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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 24.1889

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Heft 15
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https://doi.org/10.11588/diglit.51129#0363
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Blinder Eifer schadet nur. Nach einem Gemälde von A. Müller-Lingke. (S. 363)

D i e

gebleichten

Leere. Ihr Geist schien in der Vergangenheit zn suchen.
Dann vor sich niederschauend, hob sie träumerisch an:
„Vergegenwärtigen Sie sich also die Stimmung, welche
sich Angesichts der verwitterten Uebcrreste des schändlich
gemordeten Theuren meiner bemächtigte, und Sie werden
begreifen, daß in dem rasenden Schmerz die letzten
milden Regungen erstickten, nichts mehr in mir Lebens-
kraft erhielt, als das Verlangen, Diejenigen zur Rechen-
schaft zu ziehen, welche sich unter der Leitung dieses Mac
Lear's zu einein der schwärzesten Verbrechen einten.
Mit meinem Glauben an die Menschheit schwand auch
die letzte Spur barmherziger Regungen. Das Wort

bei den Dnchteil.
Roman
von
Balduin Möllhansen.
^Fortsetzung.)
(Nachdruck verboten.)
ie Gräfin wollte nicht die langen Jahre ge-
litten und geduldet, nicht jammernden und
gebrochenen Herzens vor den
Gebeinen des ihr verräthc-
risch geraubten und gemor-
deten Verlobten gestanden
haben, um schließlich Erbarmen au
Jemand zu üben, welchen ein wetter-
wendisches Geschick für seine Verbrechen
sogar noch mit Glücksgütcrn über-
schüttete.
Eintretend erkannte sie auf den
ersten Blick die Merkmale der heftigen
Erregungen, welchen Wellingham wäh-
rend ihrer Abwesenheit unterworfen ge-
wesen. Rastlos schwankte sein Geist
zwischen gräßlicher Gewißheit und ban-
gen Hoffnungen. Seine Selbstbeherr-
schung war indessen zurückgekehrt und
damit jene Ueberlcgung, welcher er alle
Erfolge seines Lebens, die guten wie die
bösen, verdankte. Er fühlte, daß er in
eine Lage gerathen war, in welcher ein
einziges unvorsichtiges Wort, eine Miene,
ein Blick zum Verräther an ihm werden
konnten, und so erhob er sich beim Er-
scheinen der Gräfin mit höflicher Zu-
vorkommenheit. Was aber ans seinen
Zügen verrätherisch webte, das glaubte
er im günstigsten Sinne zu erklären,
indem er ohne Säumen begann: „Was
ich las, ist furchtbar) um so grauen-
hafter, weil die den Tafeln aufgetragene
Schrift keinen Zweifel an der Wahrheit
der geschilderten Ereignisse gestattet."
„Ebenso wahr wie grauenhaft," be-
stätigte die Gräfin, halb zu Lowcastle
gewendet, seltsam ausdruckslos) „nun
aber versetzen Sie sich in meine Lage,
und Sie werden leicht ermessen, welchen
Dualen ich unterworfen gewesen, als
ich die letzten zum Himmel schreienden
Worte und Wünsche des einem gräß-
lichen Tode Geweihten auf den Steinen
entzifferte und niederschrieb."
Sie nahm Platz. Wellingham und
Lowcaille, Letzterer bereits vertraut mit
deni Inhalt der Blätter, und von der
Gräfin über die von ihn: zu beobachtende
Haltung belehrt, folgten ihrem Beispiel.
Die Gräfin sah einige Sekunden in's

Vergeltung donnerte in meinen Ohren ob schlafend oder
wachend) mein Herz dnrchzitterte nur das eine Gebet,
daß die Mörder noch nicht von der Erde fortgefegt sein
möchten, um endlich meinem Richterspruch zu verfallen."
„Sie entdeckten keine Spuren von ihnen?" fragte
Wellingham, und die Todesangst, welche seiner Stimme
einen seltsamen Mißklang verlieh, hätte ein mit der
Sachlage nicht Vertrauter als Ausdruck ernster Theil-
nahme deuten können.
Indem Lowcastle auf die Gräfin sah/lugte aus
seinen Augen Erstaunen. Unfaßbar erschien ihm Wel-
lingham'S Frage. Doch eingedenk der empfangenen Rath-
schläge, beobachtete er fortgesetzt die Rolle
eines unbetheiligten Zuhörers. Ohne
es zu ahnen, war er in ihren Händen
nur ein willenloses Werkzeug.
„Spuren wohl," antwortete die
Gräfin, „jedoch bis jetzt leider nur solche,
welche vor einem Grabhügel zu endigen
versprechen. Ich gebe indessen meine
Hoffnung auf die Verwirklichung der
mit so Viel Sorgfalt eingeleiteten Pläne
nicht ans. Ich darf eben nicht müde
werden. Schreit mir doch eine innere
Stimme zu, daß jener Mac Lear noch
lebt, niag er immerhin, um seinen Raub
zu sichern, den Namen zehnmal geändert
haben."
„Wenn Sie für die Richtigkeit der
Spuren nur das kleinste Beweismittel
besäßen, an dessen Hand Sie die Nach-
forschungen fortzusetzen vermöchten,"
wendete Wellingham trotz seiner Rath-
losigkeit lauernd ein.
In den Augen der Gräfin glühte
cs feindselig. Ihre ganze Willenskraft
mußte sie aufbieten, dem nur mehr als
sein Leben ringenden Mörder die nie-
derschmetternde Anklage nicht verfrüht
in's Gesicht zu schleudern.
„Außer einigen Briefen jenes Mac
Lear, welche er an die Familie des jungen
Larsen und die des ehrlichen Schiffskochs
richtete, besitze ich freilich nichts," ver-
setzte sic dumpf, und lebhafter fügte sie
hinzu: „Doch gleichviel, lebt das Scheu-
sal noch, so finde ich cs, oder ich müßte
zuvor selber zu Grunde gehen."
Welliugham's Athem stockte. Auf
seiner Stirn bildeten sich wieder Schweiß-
tropfen. Dieselben entfernend, bemerkte
er mit verzweifelter Ruhe: „Wie gestern
Abend, leide ich auch heute unter der
Anwandlung eines Ohnmachtgefühls.
Vielleicht darf ich um ein Glas Wasser
bitten."
Die Gräfin klingelte. Ter ein-
treteudcu Aufwärteriu befahl sie, Wasser,
Rum und Zucker zu bringen; erst nach-
dem das Verlangte auf den Tisch ge-
 
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