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434

den Graben und hab den Bewußtlosen empor. „Da scheint
alle Hilfe vergeblich zu sein," murmelte er, „nein, doch
nicht, das Herz schlägt noch, wenn auch nur schwach.
Himmel! Das ist ja der junge Mciudl, der Sohu des
Försters! Armer Bursch! Was mag hier vorgefalleu
sein?"
Der Verwundete schlug stöhnend die Augen auf.
„Helft mir, rettet mich," stammelte er, „o, dieser rasende
Schmerz —"
Franz Beich — denn niemand Anders als der
Schlachtenmaler war der barmherzige Samariter -
nickte. „Armer Freund, was in meinen Kräften steht,
soll geschehen," meinte er. „Hütte ich Euch nur erst
unter Dach und Fach. Aber nach dem Försterhnuse
ist's zu weit, bis dahin" — er vollendete den Satz nur
in Gedanken — „werde ich Euch kaum lebend bringen."
Die Linke drehte die Enden des aufgewichStcn Schnurr-
bartes noch spitzer. „Ich muß drüben den alten Brumm-
bären herausklopfeudachte er weiter, „das ist die
einzige Möglichkeit der Rettung." Und indem er den
Verwundeten sorgfältig wieder zu Boden gleiten ließ,
setzte er laut hinzu- „In wenigen Minuten bin ich
wieder bei Euch, ich will die Bewohner von Haus Sand-
horst wecken, sie werden Euch Aufnahme gewähren, es
sind brave Menschen."
Xaver murmelte einige unverständliche Worte, Beich
sprang über den Graben zurück und gleich darauf klang
die Glocke am Parkthor von Sandhorst hell in die stille
Nacht hinaus.
Eine Stunde später lag Xaver wohlgebcttet in einem
der Fremdenzimmer des Schlosses. Franziska und der
alte Baron waren mit liebender Sorge um ihn be-
schäftigt, während Beich auf seinem Einspänner nach
Schlcißheim rasselte, um einen Arzt zu holen und die
alten Förstersleute zu benachrichtigen.
17.
Graf Monasterol, der dirigirende Kabiuetsminister,
hatte am anderen Tage zur gewohnten Stunde Vortrag
bei seinem Herrn, dem Kurfürsten.
„Nun, was gibt es noch?" fragte Serenissimus, als
der Graf nach Erledigung der laufenden Angelegenheiten
stehen blieb.
„In einer Stunde, Kurfürstliche Durchlaucht, soll
die Unterzeichnung des Tauschvertrages stattfindeu."
„Nun ja," sagte der Kurfürst kurz, „es ist ja Alles
in Ordnung. Ist Eure Vollmacht nicht schon vor meh-
reren Tagen vollzogen?"
„Heute Morgen war der Marquis de Ricur bei
mir," fuhr der Minister nicht ohne Befangenheit fort.
„Um einen letzten Versuch zu machen, uns zu be-
kehren," lachte Max Emanuel. „Er rechnet auf Eure
französischen Sympathien, lieber Graf, die er noch von
Paris aus kennt."
Graf Monasterol, welcher lange Jahre hindurch den
Kurfürsten am Hofe von Versailles vertreten hatte
und als begeisterter Verehrer Ludwig's XlV. bekannt
war, beugte sich auf sein Portefeuille herab, indem er
antwortete- „Euer Durchlaucht ist cs nicht unbekannt,
daß ich die Unterhandlungen mit Graf Schlick nur auf
Hvchstdero ausdrücklichen Befehl und gegen mein
eigenes —"
,,'1'ouueris äs tonnsrres! Fangt nicht wieder von
vorn an, Graf. Die Sache ist abgemacht, wie Ihr wißt,
in einer Stunde wird der Vertrag unterzeichnet sein."
„Dieser Ansicht war ich bis zum Besuch des Mar-
quis auch noch, aber —"
„Es ist von keinem .Aber' mehr die Rede, es soll
von keinem ,Aber' mehr die Rede sein! Versteht Ihr
mich, Graf Monasterol? Wenn Ihr Bedenken tragt,
Euren Namen unter das Dokument zu setzen, so wird
es an Eurer Stelle ein Anderer thun."
„Mein Name wird unter dem Dokument stehen, so-
bald derjenige des Grafen Schlick darunter stehen wird."
„Was wollt Ihr damit sagen?"
