vr. Robert Lurius, königl. preußischer Minister sur Laudwirlhschost.
Nach einer Photographie gezeichnet von C. Kolb. (S. 31.)

Johann weinte gestern, als er mich sah,"
sagte der Kranke nachdenklich.
„Die alten Leute sind zu ungeschickt,
sie lärmen zu viel, ich durfte sic nicht in's
Krankenzimmer lassen, der Arzt hatte cs
ausdrücklich verbaten," entschuldigte sich
Frau v. Hammersteiu.
„Du sagtest mir ja, sie kümmerten sich
nicht um mich," hielt ihr der Baron ent-
gegen.
„Um Dich zu beruhigen, nm —"
„Schon gut, schon gut," winkte der
Kranke abwehrend, „ich verstehe Deine
Sorgfalt für mich. Zünde ein Licht an!"
„Ein Licht?" fragte die Stiefschwester
verwundert. Eine neue Hoffnung stieg in
ihr ans. Brachen die Augen des Kranken,
ward cs dunkel nm ihn? Waren seine
Augenblicke gezählt?. . . Das zu ihren
Gunsten errichtete Testament lag unter-
schrieben und untcrsiegclt ans dein neben
dein Bett stehenden Tische, der Gerichts-
rath hatte es noch nicht in seine Ver-
wahrung genommen.
„Ein Licht!" wiederholte der Baron.
„Ist es Dir dunkel, soll ich vielleicht
die Lampe anzündcn?" fragte sic in schmel-
zendem Tone.
„Ein Licht!" rief der Kranke heftig und
fieberhaft znm dritten Male.
Sein Verlangen ward bereits erfüllt.
Ohne recht zu begreifen, was sein Schwie-
gervater mit dem Lichte wolle, hatte Herr
v. Haidhausen, nur vou dem Wunsche ge-
leitet, des Kraulen Begehren zu befriedigen,
die Blicke im Zimmer nniherschweifen lassen
und auf einem Scitentischc zwei Wachskerzen
ans silbernen Leuchtern entdeckt. Schnell
hatte er den einen Leuchter herbeigeholt,
die Streichholzbüchse, die er als leiden-
schaftlicher Rancher beständig bei sich trug,
aus der Tasche gezogen und die Kerze
angezündet. Er reichte den Leuchter dem
Baron. Dieser griff danach, war aber

deutete mit der abgemagcrten Hand auf den zn Häuptcn
des Bettes stehenden Stuhl.
„Ich kam, sobald ich die erste Nachricht von Deiner
Krankheit erhielt," antwortete Herr v. Haidhausen, den
ihm angewiesenen Platz einnehmend.
„Wir haben dreimal telegraphirt und Du ließest
nichts von Dir hören," wiederholte der Baron vor-
wurfsvoll.
„Ich habe Dir bereits erklärt, daß ich kein Tele-
gramm erhalten habe, und Du weißt, ich lüge nicht."
„Nein, Du lügst nicht," nickte der Kranke, „Du bist
Viel zu stolz, viel zu eigensinnig, nm zn lügen. Dein
starres Festhalten an Deiner Meinung hat uns ja aus
einander gebracht."
„Lassen wir das jetzt, lieber Vater," bat Herr von
Haidhausen abwehrend. „WNm Du wieder gesund bist,
wollen wir uns wegen der Mißverständnisse, die zwi-
schen uns obgcwaltet haben, ans einander setzen, bis

l> e r I o r e n.
Roman
von
Ludwig K a v i ch t.
lF°rüch-ng.) Nachdruck
u beargwöhnst Frau v. Hammerstein, an
dem Verschwinden Deines Kindes Schuld
zu tragen?" fragte der Gerichtsrath er-
schreckt seinen Freund Haidhausen.
„Gilt bei Euch Juristen nicht der
Satz: ,Suche Denjenigen, den: das Ver-
brechen Vortheil bringt?'"
Kähleis schüttelte den Kopf. „Dies Wort kamt zu
schweren Jrrthüniern verleiten, wie jeder allgemeine
Grundsatz. Für mich gilt stets der besondere Fall.
Laß mich daher Genaueres über das Verschwinden des
Kindes erfahren."
Eine Bewegung im Nebenzimmer unter-
brach die Mittheilung, zu welcher Herr
v. Haidhausen sich anschicken wollte. Der
Kranke regte sich und sprach mit schwacher
Stimme zu Frau v. Hammerstcin. Der
Regierungsrath eilte mit leisen Schritten
an das Bett seines Schwiegervaters, Kahl-
eis blieb noch als stummer, aber sehr auf-
merksamer Beobachter der sich im Kranken-
zimmer entwickelnden Scene auf seinem
Platze.
„Sei still, lieber Georg, Du regst Dich
auf, und Du weißt, wie streng der Arzt
Dir die größte Ruhe anempfohlen und
mir darüber zu Wachen zur Pflicht gemacht
hat," flüsterte Frau v. Hammerstcin, indem
sie sich über den Kranken beugte und wieder
versuchte, ihn mit ihren Blicken zu be-
herrschen, ja, förmlich zu magnetisiren.
„Ich will wissen, ob ich geträumt
habe oder ob Emil wirklich angekommen
ist," sagte der Baron lauter.
„Es ist die Wahrheit, ich bin hier,
lieber Vater," versetzte der Regicrungsrath,
indem er an das Bett trat und die Hand
des Kranken ergriff.
Noch einmal versuchte Frau v. Hammer-
stein dazwischen zn treten. „Herr v. Haid-
hausen, ich muß bitten, jede Erregung
kann die schwersten Folgen nach sich ziehen,
ich mache Sie dafür verantwortlich."
„Sie hielten doch die Abfassung des
Testamentes für den Kranken nicht zu
aufregend, da wird ihm hoffentlich das
Wiedersehen seines Schwiegersohnes auch
nicht schaden," entgegnete der Regierungs-
rath kalt.
„Nein, es schadet mir nicht, es thnt
mir gut!" rief der Kranke lebhaft. „Ich
fühle mich Wohler als seit langer Zeit.
Komm her, Emil, setze Dich zu mir.
Weshalb kamst Du nicht früher?" Er

dahin laß mich bei Dir bleiben als Dein Sohn und
Freund, wie ehemals."
„Wie ehemals," wiederholte der Kranke und griff
nach der Hand des Schwiegersohnes, als wollte er sich
daran festhalten, zuni Schutze gegen jede ihn bedrohende
feindliche Macht. „Wie ehemals, ja, da war es anders.
Da hatte ich Kinder, da hatte ich gute treue Diener,
jetzt hat mich Alles verlassen..."
„Du warst früher zu vertrauensvoll, lieber Georg,"
wollte sich Frau v. Hammerstein in's Gespräch mischen.
Der Regicrungsrath warf ihr einen Blick zu, vor dem
sie verstummte.
„Warum hast Du Deine Leute nicht zu Dir ge-
lassen?" fragte Herr v. Haidhausen. „Fritz schrieb mir
die bittersten Klagen, daß er von Dir fern gehalten
werde. Ohne den Brief des alten treuen Mannes wäre
ich nicht hier."
„Und " '
 
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