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selbstverständlich. Mein Gott, worüber macht man
sich nicht Gedanken — nicht wahr, liebe Gräfin?"
Gräfin Stamer stimmte, vor Zorn innerlich
bebend, pflichtschuldig bei.
„Aber—" Die Stimme der Prinzessin nahm einen
vibrierenden Klang an, während ihre dunklen Augen
seitwärts in die Glut sahen — „aber es gibt Ge-
danken, die kommen einem nicht alle Tage. Nach
denen sucht und hascht man — und trauert, wenn
man sie nicht findet. Zuweilen sind sie uns ganz
nahe, man möchte sie greifen, aber-Sie woll-
ten uns etwas erzählen, Herr Rittmeister?" unter-
brach sie sich hastig. „Sehr schön!"
„Nichts Besonderes, königliche Hoheit. Es knüpft,
wie gesagt, an jenen Pudel an."
„Aber Richard!" sagte die Freifrau lächelnd.
„Nein, bitte, liebste Baronin —" rief die Prin-
zessin jetzt mit süßester Stimme, die wie Musik
wirkte nach dem voraufgegangenen. „Meine Herr-
schaften, der Pudel betritt die Szene."
Richard v. Mersbach verneigte sich gegen die
hohe Frau, deren unergründliche Augen Heller
strahlten als das Diadem auf ihrem Haupte.
„Königliche Hoheit müssen sich weit fort aus
diesen Räumen, weit fort aus dieser Gegend, weit
fort von aller Zivilisation denken," begann er mit
absichtlich spannendem Ton, „dorthin, wo selbst die
unermüdliche Natur nicht Lust mehr hat, etwas
Neues zu schaffen — in die Heide, ins Herz einer
Heide müssen sich königliche Hoheit versetzt denken."
„Ich bin schon dort," lächelte die Prinzessin
interessiert.
„Wo die Sonne sich vergebens bemüht, das rote
Heidekraut zu bleichen und mit all ihren Strahlen
nichts erreicht als ein Duftgemenge, darin sich Heer-
scharen von Bienen zu Tode arbeiten, wo die Stille
wie eine Glocke über Purpurgrund liegt —"
„Und der Pudel?" warf Gräfin Stamer ein.
Die Prinzessin machte eine kaum wahrnehm-
bare, aber so gebieterische Schulterbewegung, daß
die vorlaute Fragerin verstummte.
„Dort," fuhr Mersbach fort, sich das Bild immer
lebhafter ins Gedächtnis rufend, „steht eine alte,
verkrüppelte Kiefer, ein wahres Hexengefpinst mit
verworren herabhängenden Zweigen — und dar-
unter faß die Heidefee mit ihrem Pudel Fips."
DiehoheFraulachteauf. „Weiter! Wirmüssendie
Heidefee noch besser kennen lernen. War sie hübsch?"
„Allerliebst! Die niedlichste Bäuerin, die je
Hühner aus den Schoten jagte. Kostüm: malerisch
unbeschreiblich — ein wahres Ungeheuer von Hut,
aus der Arche Noah stammend, lag auf der Erde,
von Fips treulichst bewacht. Charakteristisch an
dieser Heidejungfrau war die Antwort auf meine
Frage nach ihrem Namen: Mieze! Und diese
Mieze —"
Die Prinzessin lachte so herzlich, daß ihr Fächer
zur Erde glitt.
Mersbach hob ihn auf. Als er ihn ihr über-
reichte, wehte ihm der süße Duft, der sie umgab,
wundersam warm über die Stirn.
„Meine Herrschaften," sagte die Prinzessin, sich
erhebend, „wir müssen den Herrn Rittmeister öfter
auf Reisen schicken, damit sein Erzählertalent all-
hier nicht einrostet. — Aber ich sehe, der Erbprinz
wünscht aufzubrechen. Auf Wiedersehen, meine
liebste Baronin! — Es war allerliebst in diesem
lauschigen Kamineckchen! — Fips und Mieze —
war's nicht so? Wirklich reizend —"
Sie reichte Mersbach die Hand. Zugleich hob
sie scherzhaft drohend den Finger der Linken.
