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Menschen, namentlich berittene, weilte er in dein weiten
Thale bald bei dieser, bald bei jener Heerde. Seine
Freiheit zn bewahren kostete ihn bei seiner Schnellig-
keit und dem nie schlummernden Argwohn kaum noch
Anstrengung, zumal man längst für vergebliche Mühe
hielt, die so oft fehlgeschlagenen Versuche, seiner hab-
haft zu werden, zu erneuern. Als aber die Kunde
auf der Hacienda eintraf, daß er unbedachtsam, viel-
leicht auch in einem instinktartigen Gefühl seiner Un-
antastbarkeit, mit anderen Pferden in den Korral, eine
hohe, widerstandsfähige Umzäunung, gegangen, die
alsbald hinter ihm geschlossen wurde, tackte Cristobal
und Gregor eine Art Fieber. Nach kurzer Berathung
kamen sie überein, alles Mögliche aufzubieten, das
ebenso berüchtigte wie schöne Thier in ihre Gewalt zu
bringen.
Der Reichthum Cristobal's verriebt) sich schon allein
in den großen kostbaren Pferden, welche seine Begleiter
sowohl, wie er selber ritten. Trotzdem verschwand er
fast mit seiner kurzen Gestalt neben Gregor, der auch
im gemächlichen Schritt auf seinem Renner saß, als
ob er mit demselben verwachsen gewesen wäre. Ueber-
haupt hätte schwerlich Jemand in ihm den lang auf-
geschossenen knochigen Burschen wiedererkannt, der Vor-
fünf Jahren in der Prairie, nach Entdeckung des Todes
seiner geliebten Verwandten, trostlos und verzweifelnd
in die Zukunft schaute. Ein Mann war er geworden
von tadellos schönem Körperbau. Jede Muskel an
ihm, jede Bewegung verrieth ungewöhnliche Kraft und
Gewandtheit. Das Bewußtsein der Ueberlegenheit über
andere Menschen offenbarte sich sogar in seiner nach-
lässigen Haltung, in dem Gleichmuth, mit welchem er
die Zügel führte. Sein von halblangen dunkelbraunen
Locken umwalltes und von einem breitrandigen schwarzen
Sombrero überschattetes Antlitz war von auffallender
Schönheit, welche durch den Sonnenbrand und den noch
jugendlich Weichen dunklen Vollbart einen erhöhten
Charakter des Männlichen erhielt. Dagegen schienen
seine regelmäßigen Züge sich seitdem verhärtet zu haben,
der seinen Jahren entsprechende Frohsinn in ihm ge-
storben zu sein. Gleichsam undurchdringlich ruhte auf
denselben ein eigenthümlich strenger Ernst. Derselbe
düstere Ernst lugte aus feinen klugen blauen Augen.
Mochte das Gespräch betreffen, was eS wollte: nicht
die leiseste Miene verrieth regere Theilnahme des Geistes
oder gar des Herzens.
Sie waren in der Nachbarschaft des von Vaqueros
bewachten Pferchs eingetrvffen, als Cristobal eine neue
Unterhaltung anknüpfte.
„Gregor," begann er schmeichelnd, „der Hengst ist
ein Pferd, welches ich zum eigenen Gebrauch in meinem
Stalle haben möchte; gelingt es Ihnen, den Burschen
zu bändigen und reitfrvmm zu machen, trügt's Ihnen
fünfzig Dollars ein."
„tim Geld verkaufe ich mein Leben nicht," antwor-
tete Gregor ruhig; „ich stehe bei Ihnen in Lohn und
Brod, das genügt. Sie wünschen, den Hengst gebrochen
zn sehen, da ist cs meine Pflicht, den Versuch zu wagen.
Er wäre ja nicht der erste, den ich bemeisterte. Frei-
lich, ein Satan von feiner Sorte ist mir noch nicht
unter die Hände gekommen."
„So wäre cs vielleicht rathsam, ganz davon abzu-
stehen?" meinte der Haciendero gutmüthig, „Caramba,
so viel liegt mir nicht an der Bestie, daß ich deshalb
das Leben des ersten Reiters Kaliforniens auf's Spiel
setzen möchte."
In Gregor's Augen leuchtete cs geheimnißvoll auf.
Es war wie das Zucken eines Blitzes.
