Die beiden Dachten.
Roman
von
Balduin Möllhanscn.
lFortschnng.)
(Nachdruck verboten.)
hastly's Antlitz, sonst farblos, Hatto sich
bet den anerkennenden Worten seiner Ge-
bieterin geröthet. Als einen Ausdruck der
Verlegenheit betrachtete die Gräfin, daß
er die Last seines schweren
Körpers in schneller Folge
bald auf den einen, bald auf den an-
deren Fuß brachte, die Mütze lebhaft
zwischen den knochigen Fäusten drehte,
dabei aber ihren durchdringenden Blicken
scheu auswich.
„Befehlen Euer Gnaden, daß ich über
Bord springe, so geschieht^ auf der
Stelle," erklärte er mit überzeugendem
Ausdruck.
„So viel verlange ich nicht von Ihnen,"
nahm die Gräfin alsbald wieder das
Wort, „Sie würden überhaupt schwer
zu ersetzen sein. Bevor Sie in meinen
Dienst traten, fuhren Sie auf englischen
Kriegsschiffen?"
„Ahe, ahe, Euer Gnaden, an die zehn
Jahre."
„Aus Ihren Papieren ersah ich, daß
Sie ein vorzüglicher Kanonier gewesen
sind. Es heißt, im Treffen eines be-
stimmten Zieles hätte es Ihnen Keiner
zuvorgcthan."
„Ich kann's nicht leugnen, Euer Gna-
den. Hatte von jeher ein sicheres Auge,
da machte sich's mit der Berechnung,
ohne daß ich mehr lernte, als meine
Heuer znsaimncnzuzählen."
„So würden Sic auch heute noch mit
dein Deckgeschütz etwas leisten können?
Das soll nämlich das zuverlässigste sein."
„Es käme darauf an, wohin ich die
Kugel schicken soll."
,^Das werden Sie zu seiner Zeit er-
fahren. Melden Sie dem Bootsmann, er
möchte ein halbes Dutzend Kartuschen
bereit halten, damit sie zur entscheidenden
Stunde zur Hand sind."
Ghastlh wechselte die daS Gewicht seines
Körpers tragenden Füße, drehte seine
Mütze eifriger und erwicderte kleinlaut:
„Wenn Euer Gnaden meinen, ich solle
auf 'nen Menschen halten, da möchten
mir die Augen den Dienst versagen. Es
liegt nicht in meiner Natur, Blut zu
vergießen," und sein bleiches Antlitz ver-
zerrte sich förmlich in heimlicher Angst.
„Uiisinn, Ghastlh! Ich würde nie etwas fordern,
was mir selbst widerstrebt. Solche Anschauungen sehen
Ihnen übrigens kaum ähnlich. Heißt es doch in Ihren
Papieren, Sie hätten sich in mehreren Seegefechten
ausgezeichnet."
„Was inich heute noch grämt, Euer Gnaden," ver-
setzte Ghastlh schaudernd, „ein Menschenleben auf dem
Gewissen zu tragen ist keine Kleinigkeit. Damals war
ich jung. Heute ist's anders."
„Recht so, Ghastlh," meinte die Gräfin, „mit dem
zunehmenden Alter wird der Mensch mitleidiger, es
sei denn doch beruhigen Sie sich; selbst meinen er-
bittertsten Feinden möchte ich nicht nach dem Leben
Sein Bild. Nach einem Gemälde von W. Nögqc. (S. l43>
trachten — wenigstens nicht unmittelbar," lind seltsam
gehässig klang plötzlich ihre Stimme, „ich verlange von
Ihnen höchstens, einen Mast abzuschießcn, und für
das, was ich Ihnen anbefehle, bin ich ganz allein ver-
antwortlich. Doch jetzt gehen Sie. Was wir mit
einander besprachen, kümmert vorläufig keinen Anderen.
Wenn Sic südlich auslugen, so werden Sie ein Segel
entdecken
„Aye, ahe, Euer Gnaden, häb's schon ausgemacht. Die
Lusthacht ist's, die gestern in Kabellänge von uns ankerte."
„Ja, der Eremit. Den betrachten Sic aufmerksam,
befreunden Sic sich namentlich mit seinen Topinastcn
und oberen Raaen."
Ghastlh stierte darein wie im Zweifel,
richtig verstanden zu haben. Doch ge-
wohnt, blindlings zu gehorchen, ent-
hielt er sich jeder Gegenbemerkung, und
gleich darauf schloß die Thür sich hinter
ihm. Die Gräfin wandelte einige Male
auf und ab, wie gewöhnlich geschah,
wenn sic irgend eine peinliche Erregung
nicdcrzukämpfen wünschte, dann begab
sie sich in die unteren Räume hinab, wo
die beiden Mädchen bereits vor dem ge-
deckten Tisch Platz genommen hatten. Bis
dahin war eine vollständige Wandlung
in ihr vor sich gegangen. Nicht mit
einer Miene erinnerte sie an die düsteren
Pläne, mit welchen sic kurz zuvor sich
noch beschäftigte. Ein heiterer Ausdruck
war bei ihr freilich langst zur Unuiög-
ltchkeit geworden; dagegen beherrschte
unverkennbares Wohlwollen ihre wenig
regsamen Züge, indem sie an den Ge-
sprächen der beiden jugendlichen Gefähr-
tinnen sich betheiligte und das Mahl mit
scharfsinnigen Bemerkungen würzte. —
Die Pandora, von der rauhen See
nunmehr vollständig umfangen, schlin-
gerte heftig. Die drei Tischgenossiuucn
beachteten es kaum. Die darauf berech-
neten Vorkehrungen zwischen den Tisch-
füßen gewohnheitsmäßig ausnutzeud, sa-
ßen sie so gemächlich, wenn auch mit
kleinen Unbequemlichkeiten kämpfend, wie
nur je an der Tafel eines Gasthauses.
Der auf dem Tisch befestigte Rahmen mit
den sich kreuzenden Lucrleisten hinderte
das Gleiten der Teller und Schüsseln,
und so lag durchaus kein Grund vor,
sich mit dem Mahl zu beeilen. Jpi Gc-
gcntheil: immer neue Vorwände suchte
die Gräfin, es weit über die übliche Zeit
hinaus auszudehnen und selbst dann noch
die beiden freundlichen Gestalten länger
an sich zu fesseln. Sogar die beiden
Geparde verriethcn bei den unheimlichen
Bewegungen kein Unbehagen mehr. Wie
alte gediente Seeleute folgten sic, stets
das Gleichgewicht bewahrend, den
Schwingungen des sic tragenden Bodens.