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an: Feuer erheben, ich sah sein Gesicht, da wußt'
ich's."
„So muß er sterben."
„Sie wollten wirklich ...? Ich bitte Sie, nicht zwei
Glieder von einem Stamme! Das bringt unzweifel-
haft Verderben! Lassen wir es genug sein an dem
Einen! Und wie wollen Sie eine solche Blutthat, zu
der nicht die geringste Veranlassung vorliegt, den An-
deren als unerläßlich hinstellen?"
„Ich werde schon einen Grund finden."
„Aber was soll mit den beiden Anderen werden?
Was mit dem Knaben, den wir gestern fingen, und was
mit dem Diener des Deutschen?"
„Wenn er fallt, fallen sic mit ihm!"
„Um aller Heiligen willen, lassen Sie ab von
solcher gräßlichen That! Wozu diese drei Unschul-
digen morden?"
„Glaubst Du, er käme aus einer anderen Ursache,
als nm uns zu entreißen, was nach den Bemühungen
mancher Jahre wir nunmehr bald in der Hand zu
haben hoffen?"
„Und wenn er wirklich mit dieser Absicht käme,
was thut das? Er soll nur versuchen, den Faden
zu finden, der sich durch diese dunkle Sache zieht. Ist
er nicht ein Deutscher, einer von dieser schwerfälligen,
ungeschlachten Nation? Hätten Sie wirklich vor Einem
Furcht, der zu diesen" Dummköpfen gehört?"
„Ich möchte Deinen: Rathe, der so oft vortrefflich
war, auch diesmal folgen; aber eine gewisse Unruhe
in meinen: Innern mahnt mich, cs heute zu unter-
lassen."
„So bedenken Sie doch, welch' fürchterliches Auf-
sehen solche ungeheure Blntthat in Parma Hervorrufen
und uns das ganze Corps der Häscher mit einen: Male
auf den Hals jagen würde. Hier müßte ja die Be-
hörde in eigenen: Interesse ein Exempel statuiren."
„So magst Du meinetwegen auch diesnml wie
immer Recht behalten!"
Er trat wieder auf den Baron v. Stauffcn zu, der
in unbeweglicher Haltung ruhig auf die Beendigung
des leisen Gespräches zwischen den beiden Briganten
gewartet hatte.
Wir fordern außer den:, was meine Leute Ihnen
bereits abnahmen, für Ihre Freilassung und die Ihres
Dieners eine Summe von zweitausend römischen Tha-
lern. Sind Sie bereit, diesen Betrag zu gewähren?"
„Sobald Sie mir Gelegenheit zum Schreiben und
einen sicheren Boten nach Parma schaffen!"
„Sic sollen Beides haben, Signore!"
Kann: hatte sich der Führer der Bande entfernt,
nm den: an ihn gestellten Verlangen zu genügen, als
der dritte Gefangene, der bisher bewegungslos auf
der anderen Seite des Feuers gelegen hatte, sich plötz-
lich erhob. Es war ein junger Mensch von höchstens
achtzehn bis neunzehn Jahren, von echt italienischem
Typus, aber noch Weichen, mehr an das Knaben-, als
an daS Mannesalter erinnernden Zügen.
„O, Signore," hob er an, indem er flehend die
Hände gegen den Baron ansstreckte, „haben Sie Er-
barmen'mit dem Elend eines armen Burschen, der
ohne Schuld in einen Hinterhalt fiel. Ich heiße Phi-
lippo Sacconi, und bin der Sohn einer armen Wittwe
in Parma."
„Wie kommen Sie hierher?" fragte der Baron.
„Mein Herr, der Rechtsanwalt Monaco de la Valette,
sandte mich mit einen: wichtigen Auftrage, der sich
nur durch mündliche Rücksprache erledigen ließ, an
seinen College:: Parochi in Mailand; als ich gestern
Abend spät auf meinen: Maulthier zurücktrottcte, bin
ich nicht allzu fern von hier in die Hände dieser
Räu . . dieser Herren gefallen, die mich nur gegen
ein Löscgeld von hundert römischen Thaler:: wieder
von sich lassen wollen."
„Haben Sie Mittel, mir das zurück zu erstatten,
was ich eventuell für Sic bezahlen soll?"
