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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 25.1890

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Heft 20
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474

Notizbuch aus der Tasche und begann in demselben zn
blättern.
Der Kellner brachte das Verlangte und bemerkte
halblaut : „Sie könnten auch lieber nach Hause gehen,
Herr Doktor; diese Nacht passirt doch nichts mehr."
„Kann man Nichtwissen, Heinrich; übrigens haben
Sie ja noch mehr Gäste."
„Der da?" Der Kellner machte eine verächtliche
Bewegung. „Der rutscht seit einer Stnnde die Stühle
glatt bei einer Tasse Kaffee. Und am Ende muß ich
ihn noch hinausschmcißcn, weil er nicht zahlen kann."
„Da Hütten wir ja gleich ein Ereigniß," bemerkte
der Andere trocken.
„Wie viel bekommen Sie denn dafür?" forschte der
Kellner neugierig.
„Das kommt ganz ans die Kunst an, mein Lieber."
„Die Kunst?" Der hübsche, intelligent aussehende
Bursche lachte. „Na, Herr Doktor, nehmen Sie mir's
nicht übel, aber wenn man das so liest — ich glaube,
das könnte ich auch fertig bringen."
lieber die hageren Züge des Lokalreporters glitt
es wie ein flüchtiger Wetterschein, dann trank er mit
einem tiefen Zuge die Hälfte seines Glases leer.
„Das verstehen Sie, Heinrich," sagte er aufath-
mend. „Die richtige Mischung von Wasser, Zucker
und Rum, vor Allem nicht zu wenig von letzterem.
Ob Sie die andere Mischung auch so gut fertig bräch-
ten? Wenn Sie mein Sohn wären, Heinrich, dann
würde ich Ihnen das Rezept nicht verrathen, es ist ein
bischen Gift darin; aber so kann's mir nichts ver-
schlagen."
Er lehnte sich auf den Stuhl zurück, rückte seinen
Klemmer ans die Spitze der röthlichen Nase, und
zwinkerte listig mit den Augen.
„Also das Rezept, Heinrich, ist genau ebenso wie
Ihr Grog. Zuerst natürlich Wasser, das sind die all-
täglichen Ereignisse, das Zeug, das überall zu haben
ist. Aber kochend muß es sein, brühwarm, der abge-
standene Schlamp von gestern mundet Keinem. Dann
kommt so 'n bischen Zucker, Heinrich, das ist für die
Kinder und die kindlichen Gemüther, bisweilen auch
für die Polizei. Man nennt es auch den moralischen
Hintergrund; aber nur nicht zu viel, ja nicht zu viel,
die Moral ist ein homöopathisches Mittel! Und nun
die Hauptsache, ein tüchtiger Schuß Rum, und nur
recht scharf und pikant. Das ist die Sensation, Hein-
rich, und darin liegt das eigentliche Geheimniß. Wollen
Sie auch noch wissen, was man vor allen Dingen ver-
stehen muß, um dieses Geheimniß zu ergründen?"
„Nun, Herr Doktor?"
„Das Lügen," sagte der Reporter gelassen, und
trank sein Glas leer. „Und nun bringen Sie mir noch
eins ans Kreide, Heinrich, und knausern Sie nicht mit
dem verdammten Lügengeist da in der vierkantigen
Flasche."
Der Lokalreporter Doktor Max Kranich nahm eine
fast schwarze Cigarre, welche lose in seiner Brusttasche
steckte, und zündete sie an. Es überkam ihn offenbar
eine Art Wohlbehagen, welches vielleicht ebensosehr
durch seinen Vortrag, wie durch den starken Grog her-
vorgerufen war. Er blies dichte Rauchwolken vor sich
hin, und summte das abgeleierte Motiv aus dem
Bettelstudenten dazu: „Und sie hat mich ja nur auf
die Schulter geküßt."
Dann lachte er plötzlich halblaut. „Das wäre auch
eine passende Variante. Sie — Fräulein Klio, die
Muse der Geschichtsschreibung. Bis ans die Stirn
hat's nicht gelangt, aber was verschlägt das, wir
Lokalreporter schreiben auch eine Geschichte der Gegen-
wart, wenn gleich nur auf schlechtes Zeitungspapier
und nicht in eherne Tafeln. Man könnte auch sonst
keine Butterstulle hineinwickeln. — Holla, wer kommt
denn da?" setzte er hinzu.
