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458

Das Buch für Alle.

Liest 20.

Euch neulich ober eousin nannte, hieltet Ihr Euch die
-Ohren zu nnd hüpftet von einem Bein auf's andere
nnd heute, da ich Euch den Nun Sr. .Kurfürstlichen
Durchlaucht verliehenen Titel gebe —"
„O, warnin sagt Ihr nicht gleich, Fra»; Base, ich
sei ein weniges verrückt," unterbrach sie van Neuem
der Pfirsichfarbene. „Denn Eure wahre Hcrzensinei-
nnng ist das doch. Aber freilich, eben die darf inan
nicht aussprechen. Wenn man Jemanden für einen
Tölpel hält, ja sagt man nicht: Er ist ein Tölpel —
sondern vielmehr: Der Mann ist gar nicht ungeschickt,
durchaus nicht, aber zu manchen Geschäften fehlt ihm
die nvthige Gewandtheit. Ihr aber, die Ihr mich doch
für einen Narren haltet, sagt auch nicht: ,Jhr seid
ein Narr' — sondern nur: ,Jch verstehe Euch zu-
weilen nicht.' Meinen gehorsamsten Respekt, Fran
Vase, für diese liebenswürdige Milde."
Er wollte ihr bei den letzten Worten die Hand
küssen, aber die Dame wies ihn halb lachend und halb
erzürnt ab. „Laßt die Possen, Better," rief sie. „Wenn
Ihr es absolnt Haren wollt, so will ich es Euch in's
Gesicht sagen, daß Ihr Euch zuweilen wie ein Narr
gcberdet und daß nur Diejenigen, welche Euch genauer
kennen, überzeugt bleibe», daß Ihr Eure fünf gesunden
Sinne noch bei einander habt."
„Aber was hat denn alles das nur mit der fran-
zösischen Alliance zu thnn?" fragte der gravitätische
Herr mit der goldenen Schnupftabaksdose.
Der Pfirsichfarbene sprang ans den Fragenden zu
mit vorgestrecktem Zeigefinger, als »volle er ihn damit
durchbohren. „Ueberall herrscht Unnatur, alle unsere
Verhältnisse sind verschroben. Warnin? Weil wir vcr-
welscht sind. Deutsche Sitte ist verpönt, französisch
muß Alles sein. Kaum ein deutsches Wort hört man
noch. Attachiren, arriviren. carressiren, chagriniren,
conduircn, degontiren, refüsiren, dcbanchircn — so
schwirrt cs Einem fortwährend uni die -Ohren. Wie
ein Bedienter die Livree seines Herrn trägt, so trägen
»vir den französischen Nock, nnd wer den Franzmann
am besten nachäffen kann, der gilt am meisten. Ist es
denn nicht unerhört, daß sich Deutschland als Frank-
reichs Diener geberdet? Ist mir da neulich ein Buch
in die Hände gefallen mit trefflichen Sinngedichten,
Salomon von Golan*) nennt sich der Verfasser —"
„Sakra, nun führt er gar die Poeten noch in's
Gefecht. Bleibt wenigstens mit denen zu Haus und
laßt endlich den Bruder 'mal zu Wort kommen, da-
mit wir erfahren, welche Neuigkeiten er aus der Sitzung
mitgebracht hat. Denn dazu uud nicht um Euer Kauder-
welsch mit anzuhöreu, bin ich hiehcrgekommeu."
Mit diesen Worten trat sporenklirrend ein großer,
ernst dreinschauender -Offizier in der Jnterimsuniform
des Grenadierregiments Heydorn vom Fenster, an dem
er bisher im Gespräch mit zwei jungen Leuten gestan-
den halte, auf die Gruppe zu. Der kleine bewegliche
Mann im pfirsichfarbenen Rock klatschte in die Hände
und rief: „Bravo, Herr Kapitän! Das war offen und
ehrlich gesprochen. Militärische Geradheit! Das liebe
ich. Will auch sofort Parireu und stillschweigen, ganz
still, damit der Herr Hofkammerrath uns seine Neuig-
keiten mittheilen kann." Und indem er den Worten
die That folgen ließ, setzte er sich auf einen Stuhl,
aber so auf dessen äußerste Kante, daß er jeden Augen-
blick hcrunterzufallen drohte, um so mehr, als er keinen
Moment ruhig saß, sondern fortwährend mit seltsamen
Kapriolen hin- und herrutschte.
Der Herr Hofkammerrath Pliuganscr — denn dieser
war der gravitätische Herr mit der goldenen Schnupf-
tabaksdose — räusperte sich, ehe er begann: „Die Kriegs-
erklärung gegen Oesterreich ist also beschlossen, wohl-
gemerkt gegen -Oesterreich und nicht gegen das deutsche
Reich. Denn es liegt ja auf der Hand, daß das Reich
vom Kaiser genöthigt ist, an einein Kriege Theil zu
nehmen, welcher nur für die dynastischen Interessen des
Hauses Habsburg geführt wird. Ist cs denn nicht
für das deutsche Reich ganz glcichgiltig, ob ein öster-
reichischer Erzherzog die spanische Krone bekommt oder
nicht? Kann ein Reichsstand verpflichtet sein, für solche
Hansinteressen und Privataffairen dein Kaiser Beistand
zu leisten? Unser gnädigster Kurfürst beantwortet in
seinem in Rede stehenden Manifest diese Frage mit
Nein. Daher sei er bemüht gewesen, in Ausübung der
Pflicht sein Land zu konserviren, neutral zu bleiben
und habe mit den beiden Kreisen Schwaben und Franken
ein Association?- und Tefensions-Bündniß geschlossen,
um dem südlichen Deutschland bei dem ausbrcchenden
Weltkriege den Frieden zu erhalten. Es wird dann
erzählt, wie -Oesterreich ein solches Bündnis; nicht habe
dulden wollen, sondern zur Sprengung desselben Trup-
pe»; nach Schwaben geschickt habe, wodurch der Kur-
fürst gezwungen worden sei, wie wir ja Alle wissen,
sich der Reichsfestnngen Ulm und Memmingen zu be-

