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530
zu. Aus dem prächtigen Schiff der Kirche mit dem
wunderbar kühnen Deckengemälde drangen die verhallen-
den Töne der Orgel und des Kirchenchors, in welche
sich ernste Posaunenklänge mischten, den Gehenden nach
— es Mar heute das feierliche Todtennmt für die
Krieger gehalten worden, welche ans dem unglücklichen
Zuge in's Tiroler Land geblieben waren.
Während die Meisten der Andächtigen ihre Schritte
beschleunigten, nm noch vor Ausbruch des Gewitters
das schützende Dach des Hauses zn erreichen, wandelte
eine Gruppe langsam und bedächtig die Straße hinauf.
Boran schritt eine Matrone in tiefer Trauer, welche
dann und wann das Tuch an die Augen führte; an
ihrer Linken ging ein älterer Herr, ebenfalls in Trauer,
bis hinab auf die schwarzseidenen Strümpfe, er trug
den Hut unter dem linken Arm und hielt in der
Rechten ein großes Bambusrohr mit goldenem Knopf.
Das von der gravitätischen Allongepcrrücke umwallte
Gesicht zeigte eine tiefe Gemüthsbcwcgung; ein großer,
aber gehaltener Schmerz sprach aus den ernsten Augen
und dem fest geschlossenen Munde.
Einen ganz anderen Anblick gewährte der Herr,
welcher an der rechten Seite der Matrone ging. Häufig
führte er das Taschentuch an die Augen, dann ballte
er es wieder zornig in der Rechten zusammen und stöhnte
laut auf. Dabei verzog er sein Gesicht zn so sonder-
baren Grimassen, daß er trotz des Seelenschmcrzes,
welchen er offenbar empfand, in einem Dritten eher
Lachen als Bedauern erregen mußte. Auch sein Gang
war seltsam; zuweilen eilte er mit wenigen großen
Schritten voraus, blieb dann wiederum stehen und
trippelte darauf wieder neben der Dame her, seine kleinen
Beinchen in so merkwürdiger Weise über einander wer-
fend, daß man jeden Augenblick-erwarten mußte, ihn
über seine eigenen Füße stolpern zu sehen.
Diesen drei voranschreitenden Personen, in welchen
der gütige Leser wohl schon den Hofkammerrath Plin-
ganser mit seiner Fran und den Sekretär Lehmus er-
kannt haben wird, folgte, ebenfalls von zwei Herren
begleitet , ein junges Mädchen, dessen freundliche blaue
Angen zwar Thränenspureu verriethen, dessen Gesicht
aber im klebrigen viel zu hübsch und rund war, um
einen traurigen Ausdruck sesthalten zu können. Auch
waren die vollen Lippen des kleinen Mundes schon
wieder in voller Thätigkeit, und als wollte 's Anuele
sich für das lange Schweigen entschädigen, welches ihr das
Todtenamt auferlegt hatte, sprach sie eifrig — wenn
auch nur flüsternd — mit ihren beiden Begleitern,
Xaver Meindl und Georg Plinganser.
Die Gesellschaft hatte den „schönen Thurm" Passirt
und machte jetzt vor dem Hause des Sekretärs Lehmus
Halt. „Tröst' Euch Gott, Herr Vetter, und Euch, Frau
Base," schluchzte der kleine Mann, „tröst' Euch Gott!
Wir haben viel verloren. O, er war ein Held, unser
Kapitän Plinganser, ein tapferer Held, ein ganzer
Mann. Fluch dem Franzosenfreundc Heydom, der ihn
in den Tod gejagt hat!"
Er ballte zornig das Tuch in der Rechten zusammen
und hob die Hand drohend gen Himmel. Dann sprang
er plötzlich auf die Gruppe der jungen Leute zu.
„Haltet sein Andenken in Ehren, Ihr beiden Bursche,"
schrie er Xaver und Georg an, „und liebt Euer Vater-
land wie er!"
Trotz der barocken Einkleidung verfehlten die Worte
doch ihre Wirkung nicht, wenigstens nicht auf Georg
Plinganser. „Er soll mein Vorbild sein, ich verspreche
es Dir, Onkel," sagte der junge Mann mit tiefer,
zitternder Stimme und einem ernsten Händedruck. Nicht
so Xaver! Als habe er Lehmus' Worte gar nicht ge-
hört, schaute er in die vorüberfluthcnde Menge der
Kirchgänger und zwar mit einem so seltsam verstörten
Ausdruck, daß 's Anncle ihn verwundert betrachtete.
„Was ist Dir, Vetter?" fragte das junge Mädchen, die
Hand auf seinen Arm legend, als Lehmus im Haus
verschwunden war und man sich zum Wcitergehcn an-
schickte. „Was ist Dir? Du siehst ja ans, als sei ein
Geist an Dir vorübergeschwebt."
