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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 25.1890

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Heft 24
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https://doi.org/10.11588/diglit.51136#0577
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Roman
Ariedrich Jacobsen.
«Fortsetzung u. Schluß.)
' - «Nachdruck verboten.)
Ullmann und Spieß hatte der
Staatsanwalt kinderleichtes Spiel, er
brauchte bei dem abgelegten Geständnis; in
Verbindung mit den erdrückenden Beweisen
lediglich ein Streiflicht auf
die juristische Seite der gestellten Fra-
gen zu werfen, und auch in dieser Be-
ziehung war Alles klar und unzweideutig.
Als er aber nach einer kleinen Pause
sein Auge auf das junge Mädchen
richtete, welches theilnahmlos vor sich
hinstarrte, da verlor seine Stimme den
sicheren Klang, und er begann mit dem
Ausdruck des Mitleids. Er sprach von
einer harten Pflicht des öffentlichen
Anklägers und von einer tragischen
Verkettung der Umstände, dann aber
legte er den Geschworenen an das Herz,
daß sie nicht berufen seien, dem Mit-
gefühl, sondern daß sie verpflichtet
feien, der Wahrheit die Ehre zu geben,
und wenn auch ein streng juristischer
Beweis für die Schuld der Angeklagte»
nicht geführt werden könne, so rede
doch jede vernünftige Ueberlcgung
gegen sie.
Es schien dem ergrauten Vertreter
der öffentlichen Anklage schwer zu
fällen, seine Rede zu Ende zu bringen,
nnd als er endlich mit dem Antrag auf
Schuldig schloß, flogen die Augen der
Zuschauer blitzschnell von dein grünen
Tisch zu der langen Tafel, an welcher
die Vertheidiger faße».
Es waren ihrer Drei, und auf den
jüngsten richtete sich die Aufmerksam-
keit der Menge.
Man begann sogar wieder mit-
einander zu flüstern, während die bei-
den Vertheidiger der Hauptangeklagteu
redeten. Was konnten die denn schließ-
lich auch vorbringen? Die waren von
Amtswegen bestellt, damit den Vor-
schriften des Gesetzes Genüge geschehe,
und sie sprachen mir zur Erfüllung ä
einer Form.
Aber der Dritte, der Vertheidiger
des jungen Mädchens! Man hatte ihn
noch niemals im Schwurgerichtssaal
gesehen, es mußte ein Neuer sein.

deten Mann, ein früheres Mitglied der Presse betroffen
hat. An demselben Morgen und zu derselben Stunde,
in welcher die beiden Angeklagten, deren Vcrtheidigung
mir nicht obliegt, der Gerechtigkeit anheimsielen, fand
man diesen Mann in den Anlagen unserer Stadt ent-
seelt auf einer Bank, und die Wissenschaft der Aerzte
hat festgestellt, daß er an Entkräftung, daß er Hungers
gestorben ist.
Es ist nicht meine Aufgabe, Ihnen die Schicksals-
fäden zu entwirren, welche sein umdüstertes Leben bis
an den Rand des Verderbens zogen, aber das Eine
sollen Sie wissen, meine Herren Geschworenen, jener
Mann brauchte nur seine Hand auszustrecken, und der
hohe Preis, welcher auf die Entdeckung dieser beiden
Fälscher gesetzt war, fiel in seinen
Schoß, er hatte genug für seinen
Lebensabend, und brauchte nicht im
buchstäblichen Sinne des Wortes zu
verhungern.
Er hat es nicht gethan, denn sein
Auge sah jene Tragödie kommen, deren
Ausgang zu bestimmen Sie heute be-
rufen sind, und er wollte lieber die
Kenntniß eines Verbrechens, die ihm
ohne sein Mitwirken ward, verhehlen,
als mit den Schuldigen eine Unschul-
dige in's Verderben reißen.
Jener todte Zeuge, dessen Schatten
ich heute beschwöre, er wußte nicht
mehr, wie Sie in diesem Augenblick
wissen, meine Herren Geschworenen. Er
wußte, daß ein Verbrechen begangen
wurde, daß der eine Verbrecher mit
meiner Klientin verlobt sei, und daß
er von ihr Mittel zur Begehung des
Verbrechens erhalten habe.
Ob wissentlich, ob nicht — das war
auch ihm verborgen.
Aber auf Ihre Ehre und auf Ihr
Gewissen frage ich Sic, meine Herren:
halten Sie cs für möglich, daß er jenes
heldenhafte Dpfer seines Lebens ge-
bracht haben würde, wenn er nicht
felsenfest von der Unschuld des Mäd-
chens überzeugt gewesen wäre?
Ich beginne nicht von diesem Platze
aus, wie man es gewohnt ist zu hören,
und wie mau es in den meisten Fällen
fordern darf, aber meine Herren Ge-
schworenen, auch die Staatsanwalt-
schaft hat sich nicht mit juristischen
Beweisen an Sie gewandt, auch sie hat
die Anklage gebaut auf Ihre freie
Ueberzengung, denn die Thatsachen an
sich lassen die eine wie die andere Deu-
tung zu.
Die Grund tage Ihres Wahrspruches
beruht auf der Frage, ob meine Klientin
von den; Verbrechen Kenntniß gehabt
hat, und ob sie, wenn dies der Fall

Oskar Blumenthal.
Nach einer Photographie gezeichnet von C. Kolb. «S.575)

Einige wollten sogar wissen, daß er die Verteidi-
gung freiwillig übernommen, daß er an dem Ausgang
ein persönliches Interesse habe, und Einer nannte auch
seinen Namen — Paul Helbig.
Dann trat Plötzliche Stille ein, der Rechtsanwalt
Helbig hatte sich erhoben und begann zu reden:
„Meine Herren Geschworenen! Wenn es in meiner
Macht stünde, die Todten aufzuwecken, dann würde ich
heute einen Zeugen vor Ihre Schranken stellen, dessen
Worte beredter werden sollten, als die meinigen es zu
sein vermögen.
Nun kann ich nur seinen Schatten rufen.
Sie haben wohl Alle durch die Zeitungen jenes
tragische Geschick vernommen, welches einen hochgebil-
 
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