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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 25.1890

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Heft 9
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https://doi.org/10.11588/diglit.51136#0213
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Die Söldlinge.
Roman
Walduin Wöllhanlen.
(Fortsetzung.)
-(Nachdruck verboten.)
ou Enriqucks Zug war also auf Räum-
lichkeiten angewiesen, in welchen der Ein-
zelne sich nur wenig frei
cinherzubcwegcu vermochte;
so lange die Wegelagerer
außerhalb des Schußbe-
reiches weilten, hinderte sie freilich
nichts, sich auch die nähere Umgebung
der Ruinen zunutze zu machen. Als ein
Glück pries man, daß die beiden Mäd-
chen nicht zugegen waren, zumal mit
Sicherheit darauf gerechnet werden
durfte, daß sie sich auf einem Wege
befanden, auf welchen: sie der gesetz-
losen Bande unerreichbar blieben. Denn
die Drohworte des Anführers verloren
ihre Wirkung vollständig, sobald Don
Enrique erwog, daß mit seiner Tochter
auch die Koffer in die Gewalt der
Räuber gerathen wären, und in solchem
Falle man am wenigsten an eine wei-
tere Verfolgung der Karawane gedacht
hätte.
Der Tag verstrich in träger Ruhe.
Weder auf dein See, noch auf dessen
Ufer trat irgend welche auffällige Sto-
rung ein. Wie die Räuber im Freien,
unterhielten die gewissermaßen Belager-
ten hinter den Mauern ihre Küchen-
feuer. Man hätte beide Thcile für ein-
ander wohlgesinnte Nachbarn halten
können, die nach einer unbequem ver-
Rrachteu Nacht sich durch die Ruhe des
"T'agös entschädigten. Und doch schweiften
beständig argwöhnische Blicke hinüber
und herüber; es überwachten scharfe
Augen die kleinsten Bewegungen des
Gegners.
Der Abend senkte sich auf die stille
Landschaft, ohne daß auf der einen
oder der anderen Seite Schritte unter-
nommen wurden, darauf berechnet, eine
Entscheidung hcrbciznführen. Eine voll-
kommen vereinsamte, öde weitere Um-
gebung beleuchtete die untergehende
Sonne. Mißtrauisch behielten die Wege-
lagerer die Richtung im Auge, aus
welcher der Zufall den Bedrängten Ent-
satz zuführen konnte; sehnsüchtig spähten
Don Enriaue und die Seinigen eben

dahin. Wie die Zuversicht der Ersteren wuchs, sank die
Hoffnung der Anderen. Reichten die Blicke doch über
Meilen hinweg; und als die Sonne vor ihrem gänz-
lichen Hinabtauchen hinter der Sierra Madre ihre
letzten Strahlen herübersandte, da war immer noch
kein anderes Leben zu entdecken, als in weiter Ferne
einige zerstreute Rinderheerden und vereinzelte Rauch-
säulen, die träge in die stille Atmosphäre emporsticgen.
Von hcrbeicilender Hilfe nirgends die leiseste Andeu-
tung; daun noch eine halbe Stunde, und in Dunkelheit
versank Alles unter dein reich gestirnten Himmel.
Mit dem Einbruch der Nacht wurde in den Ruinen

Ah, wie gut! Nach einem Gemälde von Eduard Griitzner. (S. 215)

die Wachsamkeit verdoppelt, um etwaigen schlau er-
dachten Teufeleien der Räuber rechtzeitig begegnen zu
können. Gern hätte Don Enrique den leidenden Thiercn,
selbst auf die Gefahr hin, einige von ihnen zu ver-
lieren, die Freiheit gegeben, um ihnen wenigstens das
Wasser des Secks zugänglich zu machen, wenn nicht
gerade dadurch die Gefahr eines Ueberfalles herauf-
beschworen worden wäre. Nicht einmal Feuer duldete
er jetzt hinter den als Brustwehren dienenden alten
Einfriediguugsmauern.
So verstrichen die ersten Stunden der Nacht in
steter Spannung und tiefer Stille. Nur die Maul-
thiere wurden unruhiger. Von Durst
gemartert, drängten sie sich in dem ab-
geschlossenen Raume durcheinander, wie
um die sie cincngcudcn Mauern mit
Gewalt zu durchbrechen. Vollständige
Ruhe herrschte dagegen in dem Lager
der Flibustier. Man schien sich daselbst
sorglos dem Schlaf hingegebcn zu haben.

Während auf dem Seeufcr der Tag
solcher Art dahinging, hatte der Prahm
seinen Weg unbeirrt östlich verfolgt.
Durch den breiten, dicht mit Vegetation
bedeckten Gürtel von dem niedrigen
Ufer getrennt, befand er sich fortgesetzt
in erträglicher Sicherheit. Obwohl
Roger durch die Wunde an der freien
Bewegung gehindert wurde, trug er
doch das Scinige zur Beschleunigung
der Fahrt bei. Isabel und Blanea
hatten sich auf einer Stelle niederge-
lassen, wo sie die Männer am wenig-
sten in ihrer Arbeit störten. Mit
banger Hoffnung sahen sie der Stunde
entgegen, in welcher sie am Ausfluß
des Secks von deni alten Stierkämpfer
begrüßt werden würden.
tim die Mittagszeit befanden sie sich
in gleicher Höhe mit den beiden Lagern.
Nur vereinzelte Stimmen unterschieden
sie. Im Ungewissen, von wem sie aus-
gingen, glitten sic geräuschlos vorüber,
und weiter trieb der Prahm und immer
weiter unter dem Schutz des Binsen-
waldes und der ihn hier und da durch-
schießenden Rohrfelder.
Allmählig nahm der Secspiegcl in
seiner Breite ab, bis er endlich einem
zwischen festen grünen Ufern sich hin-
wiudeudcn Fluß ähnlich erschien. Beim
weiteren Vordringen machte sich die
Strömung geltend, welche durch den
Abfluß des Secks bedingt wurde. Die
Fahrt ging infolge dessen schneller von
statten. Dichter rückten die Schilf-,
Rohr- und Binscnfclder uni die Flücht-
linge zusammen; Kanäle zweigten sich
hier und da ab, bis die Richtung der
 
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