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458

ankündigtest. Es soll mir sogar eine besondere Freude
gewähren, den Kapitain Stocton als Gebieter von
Melvillehouse zu begrüßen, dann aber mein Bündel
zu schnüren und der alten Heimstätte auf ewig den
Rücken zu kehren."
Und wiederum blickte sie feindselig triumphirend
im Kreise, als Gregor ohne das leiseste Merkmal innerer
Erregung das Wort ergriff.
„Beruhigen Sie sich," kehrte er sich zunächst Slow
field zu, und der aufmerksamste Beobachter wäre nicht
im Stande gewesen, auch nur einen Anflug von Spott
im Tone seiner Stimme zu entdecken, „Sie verlieren
durch die Vernichtung des Schlüssels nichts. Bis auf
den letzten Cent sollen Ihre gerechten Ansprüche be-
friedigt werden, ohne daß Sie deshalb eine Einigung
mit den anderen Gläubigern anzustreben brauchen."
Dann zu Miß Sarah: „Durch die Vernichtung des
geheimnißvollen Alphabets haben Sie mich des einzigen
Mittels beraubt, diejenige Schonung walten zu lassen,
n>ie eine solche ursprünglich in meinem wie der übrigen
Verwandten Plan lag."
Er ließ eine kurze Pause eintrcten, um seine Geg-
nerin, die nunmehr verstört dareinschaute, Zeit zu
gönnen, die Bedeutung des eben Vernommenen zu
prüfen, und mit tiefem, an Wehmuth streifendem Ernst
hob er wieder an: „Als Edith, die engelgleiche Gattin
Gilbert's und die Mutter seines kleinen Töchterchens,
ihr Ende nahen fühlte oder vielmehr dasselbe ahnte,
setzte sie mich nicht nur als Erben ihres Kindes ein,
sondern auch als den Vollstrecker ihres letzten Willens.
Zugleich übergab sie mir mancherlei Papiere und eine
Anzahl Briefe, aus denen ich Vieles erfuhr, was von
Angesicht zu Angesicht mir anzuvertrauen der Tod sie
hinderte. Von den beiden rätselhaften Schriftstücken,
welche Marianne und Gilbert aus des Colonels Händen
empfingen, wußte sie ebenso wenig, wie ich Nur etwas
befand sich in ihrem Besitz, was, wenn auch unver-
ständlich, an dieselben erinnerte.
„Kurz bevor sie auf Anstiften Derjenigen, die sie
hätten schützen sollen, als Landesverrätherin verwiesen
und verstoßen wurde, erhielt sie einen Brief von dem
Colonel. Die Handschrift nach flüchtigem Hinblick er-
kennend, öffnete sie denselben, ahnungslos, daß bei
dessen Einhändigung ein in jenen Zeiten sich häufig
wiederholender Jrrthum begangen worden war, also
nicht Mrs. Melville die Empfängerin sein sollte,
sondern Miß Melville. Erst als sie den Inhalt zu
lesen begann, entdeckte sie den Mißgriff, der um so
verzeihlicher, weil durch ihren vorübergehenden Aufent-
halt hier auf der Plantage die beiderseitigen Adressen
bis auf zwei oder drei Buchstaben sich nicht von ein-
ander unterschieden. Der Brief enthielt nur wenige
Zeilen, so daß sie deren Inhalt gleichsam mit einem
einzigen Blick in sich aufnahm. Da hieß cs: ,Bei-
liegend das Angekündigte. Verwerthe es zu seiner
Zeit in der bewußten Weise zu Mariaune's und Gil-
bert's Besten. In großer Eile/ Das war Alles.
Außerdem hatte er zwei Blätter beigefügt, welche,
gleichlautend, einen von dem Colonel augefertigten
Schlüssel zur Lösung einer Chiffreschrift enthielten.
„Edith, wähnend, daß das eine Blatt ihrem Manne
zugcdacht sei, zugleich für dessen Sicherheit sürchtend,
wenn es in andere Hände fallen sollte — und die
Familienzwistigkeiten und Anfeindungen hatten ja be-
reits begonnen entschloß sich nach längerem Schwanken,
das vermeintliche Eigenthum Gilbcrt's in ihre eigene
Obhut zu uehmeu. Der Fehler, welchen sie damit
beging, ist gewiß verzeihlich; heute aber, nach dem,
was wir eben beobachteten, nenne ich ihn eine glückliche
Fügung des Geschicks. Sorgfältig schloß sie den nur
noch mit einem Blatt versehenen Brief wieder. Es
gelang um so leichter, weil der Colonel, wahrscheinlich
durch kriegerische Ereignisse gedrängt und in Ermangelung
eines besonderen Umschlages, die eine Hälfte des Bogens
durch künstliches Falteu als Umschlag benutzt hatte.
