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Helt 17,
. Joachim ließ ihre Hand sinken nnd sah ihr nut
""" Blick leiser Trauer in die Augen. „Wollen Sie
ue wirklich den Glauben nehmen, daß Ihre Flucht
" nichts durch meine Person beeinflußt worden sei?
,7'., Priele, dann freilich lebte ich einem Wahn, der
PH all' das Schwere, welches die letzten Tage über
'mFgebracht, leichter tragen läßt!"
r , Vie drehte hastig den Kols von ihn: fort, was
Witte,sw thM darauf sagen ? Sie fand nicht einmal
v"i i >un das Unglück, das ihn betroffen und
wtchez dben andcntete, zu beklagen, ihr Herz schlug
snuhig und ihre Gedanken richteten sich nur auf die
"w Frage, was ihn hierher geführt.
Eine Panse schweigender Erwartung entstand zwischen
sw'U, endlich begann Joachim Wiedern „Trotz der
futcren Enttäuschung, welche Ihr Schweigen für mich
BH schließt, lassen Sie mich dennoch den Punkt
fuhren, der, ob so oder so, doch viel an Ihrer Flucht
^""ulaßt hat Poch an demselben Abend, an welchem
Hw Römnitz verlassen haben, bekam ich Kenntnis? von
^"enl Geheininiß, das seine dunklen Fittige so lange
."'gehindert ausbreitcn konnte, nnd seit jenem Augenblick
b es mein eifrigstes Bestreben gewesen, das Unrecht,
Vs auch ich Ihnen unbewußt angethan, wieder gut zu
"gehen. Es ist mir eine freudige Genugthnnng für
Ihnen sagen zu dürfen, daß' auch der leiseste
Schatten des entehrenden Verdachtes, welcher ans dem
Brnien JhreS Vaters lag, gelöscht ist. In diesem
stvgenblick gibt cs Wohl Niemanden mehr in M., der
nur die Person des einzig L-chnldigen an jenem Ver-
gehen noch einen Zweifel hegt."
Gabriele konnte einen Nus der Bestürzung nicht
'Verdrücken; dann mußte ja Joachim Alles wissen,
"G Has Opfer, welches sie gebracht, war überflüssig
gewesen! Sie starrte ihn fassungslos an, nur die
'Vage, ob Grnnert ihm das Geheimnis; verrathen,
wängte sich über ihre Lippen.
Joachim schüttelte den Kopf nnd berichtete ihr nun,
Vs ihn auf so unerwartete Weise zur Kenntniß der
Vehnld gebracht, die sein Vater einst mit sich in's
jrab genommen. „Jetzt ist sie gesühnt," schloß er mit
uncn, Athemzugc, „vor drei Tagen war ich in M.,
w.n die Beweise der Unschuld Ihres Vaters vor der
VAigen Kaufmannschaft niederzulegen. Ich selbst drang
"ch die nothwendigc Veröffentlichung derselben und
glaube dadurch die mir von meiucm Vater übertragene
Vifgabe zur Sühnung des begangenen Unrechts in
b'svein Sinne gelöst zu haben, wie ich auch der Erste
st'" wollte, der Sic von dem Geschehenen in Kenntnis;
ntzt. Gabriele, sind Sie mit dieser Sühne zufrieden ."
„ Sie sagte, nichts, allein sie litt cs, daß er ihre
Wände ergriff und sie leise an sich zog. Wieder übcr-
min sw Gefühl des Gebvrgenseins, welches sic
VW,als empfunden, als er ihr zuerst die Arme cnt-
gogengestreckt, nm ihr an seiner Brust eine Heimath
geben; wie ermüdet lehnte sie jetzt den Kopf an
awe Schulter und hörte, was er ihr von den letzten
Vorgängen in Römnitz erzählte, vom Brande der Fabrik,
von Arel's Tod und Barvivsky's Verschwinden.
. Plötzlich aber fuhr Gabriele auf nnd sah ihn mit
ichenen Blicken an. „Und Grnnert?" frng sie leise,
'lagernd.
.Joachim nahm sie fester in seine Arme. „Er ist
"m. de,,, Wege nach England! Nachdem ich ihn, be-
grcifiich gemacht, daß sich die Lage der Dinge voll-
nandig geändert und ich fest entschlossen sei, die Wahr-
>r,t «„'s Licht des Tages zu bringen, mußte er sich
Vhl au,,, der Aussichtslosigkeit seiner Hoffnungen über-
'h'Pt halten. Er nahm daher die Hilfe, die ich ihm
lUm Beginn eines neuen Lebens bot, bereitwillig an,
"nd übergab mir zur Sicherung des Versprechens,
"vhsn Anspruch ans das gegebene Wort Gabriele Brun-
"V s zu entsagen, diesen Brief."
Gr zog ein Papier ans der Brnsttasche und reichte
Gabriele, es war der Brief, welchen sie am Abend
Gwr Flucht an Grnnert geschrieben.
. «Gott fei gedankt, mm bin ich frei!" rief sic, nach-
"w sie einen Blick darauf geworfen.
Joachim sah ihr tief in die glanzenden Augen.
" Gabriele, bist Du es wirklich noch?"
„Joachim!" Wie eil. Aufjauchzen tiefinnersten
'linkes kam es von ihren Lippen nnd sagte ihm besser
?.P tausend Worte es vermocht hätten, daß ihr Herz
"" ewige Feiten an das seine gekettet sei durch die
wlöslichen Bande der Liebe.
Einige selige Minuten vergingen für Beide, dann
wo Gabriele leise den Kopf. „Und — Deine Mutter?"
GPhsie zögernd.
s Joachim's Gesicht wurde ernst. „Axel's jäher Tod
lV sie ticf gebeugt, allein er hat sie gerechter gemacht
P'tzen mich. Wenn auch nur allmählig, so baut sich
j"ch eine Brücke zwischen uns, auf der sie nur lang-
wni, Schritt für Schritt, entgegenkommt. Eie weiß
"" die jüngsten Vorgänge im Herrenhause, nnd ich
Vanbe, es ist dadurch ein Schleier von ihrem inneren
Vnge genommen, der sie Alles in versöhnenderem Lichte
n'hen läßt. Was ihre plötzliche Umkehr bewog, war
"cht allein Axel's Tod, sondern das, was diesem vorans-

