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182

Cäsar zuckte mit der Schütter. Erregt durch die
Flucht seiner Frau, von der er noch immer keine Spur
aufgcfundcn hatte, und durch Leo's That, wurde er
durch die Worte seiner Mutter doppelt leicht gereizt.
„Mir machst Du Vorwürfe und Leo nimmst Du
in Schutz?!" entgegnete er. „Vielleicht trage ich sogar
die Schuld an dem, was er gethan hat?"
„Schweig!" unterbrach ihn Veronika heftig. „Du
besitzest nicht die geringste Liebe zu Deinem Bruder!"
Kalt zuckte Cäsar mit der Achsel.
„Ist das Geschehene dazu geeignet, ihn zu lieben,"
bemerkte er in herzloser Weise.
„Verlaß mich!" rief Veronika, indem sie die Hand
ausstreckte und auf die Thüre wies. „Ich wünsche, daß
Du Dich mir nicht eher wieder nahst, als bis ich Dich
rufen lasse!"
„Was soll in Betreff Leo's geschehen?" fragte Cäsar.
„Verlaß mich! Das ist meine Sorge!"
Cäsar ging. Er war in einer sehr unwilligen
Stimmung. In das Geschäft mochte er nicht gehen,
zu Hause langweilte er sich und seine Freunde mochte
er nicht aufsuchcn, weil er deren Fragen nach seiner
Frau und seinem Bruder befürchtete. Leo's Geschick
faßte er mit frivoler Leichtfertigkeit auf. lieber die
Schmach konnte sich derselbe nicht beklagen, weil er sie
selbst verschuldet hatte. Mit kalter Berechnung hatte
er bereits all die Umstände erwogen, die für Leo benützt
werden konnten. Der tüchtigste Anwalt ließ sich für
ihn gewinnen, und wenn die Richter auch unbestechlich
waren, so mußte doch der Name und das Ansehen des
Hauses, dem er angehörte, mildernd auf sie einwirken.
Seine Vergangenheit war eine reine, seine That war
in der größten Leidenschaft, ja in einem Augenblicke
geistiger Unzurechnungsfähigkeit geschehen. Er war so-
gar entschlossen, als Zeichen seiner brüderlichen Liebe,
Alles aufzubieten, daß Leo's Bestrafung eine möglichst
milde werde. —
Leo war bereits am Morgen durch den Untersuchungs-
richter verhört und hatte seine That offen cingestanden.
Er hatte erzählt, wie sehr er Käthe geliebt und welche
Gewalt diese Liebe über ihn gewonnen hatte/ er hatte
nicht verhehlt, daß er entschlossen gewesen war, dieser
Liebe Alles zu opfern. Wie er die That ausgeführt
hatte, wußte er nicht mehr, ihm war von dem entsetz-
lichen Augenblicke nur noch in der Erinnerung geblieben,
daß er die Geliebte getödtet hatte.
Seine Aussagen waren durch die Angaben der alten
Dorothea, Konrad's und Christian's, welche am frühen
Morgen sofort durch den Staatsanwalt vernommen wor-
den waren, bestätigt, sie fanden eine weitere Bekräftigung
durch das auf seinem Schreibtische ausgefundene Schreiben
an das Konsistorium, in welchem er um Entlassung
aus seiner Stellung nachgesucht hatte.
Sowohl die alte Dorothea wie Christian hatten in
Abrede gestellt, um die Fortsetzung des Verhältnisses
zwischen Käthe und dem Müllerburschen gewußt zu
haben, schon jetzt ergab sich jedoch mit ziemlicher Be-
stimmtheit, daß von ihnen Allen mit der Liebe und
dem Herzen Leo's ein frevles Spiel getrieben war.
Veronika hatte in der diesem Tage folgenden Nacht
sich nicht zur Ruhe gelegt. Ihre unter ihrem Zimmer
schlafende Dienerin hatte vernommen, wie sie unablässig
langsam auf- und abgegangen war, und als sie am
Morgen in das Zimmer ihrer Herrin trat, fand sie
deren Bett noch unberührt.
Die Dienerin erschrak, als sie ihre Herrin erblickte,
denn dieselbe schien in der einen Nacht um Jahre ge-
altert zu sein. Ihre Haltung war noch fest und auf-
recht, allem ihre Augen waren zurückgetreten und blickten
hohl, ihr Gesicht machte nicht mehr einen ernsten, son-
dern tief kummervollen Eindruck.
Veronika lehnte jede Nahrung ab und gab der
Dienerin ein Zeichen mit der Hand, sie allein zu lassen.
