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allerdings nicht vermuthet, denn ähnlich sehen sich die
beiden Geschwister nicht."
„Sie sind es auch nicht, wenigstens in nicht mehr
als einem Punkte. Das ist der'Hochmuth, der den
Heydorns angeboren ist. Josephine freilich als die bei
Weitem Klügere weiß ihn besser zu verbergen als Mar,
dessen Gesichtskreis außerordentlich beschränkt ist. Trotz-
dem hat sich Eugen ihn zum Frennde ausgesucht —
warum? mag die heilige Jungfrau wissen. Ja er
läßt sich sogar von dem geckenhaften Menschen beherr-
schen und kennt kein höheres Streben, als demselben
möglichst ähnlich zu werden."
Xaver schüttelte den Kopf. „Wer hätte das früher
von Eugen gedacht?" meinte er. „Unselbstständig er-
schien er nur nie, auch nicht leicht zu beeinflussen, und
wenn überhaupt, doch nur edlem Einfluß zugänglich.
Sollte nicht hinter dem jungen Heydom noch Jemand
Anderes stehen?"
„Ihr meint die Schwester?"
„Ja," erwiederte Xaver, indem er Franziska ansah,
wobei er jedoch nicht verhindern konnte, daß wiederum
eine verdächtige Rothe über sein Gesicht flog.
Das junge Mädchen wiegte lächelnd den schönen
Kopf, indem sie sagte: „Auch ich habe schon manchmal
denselben Gedanken gehabt und da ihn jetzt Jemand
ansspricht, welcher—" sie hielt inne und sah mit einem
schelmischen Blick zu Xaver hinüber.
„Welcher selbst ein Sklave der schönen Zauberin
ist," vollendete dieser. „Sprecht es ruhig aus, cs ist
ja nur zu währ. Hat mich ihr Bild denn nicht bis
in Ingolstadts düstere Mauern begleitet und leuchteten
mir nicht selbst aus Institutionen und Pandekten ihre
wonnercichen Angen entgegen? O, Euch gegenüber darf
ich ja von dem sprechen, was ein Jahr lang verschwiegen
in meiner Brust gelegen, wäret Ihr mir doch stets wie
eine Schwester, Franziska. In jenen Wochen, ehe ich
fortging, als Josephine hier bei Euch war, als wir vier,
Ihr beiden Geschwister und sic und ich, in harmloser
Ungebundenheit die köstlichsten Tage mit einander ver-
lebten, in jenen seligen Wochen ist eine glühende
Leidenschaft in meine Seele gezogen, eine heiße ver-
zehrende Gluth, die mein ganzes Sein mit dämonischer
Kraft erfaßt hat."
Er athmete tief auf und seine flammenden Augen
flogen zu dem Balkon des alten Schlosses empor. „Dort
war es," fuhr er leiser fort, „dort auf dem Balkon
faßte ich am Abende vor dem Abschiede ihre Hand und
gestand ihr, daß das Glück dieser Tage unvergeßlich in
meiner Seele leben würde. — Much in der meinigen/
hauchte sic und ich fühlte den sanften Gegendruck ihrer
Rechten. Dann war sie verschwunden, ehe ich sie zurück-
halten konnte, ich wollte ihr nach, aber statt ihrer stieß
ich im Balkonzimmer auf Eugen. Der günstige Augen-
blick war vorüber, doch wie ein herrliches Pfand be-
wahre ich seitdem ihre Worte in meinem Herzen, als
ein köstliches Unterpfand einer holden Zukunft."
„Armer Freund," sagte Franziska leise.
„Arm?" wiederholte er aufspringend in überwal-
lender Leidenschaft. „O, nennt mich nicht so! Jene
Minute hat mich nicht getäuscht; ist der Weg auch weit
und ist er auch mühevoll, besäet mit Steinen und Dor-
nen, an seinem Ende wartet meiner die Geliebte. Un-
ermüdlich will ich arbeiten, kein Hinderniß soll mir zu
groß sein, bis ich sie errungen habe. Schon in diesem
einen Jähre habe ich mich durch rastlosen Fleiß zum
Ersten unter den Kommilitonen cmporgeschwungen, noch
ein Jahr — und ich werde Promoviren können und
Doktor beider Rechte sein. Dann —" er unterbrach
sich, von der Landstraße klang Hufschlag und das Rollen
eines Wagens herüber, gleich darauf bog ein Vorreiter
in der himmelblauen Hoflivree in das Parkthor ein,
dem eine vierspännige Karosse folgte. „Das ist Josephine!"
rief Franziska dem jungen Manne zu und eilte nach
dem Portal.