Das Buch für All e.

ging. Tas muß furchtbar an der Seele dieser Frau
gerüttelt haben, wenn es im Stande war, den Jahre
langen Haß zn durchbrechen. Gott allein weiß es und
er wird die Sünde, die Arel in einem Moment der
Verblendung vielleicht auf sich laden wollte, mit barni-
herziger Hand anslvschen!"
Eine Thräne glänzte in Gabriele's schönen Augen.
„Amen!" flüsterte sie leise, die Hände faltend.
„Jawohl, er ruhe in Frieden!" fügte Joachim
hinzu nnd fuhr dann fort, die Geliebte an sein Herz
ziehend nnd ihr in die schimmernden Angen blickend:
„Wir aber, Gabriele, wollen der Zukunft mnthig ent-
gegensetzen; die Schatten der Vergangenheit sind ge-
lichtet, die Schuld des wvdten ist an den Lebenden
gesühnt nnd aus den alten Manern des Herrenhauses
zu Römnitz wird der jungen Herrin Lei ihrem Einzug
Ivie ein warmer, frühlingsathmender Gruß das Wort
entgegen klingen, dem sie anf's Nene dort eine Heimath
gegeben, das köstlichste Geschenk, verliehen der Mensch-
heit nach heißem Ringen nnd Kämpfen: Friede —
Versöhnung!"
End e.

Eine moderne Ehe.

Roman
V0N
A. G. v. Suttner.
lNachdnnt verboten.)
ie zweifeln an meinen Worten?" — Otto-
kar's heißer Blick heftete sich starr auf
seine jugendliche Nachbarin, die köpf-
schüttelnd ihren Fächer auf- nnd znklappen
E ließ. „Sie glauben mir nicht?"
Sidonie schloß den Fächer und hielt
ihn gegen die Spitze ihres kleinen Fingers: „Nicht so
viel," sagte sie ruhig.
Der junge Alaun folgte dieser Bewegung nnd blickte
eine Sekunde lang zerstreut nach der kleinen rosigen
Fingerspitze, dann sagte er leise: „lind warum wollen
Sie meinen Versicherungen keinen Glauben schenken?"
„Weil es sogar schon in den Romanen zum über-
wundenen Standpunkt geworden ist, Graf Hagcnbach.
Dieses einst so beliebte sich kam, sah nnd siegte...
oder wie Sic es umzuäudern die Freundlichkeit haben:
,Jch kam, sah nnd — ward besiegt' ist heutzutage ver-
altet. Wie wollen Sie, daß ich Ihnen glauben soll,
da Nur uns vor wenigen Stunden erst kennen gelernt
haben?"
-Ottokar fühlte sich getroffen. Aber der Etzampagncr
hatte ihm die Wangen geröthet und den Familien-
eigensinn der Hagenbachs wach gerufen. „Trotz dieser
neuesten Wclterfahrung wiederhole ich's und bestehe
darauf: Sie sind die erste junge Dame, deren Gesell-
schaft mich wirklich fesselt. Ich gebe Ihnen mein
Wort, daß ich spreche, wie ich denke."
„Tic Erste von der wievielten Serie?"