„War die Heidefee wirklich so hübsch? Und ist
nichts haften geblieben — trotz des Hutes aus der
Arche Noah? Können Sie das versichern?"
Er hatte sich tief über die schmalen Finger ge-
neigt. „Sogar beschwören, königliche Hoheit!"
Sie lächelte ihr zitterndes Lächeln, das unstet
vorn Herzen zum Munde flatterte und oft erlosch,
ehe es die Lippen kaum berührt.
Und dann glitt eine Fülle von Seide, Gaze und
Spitzen hinter ihrer schlanken Gestalt durch die
Räume und die Treppe hinab.
Drunten schauerte sie leicht zusammen unter
dem roten Samtmantel.
„Friert dich?" fragte der Erbprinz erstaunt.
„Nein! — Gibt es nicht einen Aberglauben,"
wendete sie sich an Mersbach, „wenn jemand plötz-
lich zusammenschauert?"
„Ich wüßte nicht —"
„Doch! Es war etwas mit Gräbern—" sagte sie
leise sinnend. „Meinen Strauß! — Gute Nacht!"
Der Lakai schloß den Schlag. Der Wagen rollte
fort.
„Du hast dich sehr lange aufgehalten," sagte der
Erbprinz gähnend. „Ich gab dir schon einmal einen
Wink."
„Ich unterhielt mich gut."
Ihre Stimme klang scharf und gereizt, während
.- ' — l>35 Luch fül- Mle--- —
sie sich tiefer in die Kissen lehnte und in die mondhelle
Nacht hinausblickte.
„Da hast du mehr gekonnt als ich."
Sie antwortete nicht. Ihre Lippen lagen fest
aufeinandergepreßt.
Im Schloßhof präsentierten die Schildwachen,
Türen sprangen auf, diensteifrige Hände überall.
Immer dasselbe — dasselbe!
Wie sie's unwillig dachte, raunte ihr ein tücki-
scher Geist die Frage zu: Willst du's entbehren?
Sie zuckte zusammen.
„Wir sehen uns noch beim Tee?" fragte der
Erbprinz zögernd.
„Ich bin müde." Sie reichte ihm die Hand und
schritt zur Marmortreppe, die zu ihren Gemächern
hinaufführte.
Er sagte nichts, aber er sah ihr forschend nach,
wie sie langsam von ihm ging.
Alexandra Luise betrat ihr Heim, dieses von
Luxus strotzende Heim, welches der Erbprinz ihr
hatte einrichten lassen.
Eine unerträgliche Leere legte sich ihr auf die
Brust.
So war's gewesen, als sie in die kleine Residenz
einzog, und die Menschen draußen ihr zujubelten
und ihr Glück feierten, so war's geblieben, und so
würde es ferner sein.
Die Prinzessin biß die Zähne zusammen in
unterdrückter Leidenschaft. Nur nicht schon wieder
versinken in dieses schlaffe Einerlei — jetzt nicht.
Ihr Herz schlug so viel rascher, so viel voller.
„Ist die Oper schon zu Ende?"
Sie wußte, daß sie herrisch fragte, sie hatte ja
ein Recht dazu.
„Vor einer Viertelstunde kam Gräfin Heilberg
zurück, königliche Hoheit", flüsterte die Kammer-
frau demütig.
Sie wußte ihre Zeit abzupassen und verrechnete
sich nie in der herrschenden Laune.
Alexandra Luise saß vor dem Spiegel in ihrem
Ankleidezimmer und starrte sich an.
Wo war ein Ausblick aus diesem engen Kreise,
wo ein Aufstieg zu jenen geistigen Höhen, wo die
Luft frei wird von höfischem Zwang und Rücksicht?
Und doch, war die Welt ohne höfischen Zwang
wirklich ihre Welt? Konnte sie darin dasselbe gelten
wie jetzt?