Sie hatte sich nicht getäuscht; als der Diener den
Schlag aufgerissen, sprang mehr als stieg aus dem
Wagen eine junge Dame, welche Franziska alsbald in
die Arme schloß und auf beide Wangen küßte. ,.üo
vcms embrasse <!o tour man ooeur, vüerie," rief sic,
„die erste freie Stunde gehört Dir, welche mir meine
Durchlauchtigste Gebieterin geschenkt hat." Und sich
dann zu den beiden Kavalieren umwendend, welche ihr
aus der Karosse gefolgt waren, fuhr sie fort: „Das
ist mein Bruder, der kurfürstliche Lieutenant Baron
Mar v. Heydom, welchen ich mitgebracht habe, damit
er des Glücks theilhaftig werde, Dir die Hand zu küssen,
den andern Herrn erinnerfl Du Dich vielleicht früher
schon gesehen zu haben —"
„Nur allzuoft," lachte Eugen v. Sandhorst, der
eine der beiden Cavaliere, während der junge Heydom
lispelte: „Glaubt meiner Schwester nicht, Baronin,
wenn sie davon säbelt, mich zu diesem Besuche veran-
laßt zu haben. Bei Amors Bogen sei's geschworen,
daß ich es gewesen bin, welcher zuerst den Gedanken
anssprach, heute Morgen hichcr zu fahren."
Er hauchte bei den Worten einen Kuß auf Fran-
ziska's Hand, welche lachend erwiederte: „Fast zu viel
der Ehre für Haus Sandhorst, daß Ihr die Priorität

Das Buch f ü r All e.

M 17.

dieses Gedankens Eurer Schwester streitig machen wollt.
Ein Cavalier von der Dualität und denn suoeos des
Barons Heydom, den München' kaum für die Herr-
lichkeiten Brüssels zu entschädigen vermag, läßt sich
herab, dies einfache Landhaus anfzusuchen, fürwahr,
dieser Tag verdient in der Geschichte desselben ausdrück-
lich bemerkt zu werden."
„Siehst Du, da hast Du's," lachte Josephine, „sagte
ich Dir nicht, Du mögest Dich vor Franziska in Acht
nehmen? Als wahre Beherrscherin dieses Waldes, als
echte Diana hat sie für Jeden, der ihr zu nahen wagt,
spitzige Pfeile."
„Spitzige Pfeile," wiederholte Franziska klagend,
„wie kannst Du meine Worte so bezeichnen! Habe ich
mich so schlecht ansgedrückt? Als einfaches Laudmüd-
chen fehlt mir freilich Deine Gewandtheit, die Kom-
plimente der Herren zu erwiedern."
Josephine überließ es ihrem Bruder, durch ein neues
Kompliment Franziska Gelegenheit zu geben, sich diese
Gewandtheit anzneignen, da sie jetzt Xaver bemerkte,
welcher sich in einiger Entfernung gehalten, trotzdem
jedoch kein Auge von dem Gegenstände seiner Anbetung
verwandt hatte. Sie schlug einen Moment vor seinem
flammenden Blick die Augen nieder, dann trat sie schnell
auf ihn zu: „Herr Mcindl, oder muß man schon sagen
Herr Doktor —" mit diesen von einem ermunternden
Lächeln begleiteten Worten reichte sic ihm die Hand —
„da sind wir ja wieder zusammen wie im vorigen Jahr.
Wahrlich, mir ist es wie ein Traum, Alles, was zwischen
damals und heute liegt. Die Bäume, der Rasen, das
alte liebe Haus, dort der Garten, darüber der blaue
sonnige Himmel und um mich her dieselben traute^
Gesichter — ist cs denn wahr, daß ein Jahr seitdem
vergangen ist —"
„Ein Jahr," fiel Eugen ein, welcher für Meindl
auch heute nur das kurze, hochmüthige Kopfnicken von
vorgestern Abend hatte, „ein Jahr, in welchem einer
der elegantesten Höfe Europa's Josephine v. Heydom
für die Königin der Schönheit erklärt hat."
„O, sprecht jetzt nicht davon," bat Josephine, „ist
mir doch heute, als hätte ich niemals Brüssel ge-
sehen, als hätte mein Fuß niemals das glatte Parguet
des Hofes betreten, als sei der berauschende Duft der
glänzenden Feste zerronnen vor dem frischen Morgen-
winde und ich hätte nie etwas Anderes geathmet als
diese erquickende vaterländische Luft."