„Wir sind sehr arm, meine Mutter und ich, Sig-
nore, aber wenn mein Herr sich nicht bereit finden
lassen sollte, das Lösegeld ans seiner eigenen Tasche
zurück zu zahlen, so werde ich Ihnen jeden Lire, den
ich bei ihn: verdiene, bringen, bis ich meine Schuld
getilgt habe. O, Signore, erhören Sie das Flehen
eines armen Burschen, der sich nur nut Ihrer Hilfe
befreien kann! Meine Mutter stirbt vor Angst, wenn
ich nicht in aller Kürze heimkehre! Und meine arme
Marietta, wer soll sie trösten, Wenn sie mich hier er-
morden?"
„Ich will Sie denk Elende hier nicht überlassen,
obgleich ich kaum glauben kann, daß man es wagen
würde, sich an Ihnen, dem Hilflosen, zu vergreifen.
Dagegen fordere ich mit aller Bestimmtheit, daß Sie
Ihres Versprechens eingedenk bleiben und nur das
Geld pünktlich znrückzahlen, das ich Ihnen leihweise
jetzt zu Ihrer Befreiung vorznstrccken in: Begriffe
stehe."
„Gewiß, Signore, verlassen Sie sich ans das Wort
eines ehrlichen Mannes."
Der Anführer hatte inzwischen ans einer Felsplatte
in der Nähe des Feuers Papier und Schrcibgeräth
Das Buch für Alle.
bereit legen lassen und kam nun, den Baron zum Schreiben
aufzufordern.
„Es ist jetzt Mitternacht," sagte er, indem er auf
das Schrcibgeräth deutete, „in zwölf Stunden vermag
ein Bote von hier nach Parma zu laufen nnd in der-
gleichen Frist zurück zu kehren. Wollen Sie also am
Morgen des zweitnächsten Tages zu Ihrer Freiheit
gelangen, so ist es höchste Zeit, daß Sie schreiben;
denn die sechs übrig bleibenden Stunden sind unbe-
dingt erforderlich zur Ordnung der Geschäfte und zu
einiger Ruhe für den Boten."
„Ich beabsichtige gleichzeitig das Lösegeld für den
jungen Mann dort zu bezahlen; findet sich Ihrerseits
hiergegen etwas einzuwenden?"
„Nicht das Geringste; nur daran will ich Sie er-
innern, daß Sie jetzt um Ihren Kopf schreiben. Merken
Sie wohl, wenn der Bote, den wir senden, am zweiten
Tage um sechs Uhr Morgens hier nicht wieder ein-
getroffen ist, so ist ihn: dort ein Unglück zugestoßen,
und wir werden dafür Ihr Leben nehmen."
Der junge Baron trat zu der Felsplatte, lehnte
sich über dieselbe und schrieb:
„An das Bankhaus von I. I. Jacobini
Parma.
Ich bin mit meinem Diener in die Hände von
Briganten gefallen nnd Alles dessen beraubt worden,
Ums wir bei uns führten. Als Lösegeld werden zwei-
tausend einhundert römische Thaler gefordert. Ich
habe cingcwilligt, diesen Betrag zu zahlen und ersuche
Sie, solchen dem Ueberbringcr dieses Schreibens aus-
zuhändigen. Verfahren Sic aber mit der erforderlichen
Schnelligkeit und entlassen Sie den Boten nngekränkt;
wird ihn: ein Haar gekrümmt, oder ist er um sechs
Uhr Morgens des zweiten Tages nicht zurückgekehrt,
so werden wir getödtet.
Am 18. März 1818.
Franz Baron v. Stanffcn."
Der Baron reichte das fertig geschriebene Blatt
dem Briganten, der neben ihn: stehen geblieben war.
Dieser nah::: es, las es durch, faltete es zusammen,
nickte mit den: Kopfe nnd sagte: „Es ist gut. Gia-
como, komm' hierher. Dn gehst sogleich nut diesen:
Schreiben nach Parma. Dn warst schon wiederholt
bei den: Bankier Jacobini dort in unseren Angelegen-
heiten. Du wirst Deine Sache auch diesmal klug
und gewandt ausrichten. Du bringst zweitausend ein-
hundert römische Thaler mit; wenn die Sonne zum
zweiten Male aufgeht, mußt Dn wieder zurück sein,
sonst... Dn weißt, was sonst geschieht."
