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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 25.1890

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Heft 21
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https://doi.org/10.11588/diglit.51136#0505
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hundert in die Schranken. Du prophezeitest mir einen
Lehrstuhl der Geschichte, und ich Dir den Lorbeer des
Mäcens. Prophete rechts, Prophete links, und was
war doch noch gleich in der Mitte in der Mitte
zwischen Dir und mir'?"
War das ein Echo, welches aus die letzten Worte
des Reporters herüberklang aus weiter, weiter Ferne.
Karl Western drehte den Kopf über die Schultern zu-
rück und lauschte — nein, das war kein Ton aus alter
Zeit, es mochten vielleicht irgendwo die Kirchenglocken
läuten zu einer Hochzeit oder zu einem Bcgräbniß
„Das sind längst vergessene Dinge, Karl, Du sollst



Doktor Kranich lachte kurz und hart,
als er das Wort scheinbar zusammen-
hanglos herausstieß, und dann nahm er
sein Manuskript vom Sessel auf. „Also
reden wir von der Gegenwart, Karl
Western. Dein kaufmännisches Auge
wird mich vorhin so ziemlich richtig
taxirt haben, ich bitte in dieser Be-
ziehung nm Dein Urtheil."
Western schwieg.
„Ich danke Dir für Deine' Offen-
heit," sagte Kranich beißend.
Western hob ungeduldig die Hand.
„Komme zur Sache!"
„Zur Sache — gut. Schau her,
sieht dieses ehrwürdige Manuskript nicht
aus wie ein alter Reiseonkel? Wenn's
nicht ganz schlecht ist, dann muß so
'was wie der Satan darin stecken, als
Mittelwaare hätte es Wohl seinen Käufer
gefunden. Der alte Reiseonkel möchte
noch einmal und zwar bei Dir an-
klopfen — " , i-
lieber das verwitterte Antlitz des alten
Reporters flog wieder genau derselbe Zug,
wie in der verflossenen Nacht, als er die
Lokalnotiz dem Redakteur hinschob und
mit zitternder Stimme sagte: „Nehmen
Sie es nur." Alle Ironie, alle selbstver-
spottende Ruhmredigkeit schien auf seinen
Lippen für einen Äugenblick erstorben,
sie redeten nur die stumme Sprache
von dem bitteren Kampfe um's Dasein.
„Du darfst glauben, Western," fuhr
. er leise fort, „daß es mich sauer an-
kommt, gerade Dich um Prüfung dieses
Werkes anzugehen. Du könntest auch
antworten, daß es Sache Deiner An-
gestellten sei, die angcbotenen Sachen
zu lesen, und Dir ihr Urtheil vorzu-
tragen. Um ihretwillen bitte ich
Dich darum."
Im Nebenzimmer schlug eine Helle
Glocke an. Die Unterbrechung schien
dem Kaufmann willkommen zu sein, er
wandte sich hastig nach der Thür seines
Arbeitskabinets und sagte: „Das Tele-
phon — entschuldige mich."

nicht glauben, daß ich in Deine Wohnung gekommen
bin, um Dich mit der Erinnerung zu unterhalten,"
nahm Doktor Kranich nach einer kleinen Pause wieder
das Wort. „Was hilft es denn auch, sie ist nicht
Dein und nicht mein geworden."
„Wozu diese Erinnerung," sagte Western rasch.
„Du hast Recht, Mar, wir sind beide Männer."
Er nannte den Jugendfreund zum ersten Male bei
dessen Bornamen, und seine Finger griffen dabei hastig
und nervös in eine auf dem Tische stehende Blumen-
vase, und zerfaserten eine kostbare Blüthe.
„Die Erinnerung ist auch ein junges Weib!"

Roman
Kriedrich Jacobsen.
(Fortsetzung.)
(Nachdruck verboten.)
estern hatte inzwischen Zeit gefunden,
sich zu fassen^ nur mit einem einzigen
Blicke umschloß er die
Gestalt des vor ihm
stehenden Mannes, aber
dieser eine Blick sah auch Alles und
jeden Umstand, vom Fehlen der Uhr-
kette bis zu dem kleinen verschämten
Flecken auf dem Stiefel, von dem leisen
Zittern der Hände bis zu dein nervösen
Zwinkern der Augen.
„Du hast nun einmal an die Ver-
gangenheit angeknüpft," entgegnete er
ruhig auf Kranich's Anrede, und mit
einer unmerklichen, zum Sitzen einladen-
den Bewegung, „es mag darum sein, ob-
wohl ich den Grund nicht einsehe. Es
taugt selten etwas, wenn man zurück-
blickt. Wie geht es Dir?"
Doktor Kranich hatte sich gesetzt,
und sein Manuskript neben sich auf einen
Sessel gelegt.
„Ich lebe noch, wie Du siehst,"
erwiederte er in seinem gewöhnlichen
trockenen Tone. „Das ist jedenfalls
mehr, als Mancher von sich sagen kann,
der blos athmet. Auf das.wie' kommt
es schließlich weniger an, das ist indi-
viduelle Anschauung. Möchtest Du viel-
leicht auch noch wissen, wovon ich lebe?"
„Zch habe es beiläufig gehört."
„Natürlich," sagte Kranich, „es er-
nährt mich auch nur so beiläufig. Daß
ich gerade bei Deiner Zeitung be-
schäftigt bin, ist Dir vielleicht auch zu-
fällig bekannt."
„Ich habe nichts dazu, und nichts
dagegen gethan, das ist Sache meines
Chefredakteurs."
Western trommelte ungeduldig mit
den Fingern auf der Stuhllehne) das
Gespräch wurde ihm unbequem. Doktor
Kranich schien sich dagegen ausnehmend
behaglich zu fühlen, was ihn jedoch durch-
aus nicht hinderte, wieder in seinen
elegischen Ton zu verfallen.
„Was waren das doch für schöne
Zeiten, Karl, als wir noch zusammen
auf der Universität schwärmten. Arm
in Arni, so forderten wir das Jahr-

Minnealiick ini Rohre. Oriainalzeichnung von Carl v. Dombrowsti. (S. 503)
 
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