Ihr stolzes Blut empörte sich. Lieber sterben,
als nicht mehr unter der Krone seufzen, deren Glanz
so vieles Herzweh stillt, so mancherlei ersetzt.
„Ich erwarte die Gräfin —"
Die Kammerfrau verschwand.
Alexandra Luise schritt gedankenvoll langsam
auf und nieder.
Wann würde der Kampf ihrer zwei Seelen
enden?
Ein Seufzer ging über ihre heißen Lippen. Sie
fuhr sich rasch mit dem Spitzentuch über die Augen.
„Guten Abend, liebe Gräfin! Sie sind mir noch
eine Partie Salta schuldig. — Ratgen, bringen Sie
den Tee."
Und während sie die Steine zog, ging ihr ein
Bild durch die Seele — ein Heidebild: im roten
Blumenfeld die verkrüppelte Kiefer, vom Bienen-
volk umschwärmt — und darunter ein reizendes
Kind. Und vor diesem Kinde ein Mann-—
Er hatte die Kiefer nicht vergessen. Und die
Heide nicht. Vergaß er auch das holdselige Kind
nicht?
sechstes Kapitel.
In der Brinkmannschen Pension ward zur selben
Stunde ein stilles Abschiedsfest gefeiert.
Wieder wurde ein junges Leben in den Daseins-
kampf gestellt, wieder schlossen sich die schützenden
Tore hinter Unerfahrenheit und sorgloser Zuver-
sicht.
Mia, der Liebling aller, sollte morgen jene
Stellung antreten, um welche so viele Befürwor-
tungs- und Empfehlungsschreiben gewechselt worden
waren, bis endlich das Fräulein v. Helling durch
einen Ruf als Vorleserin Ihrer Hoheit der Prin-
zessin Christiane — allerdings mit knappem Gehalt —
— ausgezeichnet ward, und mit ihr die Anstalt.
„Mein teures Kind," sagte Fräulein Laura,
nachdem das letzte Abendessen mit dem eingeschobe-
nen süßen Gericht vorüber war, und Mia auf eine
herzliche Ansprache der ersten Vorsteherin tief ge-
rührt alles mögliche erwidert hatte, davon ihr acht-
zehnjähriges Herz bis zum llberfließen voll war,
„mein teures Kind, wir entlassen Sie völlig gerüstet
zu einem neuen Leben, das Ihnen, wenn Sie den
erhaltenen Lehren treu bleiben, nur Glück und Ehre
bringen kann. Der Lohn Ihrer Mühe ist zwar
nicht so groß, wie wir für Sie wünschten — Ihre
Hoheit ist nicht reich begütert und der Haushalt ein-
fach — es gibt aber Dinge, die mehr wert sind als
einige hundert Mark."
-. — liest 2
„Jawohl," sagte Mia, ohne eine Ahnung vom
Wert des Geldes zu haben.
„Wir haben mit Dank Pastor Sellers Beihilfe
angenommen, Ihre Ausstattung würdig herzu-
stellen, wenngleich der Herr Pastor mit diesem An-
fang Ihrer Selbsttätigkeit nicht einverstanden war.
Indessen, es ist leichter zu tadeln als Besseres zu
finden."
„Ganz gewiß," sagte Mia gewissenhaft und
völlig urteilslos in diefen Sachen.
„Zudem werden Sie ihn überzeugen, daß denen,
die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen."
„Sicher," sagte Mia gerührt.
„Ihre Kleidung, mein teures Kind, ist einfach,
aber korrekt. Der Zuschnitt des prinzlichen Haus-
haltes legt Ihnen darin gar keine Verpflichtungen
auf — das ist ein Glück. Sparen Sie und tun Sie
Ihre Pflicht von früh bis spät, so werden Sie ein
leuchtendes Beispiel dafür sein, von welchem Geist
unsere Anstalt getragen und erhalten wird."
„Ich werde immer daran denken," sagte Mia-
Mieze. „Mir ist nur so bange."