Ohne ein Wort der Erwiederung nah::: der Mann
das Schreiben, steckte es in die Brnsttasche seines
Wammses, drückte seinen spitzen Hut in die Stirn und
war nach wenig Augenblicken in der Dunkelheit ver-
schwunden.
Der Brigantenführer sah ihm einen Augenblick
nach nnd sagte dann, sich an den Baron wendend:
„Er geht nm Ihr Leben! Wünschen Sie, daß er
wiederkehrt! Ich überlasse Sie nun Ihren: Schicksal,
Signore! Hoffentlich sehen wir uns niemals wieder!
Gute Nacht!"
Er wandte sich, ergriff den Arm seines Gefährten
nnd war in wenig Augenblicken in den: Schatten dcr
Felfen ans der dem Zugänge entgegengesetzten Seite
der Schlucht verschwunden. --
Die Gefangenen sahen, als sic an: Morgen ans
ihrem harten Felsenlagcr erwachten, einen tödtlich
langen Tag und eine ebensolche Nacht vor sich; abcr
kaum graute zum zweiten Male der Morgen, als Gia-
como mit den: Gclde erschien. Man geleitete die Drei
mit verbundenen Augen ans einen: weniger steilen Wege
in das Thal und von da ans einen ebenen Wiesenplan.
Als man ihnen zuricf, die Binden abzunchmen, be-
fanden sie sich neben der Landstraße bei ihren Thieren,
und wenige Minuten später trabten sie Parma zu.
Drittes Kapitel.
„Mein armer, lieber Junge! Mein Herzblatt!
Eine Kerze weih' ich der heiligen Jungfrau von Lo-
retto nnd hundert Ave Maria will ich beten für Deine
Rettung, mein Sohn! Mein Herz bleibt stille stehen,
wenn ich daran denke, was Alles Dir hätte wider-
fahren können, so lange Du in den Händen der Bri-
ganten warst! Aber gelobt seien alle Heiligen, ich
hab' Dich wieder, heil und unverletzt!"
So wurde Philipps begrüßt, als er nach seiner
Heimkunft wieder in den Armen seiner alten Mutter
lag.
Es ist vielleicht nicht völlig richtig, die Frau mit
dem Beiwort alt zu bezeichnen, denn sie zählte höch-
stens vierzig Jahre, war aber schon sehr stark verblüht.
Nur ihre dunklen Angen waren schön und feurig ge-
blieben, nnd das blauschwarze Haar war noch innner
in einen: dicken, vollen Knoten auf ihrem Hintcrkopf fest-
gebunden.
„Wer kann wissen, liebe Mutter, wie cs mir noch
ergangen wäre," entgegnete Philippa, sie fest um-
schlingend nnd an sich pressend, „wenn jener edel-
müthige Deutsche nicht , das schwere Lösegeld für mich
Heft 23.
erlegt hätte! Ohne ein solches hätten mich die Ban-
diten niemals freigegeben, das hatten sie mir schon
gut genug angekündigt. Aber wie bange mir da war,
Wenn ich an unsere Armuth dachte, nnd daß cs Dir,
meine arme Mutter, ganz und gar unmöglich sein
würde, eine für uns so große Summe aufzubringcn.
War es da nicht edelmüthig von dem fremden Baron,
daß er ohne weitere Bedenken mir meine Freiheit zn-
rückkaufte, lediglich im guten Glauben, cs werde mir-
möglich sein, ihn: seine Auslage wieder zu erstatten?"
„Mein armer Junge! Wäre er nicht gewesen,
vielleicht hätte Dich Deine Mutter lebend nieinals
wiedergesehcn!"
„Jetzt aber gilt cs, dafür zu sorgen, Mutter, wie
wir unserer Verpflichtungen uns entledigen."
„Das wird eine schwere Sorge werden. Du weißt
selbst an: besten, wie arm wir sind. Wie sollen wir
eine, so unerschwingliche Summe beschaffen?"
„Ich werde vor Allein den Versuch machen müssen,
ob sich mein Herr, der Advokat Monaco de la Valette,
nicht bereit finden läßt, das Lösegeld für mich zurück
zu erstatten. Meine Reise nach Mailand geschah doch
lediglich in seinem Auftrage und zur Erledigung von
Geschäften, deren Nutzen allein in seine Tasche fällt;
hiernach aber muß es Jedem recht und billig erscheinen,
daß ihn: auch diejenigen Kosten zur Last gelegt werden,
welche bei der Erledigung seiner Aufträge durch einen
unvorhergesehenen Zufall ohne mein Perschnlden er-
wachsen sind."