„Seüor," erwiederte er etwas lebhafter, „Sie
wissen, Pferde liebe ich über Alles. Seit meiner Kind-
heit bin ich mit ihnen verbrüdert gewesen. Ich lernte
beinah früher reiten, als gehen. Meine Neigung zn
den Pferden wuchs in demselben Maße, in welchem ich
selber reifte und erstarkte, in demselben Maße, in
welchem man mich davon abznbringen suchte. Ich
kenne keinen höheren Genuß, als ein edles Thier, wel-
ches mir an Kräften weit überlegen, in meinen Sklaven
zn verwandeln. Ilm solchen Genuß rechte ich nicht mit
ein wenig Gefahr. Trifft mich ein Unglück," und um
seine Lippen zuckte leiser Spott, „so werden Sie sich
des Kindes annehmen, es jedoch nie von meinem Sing-
sang trennen."
„Das geschieht, ja, das geschieht," bctheucrte der
Kalifvrnicr eifrig; „Caramba, schon allein nm des
lieblichen Mädchens selber willen möchte ich es in
meine Familie aufnehmen. Aber noch einmal, Gregor,
besinnen Sie sich —"
„Was ich mir einmal vorgenommen habe, führe ich
ans," fiel Gregor gelassen ein, „ich will entweder der
Erste sein in meinem Fach, oder gar nichts."
„Sie hätten statt des schweren spanischen Sattels
einen englischen mitnchmen sollen. Sie kommen leichter
heraus, wenn es zum Stürzen und Ueberschlagen geht."
„Auch ein englischer hindert mich noch. Der glatte
Pferderücken bleibt am sichersten."
Der Pferch lag vor ihnen. Cristobal und Gregor
schwangen sich ans den Sätteln und überließen ihre
Pferde einem herbeieilenden Vaquero. Vier Arrieros
Das Buch für Alle.
hatten unterdessen ihre Stellung vor dem Ausgange
des Pferchs eingenommen, und zwar auf jeder Seite
zwei in angemessener Entfernung von einander, so daß
die freigegcbene Heerde zwischen ihnen hindurch mußte.
Jetzt waren sie damit beschäftigt, die Lassos vom Sattel-
knopf zu lösen und mit einer und einer halben Win-
dung in der rechten Faust zu ordnen.
Gregor lehnte sich mit Armen und Kopf auf das
oberste Riegel der Einfriedigung. Aufmerksam be-
trachtete er den berüchtigten Hengst, der, wie in Vor-
ahnung ihm drohender Freiheitsentziehung, Kopf und
Schweif erhoben, in einem eigenthümlich federnden
langsamen Trab zwischen den anderen Pferden unruhig
umherstreifte und den heißen Atheui. schnaubend von
sich stieß. Ein schönes, ein edles Geschöpf; aber aus
feinen großen klaren Augen funkelte es wie aus denen
eines Raubthiers, welches sich von den. Jägern einge-
kreist sieht. Doch auch Gregor's Augen hatten Plötz-
lich einen anderen Ausdruck angenommen. Indem er
jede einzelne Bewegung des stolzen Thieres scharf über-
wachte, wie um aus denselben Schlüsse auf dessen Ge-
müthsart zu ziehen, glühten sie förmlich in Begeiste-
rung.
„Ich denke, es wird gehen," sprach er nach einer-
langen Pause zu dem neben ihm stehenden Cristobal,
und etwas heifer klang seine Stimme vor Erregung.
Dann entledigte er sich der Jacke, der weiten CaHoneros
oder Neitbeinkleider und Schnallsporen nebst Stiefeln,
worauf er Weiche Mokassins anlegte nnd gamaschen-
artig geformte steife Leder um die Unterschenkel be-
festigte. Ebenso entkleidete er sich des Hutes, an dessen
Stelle ein Tuch fest um seinen Kopf windend. Im
klebrigen bestand seine Ausrüstung nur aus einer vom
rechten Handgelenk nieder-hängenden kurzen, aber scharfen
Geißel von 'geflochtenem Rohleder; ferner aus einein
einfachen Kandarenzaum, dessen Gebiß nach innen zu
mit einer runden Eifenplattc versehen war, darauf be-
rechnet, beim Anholen der Zügel den Gaumen schmerz-
haft zu pressen und den Rachen des Pferdes aufzu-
sperren. Einen letzten prüfenden Blick warf er auf
den Hengst, und sich den Arrieros zukehrend, erklärte
er, bereit zu sein.
Alsbald entfernten die Vaqueros die Schutzwehr
vor dem Eingang des Korrals, wogegen die Arrieros
ihre Pferde etwas weiter zurückdrängten und die
Schleifen der Lassos durch langsame Schwingungen in
Kreisform öffneten. Auf ein Zeichen Cristobal's über-
stiegen einige Vaqueros auf der entgegengesetzten Seite
die Einfriedigung und trieben nut Peitschengeknall und
Schreien die Heerde dem Ausgange zu.
Einige alte Stuten verließen den Pferch gemächlich.