„Ich meine, mein Wort sollte jeden Scherz aus-
schließen.' Seine Stimme klang ein wenig gereizt.
„Pardon, ich vergaß. Ein Weniges noch, und Sic
forderten mich, wie? 'Nun, sprechen wir von etaas
Anderem. Doch horch - man klingelt an ein Glas,
das wird offenbar ein Toast werden."
In der That hatte sich ein Herr erhoben, der dem
jungen Paare gegenüber gesessen hatte. Der runde
Kopf, von struppigem, fuchsigem Haar und Bart um-
wuchert, saß etwas tief in den Schultern, und in den
tellergroßen Brillengläsern spiegelten sich die zahlreichen
Lichter so hell, daß man statt der Augen nur zwei
glänzende Scheiben sah. Der Körper war durch den
massiven silbernen Blumenaufsatz gänzlich verdeckt; eS
schien, als ruhe das Haupt inmitten dieser Massen von
leuchtenden Blüthen.
Das zerstreute für einen Augenblick Ottokar s Ge-
danken; ein Lächeln nur mühsam verbeißend, frng er
seine Nachbarin: „Wer ist der Herr? Ein Ver-
wandter?"

„Nein, aber ein langjähriger Freund unseres Hauses.
Es ist Doktor Naumann, der bekannte Vertheidiger,
mein ehemaliger Vormund."
Nachdem der Kopf gegenüber sich geräuspert, begann
er in längerer Rede die Gastlichkeit des Hauses Kohler
zn rühmen, um endlich mit einem donnernden Hoch
auf die Frau vom Hause zu schließen. Das brachte
alle Stühle der Herren in Bewegung; Einer nach dem
Anderen schritt auf die Hausfrau zn, um mit ihr an-
zustoßen. Als Ottokar an die Reihe kam, sagte er
verbindlich: „Ihr Fest ist wirklich außerordentlich ge-
lungen, ich habe mich schon lange nicht so trefflich
unterhalten wie heute, gnädige Frau."
„Sie beschämen mich, Herr Graf," erwiederte Fran
Köhler geschmeichelt, „hoffentlich werden Sie uns von
nun an öfter das Vergnügen schenken."
Eine stumme Verbeugung war Ottvkar's Antwort;
es drängten noch mehrere Personen nach, die ebenfalls