Es war Xaver, als sagte sie das Alles nur ihm
allein und als sagte sie ihm damit noch etwas Anderes,
was sie nicht aussprechen wolle und könne vor den Um-
stehenden, was ein süßes Geheimniß zwischen ihnen
bleiben solle, aber darum uicht minder echt und wahr.
Er suchte ihrem Blick zu begegnen und derselbe traf
ihn so voll und warm und dabei spielte um ihren lieb-
reizenden Mund ein so glückverheißendes Lächeln, daß
er laut hätte aufjauchzen mögen vor beseligender Lust.
Anders berührten Eugen die Worte Josephiuens. Mit
sauersüßem Lächeln meinte er: „Die Königin der
Schönheit geruht heute zu schwärmen — wohlan, schwär-
men wir mit ihr. Ist doch dieser ehrwürdige Bau da
weit schöner als Schloß Veurne und die Brüsseler Re-
sidenz! Und was sind die weiten Parks jener Schlösser
mit ihren Fontänen und Marmorstatuen gegen die ein-
fache Anmnth dieses Gartens? Wer aber kann glück-
licher sein über den Vorzug, den in Euren Augen diese
Gegenstände besitzen, als wie Euer getreuester Sklave,
welcher dies Haus sein Vaterhaus nennen darf?"
„Seid Ihr glücklich wieder bei Euch selbst angc-
kommen, Baron Sandhorst?" spottete Josephine. „Ihr
habt ein ausgesprochenes Talent, lieber Vetter, Alles
auf Euch zu beziehen."
„Wollen wir nicht in's Haus treten?" fragte Fran-
ziska. „Es ist dort weit kühler als hier draußen."
„O nein," bat Josephine, „laß' uns lieber im Garten
einen schattigen Platz suchen." Und indem sie sich zu
Eugen zurückwandte, fuhr sie fort: „Kommt, Vetter,
zeigt mir das Erbe Eurer Väter. Ich muß inspizireu,
ob noch Alles beim Alten ist."
Sie nahm seinen Arm, aber ein Blick beorderte an
ihre andere Seite Xaver, und einige zutrauliche Fragen
von ihr lösten ihm die Zunge. Dazwischen hinein setzte
sie das Wortgefecht mit Eugen fort, so schritt sie plau-
dernd und scherzend zwischen ihren beiden Kavalieren
dahin. Franziska folgte mit Max Heydom, aber sie
schenkte den zierlich gesetzten Worten des Offiziers wenig
Beachtung. Aufmerksam verfolgte sie die Konversation
der drei Vorangehenden und beobachtete, wie Josephine
dann Diesem ein Lächeln, dann Jenem einen freund-
lichen Blick schenkte. „Ich habe mich nicht getäuscht,"
dachte sie dabei im innersten Herzen, „sie spielt mit
Beiden."
8.
„Nun, wie gefällt Dir die Arbeit?" — mit diesen
Worten trat Amigoni an einem der nächsten. Morgen
zu seinem Schützling Achmed.
Der Türke stieß den Spaten vor sich in den Boden
und wischte sich den Schweiß von der Stirne, ehe er
kurz antwortete: „Schlecht!"
„Natürlich," lachte der Maler, „müßig nmherschlen-

dern und Dir die Sonne in's Maul scheinen lassen,
das ist Dir lieber. Aber zum Umherlaufen bleibt Dir
ja noch der ganze Niest des Tages, und ich hoffe, mein
Bursche, Du machst redlich Gebrauch davon. Was hast
Du mir mitzutheilen?"
Die letzte Frage Ivar in etwas leiserem Tone ge-
stellt und in gleicher Weise antwortete Achmed: „Sie
ist wieder mit ihm zusammen gewesen."
„Mit dem Sohn des Försters?" Achmed nickte.
„Wo?" fragte Amigoni weiter.
„Im Walde, gleich jenseit der Straße, welche an
ihrem Hause vorüberführt, wartete er auf sie."
„Uud daun?"
„Gingen sie mit einander weiter."
„Wohin? — Zum Kukuk, sei uicht so mundfaul,
Bursche, uud laß Dir nicht Alles einzeln abfragen."
Der Türke verzog sein Gesicht zn einem breiten
Grinsen. „Es ging uicht weit von dem Dickicht vorbei,
wo ich damals lag, anders kann ich es nicht beschrei-
ben. Dann kamen sie au einen Berg."
