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602

Das Buch für Alle.

M 26.

Zwölftes Kapitel.
Baptista, der Gastwirth zum „Großhcrzog von Tos-
kana", hatte an dem Tage, an dem er von der Auf-
findung und Uedcrführung der sterblichen Reste des
älteren Barons v. Stauffen erfuhr, das Pflaster Parma's
etwas zu heiß gefunden. Er hatte den Seinen gegen-
über vorgefchützt, daß ihn ein uothweudiger Einkauf
von Weinen mehrere Tage entfernt halten werde, und
war auf seinem Maulthiere davon geritten. Wohin
die Reise gehen sollte, hatte er anzugeben unterlassen.
Für Marietta waren hierdurch einige Tage der
Freiheit geschaffen, deren sie sich im vollsten Umfange
erfreute. Denn wenn sie auch nach Wie vor der Mutter
in der Küche tüchtig zur Hand gehen mußte, so blieben
doch immer einige Stunden für ihren eigenen freien
Gebrauch, und namentlich der Abend für ihren geliebten
Philippo übrig.
Noch war daher der letzte Schlag der siebenten
Stunde auf den Thürmen der Stadt nicht verhallt,
als die zierliche Gestalt Mariettäs in den Garten ge-
trippelt kam, uni nach dem Geliebten Umschau zu hal-
ten. Auch dieser hatte sich von der Abwesenheit des
Wirthes Kenntniß verschafft, und so kam cs denn, daß
Marietta ihren Philippo nicht hinter, sondern vor dem
gemeinschaftlichen Gartenzaun entdeckte; er war eben
einfach übergestiegen.
„Welche Keckheit," rief das Mädchen, sobald sie
ihn bemerkte, „Du Wagst Dich ohne Weiteres herüber
in's feindliche Gebiet? Wenn Dich mein Vater er-
wischt, wird er Dir das Einsteigen versalzen!"
„Ich bin gewappnet und bereit, mich seinen Schlä-
gen auszusetzen, mein süßes Lieb, wenn sein Stock lang
genug ist, mich zu erreichen. Aber ich bin meiner
Sache gewiß, daß ich diesmal ungebläut wegkomme."
Damit' schlang er den Arm um die Geliebte und zog
sie auf eine im Schatten eines Buschwerkes liegende
Bank, was sie nach einigem Sträuben sich auch gefallen
ließ.
„Mein Herzenslieb," sagte er zärtlich, indem er sie
an sich zog und küßte, „nun laß uns recht verständig
nut einander plaudern! Bist Du dessen eingedenk ge-
wesen, um was ich Dich bei unseren: letzten Zusammen-
sein bat? Hast Du einmal Umschau gehalten, ob sich
im Besitze Deines Vaters vielleicht das Couvert be-
findet, das bei dem deutschen Baron abhanden gekom-
men ist?"
„Nein, Philippo, das habe ich nicht gethan. Ich
fürchte mich auch, zur Ausführung zu schreiten. Wenn
ich es thäte und ich fände das Couvert, nähme es an
mich und gäbe es Dir: wär's nicht ein Diebstahl an
meines Vaters Eigenthun:?"
„Das wäre cs gewiß, wenn Du ihm etwas entfremden
würdest, was unzweifelhaft zu seinem Besitze gehörte.
Hier aber liegen die Verhältnisse doch wesentlich an-
ders, denn das Couvert mit seinen: Inhalte war mein
Eigenthnm, bis ich es den: Baron verkaufte."
„Du meinst also wirklich, Philippo, daß dieser Um-
stand nur das Recht gibt, einen solchen Vertrauensbruch
meinem Vater gegenüber zu begehen?"
„Ganz gewiß! Und warum willst Du Dich fürch-
ten, etwas zu thun, was gewiß für uns Beide nur
zum Glücke ausschlagen könnte? Denn davon bin ich
überzeugt, daß mir der Baron, gelangte er durch meine
Hilfe wieder in den Besitz des ihn: Entwendeten, gewiß
eine reiche Belohnung geben würde."
„Ich getraue mich nicht, Philippo."
„So laß Dir einen Vorschlag machen, Marietta!
Schleiche Dich in Deines Vaters Zimmer und öffne
eines der beiden Fenster, die dort nach den: Garten hinaus
führen. Da die Räume in: Erdgeschoß liegen, wird es
für mich eine Kleinigkeit sein, eiuzusteigen. Das Wei-
tere wird sich dann finden."