Gleich darauf folgten die übrigen Pferde in fchürferer
Gangart; doch in der Erwartung, den Hengst sich ge-
waltsam zwischen sie drängen und den Arrieros Ge-
legenheit geben zu sehen, die Lassos nm sein erhobenes
Haupt zu werfen, fand man sich getäuscht. Selbst
nachdem die letzten Nachzügler in's Freie galoppirt
waren, trabte er noch immer wild schnaubend und
Hals und Kopf bald rechts, bald links herumwerfend
auf dem nunmehr leeren Platze umher. Plötzlich aber
wirbelte er blitzschnell ans derselben Stelle herum, und
in der nächsten Sekunde stürmte er mit langen Sätzen
aus der Einfriedigung und zwischen den Arrieros hin-
durch. Zugleich aber legte sich von jeder Seite eine mit
unglaublicher Sicherheit geworfene Schlinge um seinen
Hals. Um indessen den schweren Stoß, welcher dem
Thier das Genick ausrenken konnte, zu müßigen, folgten
die beiden Reiter eine kurze Strecke nach, und das lose
Ende des Lasso's nm den Sattelknopf windend, gelang
es ihnen leicht, den sich hoch aufbänmenden Gefangenen
zu Boden zu werfen. Noch einmal raffte derselbe sich
empor. Wild schlug er um sich, und gerade diese vor-
hergesehene Gelegenheit benutzten die beiden anderen
Arrieros, durch geschickte Würfe der Lassos auch seine
Hufe zu fesseln. Krachend stürzte er zu Boden. Doch
auch jetzt noch känipfte das entsetzte Thier mit aller
Macht um seine Freiheit; allein indem die Pferde der
Arrieros sich mit voller Wucht in die straffen Lassos
lehnten, erlahmte seine letzte Kraft schnell, bis es end-
lich im Gefühl des Erstickens wie verendend dalag.
Jetzt erst trat Gregor vor den angstvoll keuchenden
nnd röchelnden Gefangenen hin. Wiederholt strich er
ihm mit der Hand über Stirn, Angen nnd Nüstern,
seine Berührungen mit besänftigenden Worten und Tönen
begleitend. Zugleich lockerte er die ihm die Luftröhre
zuschnürenden Schlingen, worauf er aus dem Mähn-
haar dicht vor dem Widerrist zwei starke Flechten wand
und durch deren Vereinigung eine feste, schleifenähn-
liche Handhabe herstellte. Ihm den Zaum überzu-
streifen, kostete jetzt kaum noch Mühe. Ebenso gelang
es leicht, die Lassos zu offnen und ganz zurückzuziehen.
Trotzdem rührte er sich nicht. Betäubung schien sich
seiner bemächtigt zu haben. Gewaltig schlugen seine
Seiten, aber freier und voller entwand der Athem sich
wieder den gespreizten Nüstern. Alle, die bisher mit
ihm beschäftigt gewesen, hatten sich zurückgezogen. Nur-
Gregor stand gebückt neben ihm, in beiden Fäusten die
Zügel zusammen mit der Mähnhaarschleife, nnd seinen
Heft 7
Kopf scharf überwachend. Mit athemloser Spannung
beobachteten ihn Cristobal und dessen Leute. Keiner
wagte einen Laut von sich zu geben, aus Besorgnis),
des jungen Pferdebändigers mit sichtbarer Ueberleguug
eingeleitetes Verfahren störend zu durchkreuzen. Dieser
ließ unterdessen fortgesetzt seine besänftigende Stimme
ertönen, jedoch ohne sichtbare Wirkung. Sobald er
aber, um ihn zu ermuntern, mit der Fußspitze des
Hengstes Kreuz berührte, sprang dieser, wie von einer
Vogensehne geschnellt, empor, und was sich nunmehr
entwickelte, spann sich mit einer solchen Schnelligkeit
ab, daß die Augen kaum noch die einzelnen Bewegungen
zu verfolgen vermochten. Wie Gregor auf den Rücken
des Pferdes gelangte, war nicht zu unterscheiden ge-
wesen. Man gewahrte eben nur, daß, als dasselbe sich
aufbäumte und mit einem mächtigen Satze nach vorn
schoß, er oben saß. Nach diesem ersten Sprunge stand
es indessen wieder wie festgewurzelt. Am ganzen Kör-
per zitternd und wüthend auf die Kandare beißend,
schien es zu überlegen, wie es der ungewohnten Last
sich entledigen könne. Plötzlich aber verfiel es in förm-
liche Raserei. Nach hinten und nach vorn schlug cs
aus; dann folgte wieder Bäumen und Drehen auf der-
selben Stelle. Bald den einen, bald den anderen Fuß
des Reiters suchte es mit den Zähnen zu packen, u»d
als es durch das Zaumeisen daran gehindert wurde,
warf es sich mit vollster Wucht zur Erde. Doch ebenso
schnell stand Gregor auf der gegen die Hufe geschützte»
Seite, in beiden Händen wieder die Mühnhaarschleist.