„An einen Berg! Wo nimmst Du hier einen Berg
her?"
„Nun, er war nicht sehr hoch, aber sie verschwan-
den in demselben. Es muß eine Höhle darin sein."
../tli eospetto! Du wartetest, bis sie wieder zum
Vorschein kamen?"
„Gewiß, cs dauerte uicht lange, dann gingen sie
denselben Weg zurück."
„Verwünscht!" murmelte der Maler. „Jeden Tag
muß ich Schlimmeres hören!"
„Ich bin noch nicht fertig," grinste Achmed.
„Noch nicht? Weiter!"
„Am Abende beobachtete ich wieder ihr Haus. Da
kam er."
„War es schon dunkel?"
„So in der Dämmerung."
„Und sie erwartete ihn?"
„Freilich, aber nicht am Hauptthor."
„Das läßt sich denken."
„Er trug etwas unter dem Arm; was es Ivar,
konnte ich nicht erkennen, da er es in ein dunkles Tnch
gewickelt hatte. Sie nahm cs ihm ab und verschwand
damit im Hause/'
„Und er?"
„Verschwand in der Dunkelheit."
„Bist Du ihm gefolgt?"
„Ja! Er ging geraden Weges zum Hause seines
Vaters zurück."
Amigoni wurde gezwungen, sein Verhör zn unter-
brechen. Zwischen den hohen geradlinigen Taxusheckeu
sah er den Schlachtenmaler Beich sich der Stelle nähern,
wo sie standen, und trat deshalb, ehe ihn dieser bemer-
ken konnte, mit den Worten: „Vorsicht da kommt
Jemand — auf Wiedersehen" — in das Gebüsch zurück.
Beich kam langsam näher, er war in seinem gewöhn-
lichen Kostüm, hatte den Fes auf dem Kopf und ließ
der unvermeidlichen Pfeife gewaltige Rauchwolken ent-
strömen. Bei Achmed angelangt, welcher anscheinend
ganz in seine Arbeit versunken war, blieb er stehen und
schaute demselben eine Zeit lang zu — offenbar fesselte
auch ihn die selbst in den bäuerischen Kleidern erkenn-
bare prächtige Athletenfignr und der fremdländische
Schnitt des Gesichtes. Er richtete einige Fragen an den
Türken, welche dieser jedoch unbeachtet ließ und erst,
als sie heftiger wiederholt wurden, durch ein stummes
Kopfschütteln und das verständigende Wort „Italiauo"
beantwortete. — „X.K, Italiano! Luou giorno, giguors,^
rief Beich, „aus welcher Gegend seid Ihr?" — „Ve-
neria," erwiederte der Türke, als aber Beich mehrere
Fragen über die Lagunenstadt an ihn stellte, wurde er
verwirrt, stotterte in seiner lüngun trauen einige un-
verständliche Antworten heraus uud machte sich dann,
ohne den Schlachtenmaler weiter zu beachten, wiederum
ans das Emsigste an seine Arbeit, so daß dieser kopf-
schüttelnd weiter ging. Bei der nächsten Biegung deS
Weges trat ihm Amigoni entgegen. „Vortrefflich, daß
ich Euch finde," redete ihn derselbe au, „ich war schon
in Eurer Wohnung, ich habe eine Mittheiluug für Euch."
„Und welche?" fragte Beich gespannt.
„Ich habe hier ein Prächtiges Modell aufgetriebeu,
einen Landsmann von mir — er behauptet es wenig-
stens zu sein, wenn ich es ihm auch nicht recht glaube.
Aber ich wollte Euch auf ihn aufmerksam machen,
eine Figur — Prachtvoll, sage ich Euch, ich will
ihn zu einem Titanen verwenden und habe den Bur-
schen überredet, heute Nachmittag zu mir in's Atelier
zn kommen, dachte aber, vielleicht könntet Ihr ihn auch
brauchen, und wollte Euch deshalb cinladen, Euch ihn
anzusehen."
Beich lachte. „Ich glaube, ich habe ihn schon ge-
sehen, oder es laufen hier mehrere solcher Exemplare
herum. Ist er uicht unter den Taglöhnern unseres
Freundes Potz?"
„Gewiß."
„Nun, dann ist's derselbe. Auch mir fiel der Bursche
auf und ich nehme mit Freuden Eure Einladung an.
Ein Landsmann von Euch ist es aber nicht. Zwar
wollte er auch mir das aufbinden, aber sein Dialekt
 
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