Ach ja, ihr war sehr bange!
Allein sollte sie hinaus und in Verhältnisse
hinein, welche sie nur mit tiefster Ehrfurcht hatte
nennen hören!
Ja, ja, sie sprach nun fließend Englisch und FMr-
zösisch, war bewandert in allen möglichen Litera-
turgeschichten, konnte Choräle auf dem Klavier
tadellos begleiten, hatte überhaupt an musikalischem
Verständnis zugenommen, aber das überwältigend
große Fragezeichen, das über ihr schwebte, ward
dadurch nicht verringert.
In der Nacht, im Traum, kehrte sie wieder in
ihr Heidehäuschen ein. Die Tante stand an der
Schwelle und reichte ihr die Hand. „Hast du jemand
lieb? Besinne dich!"
Ach, wie lange hatte sie sich nicht mehr daraus
besonnen! —
Kurz vor der Abfahrt trat ganz unerwartet
Pastor Seiler in ihr Zimmer.
Mit einem Freudenschrei sprang sie auf ihn zu
und drückte ihren Kopf an seine Schulter. Ihr
war, als ob die Tante ihn geschickt.
Er legte seine Rechte auf ihr lockiges Haar.
„Die Heimat läßt dich grüßen, Mieze — Sodmann
und Fips."
Ihre Augen standen voll Tränen.
„Mein Sohn sendet dir auch einen Gruß, er ist
augenblicklich bei mir in Schwarken."
„Und ist nicht mitgekommen?" rief Mia, ihre
Tränen fortwischend.
Der Pastor blickte ihr tief in die Augen. „Du
weißt nicht, warum?"
„Nein," sagte sie, mit dem Ausdruck reinster
Verwunderung. „Ist er böse auf mich?"
„Und wenn er es wäre — du wüßtest nicht wes-
halb?"
„Nein," sagte sie, „das wüßte ich wirklich nicht."
„Dann ist er's auch nicht."
„Ich danke Ihnen, Herr Pastor, für Ihre große
Güte. Meine Kleider — die Reise "
Er legte ihr leicht den Finger auf die Lippen.
„Genug! — Mieze, wirst du dich stets deines alten
Freundes erinnern in dem, was du tust? Wirst du
nie vergessen, wo du einen Freund findest?"
„Nie!" rief Mia schwärmerisch bewegt.
„Dann also — geh' mit Gott!"
Er faßte ihre beiden Hände und sah ihr fest in
die verschleierten Augen. Das Weh, welches dabei
durch seine Seele zog, entfärbte flüchtig seine Stirn.
„Dann — mit Gott!" wiederholte er nachdrück-
lich, ließ ihre Hände sinken und ging aus der Tür.
Der Zug raste vorwärts.
Mias Aufregung wuchs mit jeder Station.
Hunger und Durstgefühl gingen darin unter. Zu-
letzt saß sie mit der Uhr in der Hand regungslos da.
Es fror sie trotz der Hitze der Wärmeleitung. Plötz-
lich, gerade als ob sie einen Stich erhielt, sprang
sie auf. Der Zug hielt.
„Alles aussteigen!"
Wie betäubt raffte sie Handtasche und Schirm
zusammen, dann wagte sie es, den Fuß auf das
Trittbrett zu setzen.
So fremd und so allein! Ihr wollte das Herz
brechen vor Angst.
Aber da kam eine ältliche Frauengestalt in
schwarzem Kleide auf sie zu. „Fräulein v. Helling?"
„Ja," flüsterte Mia kaum vernehmbar.
„Ich heiße Schratt, bin die Kammerfrau Ihrer
Hoheit. Wollen Sie mir, bitte, den Gepäckschein
geben, gnädiges Fräulein."
Mia machte bei dieser Anrede ein so erstauntes
Gesicht, daß die Kammerfrau auf den Gedanken
kam, sich in der Person zu irren.
„Doch Baronesse v. Helling?" fragte sie zögernd.