*) Unter dies m Pseudonym gab der schlesisckc Dichter v. Logan
seine meisterhaften Epigramme heraus. Eines derselben lautet:
„Diener tragen insgemein ihrer Herren Liverei:
vsolgt darane-, das; Frankreich Herr, aber Deutschland Diener sei?
Freies Tenischland schäme Dich dieser schnöden Kriecherei." —
Die.es Gedicht scheint dem Herrn Sekretär vorzuschweben.

mächtigen. Mit Unrecht sei dies als Friedcnsbruch
aufgefaßt und der Kurfürst deshalb in die Acht erklärt,
denn er habe den Schritt nur unternommen, nm ob-
bemeldetes Defcnsionsbündniß zn schützen. Dazu be-
rechtige ihn aber ohne Frage daS westphälische Friedens-
instrnmcnt, in welchem ein Artikel jedem Kreis des
deutschen Reiches das Recht zuspricht, mit anderen
Kreisen sich zn verbinden, und somit auch die Pflicht,
im Falle eines Angriffs diese Verbindung zu verthei-
digeu. Oesterreich sei daher der angreifeude Theil,
welcher darauf ausgehe, Bayern zu unterdrücken nnd
dessen Fürstenhaus zn vertreiben, ein deutsches Fürsten-
haus, dem es mehr als einmal seine Erhaltung zn
verdanken gehabt habe."
Der Hofkammerrath schwieg und eine stumme Pause
folgte seinem Bericht von dem wichtigen Manifest, in
welchem Kurfürst Mar Emanuel den — wie »vir wissen,
— schon, im vorigen Sommer beschlossenen nnd im
September durch die Besetzung Ulms und Memmingens
eingeleiteten Bruch mit -Oesterreich und Anschluß an
Frankreich vor den europäischen Kabinetten und seinem
Volke zu rechtfertigen suchte. Das Gefühl, welcher
ernsten Zeit man entgegenging, ließ Jeden in nachdenk-
liches Schweigen versinken. Aber dieses wurde Plötzlich
durch das laute Gelächter eines der an» Fenster stehen-
den Jünglinge unterbrochen. Der Better im Pfirsich-
farbenen 'Rock sprang in die Höhe, warf dem Lachendem
einen »vüthenden Blick zn und rannte ohne ein Wort
des Abschieds aus der Thür.
„Was war denn das, Neffe Xaver?" fragte der
Hofkammerrath mit würdevollem Stinruuzelu.
„Verzeiht meine Ungeschicklichkeit, lieber -Oheim,"
entschuldigte sich Vvrtretend Xaver Mciudl, „aber es
war mir unmöglich, das Lachen länger zurückznhälten.
Ihr seid mehr an die sonderbaren Manieren des
Herr»; Sekretärs Lehmus gewöhnt als wie ich, auf
den sie einen nnwiderstehlich komischen Reiz ans-
üben. Und wie es Einem »vohl geht, daß man eben
dann, wenn man ganz genau fühlt, wie unpassend es
sei, jetzt zn lachen, am wenigste»; dm Lachreiz unter-
drücke»; kann, so ging es auch mir. Ich mußte über
de»; närrischen Kauz lachen und hätte es meinen Hals
gekostet."
„Gott sei Dank, daß er sich ans den; Staub ge-