„Ich will es versuchen, Philippo! Wie mir die
Kniee zittern, cs ist mir gcradc, als warnte mich eine
innere Stimme! Sage es mir noch einmal, Philippo,
ist es wirklich keine Sünde, was wir zu thun Vor-
haben?"
„Du liebes Närrchen, Du! Ein gestohlenes Gut
wieder an sich nehmen, kann niemals eine Sünde sein."
„Ach, Philippo, wenn wir es doch unterließen!
Ich glaube, das wäre das Beste für uns alle Beide!"
„Nein, nein, warum nicht den günstigen Augenblick
fcsthaltcn? Heute ist das Feld frei, Dein Vater fort,
es kann gar nicht günstiger sein. Wer weiß, ob wir
ii: de:: nächsten Wochen wieder eine solche Gelegenheit
finden. Geh, ich bitte Dich, mein Lieb." Er küßte sie
herzlich und drängte sie dann den: Hause zu.
Als sie verschwunden war, schlich er ebenfalls näher
und lauschte angestrengt. Dabei war es ihm jetzt selbst
so, als ob ein leichtes Frösteln über seine Haut liefe
und sein Herz ängstlich zu Pochen beginne. Das Un-
recht, das er zu thun im Begriff stand, trat deutlich
vor seine Seele, und es gab einen Moment, wo er
wünschte, daß er die Überredungskünste, die er feinen!
Liebchen gegenüber angeweudet, widerrufen könne. Aber
dieser Gedankenblitz erlosch, als er den Fensterflügel
klirren hörte, den Marietta ihm öffnete.

Er war im Augenblicke an den: Fenster, mit einem
Schwünge auf der Brüstung und in der nächsten Mi-
nute an ihrer Seite und hielt sie in seinen Armen, er-
fühlte deutlich, wie heftig das Mädchen zitterte.
„Fassung, Ruhe, mein süßes Lieb!" flüsterte er.
„Wir werden voraussichtlich vor jeder Ueberraschuug
sicher sein. Doch vor allen Dingen müssen wir Licht
haben."
„Auf den: Tischchen neben den: Fenster steht ein
Leuchter mit einer.Nerze und das Feuerzeug findest Du
daneben."
Es dauerte eine geraume Zeit, bis es Philippo ge-
lang, die Kerze zu entzünden. Jetzt erst vermochten sie
mit den Augen den Raum des Zimmers zu durchfliegen;
dasselbe machte mit seiner hohen Decke, seinen schwarzen
cichengctäfelten Wänden und den: geringfügigen, gleich-
falls veralteten Mobiliar einen finsteren, beängstigenden
Eindruck, namentlich bei einer so kärglichen Beleuch-
tung, wie sie durch die einzige Kerze hervorgebracht
wurde.
„Komm, mein Lieb," sagte der junge Mann, Ma-
rietta bei der Hand fassend und seine Stimme fast zum
Flüsterton abmindernd, „laß uns mit Vorsicht über-
rasch unser Werk vollenden; je länger wir uns auf-
halten, um so leichter haben wir eine Störung zu be-
fürchten. Ist das der kleine Schrank da, in den: wir
suchen müssen?"
„Ja, Philippo, darin verwahrt mein Vater sein
Geld und seine Papiere."
„Hast Du den Schlüssel, Marietta?"
„Ich weiß, daß der Schlüssel zu demselben rechts
daneben in einen: geheimen Wandfache aufbewahrt wird.
Ich kann durch die von mir entdeckte Oeffnung in der
Schiebewand gerade bis zu diesen: Schränkchen sehen,
und so habe ich denn wiederholt beobachtet, wo mein
Vater, wenn er den Schrank verschlossen hatte, den
Schlüssel verbarg."
„So wollen wir den Schrank öffnen."
Er leuchtete nach der Stelle des Eichengctüfels, das
Marietta vorher bezeichnet hatte, ihre kleine flinke Hand
fuhr ein Weilchen an den Arabesken tastend umher,
bis sie die rechte Stelle fand, ein Druck — und ein
kleiner Theil des Getäfels schob sich so weit zur Seite,
daß man bequem mit der Hand hineingreifen konnte.
Inwendig lag der Schlüssel zum Geldschranke.