Indem aber der Hengst, wähnend, seine Last abgewor-
fen zu haben, wieder cmporsprang nnd zu wilder
Flucht ansetzte, sah man Gregor eine Sekunde fast hori-
zontal oberhalb seines Rückens schweben, um sich gleich
darauf, ähnlich einem Panther, der in genau berech-
netem Sprunge seine Beute erreichte, an ihn anzu-
schmiegen.
„Caramba!" kehrte Cristobal sich seinen Leuten
zu, die dem davonstürmenden Reiter mit stummer Be-
wunderung nachsahen, „jetzt hat's keine Nvth mehr. Der
Hengst bricht entweder todt unter ihm zusammen, oder
er reitet ihn binnen einer Stunde uns hier im Schritt
vor. Ich kenne den Gregor. Hütte es nimmer geglaubt,
was in ihm steckte, als er vor vier Jahren auf dcr
Hacienda vorsprach. Santa Maria! Dergleichen nnch
angeboren sein. So kann's wenigstens Keiner lernen."
Niemand antwortete, in so hohem Grade fesselte der
ebenso verwegene wie gewandte Reiter die allgemein
Aufmerksamkeit. Und der Hengst schien in der That
mehr einherzufliegen, als den Erdboden mit den Hufe»
zu berühren. Dabei gewahrte man, daß Gregor hi"
und wieder die Peitsche schwang, offenbar um dadurch
die gänzliche Erschöpfung des geängstigten Thieres Z"
beschleunigen. Bald zwischen aus einander stäubende"
Rinderheerden, bald zwischen weidenden Pferden hin-
durch ging es in rasendem Lauf, und immer wieder
schwang Gregor seine Geißel, bis Roß und Reiter in
der Ferne beinah verschwanden. Endlich aber änderte»
sie die bisherige Richtung der Flucht, und mit einew
Jubelruf begrüßte es Cristobal, als sie dem Gebirge -Z»
einen weiten Bogen beschrieben. Langsamer wurden
darauf des abgehetzten Pferdes Bewegungen und schwer-
fälliger, bis es nur noch einherzuschwanken schien und
nach Ablauf einer weiteren halben Stunde zu Cristo-
bal's Entzücken im Schritt dem Korral sich näherte.
Doch welche Wandlung war mit dem stolzen Thier
wahrend dieses Rennens auf Tod uud Leben vorgegangen/
Es rief den Eindruck hervor, als hätte die letzte Lebens-
kraft den prachtvollen Körper verlassen gehabt. Trie-
fend, gleichsam in Schweiß gebadet, athmete es wie iw
Fieber. Weit spreizten sich die Nüstern vor der ihnen
entströmenden heißen Luft. Blut mischte sich mit den
Schaumflocken, die an den Kandarenbügeln sich immer
wieder erneuerten; weit quollen die tvdesmatt blicken-
den Augen aus ihren Höhlen hervor.
Gregor, anfänglich kaum minder heftig erregt, als
das ihn tragende Thier, hatte seine Rnhe bereits zurück-
gewonnen. Rur tiefer geröthet war sein Antlitz noch;
innere Befriedigung prägte sich auf demselben aus,
indem er die Bewegungen des Hengstes unablässig über-
wachte.
Vor Cristobal eingetroffen, sprang er zur Erde.
Liebreich sprach er zu dem förmlich stumpf darein-
schaueudcn Thier. In die Nüstern hauchte er ihm zärt-
lich, über Stirn und Augen strich er wieder sanft und
schmeichelnd klopfte er den schaumbedeckten Hals, als
Hütte er es für das ihm zugefügte Leid um Verzeihung
bitten wollen.
„Wird er's überstehen?" fragte der Haciendero*!
mit unverkennbarer Achtung, während die übrige»
Männer ehrerbietig und seiner ferneren Anordnungen
harrend zu dem finsteren jungen Centauren empor-
sahen.
„Ich hoffe es," antwortete Gregor ruhig, ohne stw
in den Liebkosungen stören zu lassen. „Jetzt mag ih»
Jeder reiten; ob morgen noch, muß abgewartet wer-
den. Ich selber werde auf alle Fülle mit ihm fertig.
") Mexikanischer Gutsbesitzer.