„Marquis de Ricur behauptete heute wiederholt auf
das Bestimmteste, die Unterhandlungen mit uns wür-
den von Oesterreich nur geführt, um uus hinzuhalten,
er habe die sichersten Nachrichten, daß man in der Hof-
burz zu Wien gar nicht daran denke, auf der festgestcll-
ten Basis abzuschiießen. Der einzige Zweck dieser Ver-
handlungen sei, uns Politisch und strategisch zu isvlireu,
nm dann zu guter Letzt uns ihre Bedingungen diktiren
zu könneu."
Der Kurfürst zuckte die Achseln. „Wie ost hat das
der gute Marquis schon gesagt! Daß er auch gar nichts
Anderes weiß. Ich hätte ihn für klüger gehalten."
„Der heutige Tag, behauptete Ricur, würde ihm
Recht geben. Statt zu unterzeichnen, werde Graf Schlick
neue Bedenken haben, vielleicht nur einige Kleinigkeiten,
aber das genüge ja auch, um den definitiven Abschluß
hinauSzuschicben. Dann werde man von Wien auS
neue Vorschläge machen, über die dann wieder verhan-
delt werden müsse."
„Und so weiter und so weiter," lachte Max Ema-
nuel. „Die Franzosen scheinen in Wien von ihren
Spionen vortrefflich bedient zu sein. Aber diesmal
irren sie sich dennoch. Graf Schlick wird unterzeichnen."

Das Buch für Alle.

Heft Ist.

„Ich bin durchaus der Meinung Eurer Kurfürst-
lichen Durchlaucht," stimmte der Minister mit einer-
geschmeidigen Verbeugung bei. „Nach dem, was zwi-
schen dem Grafen und mir verhandelt ist, halte auch
ich es für unmöglich, daß die Sache heute nicht zum
Abschluß kommt. Bei der Hartnäckigkeit jedoch, mit
welcher Marquis de Ricur au seinen Behauptungen fest-
hielt, fühlte ich die Verpflichtung, dieselben Eurer Kur-
fürstlichen Durchlaucht mitzutheileu uud zugleich unter-
thänigst um Verhaltungsmaßregeln zu bitten, waS ge-
schehen soll, wenn sich das Unerhörte dennoch ereignen
sollte."
„Darüber wollen wir uns jetzt noch nicht den Kopf
zerbrechen," entgegnete Mar Emanuel. „Die Unter-
zeichnung wird in meiner Gegenwart stattfinden, und
sollte es nicht dazu kommen, sollte das Unglaubliche
wirklich cintrefsen, dann werde ich selbst Graf Schlick
meine Meinung sagen."
„Eurer Kurfürstlichen Durchlaucht naxaeitv leuchtet
hell aus diesem Arraugemeut."
„Wo wird der feierliche Akt stattfindeu?" fragte
der Fürst.
„Ich halte an den Konferenzsaal des alten Schlosses
gedacht."
„IM bien. Ich werde im anstoßenden Kabiuet ver-
weilen, bis mir der geeignete Augenblick gekommen
scheint. X revotr, lieber Graf."
-i-
Graf Schlick gehörte zu den geschicktesten Mitglie-
dern der damaligen österreichischen Diplomatie. Eben
deshalb hatte mau ihn in der Wiener Hofburg aus-
ersehen, den ehrgeizigen Kurfürsten Bayerns ans die
österreichische Seite hinüber zn ziehen. Mit welchem
Erfolg er anch diese schwierige Aufgabe gelöst hatte,
ist iu den früheren Kapiteln erzählt.
Aber trotz seiner langjährigen Erfahrung und der
Schürfe seines Verstandes stand der Gesandte der augen-
blicklichen Lage rathloS gegenüber. Die Vollmacht, welche
er heute unbedingt brauchte, war nicht in seinen Hän-
den. Warum nicht? DaS zu ergründen war ihm un-
möglich. Der Kurier, welchen er in's Verhör nahm,
hatte wie gewöhnlich seine Tasche auf der Kanzlei des
Ministeriums erhalten und behauptete, sie während
seiner Reise nicht aus den Augen verloren zu haben,
er hatte sie zur rechten Zeit unversehrt und wohl-
verschlossen äbgelicfert und damik seine Aufgabe erfüllt^
den Mann konnte daher um so weniger ein Verdacht
treffen, als er als zuverlässig uud diensteifrig bekannt
war. Aus den Papieren, welche Graf Schlick in der
verhängnißvollen Tasche vorgefunden hatte, ließ sich
auch nicht der geringste Aufschluß über den Verbleib
der Vollmacht herauslesen; zwei davon betrafen laufende
Geschäfte der Legation, die Auslieferung eines flüchtigen
ungarischen Rebellen, die Nachlaßangelegcnheit eines in
Bayern verstorbenen Lesterreichers — das dritte war
eine an den Gesandten gerichtete Information, betref-
fend den Stand der Verhandlungen auf dem Regens-
burger Reichstag über die Zulassung des Prätendenten
Philipp von Anjou, welcher dort die dem Könige von
Spanien als Herzog von Burgund zustehende Viril-
stimme beanspruchte — aber über die brennende Frage
des Tages, über den Vollzug des Tauschvertrages, fand
sich absolut nichts. Graf Schlick blieb nichts Anderes
übrig, als wie ans die Nachlässigkeit der Kanzlei zu
fluchen, in welcher, wie er annahm, die Vollmacht lie-
gen geblieben war, und sodann einen Bericht über das
räthselhafte Manko anfzufetzen, mit welchem' Stephan
Mauros direkt nach Wien zurückgeschickt wurde.