Es war noch ein später Gast cingetreten, ein echter
Nachtschwärmer.
Das Künstlerische, welches bei dem Alten nur durch
den Schnitt des Bartes, und den breiten Filz leise
angedeutet war, sprach sich in förmlich aufdringlicher
Weise in der ganzen jugendlichen Erscheinung aus,
aber es war nicht echt, sondern gemacht.
Der Neuangekommene ging mit etwas unsicheren
Schritten an den Tisch des Reporters, streckte lachend
die Hand aus und rief: „Na, Doktor, rcportcrn Sie
auch noch in den Kneipen herum? Sic alter Kolk-
rabe sollten sich auch lieber in's Bett legen, anstatt
Lügen zu schmieden."
„Respekt, Sie junger Grünspecht!" entgegnete Jener
qualmend. „Mein Name ist Kranich, und Sie wissen
oder wissen vielmehr nicht, daß dieser Vogel den Alten
als Sinnbild der Wachsamkeit galt."
„Was kümmern mich die Alten! Der Kranich ist
ein Sumpfvogel, soweit reichen meine naturgeschicht-
lichen Kenntnisse."
Doktor Kranich rückte seinen Klemmer noch weiter
hinaus auf die Spitze der Nase, und blickte dem jungen
Mann scharf in die weinseligen Augen.
„Der Witz ist faul, aber er kommt doch nicht von
Ihnen, Spieß. Sic waren wohl wieder in diesem so-

Das Bu ch f ü r All e.
genannten Künstlervereinc, und da hat man über den
literarischen Lumpensammler, den versoffenen Kranich,
Kalauer gerissen."
Arnold Spieß blickte ein wenig verlegen zur Seite,
und schwieg.
„Na, lassen Sie nur," fuhr der Alte ruhig fort,
„mir kann das ja egal sein. Aber was wollen Sie
bei den Kerls, der Mensch soll sich nicht wegwerfen.
Glauben Sie denn wirklich, Spieß, daß dieses, aus
Farbenklecksern, Schmierenhelden und Kolportagcroman-
Fabrikanten zusammengeschmissene Gesindel Ihnen den
Platz einräumt, der Ihren Fähigkeiten gebührt? Gott
bewahre, über die Achsel angesehen, blos geduldet
werden Sic. Und warum? Weil Sie Ihr hervor-
ragendes Zeichentalent und Ihr scharfes Auge als
Kupferstecher verwerthen, weil Sie zu den Arbeitern
gehören und nicht zu den Tagedieben."
Arnold Spieß zog einen Stuhl heran und setzte
sich. „Jeder Mensch will höher hinaus," sagte er
halblaut.
„Respekt vor den richtigen Jüngern der Kunst!"
entgegnete Kranich ernst. „Wenn Sie 'mal in deren
Kreis ausgenommen werden sollten, dann will ich, wenn
mich die Würmer nicht inzwischen gefressen haben,
meinen Segen dazu geben. Es dauert lange, junger
Mann, und Mancher erreichtes nie —" er blickte mit
einem halb sarkastischen, halb wehmüthigen Lächeln an
seiner eigenen Person nieder. Plötzlich schlug er mit
der Faust auf die Marmorplatte und rief nach einem
frischen Glas Grog.
Er machte in.diesem Augenblick den Eindruck eines
strammen, körperlich und geistig unverwüstlichen Mannes,
aber dann klappte er wieder zusammen, und das alte
cynische Lächeln spielte um seine Lippen.
„Das war nun die zweite Moralpredigt in einer
Nacht. Die erste hat mir ein Glas auf Borg bei
Heinrich eingebracht. Sie werden sich doch nicht lum-
pen lassen, Spieß? Oder fehlt es Ihnen am Besten?"
Der Kupferstecher griff in die Westentasche und
holte einen zusammengeknüllten Fünfmarkschein heraus.
Er glättete das Papier, legte es vor sich auf den Tisch
und sagte scherzend: „Das ist der letzte; ich muß bald
wieder welche machen."
Auch Kranich lächelte. Er beugte sich vor, be-
trachtete einen Augenblick die geharnischte Nittergestalt
auf dem Scheine, und fagte dann, einer plötzlichen
Gedankenfolge Ausdruck gebend: „Wissen Sie auch,
Spieß, warum auf den andern Scheinen zwei Figuren
abgebildet sind?"
