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hinein der Beamten, der

nach der Kanzlei, um mit
ihm persönlich bekannt war, zu berathen, welche Schritte
ihm zunächst zu thnn Mägen. Er öfsnete die Thnrc
und stieß einen Ausruf der Ueberraschung ans, der ein
lebhaftes freudiges Echo fand — sein Bruder Bernhard
stand vor ihm. —
Bernhard v. Hammerstein war in einer seiner Stel-
lung und seiner Bildung angemessenen anständigen Haft
gehalten worden. Er hatte mehrere Verhöre zu bestehen
gehabt, in denselben ruhig und wahrheitsgetreu seine
und seines Bruders Bekanntschaft mit Annunziata und
die Werbung des Letzteren bei der Äntter des Mädchens
eingerünmt, aber mit Entrüstung jede Betheilignug oder
Mitwissenschaft an ihrer Entführung znrückgewiesen.
Eine Durchsicht seiner Papiere ergab nicht den leisesten
Anhalt für die gegen ihn vorgebrachte Beschuldigung,
und die Zeugen, die Petronella beibrachte, vermochten

trotz der Leidenschaftlichkeit, mit welcher sie die Wahr-
heit ihrer Aussage betheuerten und hervorhoben, wirk-
lich Erhebliches gegen den jungen Edelmann nicht vor-
zubringen. Es erschien unter diesen Ilmständen kaum
zulässig, ihn noch länger in Haft zu behalten, dennoch
würde man ihn vielleicht nicht so schnell in Freiheit
gesetzt haben, hätte nicht ein Vorfall die ganze An-
gelegenheit Plötzlich in einem durchaus veränderten Lichte
erscheinen lassen. Signora Petronella und chr nun
wieder nothdürftig hergestellter Nesse Renzo hatten zu
einer Konfrontation mit dem Angeklagten erscheinen
sollen. Sie waren ansgeblieben und die angestellten
Nachforschungen hatten ergeben, daß sie heimlich Florenz
verlassen hatten. Das Hänschen der Signora Petro-
nella stand verlassen und verschlossen da.
Jetzt erschien die gegen die jungen Deutschen er-
hobene Anklage wie eine böswillige Verleumdung und
man neigte sich dem Glauben zu, das
junge Mädchen sei gar nicht geraubt,
sondern von der Mutter irgendwo verbor-
gen worden, nm sie den Werbungen des
ihr verhaßten Ausländers zu entziehen
und zugleich diesem einen bösen Streich
zu spielen. Mit dem Verschwinden der
Ankläger war das gerichtliche Verfahren
gegen Bernhard v. Hamincrstein gegen-
standslos geworden; inan entließ ihn
und gab ihm seine mit Beschlag belegten
Papiere zurück.
Auch Bernhard befremdete Petronella's
und ihres Neffen Verschwinden, aber er
konnte sich der Deutung, welche ihm die
Behörden gaben, nicht anschließcn. Er
war weit eher geneigt, ein neues Ver-
brechen des Grafen Amadeo dahinter zu
wittern, jedoch hütete er sich Wohl, diesem
Verdachte Worte zu leihen. So fest er
von des Grafen Schuld überzeugt war
hatte er sich doch der Anklage gegen
ihn enthalten, denn es fehlte ihm jeder
Beweis dafür, und nur mit vollwichtigen,
erdrückenden Beweisen war es möglich,
gegen einen Mann von der Stellung
und dem Einfluß des Grafen erfolgreich
anfzutreten.
War es Edwin möglich geworden, solche
Beweise herbeiznschaffen? Hatte er eine
Spur von Annunziata entdeckt? War
er nach Florenz zurückgekehrt? Diese
Fragen beschäftigten Bernhard und ver-
anlaßten ihn, seine Schritte, als er das
Gefängnis; verließ, zunächst nach der Ge-
sandtschaft zu lenken. Er war überzeugt,
der Bruder würde nach seiner Rückkehr
dort sofort erscheinen, nm für seine Frei-
lassung zu wirken, und seine Voraus-
setzung hatte ihn nicht betrogen.
Das Wiedersehen der beiden Brüder
hatte etwas Erschütterndes. Nur wenige
Tage waren sie getrennt gewesen, aber es
schien ihnen, als lägen Jahre zwischen

vcrl o r e n.
R o ni a n
von
Ludwig K a b i ch t.
iForischuna.s
. ' (Nachdruck verboten.)
er Marchese nahm den Grafen Amadeo bei
Seite: „Wenn Sie jetzt nur noch einen
Augenblick zögern, Herr Graf, Herrn
v. Hammerstein zu fordern, so lassen Sie
in Ihrer Person den gesummten toskanischen
Adel beschimpft; Sie werden die Folgen
davon zu tragen haben."
Der Graf sah ein, daß es für ihn keine Möglichkeit
gab, sich einem Duell mit Edwin zu entziehen. Er
zwang sich zur Ruhe und sagte mit hochnmthiger Miene:
„Gut, schießen wir uns, wenn es nicht
anders sein kann, werde ich mit dem Ge-
schäfte auch fertig werden. Die Karten
brauchen wir nicht auszutauschen, wir
kennen uns."
Er wandte sich kurz um und ging,
von dem Marchese und einigen anderen
Edellenten begleitet, die Straße hinunter,
ohne seinen Gegner noch eines Blickes zu
würdigen. Edwin athmete hoch ans;
es war ihm ordentlich leicht nm's Herz,
daß er dem Grafen seine grenzenlose Ver-
achtung in's Gesicht geschlendert hatte
und daß er ihm in wenigen Stunden
mit der Waffe in der Hand gegenüber-
stehen sollte. Für seinen Bruder und An-
nunziata war damit freilich nicht viel ge-
wonnen. Fiel er oder ward er schwer
verwundet, so war Niemand da, der sich
nm ihr Schicksal bekümmerte; tödtete er-
den Grafen, so mußte er schleunig aus
Florenz entfliehen, möglicher Weise sogar
Italien verlassen.
Sobald sich mit der wiederkehrenden
Ruhe diese Erwägungen einstellten, konnte
Edwin sich nicht verhehlen, daß es klüger
gewesen wäre, einen Zusammenstoß mit
dem Grafen zu vermeiden. Er hatte ihn
aber nicht ausgesucht, ohne sein Zuthun
war ihm sein Feind in den Weg ge-
treten, und der zwischen ihnen stattgehabte
Auftritt hatte sich so nothwendig, so un-
vermeidlich vollziehen müssen wie dcr
Ausbrnch eines Gewitters, wenn entgegen-
gesetzte Winde auf einander stoßen und
die Luft mit Elektrizität geladen ist. Was
geschehen war, das war geschehen, Edwin
hatte die Folgen zu tragen. Die Ehre
verbot, an ein Ausweichen auch nur
zu denken. Wenige Stunden blieben nur
noch zu seiner Verfügung; er wollte sic,
so viel er nur irgend vermochte, aus-
nützen. Er setzte seinen Weg nach der
Gesandtschaft fort und begab sich zuerst

HZ
Freiherr Heinrich v. Hnymcrle, I. k. östcrrcichisch-nngarischer Minister des Answärtigc».
Nach einer Photographie gezeichnet von C. Kolb. (S. 174.)
 
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