Mädchen, das wir Beide
Grorg v. AMcr, Präsident des prcusplcheu AbgcdrdnctcnlMusrs.
Nach einer Photographie gezeichnet von C. Kolb, (S. 318.)
Deine Vermählung mit dem Mädchen, das wir Beide
geliebt, Jeder nach seiner Weise, wird sie auch mir zu
eigen."
Bernhard hing sprachlos an des Bruders Halse.
Edwin machte sich sanft los.
„Noch eine Bitte, Bruder. Laß mich Annunziata
noch einmal sehen; führe mir die Schwester zu."
„Ich will es," sagte Bernhard einfach. Sein feines
Gefühl lehrte ihn, daß in dieser Stunde jedes Zögern
und Sträuben vom Uebel gewesen wäre. --
Die Weihcstnnde war vorüber, Frau v. Hammer-
stein trat in's Zimmer. Edwin machte sic sofort damit
bekannt, daß Magda v. Haidhausen die so lange nnd
schmerzlich gesuchte Annunziata sei.
Ein kaltes, spöttisches Lachen der Mutter fiel wie
ein erstarrender Reif auf die warmen heiligen Empfin-
dlingen der Brüder.
„Die Enthüllungen werden ja immer Pikanter,"
sagte Frau v. Hammcrsteiu. „Hoffentlich dämpfst Tu
Deine thörichte Leidenschaft für das Mädchen, mein
Sohn!" fügte sie zu Edwin gewendet hinzu.
„Die hat der nahende Tod nicht gedämpft, aber
verklärt," antwortete Edwin leise, „ich lasse mein Kleinod
in meines Bruders Haud."
Mit einem zornigen Ausruf wandte sich Frau von
Hammerstein au Bernhard. „Was soll das neue Possen-
spiel'?" fragte sie.
„Es ist keine Posse, sondern die Wahrheit, Mutter,"
erklärte Bernhard mit mildem Ernst. „Ich liebe Magda
v. Haidhausen und werde wieder geliebt; der Regie-
rungsrath billigt die Verbindung, mein guter Bruder
sehnt sich danach, die Schwester zn begrüßen; nichts
fehlt als Dein Segen."
„Auf den aber werdet Ihr warten können/
setzte Frau
vortrefflich
Verlöre n.
R o m a u
von
Ludwig K a k i ch t.
Hochdruck »erdeten.)
fMW dwiu, was meinst Du?" fragte Bernhard
bebend.
„Bernhard, mein guter Bruder, ich
bin sehr selbstsüchtig gewesen. Ich dachte
nur an mein Glück, hörte nur auf meine
Leidenschaft nnd hatte nicht Acht darauf,
daß Du neben mir in still verschwiegenem Herzen eine
große edle Liebe trugst und sie mir zum Opfer brachtest."
„Bruder!" rief Bernhard, aber der Kranke winkte
ihm.
„Unterbrich mich nicht, laß mich zu Ende kommen,"
sagte er mit Anstrengung. „In den langen
stillen Stunden der Nacht, während deren
ich schlaflos auf meinem Bette lag, habe
ich Zeit gehabt, über Vieles nachzudenken;
angesichts des Todes erscheint mir mein
vergangenes Leben in einem anderen Lichte.
Ich weiß jetzt, daß Dn Annunziata geliebt
hast vom ersten Augenblicke an, wo sic Dir
begegnet, ich weiß, daß Deine Liebe zu
ihr die reine, wahre, echte Liebe ist, ich
weiß auch, daß sic nur Dich geliebt hat,
stets uur Dich lieben wird."
Erschöpft hielt der Kranke inne, um
mühsam Athem zu holen, aber er duldete
nicht, daß Bernhard dazwischen sprach.
„Laß mich reden, ich bin sogleich zu
Ende. Du hast mir Deine Liebe geopfert,
wie Du mir von Kindheit au Dciue
Wünsche und Neigungen zum Opfer brachtest,
und ich habe das letzte Opfer angenommen
wie alle früheren, ohne es groß zu merken,
als etwas Hergebrachtes. Wäre ich selbst
gesund und kräftig, es Hütte nichts genützt,
Annunziata wäre nie die Meine geworden,
denn sie liebt Dich!"
„Woher weißt Du das?" unterbrach
ihn Bernhard.
„Ich sehe, fühle, höre es mit den ge-
schärften Sinnen, welche die Nähe des
Todes verleiht," fuhr Edwin fort. „An-
nunziata wäre nie die Meine geworden und
doch hätte ich Dein Glück zerstört. Das
Schicksal hat es gut gemacht mit uns
Allen."
„Edwin,'geliebter Bruder, glaubst Du,
ich könne mein Glück aufbauen über Dei-
nem Grabe?" schluchzte Bernhard und sank
neben dem Stuhl des Kranken auf's Knie.
Edwin legte beide Arme um seinen
Hals und zog ihn an sich. „Nicht über
meinem Grabe," flüsterte er, „sondern als
ein The.il von mir. Was Edles und
Gutes in mir war, lebt fort in Dir, — durch
vcr-
v. Hammerstein hart. „Es ist ja Alles
arrangirt und ansgesouuen. Ich finde es
wirklich sehr gütig von dem Herrn Rc-
gicrnngsrath, wenn er gestatten will, daß
Du seine aufgelesenc Tochter zn einer Frau
v. Hammcrsteiu machst."
„c-ie ist seine Tochter, Mutter," ver-
setzte Edwin mit Nachdruck.
„Das Ivill ich nicht bestreiten, um so
weniger darf sie meine Schwiegertochter
werden, wenn er nicht zugleich beweist,
daß sie die Eukeliu des Barous v. Eisen-
berg ist."
„Mutter, weshalb Dinge an das Licht
zerren, die besser im Stillen ausgeglichen
werden," mahnte Bernhard. „Haidhausen
beschied mich zu sich, um mir den Ausweg
zu zeigen, auf 'dem Alles sich für uns
schön, harmonisch ordnen kann."
„Und Du folgtest ihm nur zu willig
auf diesem Auswege. Du gingest einen
Handel ein ans Kosten Deiner Mutter,"
entgegnete sie bitter.
„Wie kannst Du glauben —" wollte
sich Bernhard vcrtheidigcu, aber Edwin
winkte die Mutter zu sich heran und sagte
mit halberstickter Stimme, zwischen jedem
Wort nach Athem ringend:
„Ich habe nicht vergessen, was Du
uns schriebst, als Du uns die erste Nach-
richt von der Erbschaft sandtest: ,Für
mich brauche ich das Geld nicht, es ist
für Euch!' Ich brauche nichts mehr von
dem Gelde, weshalb willst Du dem Ein-
zigen, dem cs zu Gute kommen kann, durch-
aus die Hälfte erstreiken und ihn unglück-
lich machen, während er das Ganze haben
und dabei glücklich sein kann?"
„Weil die Hälfte mehr ist als das
Ganze. Weil ich nichts geschenkt haben
will, wo ich mit gutem Rechte besitzen
kann."
„Sich' das Mädchen, und alles Vvr-
urtheil, alle Härte schwindet, Du heißest sie
mit Freuden willkommen," sagte Bernhard.