„Wahrscheinlich, weil es schwerer ist, zwei nachzu-
machen, als eine," entgegnete Jener in Fortsetzung
seines vorigen Scherzes.
„Falsch, lieber Frcnnd. Auf den Zwanzigern sind's
zwei Jungen, auf den Hunderten zwei Weiber, auf
beiden Paarung gleichartiger Elemente. Das ist eine
Versinnbildlichung der modernen Macht, der Association.
Früher war's die Ehe, aber das ist veraltet, an ihre
Stelle ist die Compagnie getreten. Wie wäre es,
Spieß, wenn wir uns auch in diesem geistigen Sinne
verhciratheten, wir könnten sogar zum Standesbeamten
gehen, nach der Definition des Allgemeinen Landrechts
steht dem kein Bedenken entgegen."
Arnold Spieß blickte seinen Geführten ungewiß an;
er schien nicht genau zu wissen, ob Jenem der Grog
zu Kopf gestiegen sei, oder ob irgend ein verborgener
Sinn dahinter stecke.
„Die Idee ist grandios," fuhr Doktor Kranich fort.
„Lassen Sie uns gemeinschaftlich eine neue Zeitung
gründen. Sie wissen ja, Spieß, daß unsere Tages-
presse sich noch immer nicht ganz von dem langweiligen,
die Charaktere verderbenden Beiwerk der Politik frei-
gemacht hat, daß dem „Lokalen" und „Mannigfal-
tigen" noch immer nicht der gebührende Raum, das
heißt, aller Platz über und unter dem Strich ein-
geräumt wird. Sic illustriren dann unsere neue Zei-
tung, und wenn wir uns auf diese Weise zusammen-
thun, dann müßte cs mit dem Henker zugchen, wenn
die Sache kaput ginge. Einen Titel habe ich auch
schon ausgcdacht, das ist natürlich die Hauptsache;
was meinen Sie zu der Bezeichnung -Klatsch' ? Die
würde so ziemlich allen Bedürfnissen entsprechen!"
Der junge Kupferstecher schüttelte halb unwillig den
Kopf wie Jemand, der in einer interessanten Beschäf-
tigung gestört wird.
„Nee, Doktorchen," sagte er dann, „auf den Leim
kriechen wir nicht mehr, das ist ja Alles Mumpitz.
Wo wollen Sie denn das Geld zu dem Unternehmen
herkriegen?"
„Das wird gepumpt, gestohlen, geraubt, gefälscht,
wie es am besten angeht," entgegnete der Alte uner-
schütterlich. — „Was zum Henker machen Sie denn
da, Spieß? Sie üben sich wohl schon auf das
letztere?"
Arnold Spieß hatte sich, während Doktor Kranich
seine ironischen Luftschlösser baute, einer halb mechani-
schen Beschäftigung hingegeben.
Der Fünfmarkschein lag noch immer auf dem Tische
neben einer alten Speisekarte.

M 2ll.
Der Kupferstecher besah die Arabesken der letzteren
einen Augenblick nachdenklich, dann wandte er sie um,
nahm einen Bleistift aus der Tasche, und begann ans
der leeren Rückseite einc flüchtige Skizze zu entwerfen.
Wie er so dasaß, die dunklen Locken tief in der
Stirn, die keck geschwungenen, mit einem kleinen Bärt-
chen verzierten Lippen znsammcngepreßt, erhielten seine
Züge einen eigenthümlichen Ausdruck; man konnte fast
an irgend ein besonderes intelligentes Nanbthier denken.
„So zeigen Sie doch her!" sagte Kranich nochmals
ungeduldig und nahm das Papier weg, „Teufel auch,
das ist famos!"
Der junge Künstler hatte in den wenigen Augen-
blicken die Gestalt des Ritters skizzirt, welche auf dem
Fünfmarkschein äbgebildet ist. Doch die Kunst, welche
des Reporters Erstaunen hervorrief, bestand vielleicht
weniger in der Schnelligkeit der Arbeit, als der wahr-
haft überraschenden Treue. Da fehlte, soweit die Zeich-
nung auSgeführt war, kein Strich und kein Punkt,
man" sah, "daß diese Hand Wohl weniger daran gewöhnt
war, zu erfinden, als nachzuahmen.
„Das ist großartig," sagte Doktor Kranich noch-
mals, und dann fügte er nach einer kleinen Panse
ernster hinzu: „Nehmen Sie sich in Acht, Spieß, auS
dem Spaße könnte 'mal Ernst werden; das ist einc
verwünscht gefährliche Gabe."