Menschen, namentlich berittene, weilte er in dein weiten
Thale bald bei dieser, bald bei jener Heerde. Seine
Freiheit zn bewahren kostete ihn bei seiner Schnellig-
keit und dem nie schlummernden Argwohn kaum noch
Anstrengung, zumal man längst für vergebliche Mühe
hielt, die so oft fehlgeschlagenen Versuche, seiner hab-
haft zu werden, zu erneuern. Als aber die Kunde
auf der Hacienda eintraf, daß er unbedachtsam, viel-
leicht auch in einem instinktartigen Gefühl seiner Un-
antastbarkeit, mit anderen Pferden in den Korral, eine
hohe, widerstandsfähige Umzäunung, gegangen, die
alsbald hinter ihm geschlossen wurde, tackte Cristobal
und Gregor eine Art Fieber. Nach kurzer Berathung
kamen sie überein, alles Mögliche aufzubieten, das
ebenso berüchtigte wie schöne Thier in ihre Gewalt zu
bringen.
Der Reichthum Cristobal's verriebt) sich schon allein
in den großen kostbaren Pferden, welche seine Begleiter
sowohl, wie er selber ritten. Trotzdem verschwand er
fast mit seiner kurzen Gestalt neben Gregor, der auch
im gemächlichen Schritt auf seinem Renner saß, als
ob er mit demselben verwachsen gewesen wäre. Ueber-
haupt hätte schwerlich Jemand in ihm den lang auf-
geschossenen knochigen Burschen wiedererkannt, der Vor-
fünf Jahren in der Prairie, nach Entdeckung des Todes
seiner geliebten Verwandten, trostlos und verzweifelnd
in die Zukunft schaute. Ein Mann war er geworden
von tadellos schönem Körperbau. Jede Muskel an
ihm, jede Bewegung verrieth ungewöhnliche Kraft und
Gewandtheit. Das Bewußtsein der Ueberlegenheit über
andere Menschen offenbarte sich sogar in seiner nach-
lässigen Haltung, in dem Gleichmuth, mit welchem er
die Zügel führte. Sein von halblangen dunkelbraunen
Locken umwalltes und von einem breitrandigen schwarzen
Sombrero überschattetes Antlitz war von auffallender
Schönheit, welche durch den Sonnenbrand und den noch
jugendlich Weichen dunklen Vollbart einen erhöhten
Charakter des Männlichen erhielt. Dagegen schienen
seine regelmäßigen Züge sich seitdem verhärtet zu haben,
der seinen Jahren entsprechende Frohsinn in ihm ge-
storben zu sein. Gleichsam undurchdringlich ruhte auf
denselben ein eigenthümlich strenger Ernst. Derselbe
düstere Ernst lugte aus feinen klugen blauen Augen.
Mochte das Gespräch betreffen, was eS wollte: nicht
die leiseste Miene verrieth regere Theilnahme des Geistes
oder gar des Herzens.
Sie waren in der Nachbarschaft des von Vaqueros
bewachten Pferchs eingetrvffen, als Cristobal eine neue
Unterhaltung anknüpfte.
„Gregor," begann er schmeichelnd, „der Hengst ist
ein Pferd, welches ich zum eigenen Gebrauch in meinem
Stalle haben möchte; gelingt es Ihnen, den Burschen
zu bändigen und reitfrvmm zu machen, trügt's Ihnen
fünfzig Dollars ein."
„tim Geld verkaufe ich mein Leben nicht," antwor-
tete Gregor ruhig; „ich stehe bei Ihnen in Lohn und
Brod, das genügt. Sie wünschen, den Hengst gebrochen
zn sehen, da ist cs meine Pflicht, den Versuch zu wagen.
Er wäre ja nicht der erste, den ich bemeisterte. Frei-
lich, ein Satan von feiner Sorte ist mir noch nicht
unter die Hände gekommen."
„So wäre cs vielleicht rathsam, ganz davon abzu-
stehen?" meinte der Haciendero gutmüthig, „Caramba,
so viel liegt mir nicht an der Bestie, daß ich deshalb
das Leben des ersten Reiters Kaliforniens auf's Spiel
setzen möchte."
In Gregor's Augen leuchtete cs geheimnißvoll auf.
Es war wie das Zucken eines Blitzes.