„Geh' zu ihn:, er wird sich gewiß bereit finden
lassen, dem deutschen Signore Deine Schuld zu be-
zahlen."
„Er wird ohnehin begierig sein, zu erfahren, was
ich in seinen Aufträgen in Mailand ansgerichtet habe.
Zum größten Glück ist die ganze Angelegenheit, wie
ich mich rühmen darf, in der geschicktesten Weise und
ganz seinen Wünschen entsprechend zur Erledigung ge-
kommen."
„Um so besser, um so besser. Das nimmt ihm
jede Ursache, Deine Bitte abzuschlagen."
Philipps nahm in: Bewußtsein trcnerfüllter Pflicht
seinen Hut und eilte fort, die Gcschäftslskalitatcn
seines Prinzipals anfzusnchen, die in einen: großen
alten Hause an: Marktplätze der Stadt gelegen waren.
Vor Ablauf der nächsten Viertelstunde aber kehrte
er eben so trüben Auges zurück, als er froher Hoff-
nung voll fortgeeilt war.
„Rundweg hat er nur meine Bitte abgcscblagen,"
berichtete er. „Niemand habe mir geheißen, mich aM
späten Abend mit einen: Maulthiere, das nicht einmal
mir gehöre, auf der Landstraße umher zu treiben, zu-
mal er ohnehin nnd gnt genug mich darauf aufmerksam
gemacht habe, daß die Straßen zur Nachtzeit unsicher
seien. Hätte ich seine Anweisungen nnd Vorschriften
in den Wind geschlagen, so möchte ich nun auch die
Folgen meiner Unvorsichtigkeit selbst tragen, er werde
nur niemals auch nur einen Bajocco von den: Gclde
ersetzen, das mich die Erlangung meiner Freiheit koste "
„O dieser Unmensch, dieser Bösewicht! Er sollte
sich schämen, der reiche Mann, so schlecht an der
Armuth zu handeln! Du bist gezwungen, Dich für
ihn in Leibes- und Lebensgefahr zu stürzen, nnd er,
der Elende, weigert sich, Dir eine Summe, für ihn
eine wahre Bagatelle, zu ersetzen, mit der allein cs
Dir möglich war, Dich zu befreien! Es ist eine ge-
radezu unerhörte Schändlichkeit!"
„Um diese Hoffnung sind wir also ärmer," fuhr
Philipps fort. „Es muß also ein anderes Mittel ge-
funden werden, durch das nur die Bezahlung meiner
Schnld möglich gemacht wird. Besitzen wir denn gar
nichts, Was sich vcrwerthen ließe?"
„Soll ich mein bnntseidencs Kleid verkaufen, in
dem man mich mit Deinem Vater ehelich verband,
oder die Kette mit den: kleinen Herzen von glänzendem
Bernstein, die er mir zu jener Zeit zum Geschenke
machte?"
„Wozu Dich des einzigen Andenkens bcranben, das
Dn noch an den thenren Verstorbenen hast? Was
würden wir auch für diese Dinge lösen? Nicht den
zehnten Theil der Summe, die wir brauchen!"
„Weiter habe ich aber nichts, mein armer Sohn!"
„Halt!" rief der junge Mann, indem er aufsprang,
„da fällt mir ein. . . vielleicht könnte gerade damit
uns geholfen werden!"
Er trat an einen Schrank, zog einen darin befind-
lichen Kasten heraus, ans den: er eine nur aus einem
Pappbogen bestehende Mappe mit Papieren nahm,
schlug den Deckel zurück und begann die Papiere einzeln
durchzusehen.
„Du weißt doch noch, Mutter," sagte er, „daß wir
unter den Papieren meines Vater, als dieser so plötzlich
und unerwartet starb, jenes sonderbare. . . aha, hier-
ist es!"
Er hielt in seiner Hand ein znsammcngefaltctes
Papier, das er auseinander schlng. Der Inhalt be-
stand in einem mäßig großen Couvcrte ans grobem,
festem Papier, das mittelst eines gnt erhaltenen Lack-
fiegels verschlossen war. Das Couvert trug weder eine
an: Feuer erheben, ich sah sein Gesicht, da wußt'
ich's."