Aber wie sollte der Gesandte jetzt dem knrbahrischen
Minister gegenüber anftrcten? Sollte er sagen, daß
man ihm die Vollmacht zu schicken vergessen habe, und
damit einen Schlendrian im kaiserlichen Dienst ein-
gestehen, der fast unglaublich schien? Das konnte cr
nicht, es hätte ihm auch wenig genützt. An das „Ver-
gessen" hätte Niemand geglaubt, sondern unbedingt hin-
ter diesem eigenthümlichen Zufall eine Absicht vermuthet.
Nein, er mußte Zeit zu gewinnen suchen, davon sprechen,
daß vor dem definitiven Abschluß uoch einige Kleinig-
keiten zu erledigen seien, einige Formalitäten hervor-
suchen, vielleicht auch das eine oder andere Wort be-
anstanden, die Fassung eines Satzes, welche in Wien
Anstoß erregt habe und nicht deutlich genug gefunden
sei — kurz und gut- laviren, den staiu-- quo zu erhal-
ten und einen späteren Termin zur Unterzeichnung zu
erwirken suchen.
Ein solches Verfahren war nun aber gerade das,
was der französische Gesandte vorausgesagt und als
Beweis für die Perfidie des österreichischen Kabinets
aufgestellt hatte. Graf Monasterol, welcher den Kur-
fürsten im anstoßenden Kabiuet als Zeugen der Unter-
redung wußte, versäumte anch nicht, das Gesuchte in
den Einwendungen des Gesandten, das Kleinliche in
den Anständen auf das Schärfste hervorzuheben, welche
man in Wien beliebt hatte. Ja er ging noch einen
Schritt weiter. Im Vertrauen auf die Eröffnungen
des Marquis de Ricur, welche sich ja immer mehr als
wahr herausstellten, gab er in Allein, was Graf Schlick
auszusetzcn fand, nach, kam aber immer wieder auf die

Unterzeichnung des Vertrages zurück, so daß der un-
glückliche Gesandte endlich gezwungen Ivar, rund heraus
zu erklären, zum definitiven Abschluß heute noch nicht
ermächtigt zu sein.
Mehr brauchte cs nicht, nm den Kurfürsten zn über-
zeugen, daß man in der That von Wien ans ein fal-
sches Spiel mit ihm gespielt habe. Zur größten Ueber-
raschung deS Gesandten trat er plötzlich in den Kon-
ferenzsaal. In seinem Antlitz zuckte es seltsam, als er
mit drohendem Blick, aber mit lächelndem Munde zu
Graf Schlick sagte: „Man kommt Unseren Wünschen in
Wien zuvor, Excellenz. Auch Wir trugen Bedenken,
heute bereits abznschlicßen. Je näher der Augenblick
an Uns herantrat, in welchem Wir ans unser treues
Baycrnland verzichten sollten, desto schmerzlicher dünkte
lins ein solcher Verzicht. Trotzdem würde von Unserer
Seite der Tanschvertrag heute vollzogen sein — Wir
. bitten, Excellenz, dies ausdrücklich Seiner Kaiserlichen
Majestät zn berichten — wenn nicht das Wiener Ka-
binet ebenfalls neue Anstände erhoben hätte. Da über-
dies geschehen, treten auch Wir von den bisher fest-
gestellten Stipulationen zurück, ohne jedoch abgeneigt
zu sein, einen Allianzvertrag ans anderer Grundlage
abzuschließeu. Nur von einer Abtretung Bayerns soll
nicht mehr die Rede sein. Kaiserliche Majestät werden
dagegen in Uns stets einen treuen Bundesgenossen fin-
den, wenn Höchstdieselben zn Unserem Erblande
denjenigen Theil des spanischen Nachlasses lins zuspre-
chen würden, welcher zu Unserer Entschädigung vor-
gesehen war, nämlich die Krone beider Sicilien. Bei
der bekannten Gcrechtigkeitsliebe Unseres kaiserlichen
Schwiegervaters zweifeln wir nicht daran, daß Hoch-
derselbe Unserem Verlangen entsprechen wird, und bit-
ten Excellenz, in diesem Sinne nach Wien zn berichten."
