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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 25.1890

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Heft 26
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1890

ME




Welt gehören sollten, und ich habe

Güter auf der
meinen Vetter dazu gebracht, daß er in der Nacht das
Eis aufhackte, weil ich wünschte, daß Fräulein Swift
ertrinken sollte! Vergeben Sie mir. Ach, wenn man
Jemand so furchtbar lieb hat, dann verliert man sein
bischen Verstand! Wie gerne hatte ich es Ihnen ge-
sagt, daß ich Ihnen so gut bin, damals im Nebel,
als Sie mich heimführten. Ich hatte auf Sie ge-
wartet, aber dann hatte ich doch nicht den Muth!
Jetzt, wo doch Alles zu Ende ist, jetzt sollen Sie's
wissen; vielleicht denken Sic dann mit einigem Mitleid
manchmal noch an die unglückliche
Sidonie Holzer."
Tief ergriffen von diesem Bekcnntniß stieg Bern-
hard die Treppe empor; er war so bewegt, daß er der
Blicke, des Geflüsters nicht achtete, das sein Erscheinen

Krafft Freiherr v. Crailsheim, bayerischer Ministerpräsident.
Nach einer Photographie pon Franz Haosftacngl. k. Paper, n. k. prcuß. Hosphotograph in Manchen. iS. t>18)

IN der Holzer'schen Wohnung wachrief. Der Selbst-
mord hatte die Leute im Hause, besonders die Dienst-
mädchen, lebhaft aufgeregt; sie standen nun neugierig
um das Zimmer, in dem die Todte lag, und tuschelten
sich eine traurige Liebesgeschichte in die Dhren, deren
Held der junge Amtsrichter war.
Sein ernstes, düsteres Gesicht, als er an der
Bahre des Mädchens stand, gab diesen Vermuthungcn
neue Nahrung. Die Fensterflügel waren geöffnet, um
das verderbliche Kohlengift, mit dem sich Sidonie ge-
tödtet, ausströmen zu lassen. Es machte einen schauer-
lichen Eindruck, wie der Straßenlärm, das Läuten der
Pferdebahn, das Rollen der Wagen sich zudringlich
vernehmbar machte in der Stille, die der Tod um sich
verbreitet. Ans Sidonicns Zügen aber lag jene vor-
nehme Erhabenheit über die Welt, welche einem ent-
seelten Antlitz eigen ist. Was sic ihm
auch an Verirrungen bekannt, für Bern-
hard breitete die Liebe, die sie zu ihm
im Herzen getragen. über dieses starre
Mädchengesicht einen versöhnenden, ver-
klärenden Schimmer. Er dachte, wie
tvdestraurig ihre Augen ihn um einen
letzten Blick angefleht. Ach, nun hätte
er ihr gerne noch ein gutes Wort nach-
gerufen, äst' ihrer Schuld zum Trotz!
Hinter ihm flüsterten die Mägde.
Er achtete nicht darauf. Plötzlich hörte
er die Stimme der Mutter Sidonicns.
. Hat denn Niemand meinen Mann
gesehen? Er sagte, er wäre bald wieder
zu Hause, er ginge in's Bureau, aber
eben schickt man her, warum er nicht
käme."
Der Amtsrichter strich sich über die
Stirne. Er mußte erwachen; der Be-
amte hatte seine Pflicht zu thnn. Es
blieb kein Zweifel, daß Holzer die Flucht
ergriffen. Sollte der Mann, der den
Staat bestohlen, der den Tod seines
Kindes verschuldet, ungestraft entkom-
men? Nein! Er verdiente wahrlich
keine Schonung
Bernhard warf noch einen letzten
Blick auf die lrodte; dann verließ er
das Haus, nm znr Schuldentilgungs-
kasse zu fahren. Aber ehe er noch einen
Wagen gefunden, begegnete ihm Lia.
Ihr sonniges Lächeln kennte diesmal
nicht sofort die schweren Eindrücke der
letzten Stunden verscheuchen. Zum ersten
Male war er zerstreut in ihrer Gegen-
wart. Er gab ans ihre Frage: „Was
hast Dn? Du bist bleich und ange-
griffen?" nur hastig Bescheid.
„Ach, eine traurige Geschichte! Ich
kann Dir jetzt nicht Rede stehen. Ich
habe Eile. Morgen ans Wieder-
sehen!"
Lia runzelte die Stirne. Sie war

Novelle
L. W erst.
(Fortsetzung und Schluß.)
(Nachdruck verboten.)
n Kohlengas ist Sidonie erstickt, hat der
Polizeiarzt gesagt, den ich holen mußte," fuhr
ihre Mutter fort. „Und wir haben nichts ge-
hört, gar nichts! Jetzt erinnere ich mich frei-
lich, daß sie gestern Abend keinen Bissen
anrührte und über ein Wort, das mein Mann
ihr sagte, todtenblaß wurde. An ihn
hat sie auch noch geschrieben, bevor sie
sich hinlegte, mein armes, armes Kind!"
„Wo ist Ihr Mann? Ist er zu
Hause?" rief Bernhard auffahrend.
„Er ist fort, nachdem er den Brief
gelesen hat. Er müsse sogleich an sein
Geschäft," hat er gesagt. „Aber er
wollte sich für heute Urlaub nehmen
und dann wiederkommen."
Bernhard faßte die Frau scharf in s
Auge. Sie schien nicht zu ahnen, um
was es sich handelte.
„Gehen Sie jetzt, Frau Holzer, ich
folge Ihnen," sagte er. Sobald er allein
war, erbrach er Sidonicns Brief.
„Hochgeehrter Herr Amtsrichter,"
schrieb sie ihm. „Wenn ich den Muth
habe, meine Schuld gut zu machen, so
wollen Sie mich nicht verachten; daS
haben Sie mir versprochen. Aber ich
wage es nicht, dem Vater das, wag
Sie meinen, in's Gesicht zu sagen.
Darum will ich's ihm lieber schreiben,
lind ehe er den Brief liest, so weit
fort gehen, daß mich sein Zorn nicht
mehr erreichen kann. Wenn ich todt
bin, brauche ich mich nicht mehr vor
ihm ;n fürchten. — O, Hmr Amts-
richter, ich sehe ja jetzt ein, das; ich
recht schlecht war, aber haben Sic den-
noch Mitleid mit mir; ich habe wirk-
lich nicht verstanden, was ich that. Ja,
ein dummes, dummes Ding war ich.
Denken Sie, ich meinte, wenn ich nur
schöne Kleider hätte, wie Fräulein Swift,
dann wäre ich schon eine Dame und
dann könnte ich Ihnen auch gefallen.
Freilich, eine Ahnung hatte ich immer,
daß Sie Fräulein Swift lieb hätten:
ick sah Sie ein paarmal mit ihr ans
dein Schwancnweihcr, ich hielt mich
ganz versteckt; und da stieg mir ein solcher
Zorn ans über die reiche Dame, der alle
 
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