„So muß er sterben."
„Sie wollten wirklich ...? Ich bitte Sie, nicht zwei
Glieder von einem Stamme! Das bringt unzweifel-
haft Verderben! Lassen wir es genug sein an dem
Einen! Und wie wollen Sie eine solche Blutthat, zu
der nicht die geringste Veranlassung vorliegt, den An-
deren als unerläßlich hinstellen?"
„Ich werde schon einen Grund finden."
„Aber was soll mit den beiden Anderen werden?
Was mit dem Knaben, den wir gestern fingen, und was
mit dem Diener des Deutschen?"
„Wenn er fallt, fallen sic mit ihm!"
„Um aller Heiligen willen, lassen Sie ab von
solcher gräßlichen That! Wozu diese drei Unschul-
digen morden?"
„Glaubst Du, er käme aus einer anderen Ursache,
als nm uns zu entreißen, was nach den Bemühungen
mancher Jahre wir nunmehr bald in der Hand zu
haben hoffen?"
„Und wenn er wirklich mit dieser Absicht käme,
was thut das? Er soll nur versuchen, den Faden
zu finden, der sich durch diese dunkle Sache zieht. Ist
er nicht ein Deutscher, einer von dieser schwerfälligen,
ungeschlachten Nation? Hätten Sie wirklich vor Einem
Furcht, der zu diesen" Dummköpfen gehört?"
„Ich möchte Deinen: Rathe, der so oft vortrefflich
war, auch diesmal folgen; aber eine gewisse Unruhe
in meinen: Innern mahnt mich, cs heute zu unter-
lassen."
„So bedenken Sie doch, welch' fürchterliches Auf-
sehen solche ungeheure Blntthat in Parma Hervorrufen
und uns das ganze Corps der Häscher mit einen: Male
auf den Hals jagen würde. Hier müßte ja die Be-
hörde in eigenen: Interesse ein Exempel statuiren."
„So magst Du meinetwegen auch diesnml wie
immer Recht behalten!"
Er trat wieder auf den Baron v. Stauffcn zu, der
in unbeweglicher Haltung ruhig auf die Beendigung
des leisen Gespräches zwischen den beiden Briganten
gewartet hatte.
Wir fordern außer den:, was meine Leute Ihnen
bereits abnahmen, für Ihre Freilassung und die Ihres
Dieners eine Summe von zweitausend römischen Tha-
lern. Sind Sie bereit, diesen Betrag zu gewähren?"
„Sobald Sie mir Gelegenheit zum Schreiben und
einen sicheren Boten nach Parma schaffen!"
„Sic sollen Beides haben, Signore!"
Kann: hatte sich der Führer der Bande entfernt,
nm den: an ihn gestellten Verlangen zu genügen, als
der dritte Gefangene, der bisher bewegungslos auf
der anderen Seite des Feuers gelegen hatte, sich plötz-
lich erhob. Es war ein junger Mensch von höchstens
achtzehn bis neunzehn Jahren, von echt italienischem
Typus, aber noch Weichen, mehr an das Knaben-, als
an daS Mannesalter erinnernden Zügen.
„O, Signore," hob er an, indem er flehend die
Hände gegen den Baron ansstreckte, „haben Sie Er-
barmen'mit dem Elend eines armen Burschen, der
ohne Schuld in einen Hinterhalt fiel. Ich heiße Phi-
lippo Sacconi, und bin der Sohn einer armen Wittwe
in Parma."
„Wie kommen Sie hierher?" fragte der Baron.
„Mein Herr, der Rechtsanwalt Monaco de la Valette,
sandte mich mit einen: wichtigen Auftrage, der sich
nur durch mündliche Rücksprache erledigen ließ, an
seinen College:: Parochi in Mailand; als ich gestern
Abend spät auf meinen: Maulthier zurücktrottcte, bin
ich nicht allzu fern von hier in die Hände dieser
Räu . . dieser Herren gefallen, die mich nur gegen
ein Löscgeld von hundert römischen Thaler:: wieder
von sich lassen wollen."
„Haben Sie Mittel, mir das zurück zu erstatten,
was ich eventuell für Sic bezahlen soll?"