„Ja wohl — Marie v. Helling."
selbstverständlich. Mein Gott, worüber macht man
sich nicht Gedanken — nicht wahr, liebe Gräfin?"
Gräfin Stamer stimmte, vor Zorn innerlich
bebend, pflichtschuldig bei.
„Aber—" Die Stimme der Prinzessin nahm einen
vibrierenden Klang an, während ihre dunklen Augen
seitwärts in die Glut sahen — „aber es gibt Ge-
danken, die kommen einem nicht alle Tage. Nach
denen sucht und hascht man — und trauert, wenn
man sie nicht findet. Zuweilen sind sie uns ganz
nahe, man möchte sie greifen, aber-Sie woll-
ten uns etwas erzählen, Herr Rittmeister?" unter-
brach sie sich hastig. „Sehr schön!"
„Nichts Besonderes, königliche Hoheit. Es knüpft,
wie gesagt, an jenen Pudel an."
„Aber Richard!" sagte die Freifrau lächelnd.
„Nein, bitte, liebste Baronin —" rief die Prin-
zessin jetzt mit süßester Stimme, die wie Musik
wirkte nach dem voraufgegangenen. „Meine Herr-
schaften, der Pudel betritt die Szene."
Richard v. Mersbach verneigte sich gegen die
hohe Frau, deren unergründliche Augen Heller
strahlten als das Diadem auf ihrem Haupte.
„Königliche Hoheit müssen sich weit fort aus
diesen Räumen, weit fort aus dieser Gegend, weit
fort von aller Zivilisation denken," begann er mit
absichtlich spannendem Ton, „dorthin, wo selbst die
unermüdliche Natur nicht Lust mehr hat, etwas
Neues zu schaffen — in die Heide, ins Herz einer
Heide müssen sich königliche Hoheit versetzt denken."
„Ich bin schon dort," lächelte die Prinzessin
interessiert.
„Wo die Sonne sich vergebens bemüht, das rote
Heidekraut zu bleichen und mit all ihren Strahlen
nichts erreicht als ein Duftgemenge, darin sich Heer-
scharen von Bienen zu Tode arbeiten, wo die Stille
wie eine Glocke über Purpurgrund liegt —"
„Und der Pudel?" warf Gräfin Stamer ein.
Die Prinzessin machte eine kaum wahrnehm-
bare, aber so gebieterische Schulterbewegung, daß
die vorlaute Fragerin verstummte.
„Dort," fuhr Mersbach fort, sich das Bild immer
lebhafter ins Gedächtnis rufend, „steht eine alte,
verkrüppelte Kiefer, ein wahres Hexengefpinst mit
verworren herabhängenden Zweigen — und dar-
unter faß die Heidefee mit ihrem Pudel Fips."
DiehoheFraulachteauf. „Weiter! Wirmüssendie
Heidefee noch besser kennen lernen. War sie hübsch?"
„Allerliebst! Die niedlichste Bäuerin, die je
Hühner aus den Schoten jagte. Kostüm: malerisch
unbeschreiblich — ein wahres Ungeheuer von Hut,
aus der Arche Noah stammend, lag auf der Erde,
von Fips treulichst bewacht. Charakteristisch an
dieser Heidejungfrau war die Antwort auf meine
Frage nach ihrem Namen: Mieze! Und diese
Mieze —"
Die Prinzessin lachte so herzlich, daß ihr Fächer
zur Erde glitt.
Mersbach hob ihn auf. Als er ihn ihr über-
reichte, wehte ihm der süße Duft, der sie umgab,
wundersam warm über die Stirn.
„Meine Herrschaften," sagte die Prinzessin, sich
erhebend, „wir müssen den Herrn Rittmeister öfter
auf Reisen schicken, damit sein Erzählertalent all-
hier nicht einrostet. — Aber ich sehe, der Erbprinz
wünscht aufzubrechen. Auf Wiedersehen, meine
liebste Baronin! — Es war allerliebst in diesem
lauschigen Kamineckchen! — Fips und Mieze —
war's nicht so? Wirklich reizend —"
Sie reichte Mersbach die Hand. Zugleich hob
sie scherzhaft drohend den Finger der Linken.