macht hat," rief der Hauptmann Plingauser. „Ich
kann den Burschen nicht ausstehen. Sakra! Wenn ich
ihn sehe, juckt's mich in allen Fingern, ihn links und i
rechts zu maulschelliren. Kein vernünftiges Wort kann
man in des Patrons Gegenwart sprechen.
Uebcr des Hofkammcrraths Gesicht zog ei»; gnt-
müthigcs Lächeln. „Laß' mir den Vetter Lehmus in
Ruhe, Bruder Moritz, kuriose Manieren hat er zwar,
aber au koml ist er ein braver und kenntnißreichcr
Mann, ja man' kann ihn einen Gelehrten nennen. —
Das laß' auch Du Dir gesagt sein, Ncveu" — fuhr-
en zu Xaver gewandt fort — „nnd denke daran, wem;
seine Kapriolen Dich einmal wieder zum Lache»; reizen
sollten."
„Mich hat's gefreut, Dich lachen zu hören" — mit
den Worte»; winkte die Matrone auf den; Kanapee
Xaver zu sich Hera»; — „deshalb will ich auch Deine
Entschuldigung beim Vetter Lehmus übernehmen. Nach
Deiner Mutter Bericht mußte man ja glauben, Du
hättest das Lache»; ganz verlernt, Dank der Gebenedeiten
ist das doch nicht der Fall."
Sie nickte Xaver freundlich zu und ihre Weiße »vohl-
konservirte Hand drückte herzhaft die Rechte des junge»;
Mannes.
„Ist nichts Neues von der Armee gekommen?"
fragte Hauptmann Plingauser seinen Bruder.
„Von der Armee nichts, aber über die Armee
genng. Kurfürstliche Durchlaucht habe»; befohlen, daß
sie auf dreißigtausend Mann gebracht werde, alle Re-
gimenter solle»; kompletirt, ferner noch zwei neue Re-
gimenter Infanterie und ein Regiment Dragoner for-
»nirt werden. Die Franzosen habe»; bei Straßburg
eine formidable Armee unter Marschall Villars zu-
sammengezogen, circa fünfzig Bataillone Infanterie
mit über sechzig Schwadronen Reiter und fünfzig Ge-
schützen. Die ist zu unserer Unterstützung bestimmt.
Ich kann Dir diese genauen Details, welche übrigens
in wenige»; Tage»; das ganze Land wisse»; wird, heute
schon geben, weil ich das Schreibe»; zu koncipireu hatte,
in welchen; Kurfürstliche Durchlaucht die bevorstehende
Ankunft obbemeldeter französischer Truppe»; dem Landes-
ausschuß anzeigt und zugleich befiehlt, daß alle streit-
baren Männer in Bayer»; ausgeschrieben und die Alters-
klasse vom zwanzigste»; bis zum fünfundzwanzigsten
Jahre sofort eingereiht werden soll."
„Vater, dann gehe ich auch mit," rief Plinganser's
Sohn, der andere der jungen Männer, welche vorhin
mit den; Hauptmann in der Fensternische gestanden
hatten.
„Die kurfürstlichen Beamte»; sind selbstverständlich
ausgenommen," sagte der Hoskammerrath gelassen. „Du
wirst daher ruhig in Deiner Kanzlei bleibe»;, auch hiister
dcm Schreibpnlt kannst Du Deinem Fürste»; mit Nutze»;
dienen."