395

anstoßen wollten. „Süperb!" versicherte Lieutenant
v. Pottenheim. — „Unseren Dank!" lispelte Hofsekretär
Marbach. — „Auf häufige Wiederholung," lächelte
Bankier Grünstein, nnd schließlich ein joviales „Prosit"
von Seiten des Großindustriellen Plankenberg. Dann
rückte wieder Alles zusammen und das Tischgespräch
nahm seinen Fortgang.
Ottokar svrac'h flüsternd, aber sehr eindringlich mit
der schönen Tochter des Hanfes. Sie lachte über seinen
nun in's Sentimentale spielenden Ernst, ihr scharfer
Geist erkannte sogleich, daß es Effekthascherei war, die
ihn bewog, sich und sein bisheriges Leben arg herzu-
nehmen und anzuklagen, aber gleichzeitig schmeichelte
es ihr doch ein wenig, daß dieser Aristokrat, der den
zweifelhaften Ruf genoß, nur an Karten nnd Pferden
Gefallen zu findens sich soviel Mühe gab, ihr Interesse
zn erwecken.
Ottokar entging es keineswegs, daß sich hinter ihrem
Lächeln und Necken doch etwas wie Theil nähme ver-
barg, und er trachtete, den Moment nach besten Kräften
auszunützen; fein Plan Ivar schon an jenem Tage, ge-
macht worden, als ihn Sidoniens Bruder, Daniel,
nach einigen Uniform- und Wappenträgern fahndend,
aufforderte, den Ball mit seiner Gegenwart zu beehren.
Das Zwiegespräch wurde immer angelegentlicher,
Während die verworrenen Stimmen der anderen Tisch-
genossen eine surrende Begleitung dazu abgaben. Alles
fühlte sich durch den reichlich genossenen Ehampagner
zum Sprechen angeregt. Lieutenant v. Pottenheim
belehrte mit salbungsvollem Ernste ein erstaunt in die
Welt blickendes blondes Backfi'chchen, Ivie man auf die
einfachste Weise stutzige Pferde gefügig machen könne.
Bankier Grünstein besprach, über seine mittelalterliche,
unausgesetzt lächelnde Nachbarin hinüber, mit Doktor
Naumann den spannenden Betrugsprozeß, in welchen
ein allgemein bekannter Geldmann verwickelt war, und
dessen Vertheidigung der Advokat übernommen hatte,
und Hofsekretär Marbach, der ewig Lispelnde, erging
sich mit einer jungen Wittwe in tiefinnere Auseinander-
setzungen über Beethoven'schc Sonaten nnd Haydn'sche
Symphonien.
Der Einzige, welcher sich mehr anf's Zntzören ver-
legte, war Herr Plankenberg, und das hatte seinen
guten Grund: ein Feinschmecker, wie er, wußte den
saftigen Fasanenbraten zn schätzen, nnd um das Weiße
Bruststück, das auf seinem Teller lieblich „wildelte",
voll zu genießen, war es besser, zu schweigen; sprach
man doch rechts und links zur Genüge, wozu also da
auch noch überflüssige Worte verlieren? Nur hier und
da, wenn er von seiner Beschäftigung des Skelettireus
abließ, um nach dem Ehampagnertclche zn greifen,
hob er die trägen Augenlider empor, schlürfte be-
haglich den perlenden Wein, warf einen Blick äußerster
Glückseligkeit nnd innigsten Wohlwollens um sich, und
ließ ein kurzes Grunzen vernehmen, das man entweder
als Beifall über eine soeben erzählte Anekdote, oder
als Wonne-Ausdruck über den gehabten Genuß auffassen
konnte.
Neben der Fran vom Hause saß eine Persönlichkeit,
die viel nnd laut sprach, und an deren Lippen ein
Theil der Gäste mit einer Art Verzückung hingen.
Herr Acar Stein war aber auch ein Mann, der das
Recht hatte, Huldigungen entgegen zu uehmeu! Blochten
ihn immerhin seine Nejder das „goldene Ballkalb"
nennen, sie sollten es ihm nur nachmacheu, wenn sie
konnten! Er besaß des blanken Metalls so viel, daß
er nicht recht wußte, wie er dasselbe verwenden sollte,
damit es ihm doch wenigstens die gesetzlichen Zinsen
trug. Und alles das durch eigene Arbeit erworben.
„Ja, mit diesen Händen, bester Herr" so liebte er-
es, den Uneingeweihten auf seine persönlichen Verdienste
aufmerksam zu machen. Zwanzig Jahre hindurch war
er ein kleiner Eomuiis gewesen, der sich seinen spär-
lichen Gehalt Kreuzer für Kreu.er zusammeulegte, nm
schließlich einem genialen, aber immer geldbedürftigen
Kopfe ein Geheimnis; abzutaufen, das ihn nach kurzer
Zeit zum vermöglichcn Manne nnd schließlich zum
Nabvb machte. „Was war das für ein Geheimnis;?"
frng dann hin und wieder Einer, der gerne auch die
Kunst des Geldmacheus erlernt hätte.
„Ja, sehen Sie, mein Lieber, da es ein Geheimnis;
ist, darf ich's Ihnen wohl nicht verrathen." Und Herr-
Acar Stein rieb sich vergnügt die Hände, um den
Anderen verblüfft stehen zu lassen.
Wie er zu seinem riesigen Vermögen gekommen
war, wußte thatsächlich Niemand. Ob er es auf ehr-
lichem Wege erlangt oder ob der kleine bommis von
damals vielleicht seinen Prinzipal todtgefchlagen, nm
den Raub auf der Börse zu fruktifiziren, wer konnte
es sagen? Heute kümmerte sich auch Niemand weiter
um die dunkle Vergangenheit des geheimuißvvllen
Mannes, heute galt er, wie es bei reiche» Leuten die
Regel ist, als Ehrenmann und Fiuanzgröße ersten
Ranges.
Herr Stein sprach so laut, daß er oft die Stimme
der anderen Tischgenossen übertönte. Dann trat eine
minutenlange Stille ein, nnd man lauschte der
neuesten Börsenanekdote, die natürlich von einigen
 
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