„War die Heidefee wirklich so hübsch? Und ist
nichts haften geblieben — trotz des Hutes aus der
Arche Noah? Können Sie das versichern?"
Er hatte sich tief über die schmalen Finger ge-
neigt. „Sogar beschwören, königliche Hoheit!"
Sie lächelte ihr zitterndes Lächeln, das unstet
vorn Herzen zum Munde flatterte und oft erlosch,
ehe es die Lippen kaum berührt.
Und dann glitt eine Fülle von Seide, Gaze und
Spitzen hinter ihrer schlanken Gestalt durch die
Räume und die Treppe hinab.
Drunten schauerte sie leicht zusammen unter
dem roten Samtmantel.
„Friert dich?" fragte der Erbprinz erstaunt.
„Nein! — Gibt es nicht einen Aberglauben,"
wendete sie sich an Mersbach, „wenn jemand plötz-
lich zusammenschauert?"
„Ich wüßte nicht —"
„Doch! Es war etwas mit Gräbern—" sagte sie
leise sinnend. „Meinen Strauß! — Gute Nacht!"
Der Lakai schloß den Schlag. Der Wagen rollte
fort.
„Du hast dich sehr lange aufgehalten," sagte der
Erbprinz gähnend. „Ich gab dir schon einmal einen
Wink."
„Ich unterhielt mich gut."
Ihre Stimme klang scharf und gereizt, während
.- ' — l>35 Luch fül- Mle--- —
sie sich tiefer in die Kissen lehnte und in die mondhelle
Nacht hinausblickte.
„Da hast du mehr gekonnt als ich."
Sie antwortete nicht. Ihre Lippen lagen fest
aufeinandergepreßt.
Im Schloßhof präsentierten die Schildwachen,
Türen sprangen auf, diensteifrige Hände überall.
Immer dasselbe — dasselbe!
Wie sie's unwillig dachte, raunte ihr ein tücki-
scher Geist die Frage zu: Willst du's entbehren?
Sie zuckte zusammen.
„Wir sehen uns noch beim Tee?" fragte der
Erbprinz zögernd.
„Ich bin müde." Sie reichte ihm die Hand und
schritt zur Marmortreppe, die zu ihren Gemächern
hinaufführte.
Er sagte nichts, aber er sah ihr forschend nach,
wie sie langsam von ihm ging.
Alexandra Luise betrat ihr Heim, dieses von
Luxus strotzende Heim, welches der Erbprinz ihr
hatte einrichten lassen.
Eine unerträgliche Leere legte sich ihr auf die
Brust.
So war's gewesen, als sie in die kleine Residenz
einzog, und die Menschen draußen ihr zujubelten
und ihr Glück feierten, so war's geblieben, und so
würde es ferner sein.
Die Prinzessin biß die Zähne zusammen in
unterdrückter Leidenschaft. Nur nicht schon wieder
versinken in dieses schlaffe Einerlei — jetzt nicht.
Ihr Herz schlug so viel rascher, so viel voller.
„Ist die Oper schon zu Ende?"
Sie wußte, daß sie herrisch fragte, sie hatte ja
ein Recht dazu.
„Vor einer Viertelstunde kam Gräfin Heilberg
zurück, königliche Hoheit", flüsterte die Kammer-
frau demütig.
Sie wußte ihre Zeit abzupassen und verrechnete
sich nie in der herrschenden Laune.
Alexandra Luise saß vor dem Spiegel in ihrem
Ankleidezimmer und starrte sich an.
Wo war ein Ausblick aus diesem engen Kreise,
wo ein Aufstieg zu jenen geistigen Höhen, wo die
Luft frei wird von höfischem Zwang und Rücksicht?
Und doch, war die Welt ohne höfischen Zwang
wirklich ihre Welt? Konnte sie darin dasselbe gelten
wie jetzt?