Durch Erneuerung des Siegels wurde die Täuschung
vollständig verheimlicht, und Sie, verehrte Tante Sarah,
hatten ja keine Ursache, beim darauf folgenden Em-
pfang sich viel mit der Außenseite des Briefes zu be-
schäftigen; und das Wort: ,Einliegendes' konnte sich
ebenso gut auf ein Blatt, wie auf ein volles Dutzend
beziehen.
„Der Colonel kehrte nicht mehr zurück; Edith sah
ihren Gatten nicht wieder, und so blieb der für Gil-
bert bestimmte Schlüssel ohne ihr Wollen in ihren
Händen, wogegen wir den Mariaune's eben in unent-
wirrbare Schnitzel zerfallen sahen. Und noch einmal
nenne ich aus tiefster Ueberzeugung Edith's Handlung
eine Eingebung von oben, ohne welche wir fernerhin vor
einem Räthsel ständen, dessen Lösung unendliche, wenn
nicht gar unüberwindliche Schwierigkeiten bereitet hätte."
„Also bestohlen und betrogen hat mich das hinter-
listige, verrätherische Weib," fuhr Miß Sarah aus
ihrem sie förmlich erstarrenden Entsetzen auf, sobald
Gregor geendigt hatte; „nun ja, das sieht ihr ähnlich,
rechtfertigt nachträglich, wenn ich selber dafür stimmte,
der Landesverrätherin gegenüber keine Schonung walten
zu lassen."

Das Buch für Alle.
Marianne war bei dieser furchtbaren Anklage auf-
gesprungen, sank aber zurück, als Stocton ihre Hand
ergriff und Frank sie auf Gregor aufmerksam machte,
der, wie beschwörend, seinen Arm erhoben hatte. Sein
Antlitz hatte sich dunkler gefärbt, und was nur immer
an langjährigem Haß und unauslöschlichem Rache-
gefühl in ihm lebte, das sprühte aus seinen Augen.
„Miß Sarah," sprach er trotzdem ruhig und jedes
Wort besonders abwägend, „vergessen Sie" nicht: Sie
schmähen eine Verstorbene, eine arme Dulderin, in den
Tod getrieben durch Lieblosigkeit und Tücke."
Miß Sarah beugte sich ein wenig. Ihre in ein-
ander spielenden Hände zitterten krampfhaft. Sie
wollte offenbar einen neuen Angriff folgen lassen, als
ihr Blick dem Stocton's begegnete. Tiefer neigte sie
das Haupt, indem sie den auf ihr ruhenden schwer-
müthigen Augen auszuweichen trachtete; sie gewahrte
daher nicht, daß Gregor seine Kaltblütigkeit zurück-
gewann, in Slowfield's Antlitz dagegen ein neuer Hoff-
nungsschimmer aufleuchtete.
„So mögen die Todten sanft ruhen, gleichviel, wo-
hin ein feindliches Geschick sie bettete," nahm Gregor
alsbald wieder feierlich das Wort, „wir aber wollen
uns nur noch an Thatsachen halten. Bis zur letzten
Minute hoffte ich, daß meine gerechte Forderung an-
erkannt werden würde. Es ist nicht geschehen, und ich
muß zum letzten Hilfsmittel greifen." Er zog ein zu-
sammengefaltctes Papier aus der Tasche und fuhr
fort: „Hier ist die Uebersetzung der beiden Dokumente,
ohne Schwierigkeit angefertigt nach dem durch Edith
geretteten Schlüssel. Deren Prüfung stelle ich nach
Verlesung Jedem anheim. Sie lautet übrigens, daß
Keiner vor derselben zurückzuschrecken braucht. Im
Gegentheil: jedes Wort athmet Liebe uud Versöhnung,
treue Fürsorge für alle Hinterbliebenen."
Er schlug das Papier auseinander, und da Niemand
Einwendungen erhob, las er vor:
„Der Krieg gewinnt an Umfang und Erbitterung.