„Seüor," erwiederte er etwas lebhafter, „Sie
wissen, Pferde liebe ich über Alles. Seit meiner Kind-
heit bin ich mit ihnen verbrüdert gewesen. Ich lernte
beinah früher reiten, als gehen. Meine Neigung zn
den Pferden wuchs in demselben Maße, in welchem ich
selber reifte und erstarkte, in demselben Maße, in
welchem man mich davon abznbringen suchte. Ich
kenne keinen höheren Genuß, als ein edles Thier, wel-
ches mir an Kräften weit überlegen, in meinen Sklaven
zn verwandeln. Ilm solchen Genuß rechte ich nicht mit
ein wenig Gefahr. Trifft mich ein Unglück," und um
seine Lippen zuckte leiser Spott, „so werden Sie sich
des Kindes annehmen, es jedoch nie von meinem Sing-
sang trennen."
„Das geschieht, ja, das geschieht," bctheucrte der
Kalifvrnicr eifrig; „Caramba, schon allein nm des
lieblichen Mädchens selber willen möchte ich es in
meine Familie aufnehmen. Aber noch einmal, Gregor,
besinnen Sie sich —"
„Was ich mir einmal vorgenommen habe, führe ich
ans," fiel Gregor gelassen ein, „ich will entweder der
Erste sein in meinem Fach, oder gar nichts."
„Sie hätten statt des schweren spanischen Sattels
einen englischen mitnchmen sollen. Sie kommen leichter
heraus, wenn es zum Stürzen und Ueberschlagen geht."
„Auch ein englischer hindert mich noch. Der glatte
Pferderücken bleibt am sichersten."
Der Pferch lag vor ihnen. Cristobal und Gregor
schwangen sich ans den Sätteln und überließen ihre
Pferde einem herbeieilenden Vaquero. Vier Arrieros
Das Buch für Alle.
hatten unterdessen ihre Stellung vor dem Ausgange
des Pferchs eingenommen, und zwar auf jeder Seite
zwei in angemessener Entfernung von einander, so daß
die freigegcbene Heerde zwischen ihnen hindurch mußte.
Jetzt waren sie damit beschäftigt, die Lassos vom Sattel-
knopf zu lösen und mit einer und einer halben Win-
dung in der rechten Faust zu ordnen.
Gregor lehnte sich mit Armen und Kopf auf das
oberste Riegel der Einfriedigung. Aufmerksam be-
trachtete er den berüchtigten Hengst, der, wie in Vor-
ahnung ihm drohender Freiheitsentziehung, Kopf und
Schweif erhoben, in einem eigenthümlich federnden
langsamen Trab zwischen den anderen Pferden unruhig
umherstreifte und den heißen Atheui. schnaubend von
sich stieß. Ein schönes, ein edles Geschöpf; aber aus
feinen großen klaren Augen funkelte es wie aus denen
eines Raubthiers, welches sich von den. Jägern einge-
kreist sieht. Doch auch Gregor's Augen hatten Plötz-
lich einen anderen Ausdruck angenommen. Indem er
jede einzelne Bewegung des stolzen Thieres scharf über-
wachte, wie um aus denselben Schlüsse auf dessen Ge-
müthsart zu ziehen, glühten sie förmlich in Begeiste-
rung.
„Ich denke, es wird gehen," sprach er nach einer-
langen Pause zu dem neben ihm stehenden Cristobal,
und etwas heifer klang seine Stimme vor Erregung.
Dann entledigte er sich der Jacke, der weiten CaHoneros
oder Neitbeinkleider und Schnallsporen nebst Stiefeln,
worauf er Weiche Mokassins anlegte nnd gamaschen-
artig geformte steife Leder um die Unterschenkel be-
festigte. Ebenso entkleidete er sich des Hutes, an dessen
Stelle ein Tuch fest um seinen Kopf windend. Im
klebrigen bestand seine Ausrüstung nur aus einer vom
rechten Handgelenk nieder-hängenden kurzen, aber scharfen
Geißel von 'geflochtenem Rohleder; ferner aus einein
einfachen Kandarenzaum, dessen Gebiß nach innen zu
mit einer runden Eifenplattc versehen war, darauf be-
rechnet, beim Anholen der Zügel den Gaumen schmerz-
haft zu pressen und den Rachen des Pferdes aufzu-
sperren. Einen letzten prüfenden Blick warf er auf
den Hengst, und sich den Arrieros zukehrend, erklärte
er, bereit zu sein.
Alsbald entfernten die Vaqueros die Schutzwehr
vor dem Eingang des Korrals, wogegen die Arrieros
ihre Pferde etwas weiter zurückdrängten und die
Schleifen der Lassos durch langsame Schwingungen in
Kreisform öffneten. Auf ein Zeichen Cristobal's über-
stiegen einige Vaqueros auf der entgegengesetzten Seite
die Einfriedigung und trieben nut Peitschengeknall und
Schreien die Heerde dem Ausgange zu.
Einige alte Stuten verließen den Pferch gemächlich.