Philippo bemächtigte sich desselben und schloß den
Schrank auf. Der Raum, welcher sich vor ihn: öffnete,
war nur gering. Er war in zwei Abtheilungen ge-
theilt, in der oberen befanden sich verschiedene größere
und kleinere Körbe mit Gold- und Silbermünzen ge-
füllt, in der unteren stand hinten ein größerer Korb,
der mit verschiedenen: Werthgegenständen angefüllt schien,
wenigstens blitzten aus demselben goldene Uhren, Ringe,
Ketten und ähnliche Schmuckgegenstände den Beschauern
entgegen. Im Vordergründe lag eine kleine Mappe mit
Papieren, und auf diese zeigte der Finger des Mädchens.
Philippo öffnete die Mappe und legte sorgfältig
Bogen für Bogen und Stück für Stück von den Pa-
pieren, die er vorfand, wieder auf einander; es waren
Rechnungen, Quittungen, Bescheinigungen, Zusammen-
stellungen über wirthschaftliche Angelegenheiten aller
Art, die da vor ihm lagen; größer und größer wurde
der Haufen der durchgesehenen Papiere und mehr und
mehr verminderte sich die Zahl derjenigen, welche seine
Augen noch nicht überflogen hatten. Da stieß er plötz-
lich einen Schrei aus, das gesuchte Couvert lag vor
ihm. Er ergriff es, überzeugte sich, daß es auch noch
mit seinem Inhalte versehen war, und barg es in der
Brusttasche seines Rockes.
„Bring' Alles in der alten Ordnung wieder an
Ort und Stelle," sagte das Mädchen, die nicht im
Stande gewesen war, Philippo bei seinem Suchen zu
unterstützen, so sehr zitterte sie, „mein Vater ist so
peinlich in seinen Angelegenheiten, es würde ihn: sofort
auffallen, wenn er nicht Alles an den: gewohnten Platze
vorfände."
Das geschah auch ebenso rasch, als es gesagt wurde;
Philippo verschloß den Schrank und legte den Schlüssel
in das geheime Fach zurück.
Es trieb ihn fort, sich des erlangten Besitzes wie-
der zu entledigen, der ihm wie Feuer auf der Brust
brannte.
„Laß uns eilen, Marietta, daß wir hier fortkom-
men, der Fußboden glüht unter meinen Füßen."
Er trug einen Stuhl an das Fenster, durch das er
herein gekommen war, und Beide sprangen, das Mäd-
chen voran, in den Garten hinaus.
Nur um so viel Zeit später, als Philippo gebrauchte,
um durch die beiden Straßen von seiner Wohnung bis
zum „Großherzog von Toskana" zu gelangen, trat
derselbe erhobenen Hauptes durch das offenstehende
Thor des Gasthauses. Die Beängstigung, die noch vor-
kurzer Zeit auf ihm gelastet hatte, war verschwunden,
der glückliche Erfolg hatte ihm seine ganze Sicherheit
zurückgcgeben.
Er schritt durch die offene Vorhalle bis zur Thür-
Kes Zimmers, das, wie er wußte, der Dienerschaft zum
Aufenthalte angewiesen war, steckte den Kopf dnrch

die Spalte der geöffneten Thür und erblickte Friedrich,
der eben beschäftigt war, sein Abendessen eiuzunehmen.
„Ich habe Alles! Führen Sie mich ohne Verzug
zu Ihrem Gebieter, Signor Federigo!" rief Philippo
halblaut.
Friedrich ließ Messer und Gäbel fallen und sprang
auf. „Teufelskerl," rief er. „Komm' her und laß
Dich umarmen! Hast Du es wirklich zu Wege ge-
bracht? Nur schnell hinauf - mein Herr ist glück-
licherweise zu Hause."
Der Baron war soeben von seiner Unterredung mit
Pietro und Mattheo zurückgekehrt, als Philippo und
Friedrich bei ihm eintraten. Ihre freudigen Gesichter
ließen erkennen, daß es eine gute Nachricht war, die
sie ihm brachten.
„Was führt Sie zu mir, Philippo," rief er dem
Schreiber entgegen. „Ich lese die willkommene Kunde
von weiteren glücklichen Erfolgen aus Ihren Mienen.
Haben Sie den Schlüssel zu dem Geheimnisse, um dessen
Aufklärung wir uns Alle bemühen, wirklich gefunden?"
„Es ist mir allerdings gelungen, Herr Baron,"
antwortete ihn: Philippo, „ein zweites Couvert auf-
zufinden, welches dem vollkommen ähnlich ist, das sich
bereits in Ihrer Hand befindet. Ob es den gewünsch-
ten Zweck erfüllen wird, vermag ich nicht anzugeben."