Die Helle Ironie klang aus den Worten des Kur-
fürsten. Bayern und Neapel — das war ein Ver-
langen, von welchem Graf Schlick mir zu gut wußte,
daß es sein Kaiser niemals bewilligen würde. Der
Gesandte konnte daher in seiner Bestürzung keine an-
dere Entgegnung finden, als eine stumme, ehrfurchts-
volle Verbeugung. Mar Emanuel nickte den beiden
Diplomaten kurz zu uud verließ den Konferenzsaal.
Eine halbe Stunde später wurde Marquis de Ricur,
der Gesandte Ludwig's XIV., in das Kurfürstliche Ka-
binet beschiedeu.*)
18.
„Guten Morgen, Kamerad! Schon so fleißig?"
Franz Beich, der Schlachtenmaler, rief die Worte
zn dem Italiener Amigvui hinauf, welcher auf einem
hohen Gerüst im Vvrsaal des neuen Nesidenzschlosses
an einem Deckengemälde arbeitete.
Amigoni setzte sich, den Pinsel in der Hand, und
ließ die Beine über das Gerüst herabhäugeu. „Guten
Morgen, Signor Beich," nickte er dem Cvllegen zu,
„habt Ihr wohl geruht?"
„Kanu's nicht rühmen," lachte Beich, „ich bin die
ganze Nacht nicht in's Bett gekommen."
„OosxcNw! Ginq's beim Schloßwirth in Dachan so
lustig zu?"
„Lustig genug! Doch fuhr ich schon um zehn Uhr-
fort, wäre auch uoch zu guter Zeit nach Schleißheim
gekommen, wenn mir nicht unterwegs ein Abenteuer
zugestoßcn wäre."
„Hoffentlich ein interessantes. Gesteht es nur, oder
legen Euch zarte Rücksichten Schweigen auf?"
„Nein, beim Barte des Propheten! Einen Schwer-
verwundeten fand ich am Wege liegen."
„Usmonio!" Der Ausruf galt wohl weniger den
letzten Worten des Schlachtenmalers, als dem Pinsel,
welcher durch eine unwillkürliche Bewegung Amigoui's
Hand entglitt und'unmittelbar vor Beich's Füßen zur
Erde fiel.
„Ihr seid zu liebenswürdig, Signor Amigoni,"
lachte Beich, indem er einen Satz zur Seite machte.
„Emre Pinsel sind vortrefflich, aber ich bin zur Genüge
mit dieser Waare versehen."
„Entschuldigt meine Ungeschicklichkeit!" Amigoni
machte sich bereit, vom Gerüst hcrunterzuklettern und
den Pinsel wieder aufzuhebeu, aber Beich winkte ihm
ab. „Bleibt oben, Kamerad, ich will lieber zu Euch
heraufkommen. Beim Barte des Propheten, diese Un-
terhaltung pur äisMnse, wobei ich mir fast den Kopf
abdrcheu muß, um Euer werthes Antlitz zu sehen, ist
so wie so nicht nach meinem Geschmack. Droben auf
Eurem Gerüst wird sich'S gcmüthlicher plaudern."
Er hatte bei den Worten Amigoni's Pinsel auf-
gehoben und war die Leiter zu ihm hinanfgestiegen.
„Zn viele Ehre für mich," empfinb ihn der Italiener,
„aber am bequemsten seid Ihr hier oben auch nicht
gebettet. Doch nun weiter mit Eurem Abenteuer! Also
den barmherzigen Samariter mußtet Ihr spielen?"
*) Es ist historisch, daß die Unterzeichnung des Allianz- und Tausch-
vertrages uur deshalb nicht erfolgte, weil der kaiserliche Gesandte im
entscheidenden Augenblick ohne genügende Vollmacht war, und eben-
falls, daß Mar Emanuel, dadurch gereizt, die Verhandlungen durch
Aufstellung der oben erwähnten »xorbitauten Forderung abbrach und
sich jetzt Frankreich rückbaltslos in die Arme warf. Vrgl. C-v. Noorden,
Europäische Geschichte im 18. Jahrhundert, 1. Abth. 1. Vd. 3. Buch
2. Kap.
 
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