Gleich darauf folgten die übrigen Pferde in fchürferer
Gangart; doch in der Erwartung, den Hengst sich ge-
waltsam zwischen sie drängen und den Arrieros Ge-
legenheit geben zu sehen, die Lassos nm sein erhobenes
Haupt zu werfen, fand man sich getäuscht. Selbst
nachdem die letzten Nachzügler in's Freie galoppirt
waren, trabte er noch immer wild schnaubend und
Hals und Kopf bald rechts, bald links herumwerfend
auf dem nunmehr leeren Platze umher. Plötzlich aber
wirbelte er blitzschnell ans derselben Stelle herum, und
in der nächsten Sekunde stürmte er mit langen Sätzen
aus der Einfriedigung und zwischen den Arrieros hin-
durch. Zugleich aber legte sich von jeder Seite eine mit
unglaublicher Sicherheit geworfene Schlinge um seinen
Hals. Um indessen den schweren Stoß, welcher dem
Thier das Genick ausrenken konnte, zu müßigen, folgten
die beiden Reiter eine kurze Strecke nach, und das lose
Ende des Lasso's nm den Sattelknopf windend, gelang
es ihnen leicht, den sich hoch aufbänmenden Gefangenen
zu Boden zu werfen. Noch einmal raffte derselbe sich
empor. Wild schlug er um sich, und gerade diese vor-
hergesehene Gelegenheit benutzten die beiden anderen
Arrieros, durch geschickte Würfe der Lassos auch seine
Hufe zu fesseln. Krachend stürzte er zu Boden. Doch
auch jetzt noch känipfte das entsetzte Thier mit aller
Macht um seine Freiheit; allein indem die Pferde der
Arrieros sich mit voller Wucht in die straffen Lassos
lehnten, erlahmte seine letzte Kraft schnell, bis es end-
lich im Gefühl des Erstickens wie verendend dalag.
Jetzt erst trat Gregor vor den angstvoll keuchenden
nnd röchelnden Gefangenen hin. Wiederholt strich er
ihm mit der Hand über Stirn, Angen nnd Nüstern,
seine Berührungen mit besänftigenden Worten und Tönen
begleitend. Zugleich lockerte er die ihm die Luftröhre
zuschnürenden Schlingen, worauf er aus dem Mähn-
haar dicht vor dem Widerrist zwei starke Flechten wand
und durch deren Vereinigung eine feste, schleifenähn-
liche Handhabe herstellte. Ihm den Zaum überzu-
streifen, kostete jetzt kaum noch Mühe. Ebenso gelang
es leicht, die Lassos zu offnen und ganz zurückzuziehen.
Trotzdem rührte er sich nicht. Betäubung schien sich
seiner bemächtigt zu haben. Gewaltig schlugen seine
Seiten, aber freier und voller entwand der Athem sich
wieder den gespreizten Nüstern. Alle, die bisher mit
ihm beschäftigt gewesen, hatten sich zurückgezogen. Nur-
Gregor stand gebückt neben ihm, in beiden Fäusten die
Zügel zusammen mit der Mähnhaarschleife, nnd seinen
Heft 7
Kopf scharf überwachend. Mit athemloser Spannung
beobachteten ihn Cristobal und dessen Leute. Keiner
wagte einen Laut von sich zu geben, aus Besorgnis),
des jungen Pferdebändigers mit sichtbarer Ueberleguug
eingeleitetes Verfahren störend zu durchkreuzen. Dieser
ließ unterdessen fortgesetzt seine besänftigende Stimme
ertönen, jedoch ohne sichtbare Wirkung. Sobald er
aber, um ihn zu ermuntern, mit der Fußspitze des
Hengstes Kreuz berührte, sprang dieser, wie von einer
Vogensehne geschnellt, empor, und was sich nunmehr
entwickelte, spann sich mit einer solchen Schnelligkeit
ab, daß die Augen kaum noch die einzelnen Bewegungen
zu verfolgen vermochten. Wie Gregor auf den Rücken
des Pferdes gelangte, war nicht zu unterscheiden ge-
wesen. Man gewahrte eben nur, daß, als dasselbe sich
aufbäumte und mit einem mächtigen Satze nach vorn
schoß, er oben saß. Nach diesem ersten Sprunge stand
es indessen wieder wie festgewurzelt. Am ganzen Kör-
per zitternd und wüthend auf die Kandare beißend,
schien es zu überlegen, wie es der ungewohnten Last
sich entledigen könne. Plötzlich aber verfiel es in förm-
liche Raserei. Nach hinten und nach vorn schlug cs
aus; dann folgte wieder Bäumen und Drehen auf der-
selben Stelle. Bald den einen, bald den anderen Fuß
des Reiters suchte es mit den Zähnen zu packen, u»d
als es durch das Zaumeisen daran gehindert wurde,
warf es sich mit vollster Wucht zur Erde. Doch ebenso
schnell stand Gregor auf der gegen die Hufe geschützte»
Seite, in beiden Händen wieder die Mühnhaarschleist.