Xaver wandte sich mit einer heftigen Bewegung um.
„Es ist auch Wohl so etwas gewesen," murmelte er,
„oder eine Sinnestäuschung, eine zufällige Aehnlichkeit.
Wie sollte sie hieher kommen? Sic ist ja in Ingolstadt."
„Welche ,sie'?" fragte 's Annele schalkhaft.
Xaver faßte hastig ihre Hand. „Frag' mich nicht
danach, liebes Bäsle," bat er, „ich will und kann Dir
nicht darauf antworten. Ich muß die Erinnerung er-
tödten. Zu ernst ist die Zeit, um dem eigenen Schmerz
zu leben, das Vaterland will Männer und ganze
Männer."
Georg hatte die letzten Worte gehört. Er nickte
stumm und trat mit einem großen Schritt neben seinen
Vater. „Ist jetzt die Zeit gekommen?" fragte er.
„Ich will Dir zu Haus antworten," erwiederte der
Hofkammerrath kurz. —
Heulend fuhr der dem Gewitter vorangehende Sturm
durch die Straßen und trieb auf dem Marienplatze
mächtige Staubwolken wirbelnd in die Höhe, schon
mahnten einzelne große Regentropfen zur schnellen
Heimkehr.

Das Buch für Alle.
Schweigend erreichte man das Hans. „Komm' mit
auf mein Zimmer," wandte sich der Rath zu seinem
Sohu. Als Beide dort allein waren, zog er ein zu-
sammengefaltetes Papier aus der Rocktasche und reichte
es Georg. „Dieses Rescript ist heute Morgen bei der
Hofkämmer eingegangen," sagte er. „Es hat meinen
Entschluß zur Reife gebracht."
Georg's Augen flogen über das Papier. Was er
las, war der Aufruf des Kurfürsten an sein Volk vom
20. Anglist, in welchem Alles, was Waffen tragen
konnte, zn den Waffen gernfcn wurde.
„Run?" fragte Georg leuchtenden Blickes.
„Die Zeit ist da, ich halte Dich nicht mehr, nein,
mein Sohu, ich selbst sage Diri kämpfe und, wenn's
nöthig ist, stirb für Dein Vaterland."
Tiefbewegt warf sich Georg an die Brnst seines
Vaters, der ihn schweigend an sich drückte.
-t- -i-
DaS Gewitter war über München niedergegangen.
Jetzt sielen nur noch einzelne Regentropfen, der Donner
verhallte dumpf grollend in weiter Ferne, am Horizont
blitzte es zuweilen noch wetterleuchtend auf.
In deili fahlen Licht halber Dämmerung, wie es
solchen Svmmerabenden eigen zu sein Pflegt, an denen
sich das Gestirn des Tages vorzeitig hinter einen grauen
Wolkcnschleier zurückgezogen hat, wandelte Xaver Meindl
vom Plinganser'schen Hause nach dem unfern gelegenen
Büchclbrüu, wo er sein Gefährt eingestellt hatte. Ganz
in seine Gedanken versunken, achtete er nicht auf seine
Umgebung — da drang Plötzlich wie ein leichter Hauch
der Ton einer weiblichen Stimme all sein Ohr: „Xaver."
Er sah auf — kaum erstaunt — so lebhaft hatte
sich seine Phantasie mit der Besitzerin dieser Stimme
beschäftigt, daß es ihn nicht überraschen konnte, sie jetzt
in Wirklichkeit zu hören.
Aus einem dichten Kreppschleier, welcher fast das
ganze Gesicht verdeckte und verhüllend auf die schlanke
Gestalt niederfiel, blitzten ihn zwei feurige, dunkle
Augen an. „Ihr hier, Baronin?" fragte er kalt.
„Ich glaubte Euch in Ingolstadt bei Eurer fürstlichen
Herrin."
„Bei meiner Herrin?" lachte Josephine bitter. „Die
Kursürstin mag keine Tochter eines Enthaupteten nm
sich sehen. Findet Ihr das nicht ganz natürlich? Sie
hat mich fortgeschickt, fort in die weite feindliche Welt,
in der ich keinen Vater, keinen Bruder mehr habe. O,
hätte sie mich doch lieber aus der Welt geschickt."
„Ihr habt noch Euren Bräutigam, Baroniu, Eugen
v. Sandhorst wird Euch eine feste Stütze sein."
Sie Preßte leidenschaftlich seine Hand. „Das war
nicht edel, daran jetzt zu rühren. Weißt Du denn,
welche Kämpfe — leider Gottes vergebliche Kämpfe! —
weißt Du, wie viel Thränen mich diese unglückselige
Verlobung gekostet hat?!"