Ihr stolzes Blut empörte sich. Lieber sterben,
als nicht mehr unter der Krone seufzen, deren Glanz
so vieles Herzweh stillt, so mancherlei ersetzt.
„Ich erwarte die Gräfin —"
Die Kammerfrau verschwand.
Alexandra Luise schritt gedankenvoll langsam
auf und nieder.
Wann würde der Kampf ihrer zwei Seelen
enden?
Ein Seufzer ging über ihre heißen Lippen. Sie
fuhr sich rasch mit dem Spitzentuch über die Augen.
„Guten Abend, liebe Gräfin! Sie sind mir noch
eine Partie Salta schuldig. — Ratgen, bringen Sie
den Tee."
Und während sie die Steine zog, ging ihr ein
Bild durch die Seele — ein Heidebild: im roten
Blumenfeld die verkrüppelte Kiefer, vom Bienen-
volk umschwärmt — und darunter ein reizendes
Kind. Und vor diesem Kinde ein Mann-—
Er hatte die Kiefer nicht vergessen. Und die
Heide nicht. Vergaß er auch das holdselige Kind
nicht?
sechstes Kapitel.
In der Brinkmannschen Pension ward zur selben
Stunde ein stilles Abschiedsfest gefeiert.
Wieder wurde ein junges Leben in den Daseins-
kampf gestellt, wieder schlossen sich die schützenden
Tore hinter Unerfahrenheit und sorgloser Zuver-
sicht.
Mia, der Liebling aller, sollte morgen jene
Stellung antreten, um welche so viele Befürwor-
tungs- und Empfehlungsschreiben gewechselt worden
waren, bis endlich das Fräulein v. Helling durch
einen Ruf als Vorleserin Ihrer Hoheit der Prin-
zessin Christiane — allerdings mit knappem Gehalt —
— ausgezeichnet ward, und mit ihr die Anstalt.
„Mein teures Kind," sagte Fräulein Laura,
nachdem das letzte Abendessen mit dem eingeschobe-
nen süßen Gericht vorüber war, und Mia auf eine
herzliche Ansprache der ersten Vorsteherin tief ge-
rührt alles mögliche erwidert hatte, davon ihr acht-
zehnjähriges Herz bis zum llberfließen voll war,
„mein teures Kind, wir entlassen Sie völlig gerüstet
zu einem neuen Leben, das Ihnen, wenn Sie den
erhaltenen Lehren treu bleiben, nur Glück und Ehre
bringen kann. Der Lohn Ihrer Mühe ist zwar
nicht so groß, wie wir für Sie wünschten — Ihre
Hoheit ist nicht reich begütert und der Haushalt ein-
fach — es gibt aber Dinge, die mehr wert sind als
einige hundert Mark."
-. — liest 2
„Jawohl," sagte Mia, ohne eine Ahnung vom
Wert des Geldes zu haben.
„Wir haben mit Dank Pastor Sellers Beihilfe
angenommen, Ihre Ausstattung würdig herzu-
stellen, wenngleich der Herr Pastor mit diesem An-
fang Ihrer Selbsttätigkeit nicht einverstanden war.
Indessen, es ist leichter zu tadeln als Besseres zu
finden."
„Ganz gewiß," sagte Mia gewissenhaft und
völlig urteilslos in diefen Sachen.
„Zudem werden Sie ihn überzeugen, daß denen,
die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen."
„Sicher," sagte Mia gerührt.
„Ihre Kleidung, mein teures Kind, ist einfach,
aber korrekt. Der Zuschnitt des prinzlichen Haus-
haltes legt Ihnen darin gar keine Verpflichtungen
auf — das ist ein Glück. Sparen Sie und tun Sie
Ihre Pflicht von früh bis spät, so werden Sie ein
leuchtendes Beispiel dafür sein, von welchem Geist
unsere Anstalt getragen und erhalten wird."
„Ich werde immer daran denken," sagte Mia-
Mieze. „Mir ist nur so bange."