Der Baron empfing das Couvert ans des Schrei-
bers Hand.
„Wo, um des Himmels willen, fanden Sie diesen
Schatz, wie gelaugte er in Ihre Hände?" fragte er.
„Ich bitte, hierüber vorerst schweige:: zu dürfen,
denn es sind in diese Angelegenheit Personen verwickelt,
denen ich einmal nahe zu stehen hoffe."
Der junge Edelmann ging auf diesen Punkt nicht
näher ein; er leerte das soeben empfangene Couvert
auf die Platte des Tisches aus und forderte Friedrich
auf, diejenigen Schnitzel, welche ihn: zur Verwahrung
anvertraut worden, herzugeben. Der Diener folgte
dem Befehl, und bald lagen vor dein Baron sechs-
unddreißig mit fortlaufenden Nummern versehene kleine
keilförmige Papicrabschnitte.
Er legte nun diese schmälen Streifen nach ihrer
Nummerfolge je mit den spitzen Enden aneinandcr
und erreichte hierdurch einen vollständig abgeschlossenen
Kreis, der in seinem Inneren beschrieben war. Als
man sich aber anschickte, den Inhalt des geschriebenen
Textes zu lesen, stellte sich dasselbe heraus, was man
schon bei der Zusammenstellung der ersten Hälfte der
Schnitzel ii: Erfahrung gebracht hatte: man erhielt
nichts, als ein Gemengsel der verschiedensten Silben
und Buchstaben, die alles Andere als zusammenhängende
Worte, geschweige denn einen irgend vernünftigen Sinn
ergaben. Eine Pause der Enttäuschung entstand.
„Ich fürchte," sagte Friedrich endlich zu Philippo,
„ich fürchte, der Mann, der Ihnen diese Schnitzel in
die Hand fallen ließ, wußte um Ihren Besuch und
kau: Ihnen mit einem niedlichen Betrüge zuvor!"
Philippo schwieg.
„Ha," sagte der Baron, der nachgesouncn hatte,
„sollte es etwa so sein?"
Er sonderte die geraden: Zettel von den ungeraden
und fügte beide Reihen so aneinander, daß die geraden
Schnitzel die eine, die ungeraden die andere Hälfte
des Kreises bildeten.
„Das Räthsel ist gelöst," rief er, .„ich habe ge-
funden, was wir suchten!"
Und er las den Inhalt des in den Kreis Geschrie-
benen, welcher folgendermaßen lautete:
„Ich Endesunterschriebener, öffentlicher Notar, be-
scheinige hiermit, von dem Baron v. Stauffen auf
Stauffen in Schwaben eine versiegelte, mir nach ihrem
Inhalte unbekannte Urkunde in einen: mit unseren
beiden: Siegeln verschlossenen Couverte als Depositum
empfangen zu haben. Hierüber habe ich gegenwärtigen,
ii: einer rundlaufcnden Schlangenlinie niedcrgeschriebc-
nen Depositenschein ausgefertigt, denselben in sechsund-
dreißig den Radien eines Kreises ähnliche Stücke auf
Wunsch des Deponenten zerschnitte::, und verpflichte
mich, die deponirte Urkunde nur an Denjenigen heraus-
zugeben, welcher mir alle zu diesen: Depositenscheine
gehörigen sechsunddreißig Abschnitte wieder vorlegt.
Parma am zwölften März ein tausend acht hundert
und dreizehn.
Hettore Monaco la Valette."
„Hnrrah," schrie Friedrich, „das Geld ist gefunden!"
Der junge Baron legte die Schnitzel sorgfältig
wieder zusammen.
„Es wird Tag," sagte er, „und das Dunkel, das
über dieser geheimnißvollen Angelegenheit lag, weicht.
Unzweifelhaft hat mein Vater, von Ahnungen gepeinigt,
daß ihm ein Unfall zustoßen könne, versucht, das em-
pfangene Geld, das allein seine Unruhe hervorrief, an
einem durchaus sicheren Orte niederzulegen. Als er
das ausgeführt hatte, fühlte er keine Erleichterung
seines Zustandes, denn die Urkunde, die er über die
Hinterlegung des Geldes empfangen hatte, dünkte ihm
ebenso unsicher in seiner Hand, als der große Betrag
selbst.
Er entschloß sich deshalb, die Urkunde bei einen.
 
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