„Wie wür's mit der Association?" frug Jener
mit spöttisch verzogenen Lippen.
„Für's Zuchthaus? Ich danke, da können Sie
allein hingehen."
Ein plötzliches Geräusch ließ die beiden Männer
aufblicken. Der dritte Gast hatte bisher regungslos
an seinem Tische gesessen, und nur von Zeit zu Zeit
einen Schluck Kaffee zu sich genommen.
Jetzt stieß er plötzlich die Tasse so heftig zurück,
daß sic fast auf den Boden gefallen wäre, und rief mit
rauher Stimme: „Kellner, zahlen!"
Der Gerufene kam langsam und verschlafen hinter
dem Schänktische hervor; unterdessen hatte der Fremde
eine gehäkelte Börse aus der Tasche gezogen, sie vor-
sichtig und leise auf den Tisch gelegt, und einen Thaler
herausgenommen. Er hielt das Geldstück dem Kellner
mit ausgestrecktem Arme entgegen und sagte: „Eine
Tasse Kaffee und einen Cognac."
Heinrich nahm den Thaler und griff mit der an-
dern Hand in seine Tasche, um zu wechseln; dabei ließ
er ihn aus Unachtsamkeit auf den Boden fallen.
„Klapp!"
Der Ton war so eigenthümlich, daß Kranich und
Spieß mit den Köpfen herumfuhrcn.
Einen noch weit tieferen Eindruck schien aber der
geringfügige Zufall auf den Besitzer des Geldes aus-
zuüben. Er sprang in die Höhe, raffte seine straff
gefüllte Börse auf und warf einen schnellen Blick nach
dem Ausgange des Cafo's. Dann griff er in die Westen-
tasche, legte ungezählt' einige kleine Münzen auf den
Tisch und sagte: „Den Teufel auch, da hat man mich
schön angeschmiert!" Und mit diesen hastigen Worten
verließ er das Lokal.
Der Oberkellner stand noch immer in derselben
Stellung und blickte auf das unheimlich vom Fuß-
boden heraufblinkende Geldstück. Da vermochte Spieß
sich nicht länger zu halten und brach in ein schallen-
des Gelächter aus.
„Sie sind unbezahlbar, Heinrich! Haben Sie denn
noch niemals einen falschcn'Thaler in Ihren jungfräu-
lichen Pwtcn gehabt? Warum sehen Sie so betrübt
ans, Vecehrtester? Da ans dem Tische liegt das echte
Geld, stecken Sie es in Gottes Namen ein, und der
Thaler wird ja Wohl auch noch seinen Herrn finden,
im schlimmsten Falle nehm' ich ihn umsonst."
Der Kellner hob das Geldstück ans und trat an
den Tisch zu seinen Gästen.
„Da ist nichts zu lachen, Herr Spieß," sagte er
wichtig. „Nun ist der Kukuk 'mal wieder los, und es
heißt, die Augen aufmachen. Der Kerl hatte die ganze
Börse voll von dem Zeug, und sehen Sie 'mal, wie
geschickt das Ding gemacht ist."
Doktor Kranich nahm das mattblinkendc Stück in
die Hand und befühlte es. „Zink," sagte er dann
kopfnickend. „Die Prägung ist gut, wahrscheinlich in
einer Gypsform gegossen. Nur die Umschrift am Rande
ist nicht ganz deutlich. Es ist doch wunderbar, was
das Verbrechen auszusinnen vermag."
„Und so hübsch billig," fügte Spieß hinzu. „Erst
war's vielleicht ein alter Löffel, und nun —"
„Wir hätten den Mann festhalten sollen," meinte
der Kellner.
Der Kupferstecher maß die schmächtige Gestalt im
schwarzen Frack mit einem spöttischen Blicke.
„Sie haben ja gewaltige Courage, Heinrich. Ich
denke, der Fremde hätte Ihnen bei dem Versuch seine
Hand so 'n bischen segnend auf's Haupt gelegt — es
wäre schade um den klugen Kopf gewesen. Nee, Männeken,
das wäre höchstens hier für unseren Doktor angenehm,
Stoff für einen großartigen Artikel unter der Spitz-
marke: -Gräßliches Ereigniß,' und so weiter."
Er raffte seinen Fünfmarkschein vom Tische auf,
 
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