„Wahrscheinlich ebenso viel wie die Kugel, welche
den lästigen Mitwisser des Geheimnisses hinsichtlich
einer gewissen Vollmacht aus der Welt schaffen sollte."
„Heilige Jungfrau, was war das? Wie, Xaver,
Du kannst glauben —"
„Daß der Mund eines Todten nichts mehr ver-
rathen kann und daß man deshalb Leute, deren Ver-
rath schaden könnte, lieber unter den Todten als unter
den Lebenden sieht."
„Jesus und Maria, auch das noch!" — Es war,
als ob sich ein lauter Aufschrei über ihre Lippen drän-
gen wollte und sie ihn nur mit heroischer Kraft zurück-
zwingen könnte. — „Jetzt verstehe ich Dein Benehmen,"
fuhr sie tonlos fort, „wenn der Verdacht zwischen uns
steht, begreife ich Deine eisige Kälte, Deinen verletzenden
Hohn. Aber ich appellire an Dein Gerechtigkeitsgefühl.
Du wärest nicht Du, nicht der Mann mit dem unbe-
siegbaren Sinn für Wahrheit und Recht, wenn Du mich
nngchört verdammen wolltest. Sieh, als ich Dich vor-
hin erblickte, nachdem auch ich tief verhüllt unter den
Tausenden, welche für ihre gefallenen Lieben beteten,
zur Jungfrau mein Gebet emporgeschickt hatte für die
Beiden, welche einst der Schutz meines Lebens waren,
als ich, die Heimathlose, die Verstoßene, Dich da er-
blickte im Kreise der Deinen, da faßte mich eine un-
widerstehliche Sehnsucht, noch einmal Deine liebe Stimme
zu hören, noch einmal Dir tief in's Ange zu schauen,
ehe der Schleier der Nonne für immer mir verhüllt,
was das Leben an irdischer Lust bieten mag. Ich folgte
Dir von Weitem nach dem Hause dort, ich wartete ans
der Straße, bis Du wieder herauskommen würdest. O,
einen solchen Empfang hatte ich nicht erwartet, wenn
ich mir auch meiner Schuld gegen Dich bewußt war.
Aber ich hoffte, Dein Mitleid würde stärker sein als
der Wunsch, Dich zn rächen. Jetzt freilich hoffe ich
das nicht mehr, jetzt, da ich weiß, welcher Verdacht
Dein Gefühl vergiftet. Trotzdem lasse ich Dich auch
jetzt nicht, Du mußt mich hören, mit wenigen Abschieds-
worten ist es jetzt nicht mehr gethau, führe mich wohin
Du willst, aber laß Dir sagen, daß niemals eine An-
klage so grundlos erhoben ist, als wie die Deinige."
Eine warnende Stimme sprach in Xaver: „Glaube
ihr nicht! Traue ihr nicht, die Dich schon einmal be-
trogen!" Aber der bestrickende Zauber, welchen Jose-

Lskst 23.
phiucns Persönlichkeit auf ihn anSnbte, umfing seine
Sinne mit alter unwiderstehlicher Gewalt. Er mußte
ihr doch auch Gerechtigkeit widerfahren lassen und, nach-
dem er einmal den beleidigenden Verdacht gegen sie
und ihren todten Vater ausgesprochen hatte, ihr Ge-
legenheit geben, sich von demselben zu reinigen. Aber
hier konnte er diese seltsame Unterredung nicht fort-
setzen, schon begann er mit Josephine anfznfallen, schon
maßen die Vorübergehenden das Paar mit ironischen
Blicken. Wohin aber sollte er sich wenden? „Laßt
uns die Straße langsam hiuuntergehen," sagte er nach
kurzem Zögern und weit weniger abweisend als bisher,
„so können wir am besten besprechen, was uns zu ver-
handeln obliegt."
Wie selbstverständlich nahm sie seinen Arm und
hing sich fest an ihn. „Ein Jahr liegt zwischen un-
serem letzten Zusammensein und heute," sagte sie, indem
sie dem Thor zuschritten, „o, könnte ich Worte finden,
mn zu beschreiben, was ich in diesem Jahre gelitten
habe. Das Schwerste freilich war das letzte, des
Bruders Tod, des Vaters gräßliches Schicksal und jetzt
noch Deine Kälte, Dein entsetzlicher Verdacht. Du sagtest
eiust, daß Du mich liebtest, Xaver, wie ist es denn nur
möglich, einen solchen Verdacht gegen Jemanden zu
hegen, den man liebt?"