„Wie? Di; willst in einer solchen Zeit daS junge,
frische Blut znrückhalten, nm es in der Schreibstube
versauern zn lasse»;?" fragte der Hauptmann erregt.
„Hast Du ihm nicht selbst zur Schreibstube gc-
rathen, als er vor einem Jahre durchaus Soldat werden
wollte?" fragte der Rath zurück, ohne sich in seiner-
gelassene»; Rnhc störe»; zn lassen. „Hast Du ihn nicht
selbst auf Deine grauen Haare hingewiesen nnd ihn;
erzählt, daß Du trotz Deiner fünf Campagne»» nnd
dreißig Dienstjahre immer noch Hauptmann seiest nnd
»vohl auch ewig bleibe»; würdest, »veil jeder unerfahrene
junge Eavalier Dir vorgezogcn werde, nur »veil er von
Adel sei —"
„Das sagte ich damals, als er eintreten wollte, nm
Carriörc zu machen," fiel der Hauptmaun ein. „Aber
heute, wo eS gilt, Fürst nnd Vaterland zu Vertheidigen,
spreche ich anders, da sage ich, daß Du ihn nicht vom
Feld der Ehre zurückhalte»; darfst, wenn es auch Dein
einziger Sohn ist. Für's Vaterland zu sterben, ist
Keiner zn gut."
Der Hoskammerrath erhob sich nnd sagte feierlich:
„Wenn es so weit ist, dann werde ich ihm selbst die
Muskete in die Hand drücken nnd ihn; heißen, Leib
und Lebe»; für sei»; Vaterland cinzusetzcn, trotzdem cs
mein einziger Sohn ist!"
„Und dann wirst Du mich an Deiner Seite finden,"
rief Xaver, mit leuchtenden; Auge dem junge»; Plin-
ganser die Hand schüttelnd.
Bestürzt sah die Matrone von Einem zum Andern.
„Aber mein Gott, das sind ja schreckliche Aussichten,"
rief sie nnd die Thränen träte»; ihr bei den Worte»;
in die Angen.
Da öffnete sich die Thürc, ein rosiges Mädchen-
antlitz, dem das kokette Münchener Riegelhünbche»; rei-
zend stand, schaute herein nnd rief:
„Die Suppe steht auf dein Tisch,
Es dampfe» Brate» uud Fisch.
Herein, Ihr liebe» Leut', herein!
Sollt Alle eingeladen sei»»."
„Die nächste»; Aussichten sind jedenfalls vortreff-
lich, Frau Schwester," meinte der Hauptmann launig,
indem er seiner Schwägerin galant de»; 'Ar»»; bot, nm
sie zu Tisch zu führen.
4.
Das rosige Mädchenantlitz mit den; kokette»; Riegel-
hünbchen saß bei»»» Diner — den»; nicht anders durfte im
Hanse des kurfürstliche»; Hoskammerrath Plinganser
das Mittagessen genannt werden, trotzdem es ans gut
bayrisch mit Knödelsuppe begann, mit Dampfnudeln
endete und seine»; Höhepunkt in bayrisch Kraut mit
Entenbraten fand das rosige Mädchenantlitz also
saß zwischen dem jungen Plingauser nnd unserem Freunde
Xaver. Marianne — wie sic von ihren; Vater, dein
Hoskammerrath gerufen wurde — oder „'s Annele",
wie Blutter und Bruder sie nannten, war so recht, was
»na»; „blitzsauber" nennt, Alles war rund an ihr, an
ihrer Figur war keine eckige Linie zn entdecken, nnd
eine angeborene Amnnth gab auch allen ihren Bewe-
gungen etwas Abgerundetes; aus ihre»; runde»; blaue»;
Kinderaugei; lachte Lebenslust und Munterkeit und das
runde Stumpfnäschen mit den; kleinen Munde darunter,
dessen volle Lippen sich höchst selten in; Stadium der
Ruhe befanden, verrieth viel Schelmerei. Ihr Bruder-
Georg behauptete von ihr, daß sie nie ans den; Lache»;
herauskommc — das war mm zwar übertrieben, aber
ihre Erscheinung, ihr ganzes Wesen schien unwillkürlich
den; Gedanke»; Ausdruck zu geben: „Was ist es doch
für ein Vergnügen, auf der Welt zu sein."
Ihre Munterkeit hatte übrigens etwas Ansteckendes.
Ihre beide»; Nachbarn hatten sich mit mehr oder weni-
ger ernsten Gesichtern zur Suppe uicdergesetzt, Georg
Plingauser war verdrießlich darüber, daß der Vater
ihm wiederum seinen Lieblingswunsch abgeschlagen hatte,
Soldat zu werden, oder wenigstens dessen Erfüllung
in weite Ferne hinausgerückt hatte, und bei Xaver »var-
längst wieder die lachlustige Stimmung, deren unbe-
wußte Ursache der Sekretär Lehmus gewesen, seiner
gewohnte»; Melancholie gewichen. Jedoch 's Annele
ließ Beiden nicht viel Zeit, solchem Gedanke»; nachzu-
hängen, Xaver mußte ihr genau berichten, warum der
Better Lehmus so schnell fortgestürzt sei, trotzdem er-
gänz wohl gewußt, daß ihn; heute sei»; Lcibcsscn, Dampf-
nudeln mit Banillesauce zugedacht gewesen.
„Sei»; Leibessen ist's übrigens nur, wenn Du sic
gemacht hast." warf Georg Plingauser ein.
„Welche Idee!" wehrte 's Ännele ab. „Ich bitte
Dich, Xaver, glaub' dem schlechte»; Mensche»; nicht."
„Und ich bitte Dich, Vetter," fuhr Georg fort,
„überzeugt zu sein, daß der Herr Sekretär nur des
Annele's Wege»; unser Haus besucht. Wir werden
nächstens eine Frau Sekretärin haben."
's Annele lachte hell auf. „Freilich werde»» Wie-
das, aber keine Fran Fundatious-Güter-Expeditions-
Sekrctüriu, sonder»; eine Fran Rcvisivns-Kanzlei-Se-
kretärin, wird auch »steht verehelichte Lehmus uud ge-
borene Plingauser heißen, sonder»; verehelichte Plinganser
nnd geborene —"
 
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