„Wir sind sehr arm, meine Mutter und ich, Sig-
nore, aber wenn mein Herr sich nicht bereit finden
lassen sollte, das Lösegeld ans seiner eigenen Tasche
zurück zu zahlen, so werde ich Ihnen jeden Lire, den
ich bei ihn: verdiene, bringen, bis ich meine Schuld
getilgt habe. O, Signore, erhören Sie das Flehen
eines armen Burschen, der sich nur nut Ihrer Hilfe
befreien kann! Meine Mutter stirbt vor Angst, wenn
ich nicht in aller Kürze heimkehre! Und meine arme
Marietta, wer soll sie trösten, Wenn sie mich hier er-
morden?"
„Ich will Sie denk Elende hier nicht überlassen,
obgleich ich kaum glauben kann, daß man es wagen
würde, sich an Ihnen, dem Hilflosen, zu vergreifen.
Dagegen fordere ich mit aller Bestimmtheit, daß Sie
Ihres Versprechens eingedenk bleiben und nur das
Geld pünktlich znrückzahlen, das ich Ihnen leihweise
jetzt zu Ihrer Befreiung vorznstrccken in: Begriffe
stehe."
„Gewiß, Signore, verlassen Sie sich ans das Wort
eines ehrlichen Mannes."
Der Anführer hatte inzwischen ans einer Felsplatte
in der Nähe des Feuers Papier und Schrcibgeräth
Das Buch für Alle.
bereit legen lassen und kam nun, den Baron zum Schreiben
aufzufordern.
„Es ist jetzt Mitternacht," sagte er, indem er auf
das Schrcibgeräth deutete, „in zwölf Stunden vermag
ein Bote von hier nach Parma zu laufen nnd in der-
gleichen Frist zurück zu kehren. Wollen Sie also am
Morgen des zweitnächsten Tages zu Ihrer Freiheit
gelangen, so ist es höchste Zeit, daß Sie schreiben;
denn die sechs übrig bleibenden Stunden sind unbe-
dingt erforderlich zur Ordnung der Geschäfte und zu
einiger Ruhe für den Boten."
„Ich beabsichtige gleichzeitig das Lösegeld für den
jungen Mann dort zu bezahlen; findet sich Ihrerseits
hiergegen etwas einzuwenden?"
„Nicht das Geringste; nur daran will ich Sie er-
innern, daß Sie jetzt um Ihren Kopf schreiben. Merken
Sie wohl, wenn der Bote, den wir senden, am zweiten
Tage um sechs Uhr Morgens hier nicht wieder ein-
getroffen ist, so ist ihn: dort ein Unglück zugestoßen,
und wir werden dafür Ihr Leben nehmen."
Der junge Baron trat zu der Felsplatte, lehnte
sich über dieselbe und schrieb:
„An das Bankhaus von I. I. Jacobini
Parma.
Ich bin mit meinem Diener in die Hände von
Briganten gefallen nnd Alles dessen beraubt worden,
Ums wir bei uns führten. Als Lösegeld werden zwei-
tausend einhundert römische Thaler gefordert. Ich
habe cingcwilligt, diesen Betrag zu zahlen und ersuche
Sie, solchen dem Ueberbringcr dieses Schreibens aus-
zuhändigen. Verfahren Sic aber mit der erforderlichen
Schnelligkeit und entlassen Sie den Boten nngekränkt;
wird ihn: ein Haar gekrümmt, oder ist er um sechs
Uhr Morgens des zweiten Tages nicht zurückgekehrt,
so werden wir getödtet.
Am 18. März 1818.
Franz Baron v. Stanffcn."
Der Baron reichte das fertig geschriebene Blatt
dem Briganten, der neben ihn: stehen geblieben war.
Dieser nah::: es, las es durch, faltete es zusammen,
nickte mit den: Kopfe nnd sagte: „Es ist gut. Gia-
como, komm' hierher. Dn gehst sogleich nut diesen:
Schreiben nach Parma. Dn warst schon wiederholt
bei den: Bankier Jacobini dort in unseren Angelegen-
heiten. Du wirst Deine Sache auch diesmal klug
und gewandt ausrichten. Du bringst zweitausend ein-
hundert römische Thaler mit; wenn die Sonne zum
zweiten Male aufgeht, mußt Dn wieder zurück sein,
sonst... Dn weißt, was sonst geschieht."
