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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 25.1890

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Heft 20
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https://doi.org/10.11588/diglit.51136#0481
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aber
und
liche

der Weltstadt mit ihren Tausenden von elektrischen Lam-
pen und Gaslaternen, so lag sie über dem Häusermeer.
Die Uhr eines kleinen Nachtcafs's zeigte auf Zwei,
und zwei Gäste befanden sich außer dem schläfrigen
Zählkellner in dem Lokale.
Sie saßen räumlich getrennt, Jeder für sich an einem
der kleinen runden Marmortische, und Keiner kümmerte
sich um den Andern. Wahrscheinlich kannten sie sich
gar nicht, der Zufall hatte sie in einen und denselben
Raum zusammengewürfelt, die nächste Zeitwellc riß
sie wieder auseinander, und Niemand wußte, ob in
der Zwischenzeit einer jener unsichtbaren Fäden, von
welchen wir oben redeten, sein feines, unzerreißbares
Gewebe zwischen ihnen ausgespannt hatte.

Kral dickins Lzapary, der neue nngarilcke Minifferprälldeiit.
Noch einer Original-Aufnahme bo» Eduard Elliugcr, k. u. k. Hosphotograph in Budapest. (2. 479)

unser
schärfer, als der grobe körper-
Sinn.
Zn keiner Stunde des Tages und
der Nacht ruht der elektrische Strom,
welcher unsichtbaren Blitzen gleich
hierhin zuckt und dorthin, und wenn
wir mit dem Herzen und der Phan-
tasie lauschen, dann glauben wir ein
sausendes Webschiff zu hören, und es
webt sich zu unseren Hüupten ein Ge-
wand, verschieden nach Ursprung und
Zweck, für den Einen zum Prunk, für
den Andern zum Verhüllen der Blöße,
für Alle zu gutcrlctzt ein Sterbehemd.
Arbeit nennen wir die Hand,
welche das Wcbschiff in Bewegung
hält, Arbeit im weitesten Sinne, denn
sie umfaßt die ganze Skala des Kampfes
nm's Dasein, vom Handel bis zum
Betrug, vom Kathederwort bis zum
Hochverrat!), vom Grabscheit bis zur
Mordart.
Alles webt, aber wie das Gewebe
sich verschlingt, nach welchen Gesetzen
es sich flU den Einzelnen fügt, das
sagt uns Keiner.
Die tausend sichtbaren Fäden sind
nur ein Gleichniß für etwas Anderes,
Unsichtbares, Unheimliches.
Fatum nannten es die Alten, Kis-
met heißt es der Orientale, Schicksal
der Abendländer es ist Alles ein
und dasselbe.
Das sind Nachtgedanken, welche die
Begüterten und Glücklichen in dem
behaglichen Bewußtsein ihrer gesicher-
ten Stellung' nicht hegen, oder zum
Mindesten nicht ausdcnken mögen,
aber Tausende unserer Brüder werden
voN- ihnen mit Fledermausschwingen
umflattert, selbst im Lichte der Sonne.
Wie viel mehr um die todte Stunde
der Nacht.
Wenn man von ihr reden darf in

Der Aeltere von Beiden konnte einige fünfzig Jahre
alt sein. Er trug einen grauen Anzug, welcher aus
der „Goldenen Hundertundzehn", oder einem ähnlichen
billigen Kaufgeschäft stammen mochte; der Stoff war
noch neu, aber er zeigte bereits bedenkliche Spuren
von Regen, Straßenstaub, Bier und Cigarrenasche.
Ein breiter weicher Filzhut hing etwas entfernt am
Ständer, aber der lieber,sicher fehlte.
Der Mann hatte beide Hände auf seinen Stock
gestützt und starrte mit vorgeneigtem Kopf auf das
Halbleere Bierseidel, man vermochte kaum zu unter-
scheiden, ob er wachte oder schlief. Es lag etwas un-
säglich Müdes, Schlaffes in seinen hageren Zügen, und
dennoch zuckte es manchmal so nervös nm den feinen,
von grauem Knebelbart verdeckten
Mund, daß man das wilde Fluchen
der Gedanken hinter der kahlen Stirn
zu sehen wähnte.
Einen merkwürdigen Gegensatz zu
diesen: bildete der zweite Gast. Seine
dunkle Kleidung saß straff, wie ver-
wachsen mit dem muskulösen Körper,
sie war etwas fadenscheinig, aber sie
verrieth im Gegensätze zu dein Andern
das fast peinliche Bemühen, den Ein-
druck des Wohlanständigen und Bür-
gerlichen zu machen. Aber Wollen und
Können ergänzen sich nicht überall;
ein scharfer Beobachter hätte z. B. un-
schwer entdeckt, daß der Mann unter
dem hoch zugeknöpften Rocke kein Vor-
hemd trug; die schwarze Kravatte und
der Papierkragen mußten Alles ver-
hüllen.
Ein röthlicher Vollbart umrahmte
das finstere, wenig anziehende Gesicht;
er war so struppig und stachlig, und
dabei so dicht, daß ein Sachverstän-
diger wohl auf den sonderbaren Ge-
danken hätte verfallen können, dieser
Mann sei jahrelang in der Zwangs-
lage gewesen, wider Neigung und An-
lage rasirt zu werden, und die Ver-
anlassung dieser Zwangslage sei erst
vor kurzer Zeit in Wegfall gekommen.
Beide Männer streiften sich zu-
weilen über die trennenden Tische hin-
weg mit einem flüchtigen Blick. Sie
waren ja die Einzigen in: Lokale, und
sie machten Beide den Eindruck, als
habe weder Genußsucht, noch der
stumpfe Trieb des übersättigten Nacht-
schwärmers sie hierher geführt, man
konnte fast glauben, es sei ihr Beruf,
ihre Arbeit, an solchen Orten um
diese Stunde zu verweilen.
Ter mit dem grauen Knebelbarte
trank sein Bier aus und schüttelte sich.
Dann rief er den: Kellner z:n „Hein-
rich, ein Glas Grog!" nahm sein

Roman
Friedrich Jacobsen.
(Nachdruck verboten.)
Erstes Kapitel.
eber die Millionenstadt spannen sich tausend
Fäden. Regungslos schweben sie wie das
Netz einer Spinne in der Luft, und nur
der Wind vermag ihnen summende, schwir-
rende Töne zu entlocken,
geistiges Ohr hört feiner
 
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