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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 25.1890

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Heft 25
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https://doi.org/10.11588/diglit.51136#0601
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geben sich Mühe, durch ein maßvolles, bescheidenes Ge-
nießen die Vorrechte, die ihnen das Schicksal gewährt,
zu verdienen. Aber Andere wieder fordern geradezu den
dumpfen Groll heraus. Zu ihnen gehört Lia. Ihr
ganzes Gebühren scheint wie ein höhnender Ruf den
Besitzlosen in's Gesicht: ,Seht doch, wie ich lache!
Wie ich verschwende! Ich thue, was mir gefällt! Ich
darf es ja!' Ihre kecke, hochmüthige Selbstüberhebung
muß in hundert mühsalbeladenen Herzen, in hundert
arbeitsmüden Köpfen die Frage wachrufen: ,Warum
Du, warum, gerade Du?' Darum sagte ich: sie ist
eine von denen, welche den Sturm weiten, welche in

Zwei Mädchen.
Novelle
L. M e r k.
lFvrtsehung.)
(Nachdruck verboten.)
erzeihen Sie," flüsterte Lia zögernd ihrem
Begleiter zu, als wage sie jetzt, da sie sich
erkannt fühlte, das Masken-
Du nicht mehr anszuspre-
chen. „Verzeihen Sie, daß
ich so gar nicht amüsant
zu Plaudern weiß. So etwas schickt
sich Wohl auch besser für ein junges
Mädchen, die ein ganz leichtes, freies
Herz hat. Zum Beispiel Lia. Sie
wird mit der Maske nette Bosheiten
sagen können; glauben Sie nicht, Herr
Amtsrichter?"
„O, Fräulein Swift bedarf der
Maske nicht, nm jede Bosheit auszu-
sprechen, die ihr einfällt. Sie nimmt
sich ja immer diese Freiheit."
„Finden Sie? Ach ja, zuweilen ist
sie Wohl sehr schnippisch," sagte die feine
Stimme neben ihm in sanftem Tadel.
„Meinen Mann hat sie einige Male
schon verletzt."
„Was wollen Sie, gnädige Frau,"
fuhr Bernhard fort. „Sie ist einer
jener glänzenden Vögel, die den Sturm
rufen."
Diesmal ward es seiner Begleiterin
nicht schwer, etwas naiv zu fragen:
„Wie meinen Sie das?" Sie hatte ihn
wirklich nicht verstanden.
„Wie ich daS meine?" erwiedertc
er leise, finster. „Sie erinnern sich
doch ans der Geschichte an jenen tollen
Uebermuth, mit denn vor der französi-
schen Revolution der Adel die Wnth
eines hungernden, darbenden Volkes
reizte? So lange haben die bevorzugten
Glückskinder den Ingrimm, den Neid
des Volkes wachgernfen, bis ihm der
Zorn die Vernunft raubte, bis es zur
rasenden Bestie wurde. Seitdem ist dem
Adel der Uebermuth gedämpft worden.
Aber seitdem sind Ändere obenauf ge-
kommen, die statt mit ererbtem Namen,
mit ererbtem Gclde die Freuden des
Lebens für sich allein beanspruchen
wollen und znni Theil auch können.
Auch auf sie blicken wieder düstere
Augen. Die Denkenden unter den
Glückskindern wissen dar Wohl. Sie

die glimmenden Funken blasen, aus denen noch eine
vernichtende Flamme emporwachsen kann."
Eine Weile schritt die verhüllte Gestalt an seiner
Seite mit gesenktem Haupte dahin. Lia rang nach
Ruhe, nach Kraft zur Verstellung. Als sie diese hin-
reichend gewonnen zu haben glaubte, versetzte sie mit
dein schüchternen Ausdruck Herminens: „Es scheinen
nicht alle Männer Ihrer Ansicht zu sein, Herr Amts-
Achter, man macht Lia doch so viel den Hof."
„Natürlich; sie ist umgeben von Schmeichlern. Das
ist ihr Unglück und ihre Entschuldigung. Keiner hat
den Muth, ihr die Wahrheit zu sagen; Jeder thut, als
bewundere er ihre Launen, schwärme
für ihre Extravaganzen —"
„Sic meinen also," siel ihm Lia
rasch, mit einer krampfhaften An-
strengung, die tiefe, innere Erregung
zu verbergen, in's Wort, „Sic mcinen,
daß die Männer alle heucheln, daß es
Keinem Ernst sei mit seiner Bewun-
derung, daß Keiner sie wirklich liebt?"
„O ja, Jeder liebt sie wirklich, das
heißt ihren Reichthum. Jeder begehrt
sie glühend, das heißt ihr Geld. Es
ist ein Jrrthum, daß sich Männer nicht
leidenschaftlich für eine Erbin ent-
flammen könnten. Vielleicht ist die
Gier nach Besitz die einzige große Leiden-
schaft unserer Zeit. Ein Mann aber,
der Lia mit dem Herzen liebte, nur
sie, sie selbst, der das Unglück hätte,
eine echte und wahre Neigung für ihre
Person zu empfinden, würde sich gewiß
lieber die Zunge abbeißen, als es ihr
zu gestehen, als sich zum Spielball ihrer
Gefallsucht herzugeben. Ein stolzer
Mann wirbt nicht nm ein Mädchen,
das auf ihr Gold in solcher Weise
pocht."
Die kleine Hand, die auf Bern-
hards Arm liegt, zieht sich zurück.
„Verzeihen Sie: ich sehe dort meinen
Mann; ich muß ihm ein Paar Worte
sagen," klingt es hastig, mit letzter Kraft
der Selbstbeherrschung.
Bernhard verneigt sich stumm; er
athmet laut und rasch. Er lehnt sich
an eine Säule in der entferntesten Saal-
ecke; wie in einem grauen Nebel wogen
die Paare an ihm vorüber. Was er
gesprochen, hat ihm die Seele auf-
gewühlt; er muß ringen nach Ruhe.
Lia hort kaum, was der Lieutenant,
an dessen Arm sie sich gehängt hat, zu
ihr spricht. Ihr Herz hat die erste
furchtbare Enttäuschung getroffen. Sie
hatte geglaubt, daß Bernhard ihr gut
sei, hatte gehofft, ihm iu der fremden
Rolle nicht ein Gcständniß, aber doch
ein Wort zu entlocken, das ihr ver-

Jn der Rosenzeit. Nach einem Gemälde von N. Sichel. (S. SSV)
 
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