Ach ja, ihr war sehr bange!
Allein sollte sie hinaus und in Verhältnisse
hinein, welche sie nur mit tiefster Ehrfurcht hatte
nennen hören!
Ja, ja, sie sprach nun fließend Englisch und FMr-
zösisch, war bewandert in allen möglichen Litera-
turgeschichten, konnte Choräle auf dem Klavier
tadellos begleiten, hatte überhaupt an musikalischem
Verständnis zugenommen, aber das überwältigend
große Fragezeichen, das über ihr schwebte, ward
dadurch nicht verringert.
In der Nacht, im Traum, kehrte sie wieder in
ihr Heidehäuschen ein. Die Tante stand an der
Schwelle und reichte ihr die Hand. „Hast du jemand
lieb? Besinne dich!"
Ach, wie lange hatte sie sich nicht mehr daraus
besonnen! —
Kurz vor der Abfahrt trat ganz unerwartet
Pastor Seiler in ihr Zimmer.
Mit einem Freudenschrei sprang sie auf ihn zu
und drückte ihren Kopf an seine Schulter. Ihr
war, als ob die Tante ihn geschickt.
Er legte seine Rechte auf ihr lockiges Haar.
„Die Heimat läßt dich grüßen, Mieze — Sodmann
und Fips."
Ihre Augen standen voll Tränen.
„Mein Sohn sendet dir auch einen Gruß, er ist
augenblicklich bei mir in Schwarken."
„Und ist nicht mitgekommen?" rief Mia, ihre
Tränen fortwischend.
Der Pastor blickte ihr tief in die Augen. „Du
weißt nicht, warum?"
„Nein," sagte sie, mit dem Ausdruck reinster
Verwunderung. „Ist er böse auf mich?"
„Und wenn er es wäre — du wüßtest nicht wes-
halb?"
„Nein," sagte sie, „das wüßte ich wirklich nicht."
„Dann ist er's auch nicht."
„Ich danke Ihnen, Herr Pastor, für Ihre große
Güte. Meine Kleider — die Reise "
Er legte ihr leicht den Finger auf die Lippen.
„Genug! — Mieze, wirst du dich stets deines alten
Freundes erinnern in dem, was du tust? Wirst du
nie vergessen, wo du einen Freund findest?"
„Nie!" rief Mia schwärmerisch bewegt.
„Dann also — geh' mit Gott!"
Er faßte ihre beiden Hände und sah ihr fest in
die verschleierten Augen. Das Weh, welches dabei
durch seine Seele zog, entfärbte flüchtig seine Stirn.
„Dann — mit Gott!" wiederholte er nachdrück-
lich, ließ ihre Hände sinken und ging aus der Tür.
Der Zug raste vorwärts.
Mias Aufregung wuchs mit jeder Station.
Hunger und Durstgefühl gingen darin unter. Zu-
letzt saß sie mit der Uhr in der Hand regungslos da.
Es fror sie trotz der Hitze der Wärmeleitung. Plötz-
lich, gerade als ob sie einen Stich erhielt, sprang
sie auf. Der Zug hielt.
„Alles aussteigen!"
Wie betäubt raffte sie Handtasche und Schirm
zusammen, dann wagte sie es, den Fuß auf das
Trittbrett zu setzen.
So fremd und so allein! Ihr wollte das Herz
brechen vor Angst.
Aber da kam eine ältliche Frauengestalt in
schwarzem Kleide auf sie zu. „Fräulein v. Helling?"
„Ja," flüsterte Mia kaum vernehmbar.
„Ich heiße Schratt, bin die Kammerfrau Ihrer
Hoheit. Wollen Sie mir, bitte, den Gepäckschein
geben, gnädiges Fräulein."
Mia machte bei dieser Anrede ein so erstauntes
Gesicht, daß die Kammerfrau auf den Gedanken
kam, sich in der Person zu irren.
„Doch Baronesse v. Helling?" fragte sie zögernd.
„Ja wohl — Marie v. Helling."