„Nie hätte sich dieser Verdacht in meiner Seele ein-
genistet, wenn Dein Schweigen, Dein unbegreifliches
Schweigen mir nicht als Beweis dafür gegolten hätte.
Aber die vollständige Gleichgiltigkeit, welche dies Schwei-
gen verrieth, Deine absolute Theilnahmlosigkeit belehr-
ten mich, daß ich Dir nichts war als ein Spielzeug,
werth sortgeworfen zu werden, wenn man seiner über-
drüssig geworden ist. Und nachdem mir dies klar ge-
worden, war es nur noch e i u Schritt zu dem Verdacht,
daß Dein Vater gefürchtet, dieses weggeworfcne Spiel-
zeug könne doch noch gefährlich werden, und deshalb —"
„O vollende nicht die entsetzliche Anklage gegen den
Todten," unterbrach ihn Josephine flehend, „ich schwöre
Dir, sie ist unbegründet. Und ebenso unbegründet sind
die Vorwürfe, welche Du mir über mein Schweigen
machst. Hätte ich gekonnt, Xaver, ich selbst wäre an
Dein Schmerzenslager geeilt und Hütte es keine Stunde
wieder verlassen. Aber ich konnte ja nicht, mich
hielten tausend Bande, der Wille meiner Fürstin, die
Vornrtheile meiner Umgebung, der Starrsinn des Vaters,
endlich und nicht am wenigsten die argwöhnische Eifer-
sucht Eugen's, dessen Werbungen Vater und Bruder be-
günstigten. Aber konnte ich auch nicht zu Dir eilen,
konnte ich auch nicht — beobachtet von allen Seiten
wie ich war — nicht einmal Dir schriftlich sagen, was
ich fühlte, vergessen habe ich Dich deshalb keinen Augen-
blick, stets blieb mein Herz Dir trcn. Sechs Monate
leistete ich Widerstand dem Drängen meiner Ange-
hörigen, dem Wunsche meiner Fürstin, und ich hätte
noch länger Widerstand geleistet, wenn mir auch nur
die geringste Ermunterung von Dir zugekommen wäre.
Aber allein und verlassen wie ich war, gab ich endlich
nach, ich reichte Eugen meine Hand, aber ich sagte ihm
dabei, daß ich ihm nur meine Hand schenken könnte,
nicht mein Herz, welches niemals aufhören würde, einen
Anderen zn lieben."
„Schlange! Falsche lügnerische Schlange," rief
Xaver mit so gellendem Lachen, daß sie erschrocken den
Arm ans den: scinigen zog und unwillkürlich einen
Schritt von ihm zurück trat. Bei den letzten Worten
war es wie ein Blitz vor Xaver niedergesahren. Er
hatte Eugen seiner Schwester jene Verlobungsscene im
Grottenhof der kurfürstlichen Residenz schildern hören,
so ganz anders, als sic jetzt Josephine darzustellen suchte,
und in einer Weise schildern hören, welcher der unver-
kennbare Stempel der Wahrheit aufgedrückt war. Auch
das tauchte in Xaver's Erinnerung jetzt wieder auf,
daß Eugen erzählt, wie Josephine die Königin aller
Feste des Winters gewesen sei, wie angelegentlich der
französische Gesandte, von der Kurfürstin und dem alten
Heydom unterstützt, sich um sie beworben, und wie stolz
er, Engen, darauf sei, diesem elegantesten aller Cava-
liere des Hofes den Rang abgelaufen zn haben. Daß
Xaver von alledem nichts wisse, darauf glaubte Josephine
speknliren zn dürfen, aber — Gott sei Dank! — er
wußte davon und war so im Stande, ihr Lügengewebe
zu erkennen.
Mit einer spöttischen Verbeugung trat auch er jetzt
einen Schritt zurück und indem er den Hut lüstete,
sagte er: „Es ist zwar eine große Ehre für mich, Ba-
ronin, daß Ihr Euch meinetwegen die Mühe gebt, so
amnnthende Märchen zu erfinden, auch muß ich Eure
schaffensfreudige Phantasie in hohen, Grade bewundern,
aber trotzdem bin ich jetzt gezwungen, mich Euch zu
empfehlen. Mein Wagen wartet und der Weg nach
Schleißheim ist weit."
Er wandte sich kurz ab und ging mit hastigen Schritten
davon, als fürchte er, daß sie ihm nacheilen, daß sie
ihn doch noch verstricken könne in ihre zauberischen
Netze, Unnöthige Furcht! Unbeweglich stand sie da,
starren Blickes, die Hände krampfhast in einander "ver-
schlungen, nur der heftig wogende Busen verrieth, daß
sie noch lebte und welche Leidenschaft in ihr noch tobte.
 
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