Ohne ein Wort der Erwiederung nah::: der Mann
das Schreiben, steckte es in die Brnsttasche seines
Wammses, drückte seinen spitzen Hut in die Stirn und
war nach wenig Augenblicken in der Dunkelheit ver-
schwunden.
Der Brigantenführer sah ihm einen Augenblick
nach nnd sagte dann, sich an den Baron wendend:
„Er geht nm Ihr Leben! Wünschen Sie, daß er
wiederkehrt! Ich überlasse Sie nun Ihren: Schicksal,
Signore! Hoffentlich sehen wir uns niemals wieder!
Gute Nacht!"
Er wandte sich, ergriff den Arm seines Gefährten
nnd war in wenig Augenblicken in den: Schatten dcr
Felfen ans der dem Zugänge entgegengesetzten Seite
der Schlucht verschwunden. --
Die Gefangenen sahen, als sic an: Morgen ans
ihrem harten Felsenlagcr erwachten, einen tödtlich
langen Tag und eine ebensolche Nacht vor sich; abcr
kaum graute zum zweiten Male der Morgen, als Gia-
como mit den: Gclde erschien. Man geleitete die Drei
mit verbundenen Augen ans einen: weniger steilen Wege
in das Thal und von da ans einen ebenen Wiesenplan.
Als man ihnen zuricf, die Binden abzunchmen, be-
fanden sie sich neben der Landstraße bei ihren Thieren,
und wenige Minuten später trabten sie Parma zu.
Drittes Kapitel.
„Mein armer, lieber Junge! Mein Herzblatt!
Eine Kerze weih' ich der heiligen Jungfrau von Lo-
retto nnd hundert Ave Maria will ich beten für Deine
Rettung, mein Sohn! Mein Herz bleibt stille stehen,
wenn ich daran denke, was Alles Dir hätte wider-
fahren können, so lange Du in den Händen der Bri-
ganten warst! Aber gelobt seien alle Heiligen, ich
hab' Dich wieder, heil und unverletzt!"
So wurde Philipps begrüßt, als er nach seiner
Heimkunft wieder in den Armen seiner alten Mutter
lag.
Es ist vielleicht nicht völlig richtig, die Frau mit
dem Beiwort alt zu bezeichnen, denn sie zählte höch-
stens vierzig Jahre, war aber schon sehr stark verblüht.
Nur ihre dunklen Angen waren schön und feurig ge-
blieben, nnd das blauschwarze Haar war noch innner
in einen: dicken, vollen Knoten auf ihrem Hintcrkopf fest-
gebunden.
„Wer kann wissen, liebe Mutter, wie cs mir noch
ergangen wäre," entgegnete Philippa, sie fest um-
schlingend nnd an sich pressend, „wenn jener edel-
müthige Deutsche nicht , das schwere Lösegeld für mich
Heft 23.
erlegt hätte! Ohne ein solches hätten mich die Ban-
diten niemals freigegeben, das hatten sie mir schon
gut genug angekündigt. Aber wie bange mir da war,
Wenn ich an unsere Armuth dachte, nnd daß cs Dir,
meine arme Mutter, ganz und gar unmöglich sein
würde, eine für uns so große Summe aufzubringcn.
War es da nicht edelmüthig von dem fremden Baron,
daß er ohne weitere Bedenken mir meine Freiheit zn-
rückkaufte, lediglich im guten Glauben, cs werde mir-
möglich sein, ihn: seine Auslage wieder zu erstatten?"
„Mein armer Junge! Wäre er nicht gewesen,
vielleicht hätte Dich Deine Mutter lebend nieinals
wiedergesehcn!"
„Jetzt aber gilt cs, dafür zu sorgen, Mutter, wie
wir unserer Verpflichtungen uns entledigen."
„Das wird eine schwere Sorge werden. Du weißt
selbst an: besten, wie arm wir sind. Wie sollen wir
eine, so unerschwingliche Summe beschaffen?"
„Ich werde vor Allein den Versuch machen müssen,
ob sich mein Herr, der Advokat Monaco de la Valette,
nicht bereit finden läßt, das Lösegeld für mich zurück
zu erstatten. Meine Reise nach Mailand geschah doch
lediglich in seinem Auftrage und zur Erledigung von
Geschäften, deren Nutzen allein in seine Tasche fällt;
hiernach aber muß es Jedem recht und billig erscheinen,
daß ihn: auch diejenigen Kosten zur Last gelegt werden,
welche bei der Erledigung seiner Aufträge durch einen
unvorhergesehenen Zufall ohne mein Perschnlden er-
wachsen sind."