Und allein blieb sie den ganzen Tag über.
Der Abend brach bald herein, da begab sie sich in
das Zimmer ihres Gatten. Der alte Herr saß allein
in seinem Lehnsessel am Fenster, seine Gestalt war ge-
beugt. Das Geschick des Sohnes lastete schwer auf ihm,
dazu kam noch das Gefühl des Verlasfenseins, das
Herausreißen aus seinen jahrelangen, täglichen Gewohn-
heiten, denn auch er hatte sein Zimmer seit zwei Tagen
nicht verlassen.
Veronika trat zu ihm und erfaßte seine Hand.
„Es ist ein schwerer, schwerer Schlag, der uns be-
troffen hat," sprach Ruben.
„Du mußt ihn zu ertragen suchen, Alfred," ent-
gegnete Veronika, indem sie die Hand ihres Gatten
drückte und nut der Linken halb beruhigend und halb
zärtlich über dessen fast völlig von Haar entblößten
Scheitel hinstrich.
Der alte Herr blickte zu seiner Gattin auf. Der
Ton ihrer Stimme war weich, er kannte kaum so zärt-
liche Regungen an ihr.
„Und Du?" fragte er besorgt.
„Auch ich werde es ertragen," erwiedertc Veronika
tief aufseufzend, indem sie das Gesicht äbwandte. „Al-
fred, es schmerzt mich, daß Dein Lebensabend noch durch
einen so schweren Schlag erschüttert wird, ich hoffte, er

Das Buch für Alle.
werde ein ruhiger und friedlicher sein, wie Du ihn ver-
dient hast."
„Sprich nicht von mir," warf Ruben ein. „Mein
Leben geht zur Neige, aber was — was wird aus Leo?
An ihn muß ich unablässig denken. Ich fühle erst jetzt,
wie nahe er meinem Herzen steht, und ich würde gern
mein altes Leben hiugegeben haben, wenn ich dies Ge-
schick von ihm hätte abwenden können."
Vcronika's Augen leuchteten auf.
„Alfred, Alfred!" rief sie und drückte dankend die
Hand ihres Gatten.
„Ich begreife nicht, wie die That möglich gewesen
ist," fuhr der alte Herr fort. „Hätte Cäsar sie be-
gangen, so würde ich sie seinem Jähzorne zugeschrieben
haben; da sie von Leo's Hand geschehen ist, erscheint
sie mir als die Fügung eines finsteren Geschickes, der
auch der Beste nicht ausweichen kann."
„Du hast Recht — Du hast Recht!" fiel Veronika
ein. „Es gibt Thaten, deren Schuld nicht auf den
Einzelnen, sondern auf die Verhältnisse füllt und der
Himmel möge Jeden behüten., daß er solchen Verhält-
nissen anheimfällt. Leo ist ein Opfer derselben gewor-
den, wie denn wohl Niemand die Kraft des Wider-
standes besitzt, wenn das Geschick die Fäden fester und
fester um ihn schlingt. Man muß den Unglücklichen
bedauern, darf ihn aber nicht verdammen!"
Der alte Herr nickte schweigend, zustimmend mit
dem Kopfe, denn er hatte dasselbe empfanden.
„Ertrage das Unabwendbare mit Fassung," fuhr
Veronika fort. „Sage Dir: das Geschick hat es gefügt,
Menschenmacht kann es nicht ändern!"
Sie beugte sich zu ihrem Gatten nieder, küßte ihn
auf die Stirn und verließ dann hastig das Zimmer.
Der alte Herr blickte ihr fast erstaunt nach, denn
so bewegt hatte er sie nie gesehen, er ermaß daran die
Größe ihres Schmerzes. Was dieser Kuß des Abschiedes
zu bedeuten hatte, das ahnte er nicht.
Veronika verließ wenige Minuten später das Haus,
nicht im Wagen, wie sie es gewöhnt war, sondern zu
Fuß. Mit festem Schritte eilte sie über die Straße
hin, ein schwarzer Schleier, den sie niedergelassen, ver-
hüllte ihr Gesicht.
Sie begab sich zu dem Gefängnißgebüude, in dem
ihr Sohn sich befand. Wieder trat sie zu dem Wärter,
der sie am Tage zuvor zurückgewiescn hatte. Er ver-
sicherte auch jetzt, sic nicht zu dem Verhafteten führen
zu dürfen.
Sie drückte dem Wärter eine schwere Börse in die
Hand.
„Es ist Gold!" fügte sie fast flüsternd hinzu.
Der Wärter wog unwillkürlich die Börse in der
Hand.
