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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 25.1890

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Heft 22
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https://doi.org/10.11588/diglit.51136#0529
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Das Schicksal.
Roman

diesen Ehrennamen nicht trägst. Aber meine Schuld
ist es wenigstens nicht, und ich glaube, die Deinige
ebensowenig."
„Doch," entgegnete sie herb. „Weißt Du, Mar,
daß ich den Namen Karl Western schon kannte, als

geltung, Valerie ? Das ist Alles vorher bestimmt. Es
ist Schicksal, daß ich jahrelang als Reporter von den
Brosamen lebte, die von Karl Western s Tisch fielen,
und es ist Schicksal, daß Du hier sitzest als Wittwe
Faber, anstatt in Wcsterifis Kutsche zu fahren als

,Es

Adolf Freiherr Marschall d. Bieberstein, der neue Staatssekretär des Auswärtilien Amtes. sS. 5271

wir jenes letzte Gespräch miteinander führten?"
„Ich weiß es wohl, Valerie."
„Und weißt Du auch," fuhr sie fort, „daß Verrath
durch Verrath gelohnt wird? Wie ich Dich verließ, so
hat Karl Western mich verlassen. Das nennt man
Vergeltung, Mar."
Kranich zog die Weinflasche näher und goß sich
das Glas voll.
„Thorheit!" sagte er, „was willst Du mit der Ver-

seine Frau. Wenn das Schicksal eine andere Laune
gehabt hätte, dann wären wir Mann und Frau, viel-
leicht Herr und Frau Professor, wir feierten vielleicht
heute unsere silberne Hochzeit, und Western — jetzt
habe ich ihn dreimal genannt, Valerie — na, der
könnte meinetwegen da sein, wo man sich dreimal be-
kreuzt."
Frau Valerie Faber betrachtete mit heimlicher Scheu
das Gesicht des Redenden. Er hatte seine körperliche
Schwäche durch den Genuß des
Weines verscheucht und die Weiche
Stimmung, in welche ihn das un-
erwartete Wiedersehen versetzt, schien
vollständig dem gewöhnlichen Cynis-
mus Raum gemacht zu haben. Und
doch — wer konnte hinter dieser
wüsten Blaske lesen?
Da schlug es zehn Uhr, und Frau
Faber stand ans.
„Wo Gretchen bleiben mag, sie
wollte nur quer über die Straße zu
einer Freundin, aber in dieser ent-
setzlichen Stadt muß man ja Angst
haben, ein junges Mädchen nur vor
die Thür zu lassen."
Kranich erhob sich ebenfalls und
nahm seinen Hut.
„Sie ist hübsch, Valerie," sagte
er, „sie hat das von Dir. Hüte sie
vor Künstleraugcn, das ist ein guter
Rath, welcher den getrunkenen Wein
schon Werth ist. Gute Nacht, mein
alter Schatz, es hat mich gefreut.
Dich Ünal wiederzuschen, und ich
dächte, Wir ließen es nicht das letzte
Mal sein. — Nur keine Sentimen-
talität, Valerie, das von vorhin war
rein krankhafter Natur, es kommt
aus überladenem Blagen, manchmal
auch vom Gegentheil."
Er reichte Frau Faber die Hand,
streifte mit einem flüchtigen Blick
den schmalen Goldreif am Ringfinger
und sagte darauf hindeutend: „Der
ist dünn geworden, Valerie, oder war
er das von Anfang an? Dein Seli-
ger ist wohl just lein Krösus ge-
wesen. — Gute Nacht."
Langsam stieg Kranich die Treppe
hinunter und streifte in dem dämme-
rigen Hausflur ein Pärchen, welches
plaudernd nebeneinander stand.
Er legte dem jungen Manne die
Hand auf die Schulter und sagte
ruhig: „Sie könnten mir Wohl die

Iricdrich Jacobsen.
(Fortsetzung.)
- (Nachdruck vcrboten.1
u, Valerie, wolltest an meiner Hand einer
sicheren Zukunft entgegengchen, und mich
trieb der Ehrgeiz," fuhr Kranich fort. „Ich
weiß noch recht gut, wie vernünftig das
klang, als Du eines
Tages zu mir sagtest:
ist besser, Max, wir gehen aus-
einander, ich bin nicht dazu ge-
schaffen, das unsichere Brod des
Dichters mit Dir zu theilen.' Es
war wie eine Weissagung. Ent-
sinnst Du Dich auch noch, was ich
Dir darauf entgegnete, Valerie?"
Sie hob den Kopf zu ihm empor.
„Jedes einzelnen Wortes, Mar. Du
sagtest: ,Es ist vielleicht besser so,
der Dichter muß ungebunden sein.'"
„Und Du hast auch wirklich ge-
glaubt, daß es mein Ernst sei?"
„Ich habe es geglaubt."
„Siehst Du," sagte , er zufrieden
mit dem Kopfe nickend, „da hast Du
ja wirklich nicht nöthig, mich um
Verzeihung zu bitten. Meine Schuld
war es, und mein Streben, frei zu
sein — vogelfrei — das ist der
hastigen Jugend Begehr und ihr
Traum. — Aber allzu leichtsinnig
darfst Du mich darum nicht schelten,
Valerie; ich hatte ja damals einen
treuen Freund, den Sohn eines ein-
flußreichen Mannes, der sollte mir
die Laufbahn ebnen. Wie hieß er
doch gleich? Karl Western, nicht
wahr?"
Der Name flog durch das Ge-
mach wie ein Richtwort. Man hörte
das Ticken der Uhr und das Nagen
des Holzwurmes in den a lten Möbeln.
„Sprich weiter, Max," sagte Va-
lerie Faber nach einer kleinen Pause,
.es ist gerecht. Jawohl, Karl
Western war sein Name, der Name
eines — Ehrenmannes."
Wie bitter konnten diese Frauen-
lippen reden, die gewiß in jungen
Tagen ebenso süß geküßt hatten.
Doktor Kranich nickte mit dem
Kopf.
„Es ist Schade, Valerie, daß Du
 
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