„Geh' zu ihn:, er wird sich gewiß bereit finden
lassen, dem deutschen Signore Deine Schuld zu be-
zahlen."
„Er wird ohnehin begierig sein, zu erfahren, was
ich in seinen Aufträgen in Mailand ansgerichtet habe.
Zum größten Glück ist die ganze Angelegenheit, wie
ich mich rühmen darf, in der geschicktesten Weise und
ganz seinen Wünschen entsprechend zur Erledigung ge-
kommen."
„Um so besser, um so besser. Das nimmt ihm
jede Ursache, Deine Bitte abzuschlagen."
Philipps nahm in: Bewußtsein trcnerfüllter Pflicht
seinen Hut und eilte fort, die Gcschäftslskalitatcn
seines Prinzipals anfzusnchen, die in einen: großen
alten Hause an: Marktplätze der Stadt gelegen waren.
Vor Ablauf der nächsten Viertelstunde aber kehrte
er eben so trüben Auges zurück, als er froher Hoff-
nung voll fortgeeilt war.
„Rundweg hat er nur meine Bitte abgcscblagen,"
berichtete er. „Niemand habe mir geheißen, mich aM
späten Abend mit einen: Maulthiere, das nicht einmal
mir gehöre, auf der Landstraße umher zu treiben, zu-
mal er ohnehin nnd gnt genug mich darauf aufmerksam
gemacht habe, daß die Straßen zur Nachtzeit unsicher
seien. Hätte ich seine Anweisungen nnd Vorschriften
in den Wind geschlagen, so möchte ich nun auch die
Folgen meiner Unvorsichtigkeit selbst tragen, er werde
nur niemals auch nur einen Bajocco von den: Gclde
ersetzen, das mich die Erlangung meiner Freiheit koste "
„O dieser Unmensch, dieser Bösewicht! Er sollte
sich schämen, der reiche Mann, so schlecht an der
Armuth zu handeln! Du bist gezwungen, Dich für
ihn in Leibes- und Lebensgefahr zu stürzen, nnd er,
der Elende, weigert sich, Dir eine Summe, für ihn
eine wahre Bagatelle, zu ersetzen, mit der allein cs
Dir möglich war, Dich zu befreien! Es ist eine ge-
radezu unerhörte Schändlichkeit!"
„Um diese Hoffnung sind wir also ärmer," fuhr
Philipps fort. „Es muß also ein anderes Mittel ge-
funden werden, durch das nur die Bezahlung meiner
Schnld möglich gemacht wird. Besitzen wir denn gar
nichts, Was sich vcrwerthen ließe?"
„Soll ich mein bnntseidencs Kleid verkaufen, in
dem man mich mit Deinem Vater ehelich verband,
oder die Kette mit den: kleinen Herzen von glänzendem
Bernstein, die er mir zu jener Zeit zum Geschenke
machte?"
„Wozu Dich des einzigen Andenkens bcranben, das
Dn noch an den thenren Verstorbenen hast? Was
würden wir auch für diese Dinge lösen? Nicht den
zehnten Theil der Summe, die wir brauchen!"
„Weiter habe ich aber nichts, mein armer Sohn!"
„Halt!" rief der junge Mann, indem er aufsprang,
„da fällt mir ein. . . vielleicht könnte gerade damit
uns geholfen werden!"
Er trat an einen Schrank, zog einen darin befind-
lichen Kasten heraus, ans den: er eine nur aus einem
Pappbogen bestehende Mappe mit Papieren nahm,
schlug den Deckel zurück und begann die Papiere einzeln
durchzusehen.
„Du weißt doch noch, Mutter," sagte er, „daß wir
unter den Papieren meines Vater, als dieser so plötzlich
und unerwartet starb, jenes sonderbare. . . aha, hier-
ist es!"
Er hielt in seiner Hand ein znsammcngefaltctes
Papier, das er auseinander schlng. Der Inhalt be-
stand in einem mäßig großen Couvcrte ans grobem,
festem Papier, das mittelst eines gnt erhaltenen Lack-
fiegels verschlossen war. Das Couvert trug weder eine