„Es hat Niemand gesehen, daß ich das Haus be-
treten habe," fuhr Veronika leise fort.
Der Wärter schien zu schwanken.
„Sind Sie vcrheirathet?" fragte Veronika.
„Ja."
„Und Sie haben Kinder'?"
„Ja."
„Wenn nun Ihr Sohn dort in dem Raume säße
und Sie sich sehnten, ihn zu sprechen? Wenn Sie wüßten,
daß Sie ihm Ruhe und Trost bringen könnten —
würden Sic schwanken? Haben Sie Erbarmen mit ihm
und mir!"
„Kommen Sie!" sprach der Wärter schnell und schritt
vorauf. Er öffnete eine Thür und schob Veronika fast
hastig in einen spärlich erleuchteten Raum.
Aus dem Hellen tretend, vermochte Veronika das
Dämmerlicht der Zelle nicht so schnell zu durchdringen,
nur in undeutlichen Umrissen sah sie eine Gestalt auf
einem Schemel sitzen.
Da sprang die Gestalt mit dem Rufe: „Mutter —
meine Mutter!" aufstürzte zu ihr und warf sich an
ihre Brust — es war Leo.
„Leo, Leo!" hallte es von Vcronika's Lippen wieder.
Die Mutter wollte den Sohn mit den Armen umfan-
gen, ihn an sich Pressen, allein ihre Kraft reichte nicht
aus, sic schwankte und erreichte mit Mühe den Schemel,
auf den sie niedersank.
Leo warf sich vor ihr nieder auf die Kniec, Preßte
sein Gesicht in ihren Schoß und weinte leidenschaftlich.
„Mein armer Sohn!" seufzte Veronika auf, dann
ließ sie ihm Zeit, daß die wilde Gewalt des Schmerzes
sich in Thränen löste. Ihre Rechte ruhte auf seinem
Haupte.
Endlich richtete Leo den Kopf langsam empor, er
hatte sich gefaßt. Veronika fuhr erschreckt zurück, als
sie in sein Gesicht blickte. Wie gewaltig hatten die
zwei Tage dasselbe verändert, es war von Schmerz
verzerrt. Leo stand auf.
„Dahin ist es mit nur gekommen," sprach er, in-
dem er langsam, die Hände auf den Rücken gekreuzt, den
Blick vor sich auf den Boden geheftet, in dem Raume auf
und ab schritt. „Das hatte ich nicht für möglich ge-
halten, und wenn Du mich fragst, wie es gekommen ist,
so kann ich Dir nur antworten, ich weiß es nicht. Es
ist mir, als ob ich einen wüsten, entsetzlichen Traum
gehabt hätte."

Heft !!.
Er erzählte dann, wie er Käthe kennengelernt und
sie von der ersten Minute an geliebt habe.
„Nenne diese Liebe Wahnsinn und Du magst Recht
haben," sprach er. „Ich glaube, ich war wahnsinnig,
all' mein Sinnen und Denken hatte nur das eine, ein-
zige Ziel, das Mädchen zu besitzen!"
„Du liebst sie noch?" warf Veronika ein.
„Nein, nein," wehrte Leo ab. „Kann man daS
Schlechte lieben? — Und doch — wenn sie in diesem
Augenblicke zu mir träte, so würde ich sie wieder
lieben! Mutter, diese Liebe zu dem Mädchen war das
Heiligste, was es für mich gab, und nun die Qual,
dies Heiligste vernichtet, von frivoler Hand vernichtet
und entehrt zu sehen! Meine Gedanken an Käthe waren
rein, ihr Bild war mir ein Ideal und sic — sie wollte
die Ehe nur als einen Deckmantel für ihre Liebe zu
dem Müllerburschcn benutzen!"
Er preßte die Hände vor die Augen.
Vcronika's Blick ruhte auf ihrem Lieblinge. Kein
Vorwurf kam über ihre Lippen, sie fühlte, wie er das
unrettbare Opfer einer unsagbaren Leidenschaft geworden
war. Sie hatte nie in der Weise geliebt, allein sie em-
pfand, daß es auch bei ihr möglich gewesen sein würde.
„Und was soll nun geschehen?" fragte sie, indem ihr
Blick sich senkte.
„Was nun?" wiederholte Leo. „Sieh, als meine
Hand das Mädchen getödtet hatte, da stürzte ihre
Mutter mit erhobener Axt auf mich zu, um mir den
Kopf zu zerschmettern, ich zuckte nicht. Wenn sie es
gethan hätte, dann wäre Alles mit einem Male beendet
gewesen - der Tod wäre eine Wohlthat für mich ge-
wesen!"