Er kann nur noch mit dem Untergange des einen Gegners
enden. Unterliegt der Süden, so sind alle Opfer, welche
der Einzelne seinem Vaterlande brachte, verloren. Ich
sehe die Zeit kommen, in welcher meine Plantage so
weit mit Schulden belastet sein wird, daß kein Stein
der Gebäude, kein Halm aus den Feldern mehr mein
Eigenthum. Melvillehousc bildet mein eigenes Ver-
mögen. Außerdem besitze ich an barem Gelde Alles,
was meine verstorbene Frau mir einbrachte, nnd das
ist unantastbar. Stände ich allein, so würde ich auch
das auf den Altar des Südbundes niederlegen. Aber
ich besitze Kinder, von denen ich nicht weiß, ob sie den
Krieg überleben, ob sie verkrüppelt oder siech aus dem-
selben hervorgehen; und meine Tochter Marianne mit
ihrem männlich starken Herzen ist ja denselben Ge-
fahren ausgesetzt, wie Du, mein Sohn Gilbert. Ich
will daher Euer mütterliches Vermögen für Euch
retten. In edler patriotischer Begeisterung habt Ihr
Euch von Eurem Liebsten getrennt. Ich billigte es,
mußte es billigen, wenn auch nur, um die Schwach-
herzigen durch Euer Beispiel zu crmuthigcn. Ist der
Krieg beendigt, ist eine Trennung des Südens von dem
Norden erfolgt, so hindert Euch nichts mehr, mit den
Eurigen Euch wieder zu vereinigen, uud mein Segen
gilt Euch Allen in gleichem Maße.
„Lange habe ich gesonnen, ans welche Art das Ver-
mögen Eurer Mutter unverkürzt erhalten werden könne.
Bliebe es im Lande, so wäre es gefährdet. Ginge es
vor Beendigung des Krieges in Euren Besitz über, so
würdet Ihr es, ähnlich Eurem Vater, für patriotische
Zwecke hingeben. Aber auch davor möchte ich Euch
bewahren, daß durch Verschreibungen oder auf dem
Wege der Erbschaft durch Eure nächsten Angehörigen
das Geld den Feinden unserer Institutionen zufließt.
Ich habe daher das ungetheilte Kapital selbst nach
der Havanna hinüber getragen und einem hochacht-
baren Bankhause zur Verwaltung übergeben. Dort
steht es vollkommen sicher; ausgeschlossen ist freilich
nicht, daß anderweitige unberechenbare Unregelmäßig-
keiten, die von den Kriegswirren unabhängig, dasselbe
gefährden. Ich mag vielleicht zu ängstlich sein, aber
zu meiner eigenen Beruhigung glaubte ich nichts ver-
absäumen zu dürfen, was nur irgend zur erhöhten
Sicherheit Eures ErbeS beitragen kann. Mit unend-
licher Geduld und Mühe schrieb ich nach einem zuvor
von mir selbst angefertigten Alphabet diesen meinen
letzten Willen in Ziffern und zwar in zwei gleich-
lautenden Exemplaren nieder. Das eine gehört Dir,
meine Tochter, das andere erhältst Du, mein Sohn
Gilbert. Die beiden dazu gehörenden Schlüssel bleiben
Euch indessen vorenthalten; denn auch Ihr seid schwache
Menschen und mögt in Lagen gerathen, in welchen Ihr,
den Eindrücken des Augenblicks unterworfen, Ver-
fügungen trefft, welche zu bereuen Ihr später Ursache
findet. Meiner Schwester Sarah, Eurer treuen Tante,
übergebe ich daher die beiden Schlüssel. Sie wird
dieselben gewissenhaft hüten, bis sie den Zeitpunkt für
gekommen erachtet, in welchem sie unbesorgt das Er-
heben des Vermögens in Eure Gewalt legen darf.
Sie ist meine liebe Schwester. Unter demselben Dach !

Htst 20-
sind wir geboren, in denselben Grundsätzen erzogen wK
in demselben Maße beseelt von glühender Begeisterung
für unsere südlichen Institutionen, für unser von den:
Norden losgerissenes Vaterland. Es gereicht mir aflo
zur Beruhigung, Eure Zukunft gewissermaßen ihrs"
Händen anvertraut zu haben, und keinen Augenbuc
bezweifle ich, daß ihre Entscheidung, im Falle ich selbst
den Krieg nicht überleben sollte, zur rechten Stunde
getroffen wird.
