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Stillleben im Dorfe. Nach einem Gemälde von Ferd. Pacher. (S. 5ll)

Marter bringt mich um. Eines muß aus dein Halise,
entweder sie oder ich, koste es, was es wolle."
Das Aussprcchen dieses Entschlusses brachte ihm
Beruhigung; nachdem er in seine Schlafkammer hinein-
geleuchtet und von der'daselbst herrschenden Ordnung
sich überzeugt hatte, begann er sich langsam zu ent-
kleiden.
Nelly saß zn derselben Zeit neben der offenen Thür
ihres Zimmers. Das Haupt auf Arme und Kniee
gestützt, schien sie entschlafen zu sein, und doch lauschte
sie mit tödtlicher Spannung.
Fünf, sieben, zehn Minuten verstrichen in lautloser
Stille, dann aber wurde Plötzlich die Thür zu Slow-

field's Wohnung aufgcrissen und heraus schallte ihres
Herrn Stimme, der sie laut bei Namen rief.
Nelly richtete sich auf. Eiu Blitz des Triumphes
zuckte ans ihren großen dnnklen Augen und sofort ver-
steinerte ihr Antlitz sich wieder.
„Ich komme!" antwortete sie, indem sie sich erhob
nnd ihre Lampe nahm, und ohne ihre gemessenen Be-
wegungen zu beschleunigen, leistete sie dem Ruf Folge.
Sie fand Slvwfield in der Thür stehend. Er hatte
den Schlafrock angczogeu, also schon in seinem Bett
gelegen. Wenn aber Wuth sein Gesicht entstellte und
die das Vicht tragende Hand zittern machte, so wirkte
Nelly's Erscheinung geradezu einschüchternd auf ihn ein;
denn anstatt in wilde Schmähungen aus-
_„_E»— zubreche», fragte er mit verhaltenem
Grimm, wer sein Bett geordnet und
Stacheln in demselben verborgen habe.
„Stacheln?" fragte Nelly eintönig,
„haben Sie sich etwa verletzt?"
„Ten ganzen Körper zerstach ich
mir," schnaubte Slvwfield mit wach-
sender Wuth, „Stacheln, sage ich, und
die können nicht durch Zufall in mein
Bett gekommen sein."
„.Nein, nicht durch Zufall," gab
Nelly frostig zu, und zum ersten Mal
milderte ihr Gesichtsausdruck sich zu
einem vergeistigten matten Lächeln, „ich
selber habe ans Dornen geschlafen, seit-
dem ich die Schwelle dieses Hauses znm
ersten Mal überschritt; da legte ich
Rosenzweige unter Ihr Laken, damit
auch Sie kennen lernen sollten, wie es
sich ans Dornen ruht."
„Das hat Dir der Satan einge-
geben," fuhr Slvwfield wild auf, und
er folgte Nelly nach der Schlafkammer,
„abgebrochen sind die Stacheln in meiner
Haut, daß es schmerzt, wie höllisches
Feuer. Der Doktor wird morgen eine
Stunde gebrauchen, um sie alle heraus-
zuziehcu. Ich sage Dir, Weib, bringst
Du mit Deiucr Tücke mich zum Aenßer-
sten, so stehe ich für nichts. Zu lange
schon übte ich Geduld, und die er-
reichte mit dem heutigen Tage ihr
Ende."
„Ihr Schmerz schwindet in einer
Stunde," erwiedertc Nelly vollständig
leidenschaftslos, „der meinige hat ge-
dauert an die zwanzig Jahre, ohne
sich jemals zu mildern."
Mit den letzten Worten schlug sie
das Laken zurück, und «eue Borwürfe
und Drohungen strömten auf sie eiu,
als Slowfield gewahrte, mit welchem
Bedacht die dornigen Zweigenden ge-
ordnet worden waren.
„Ich hätte Bist, Dir eins der Dinger
durch Dein verrätherisches Angesicht zu
ziehen," bemerkte er zähneknirschend

Die Familie Melville.
Roman ans der Zeit des nordamerikanischcn Bürgerkriegs.
Von
Balduin Möllhanscn.
(Fortsetzung u. Schluß., verboten.)
ch habe bereits gegessen," antwortete Slow-
field erzwungen sorglos, und in demselben
Maße, in welchem Nelly mit ihrer starren
Ruhe ihm bedrohlicher erschien, verflüchtigte
sich die Wirkung der im
„ Uebermaß genossenen Ge-
senke, „das Einzige, was ich bedarf,
ist Ruhe nach dem anstrengenden Ritt."
. „Sie kommen von weit her," ver-
fitzte Nelly vollständig ausdruckslos,
t-Eie haben viel gesehen und gehört;
landen Sie meine Kinder?"
Slowfield fühlte das Blut in seinen
lldern erstarren. Furchtbarer, denn je
Zuvor, erschien ihm diese unzählige
Male an ihn gerichtete Mahnung. Er
Rsaß indessen dir Selbstbeherrschung,
tröstlich zu antworten:
„Um Deine Kinder beruhige Dich,
fiellh, die befinden sich in guten Hän-
und gedeihen von Tag. zu Tag."
„Auch mein Sohn Harry?"
„Ein ganzer Mann ist er geworden."
Nelly zuckte mit keiner Miene und
Uagte weiter: „Und Fanny, meine
Tochter?"
. „Man schrieb mir, sie entwickele sich
ltzuuer schöner. Sie muß das Eben-
bild ihrer Mutter werden. Du glaubst
stur nicht; ich sehe es Dir an. Aber
fitz will Dich überzeugen. In einigen
^agen gebe ich Dir Geld, da magst Du
M ihnen reisen und sie hierher bringen,
tsfin Weg beschreibe ich Dir gcnan,
daß Du nicht irren kannst. Doch jetzt
R'gib Dich zur Ruhe nnd überlege Dir
ö>e Sache. Was nur immer Du wün-
schen magst, in Allem komme ich Dir
tfirn entgegen."
Anstatt, wie Slowfield zuversichtlich
^wartete, Ausdrücke des Dankes und
freudiger Hoffnungen zn vernehmen,
fihrte die Quarterone sich mit einem
frostigen: „Gute Nacht" ab und in
ihrer seltsam geräuschlosen Weise ver-
fwß sie das Zimmer. Slowfield lauschte
ihr so lange nach, bis er sie ihr Ge-
mach betreten hörte; dann verriegelte
ifi die Thür und jetzt erst athmete
auf.
„Das kann nicht so weiter gehen,"
'brach er vor sich hin, „diese ewige
 
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