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Verl o r c n.
R o in n n
von
Ludwig K a l> i ch l.
lT°r,fttz„ng.) Nachdruck ,chb°t-u.>
froh, so zuversichtlich wie der junge
Bernhard v. Hammerstein jetzt, erinnerte
sich Herr v. Haidhausen einst selbst in das
W: Leben geblickt zu haben, und seine Jugend
o ' lag noch nicht so weit hinter ihm, wie'sein
kahler Scheitel, wie die tiefen Furchen auf der Stirne,
die^ scharfen Linien nm Mund und Angen vermnthen
ließen. Nicht das Alter — die Erfahrungen des Lebens
hatten diese Schriftzüge in das Gesicht des noch nicht
Fünfzigjährigen gegraben.
Ernst v. Haidhausen war der Sohn
eines hohen Staatsbeamten von mäßigem
Vermögen, aber von älter Familie. Dem
Wunsche des Vaters folgend, hatte er
die juristische Laufbahn eingeschlagen, ob-
gleich er selbst große Neigung verspürt
hatte, sich gänzlich der Kunst zu widmen.
Als sein Vater starb, hatte er soeben seine
Staatsprüfung bestanden und fand sich
nun mit dem öffentlich erwählten und dem
als Dilettant getriebenen Berns durch eine
Art von Kompromiß ab. Er wollte Jurist
bleiben; denn mit seiner scharfen Setbst-
erkenntniß hatte er erkannt, daß ihm als
Künstler eine hohe Staffel des Ruhmes
nicht winken würde, aber der Kunst sollten
ein paar Jähre seines Lebens gehören. Das
ererbte Vermögen ermöglichte ihm einen
längeren Aufenthalt in Italien. Er nahm
Urlaub, hängte den Juristen vorläufig an
den Nagel und wanderte als Maler nach
Italien. Nachdem er in Mailand und
Florenz, in Venedig und Bologna und in
anderen Städten Ober-Italiens den Spuren
der großen Meister nachgegangen war, kam
er endlich nach Rom, und dieser „Auszug
der Welt", wie eiu Gelehrter die Stadt ge-
nannt hat, schien ihn dauernd festhalten
zu wollen. Es waren nicht blos die
Rafael'schen Stanzen, die Kunstschütze des
Vatikan und der Peterskirche, welche diesen
Zauber auf ihn ausübten, nicht blos das
Rom, das die Papste geschaffen haben,
sondern neben diesen gewaltigen Monu-
menten der Schaffenskraft neuerer Kunst
die gigantischen Trümmer einer nnterge-
gangencn Zeit, die cgyptischen Obelisken,
die Kolosse des Phidias, die Bauten aus
der Kaiserzeit. Dazu gesellte sich der land-
schaftliche Reiz, der Rom durch seine Lage
ans sieben Hügeln eigen ist, dazu trat als
mächtig wirkender Faktor die Bevölkerung.
Ernst 'v. Haidhausen verkehrte mit den
deutschen Künstlern, die in Rom jederzeit

eine so zahlreiche lebenslustige Kolonie bilden, aber er
suchte und fand auch Eingang in die Familien der
Eingesessenen Roms und machte sich mit Vorliebe in
Häusern des kleinen Bürgerstandes heimisch. Er skiz-
zirte und malte, seine Mappen füllten sich mit Ent-
würfen aller Art, aber zur Ausführung kam er nicht.
Mehr und mehr trat der Maler in den Hinter-
grund und der Kunstkenner und Alterthumsforscher
bildete sich in ihm heraus, ein Alterthumsforscher frei-
lich, dem sein Studium den Blick nicht trübte für das,
was das frisch Pulsircnde Leben Schönes hervorbringt.
Sein Künstlerauge hing mit Entzücken an den herr-
lichen Formen, der klassischen Schönheit der römischen
Frauen, und die stolzen Schönheiten, welche er bewun-
derte, sandten dem schönen blonden Deutschen ost Blicke
zu, welche das süßeste Glück zu verheißen schienen.

Nur Eine that dies nicht, Marietta, die Tochter des
Steinschneiders Bernini, eines großen Kenners antiker
Münzen, Steine und Gemmen, zu dem Haidhansen oft ging,
nm seine Sammlungen zu sehen und seinen Rath über
neue Funde cinznholen. Während er mit dem Vater
sprach, suchten seine Augen die dunklen, von langen
Wimpern verschleierten Augen der Tochter, aber ab-
weisende, fast feindliche Blicke begegneten ihm, und doch
konnte er nicht glauben, daß sie ihm abhold sei. Tas
Lächeln des Mundes, ein Schmachten und Sehnen, das
die blühenden Lippen zu schwellen schien, redete eine
ganz andere Sprache.
Und eines Tages, als er Marietta allein traf, wagte
er ihre Hand zu ergreifen und ihr in den Weichen Lau-
ten ihrer Muttersprache, die er vollständig beherrschte,
seine Liebe zu gestehen. Mit Heftigkeit stieß sie ihn
zurück, nm im nächsten Augenblicke seine
beiden Hände mit den ihrigen fest zu um-
klammern.
„Du liebst mich?" fragte sie mit fliegen-
dem Athem und zuckenden Nasenflügeln.
„Ich liebe Dich, ich bete Dich an, ich
verzehre mich vor Sehnsucht nach Dir!"
Er wollte sie in seine Arme, an seine Brust
reißen, wieder stieß sie ihn zurück.
„Liebst Du mich einzig und allein?
Wirst Du mich immer und ewig lieben?"
„Immer, immer und ewig," wieder-
holte er.
Sie klammerte sich an ihn, sie um-
strickte ihn mit ihren Armen, sie lechzte
nach seinem Kusse, und doch riß sie sich
wieder los.
„Erst schwöre mir, daß Tu nur mich
lieben, nichts sinnen, nichts denken willst
als Marietta. Nie einem anderen Weibe
je wieder von Liebe reden willst!" gebot sie.
Er schwur es, schwur es mit ehr-
lichem Herzen; denn er glaubte an die
Allgewalt und Unendlichkeit seiner Liebe.
Eine Zeit lang fühlte sich der junge
Deutsche wahrhaft beglückt durch die Liebe
der schönen Marietta, allmählig jedoch be-
gann er zu empfinden, daß auch Rosen-
sesseln drücken können. Marietta verlangte
nämlich, er solle für nichts mehr leben,
für nichts mehr athmen als für sie allein.
Plicht allein, daß er keinen Blick mehr
haben sollte für irgend ein lebendiges Weib,
es mochte jung oder alt, schön oder häßlich
sein, sie war auch eifersüchtig auf die ge-
malten Madonnen und die gemeißelten
Göttinnen und wollte ihn keine der Stätten
besuchen lassen, wo die Denkmäler älterer
oder neuerer Kunst ihm das Auge erlaben,
Geist und Herz erheben und befreien konnten.
Lie war eifersüchtig ans jedes Buch, das
Ernst zur Hand nahm, eifersüchtig ans das
Lüftchen, das seine Wange knhlie, eifer-
süchtig auf die Blumen, deren Tust er
einsog. Von Rom, von der Welt sollte

Professor Dr. Johannes Anglist Friedrich Esmarch.
Nach einer Photographie gezeichnet von C. Kolb. (S. 228.)
 
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