Indem aber der Hengst, wähnend, seine Last abgewor-
fen zu haben, wieder cmporsprang nnd zu wilder
Flucht ansetzte, sah man Gregor eine Sekunde fast hori-
zontal oberhalb seines Rückens schweben, um sich gleich
darauf, ähnlich einem Panther, der in genau berech-
netem Sprunge seine Beute erreichte, an ihn anzu-
schmiegen.
„Caramba!" kehrte Cristobal sich seinen Leuten
zu, die dem davonstürmenden Reiter mit stummer Be-
wunderung nachsahen, „jetzt hat's keine Nvth mehr. Der
Hengst bricht entweder todt unter ihm zusammen, oder
er reitet ihn binnen einer Stunde uns hier im Schritt
vor. Ich kenne den Gregor. Hütte es nimmer geglaubt,
was in ihm steckte, als er vor vier Jahren auf dcr
Hacienda vorsprach. Santa Maria! Dergleichen nnch
angeboren sein. So kann's wenigstens Keiner lernen."
Niemand antwortete, in so hohem Grade fesselte der
ebenso verwegene wie gewandte Reiter die allgemein
Aufmerksamkeit. Und der Hengst schien in der That
mehr einherzufliegen, als den Erdboden mit den Hufe»
zu berühren. Dabei gewahrte man, daß Gregor hi"
und wieder die Peitsche schwang, offenbar um dadurch
die gänzliche Erschöpfung des geängstigten Thieres Z"
beschleunigen. Bald zwischen aus einander stäubende"
Rinderheerden, bald zwischen weidenden Pferden hin-
durch ging es in rasendem Lauf, und immer wieder
schwang Gregor seine Geißel, bis Roß und Reiter in
der Ferne beinah verschwanden. Endlich aber änderte»
sie die bisherige Richtung der Flucht, und mit einew
Jubelruf begrüßte es Cristobal, als sie dem Gebirge -Z»
einen weiten Bogen beschrieben. Langsamer wurden
darauf des abgehetzten Pferdes Bewegungen und schwer-
fälliger, bis es nur noch einherzuschwanken schien und
nach Ablauf einer weiteren halben Stunde zu Cristo-
bal's Entzücken im Schritt dem Korral sich näherte.
Doch welche Wandlung war mit dem stolzen Thier
wahrend dieses Rennens auf Tod uud Leben vorgegangen/
Es rief den Eindruck hervor, als hätte die letzte Lebens-
kraft den prachtvollen Körper verlassen gehabt. Trie-
fend, gleichsam in Schweiß gebadet, athmete es wie iw
Fieber. Weit spreizten sich die Nüstern vor der ihnen
entströmenden heißen Luft. Blut mischte sich mit den
Schaumflocken, die an den Kandarenbügeln sich immer
wieder erneuerten; weit quollen die tvdesmatt blicken-
den Augen aus ihren Höhlen hervor.
Gregor, anfänglich kaum minder heftig erregt, als
das ihn tragende Thier, hatte seine Rnhe bereits zurück-
gewonnen. Rur tiefer geröthet war sein Antlitz noch;
innere Befriedigung prägte sich auf demselben aus,
indem er die Bewegungen des Hengstes unablässig über-
wachte.
Vor Cristobal eingetroffen, sprang er zur Erde.
Liebreich sprach er zu dem förmlich stumpf darein-
schaueudcn Thier. In die Nüstern hauchte er ihm zärt-
lich, über Stirn und Augen strich er wieder sanft und
schmeichelnd klopfte er den schaumbedeckten Hals, als
Hütte er es für das ihm zugefügte Leid um Verzeihung
bitten wollen.
„Wird er's überstehen?" fragte der Haciendero*!
mit unverkennbarer Achtung, während die übrige»
Männer ehrerbietig und seiner ferneren Anordnungen
harrend zu dem finsteren jungen Centauren empor-
sahen.
„Ich hoffe es," antwortete Gregor ruhig, ohne stw
in den Liebkosungen stören zu lassen. „Jetzt mag ih»
Jeder reiten; ob morgen noch, muß abgewartet wer-
den. Ich selber werde auf alle Fülle mit ihm fertig.
") Mexikanischer Gutsbesitzer.