Veronika erhob sich rasch.
„Kannst Du diese Wohlthat nicht noch genießen?"
fragte sie.
Leo blickte seine Mutter forschend an.
„Wie meinst Du das?" entgegnete er.
„Kannst Du nicht sterben? Oder fürchtest Du den
Tod?"
Leo schüttelte verneinend mit dem Kopfe.
„Ich bin nicht mit leerer Hand gekommen," fuhr
Veronika hastig fort. „Nimm dies' hier.' Es bringt die
Wohlthat, von der Du gesprochen hast."
Mit fester, entschlossener Hand zog sie ein kleines
Fläschchen aus ihrem Kleide hervor.
Leo sah es, er wußte, daß dasselbe Gift enthielt,
und unwillkürlich streckte er abwehrend die Hand aus.
„Du hast nicht den Muth zu sterben?" rief Veronika.
„Jetzt nicht — nicht jetzt!" erwiedertc Lco aus-
weichend. (Fortsetzung solgt.7
Das Monument des Herzogs Karl oon Lraun-
schmeig in Genf.
(Siche das Bild auf Seile 180.)
Der im Jahre )830 in Folge seiner Mißregiernng ans
dem angestammten Fürstenthnme vertriebene Herzog Karl
von Braunschweig - - der „Diamantenherzog", wie ihn der
Spott der Zeitgenossen nannte — hatte sich während seiner
letzten Lebensjahre in Genf niedergelassen. Hier, woselbst er
zuerst in dem Hotel de la Metropole am großen Quai nnd
spater im Hotel Beanrivage wohnte, gefiel eS dem durch seine
Extravaganzen bekannten Sonderling ausnehmend wohl, und
der Stadt Genf vermachte er denn auch laut Testament —
als letzte Schrulle nnd zugleich als Racheakt gegen seinen
Brnder, den regierenden Herzog Wilhelm von Braunschweig
und die Agnaten, welche früher ihm gerichtlich die freie Ber-
fügung über seine Schatze hatten entziehen wollen — das
ganze enorme Vermögen, welches er bei seiner Vertreibung
im Jahre 1830 ans Deutschland mitgenommen nnd durch
seinen notorischen Geiz inzwischen bedeutend vermehrt hatte.
Es war jedoch die Bedingung hinzugcfügt, daß ihm ein
Kolossaldenkmal, eine Nachbildung des berühmten Denkmals
der Scaiiger in Verona, in Genf errichtet werde, wofür das
Testament eine Snnune von zwei Millionen Franken nnwies,
weiche nöthigensalls nuS der übrigen Erbschaft bis zum vollen
Betrag der Kosten erhöht werden sollte. Diesen Bedingungen
ist die Stadt Genf bei Antritt der bedeutenden Erbschaft pünkt-
lich nachgekommen und hat an einer der schönsten Stellen des
Rhone-Quai das ganz aus weißem Marmor erbaute, mit der
Reiterstatue des Herzogs Karl gekrönte Monument errichtet,
welches der schönen Stadt selbst zu außerordentlicher Zierde
gereicht nnd durch seine imposante Höhe (fünf Swckwerke) die
Blicke schon von Fern auf sich zieht. Auf einem mehrstufigen
Unterbau von rothem schottischen Granit stehen zunächst rechts
nnd links auf edlen antiken Postamenten zwei Löwen aus rothem
Marmor, welche das Monument flankiren, sodann erhebt sich das
Monument selbst im edelsten Uebergangsstyle aus der Gvthik in
die Frührenaissance. Aus solidem Sockel ruhen sechs Außen-
säulen mit schönen Kapitalen und tragen je eine Statue mit
einem von vier schlanken Säulchen getragenen gothischen Bal-
dachin und Spitzthürmchen. Diese sechs lebensgroßen Bild-
säulen aus weißem Marmor stellen die berühmtesten Ahnen
des Herzogs dar, nämlich Heinrich den Löwen und Otto (von
dem elsässischen Bildhauer Schönwerk), Heinrich den Bekenner
(von Thomas in Paris), August den Gelehrten (von Anns
Millet) und die Herzöge Karl Wilhelm und Friedrich Wil-
helm (von Kießling in Solothurn). Ter feste und stylvolle
Unterbau oder Sockel des eigentlichen Denkmals trägt eine
Plattform, auf deren Unikreis sechs gewundene Säulen als
Träger des sogenannten Padiglione oder Zeltes ruhen, unter
welchem der prachtvolle Sarkophag, ein Werk des Bildhauers
Jgnel, steht. Ueber diesem Sarkophag wölbt sich leicht und
 
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