„Das ganze Vermögen beläuft sich auf dreimalhnu-
dertundzwanzigtausend Dollars, angelegt zu einem
mäßigen Zinsfuß in sicheren Papieren. Das Bmst-
Haus heißt Romero L Comp. in der Havanna. Vis
zur Erhebung des ganzen Kapitals ist das Bankhaus
verpflichtet, die Zinsen, so weit sie erforderlich, Euch
zufließen zu lassen, jedoch nicht unmittelbar, sondern
durch die von ihr selbst gewählte Behörde, welche dm
Zahlungen an den von mir zum Bevollmächtigten cr-
nannten Mr. Slowfield zu leisten hat. Von ihufl
meinem bewährten Freunde, weiß ich, daß er gewisse
haft zwischen Euch und jener Behörde vermittelt. M»
Namen des Bankhauses kennt er ebenfalls nicht. Durch
dieses seltsam erscheinende Verfahren erreichte ich, datz
Keiner sich mit der genannten Firma in unmittelbaren
Verkehr setzen und sie durch Forderungen zur unrechten
Zeit belästigen kann. Ist die Stunde da und Ihr
habt Kenntniß von Euren Dokumenten genommen, st
begebt Euch nach der Havanna und legt den Herren
Chefs eine genaue Uebersetzung vor, und nachdem Ist
Euch als wirkliche Melvilles ausgewiesen habt, stest
der Auszahlung des Geldes nichts mehr im Wegst
Ohne dieses Verfahren, oder wenn andere Verhältnisst-
wohl gar Todesfälle dazwischen treten sollten, bleibt
das Vermögen, ohne Schmälerung der Nutznießung der
Zinsen, in der Verwaltung des Bankhauses auf psf
Dauer von zwanzig Jahren. Nach Ablauf dieser Frist
ist dasselbe ermächtigt, Nachforschungen nach Euch um
Euren Kindern anzustellen und das Weitere zu ver-
anlassen. Darauf bezügliche, gerichtlich beglaubigst
Verfügungen habe ich ebenfalls bei Romero L Comp.
niedergelegt.
„Ueber die Plantage treffe ich keine Entscheidung.
Es würde mir selbst wie Hohn erscheinen gegenüöst
den auf ihr lastenden Schulden. Sind erst friedliche
Zeiten eingekehrt und Ihr befindet Euch im Besitz des
Geldes, so einigt Euch geschwisterlich um die lieber-
nähme. Es ist mein stiller Wunsch, daß das StamM-
gut meiner Vorfahren auch fernerhin Eigenthum eines
Melville bleibe, und würde zu solchem Zweck Marianne s
Sohn erforderlichen Falls den Namen seines Großvaters
führen.
„Eure Tante Sarah, die so manches Jahr mich vel
Euch vertrat, besitzt, wie Ihr wißt, kein Vermögen
mehr. Ihr Letztes gab sie in edler Selbstverleugnung
für's Vaterland hin. Dafür sichere ich ihr bis ans
Ende ihrer Tage eine Stätte in Melvillehouse zu und
verpflichte Euch, zu gleichen Theileu die Summe von
achthundert Dollars ihr jährlich auszuzahlen. Äs
werdet sie lieben und ehren, nie vergessen, daß ich m
zu einer Art Vorsehung für Euch erkor. Slowfield,
mein treuer Freund und Berather, ist ermächtigt, von
den jeweiligen Geldtransaktiouen die üblichen Prozente
für seine Mühewaltung zu erheben. Dadurch wirs
seine spätere Rechenschaftsablegung vereinfacht. Ist
hoffe von Euch, daß Ihr auch in ihm den Freund
Eures Vaters achtet und ehrt."
Hier hielt Gregor inne, um, gleich den klebrigen,
seine Blicke auf Slowfield zu heften. Dieser, anscheu
ncnd in Gedanken versunken, sah starr vor sich nieder.
Nur seine Lippen, die sich sester ans einander legten,
verricthen die vernichtende Wirkung des eben Ver-
nommenen auf ihn.
„Da ist noch Jemand," hob Gregor alsbald wieder
zu lesen an, „noch Jemand, der unter meinen Augen
aufwuchs, Gregor Melville, der Sohu meines Vetters.
In ihm liebte ich nicht allein seine verstorbenen Eltern,
sondern auch seiner ungewöhnlichen Gewandtheit und
Verwegenheit wegen war er mir an's Herz gewachstst
Vielleicht berücksichtigte ich zu wenig seinen leicht >n
Trotz ausartenden Stolz, oder er möchte mir einen
größeren Einfluß auf sich eiugeräumt haben. Ist
fürchtete für ihn und meine Ahnungen haben mist
nicht betrogen: anstatt in ein südstaatliches Regiment
cinzutrcten, verschwand er eines Tages in nördlicher
Richtung. Ich hörte nichts mehr von ihm. Werstveiß,
er mag nicht mehr unter den Lebenden weilen. Sollte
er indessen eines Tages wieder anftanchen, sein Weg
ihn nach Melvillehouse führen, gleichviel, ob im ärm-
lichen Gewände oder in unabhängiger Stellung, daN»
nehmt ihn auf als einen der Eurigen. Nennt Euer
Haus das seinige, gebt ihm, wenn er dessen bedürftig-
richtet ihn auf, wenn herbe Erfahrungen ihn beugte».
Doch ich kenne ihn: kehrt er zurück, so geschieht es am
ganzer Mann, oder nie. In ihm wohnen der Stobi
und der Starrsinn eines Melville, die, wenn in rich-
tige Bahnen gelenkt, zum Guten, sonst aber auch st"
ungehemmten Einherstürmen zum Bösen, zum Unglim
führen können.
 
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