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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 42.1907

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Heft 16
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https://doi.org/10.11588/diglit.60738#0389
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Var Luch MMe
Mstriette stamilienreitung
16. 6est. 1607.

Ll5 3N5 ende der Welt.
Noinan von
Maximilian Zöttcher.
(rottseliung.) - (Nachdruck orrbolen.)
ttch wenn Sie erst nach Ihrer Verlobung
MWW l von in einem Verhältnis zu Fräulein
Usn I v. Rottenburg erfuhren, wäre es wenig-
W II I stens Ihre Pflicht gewesen, zurückzutreten,
Fräulein v. Rottenburg wieder frei zu
geben. Schon Ihre Selbstschätzung hätte es nicht
zulafsen dürfen, daß Sie ein Mädchen an sich fessel-
ten, dessen Herz einem anderen
Mann gehört," sagte Borgstedt.
Schärfer wie Altdorfs Blick sich
mit dem des Hauptmanns traf, kön-
nen zwei feindliche Klingen nicht
aufeinandertreffen. „Ich muß es
ablehnen, mir von Ihnen Beleh-
rungen .über Pflicht und ähnliche
Dinge erteilen zu lassen. Gesetzt
wirklich den Fall, daß Sie vor mir
Rechte an Fräulein v. Rottenburg
gehabt haben, so haben Sie diese
Rechte verwirkt. Aber Sie haben
nie Rechte auf Fräulein v. Rotten-
burg besessen. Rechte auf den Besitz
einer Frau, ernsthafte, heilige Rechte
kann nur der erwerben, der eine un-
bedingte Garantie dafür bietet, daß
er im stände ist, dieser Frau eiue
nach menschlichem Ermessen gesicherte
Zukunft zu bereiten. Alles aber, was
ich über Ihre Vergangenheit und
Ihr Temperament in Erfahrung ge-
bracht habe, schließt diese Möglich-
keit aus." Er warf einen Blick auf
den Regulator, darüber dem Schreib-
tisch hing. „Wenn Sie mir noch
etwas zu sagen haben, fassen Sie sich
kurz. Meine Zeit ist gemessen."
Borgstedt saß, den Kopf vorge-
beugt, die mageren Hände auf den
Knieen zu Fäusten geballt, und ließ
den Blick finster und unstet über den
Boden irren. Die Adern an seinen
Schläfen waren geschwollen, jede
Fiber seines Gesichts zuckte, und es
war für Altdorf nicht schwer, den
Kampf, der in des Leidenschaftlichen
Brust tobte, von seiner gefurchten
Stirn zu lesen.
„Ich — ich glaube sicher zu sein,
daß Fräulein v. Rottenburg mich noch
immer liebt, daß sie nie aufhören
wird, mich zu lieben," Hub Borgstedt
endlich in mühsam beherrschtem Ton
wieder an. „Und Sie dürfen des-
halb kaum hoffen, ein volles Glück
an ihrer Seite zu finden. Was soll
uns eine Frau, deren Herz uns nicht
gehört, die mit ihren Gedanken und
Empfindungen vielleicht bei einem
anderen ist, während wir sie küssen?
Und Sie — so glänzend wie Sie
dastehen, so reich, so allgemein ge-
achtet und verehrt — Sie können
sich so leicht ein volles, ungetrübtes
Eheglück schaffen, Sie können wählen
unter Hunderten. Sie finden leicht
irgendwo ein begehrenswertes Weib,
das sich Ihnen mit ganzer Seele zu

eigen gibt. Aber ich — ich bin auf die eine an-
gewiesen. Ich habe, ehe ich hierherreiste, alle
Brücken hinter mir abgebrochen, nur um los-
zukommen, nur weil ich persönlich alles aufbieten
wollte, mir Fräulein v. Rottenburg doch noch zu
retten. Ich bin ein halb verlorener Mann, ein ganz
verlorener, wenn ich Julia aufgeben muß. Und
darum bitte ich Sie —" Er brach ab, würgte und
schluckte, kam aber doch nicht weiter, brachte den
Rest nicht über die Lippen.
In Altdorf wollte sich etwas wie Mitleid regen.
Aber nur für die Dauer einer Sekunde. Dann
zuckte es fast verächtlich um seinen Mund, und mit
schneidendem Hohn sagte er: „Ich soll also ver-
zichten, soll Ihnen helfen, daß Sie Fräulein v. Rot-

tenburg ungehindert in den grauen Nebel, auf den
schwanken Boden Ihrer unsicheren Zukunft hin-
überreißen können? — Sie ersparen mir wohl die
Antwort darauf. Es ist dieselbe, die Sie mir ohne
Zögern ins Gesicht werfen würden im umgekehrten
Falle, wenn ich zu Ihnen käme, solch ein Ansinnen
an Sie zu stellen."
Er schob seinen Sessel zurück, stand aufrecht vor
seinem Schreibtisch.
Auch Borgstedt erhob sich. Mit offener Her-
ausforderung, mit unverhehltem Haß heftete er jetzt
seinen Blick auf den Nebenbuhler. „So habe ich
Ihnen nur noch zu sagen, daß die Welt fortan für
uns beide zu wenig Raum birgt, daß wir beide
keinen Platz nebeneinander haben, daß einer von
uns zu viel ist auf der Welt."
Ruhig und kühl, ganz ohne Feind-
seligkeit, eher ein wenig lächelnd,
sahen Altdorfs klare Augen hell und
groß auf Borgstedt. „Ob einer von uns
fernerhin zu viel ist, das zu entschei-
den steht wohl allein bei der Macht,
die uns so lange nebeneinander Platz
gewährt hat auf dieser Erde. Mir
jedenfalls sind Sie nicht im Wege.
Und das sage ich Ihnen vorweg:
Alle Provokationen können Sie sich
erlassen. Für solchen Firlefanz wie
ein Duell bin ich nicht zu haben —
auf keinen Fall. Und nun — unsere
Unterredung hat wohl lange genug
gedauert. Meine Patienten warten
auf mich!"
Borgstedtzuckte die Achseln. „Sie
hören noch von mir." Ohne Gruß
wandte er sich um und schritt zur
Tür.
Altdorf sah ihm nach, wie er mit
dem ihm immer noch eigenen ele-
ganten, federnden Gang durch die
dunkelrote Portiere verschwand, und
jählings zuckte ein quälender Gedanke
in ihm auf, bohrte sich in sein Hirn
wie eine glühende Nadel.
Der würde nun zu Julia gehen.
Und wenn Julia ihn zurückwies —
was würde dieser von Leidenschaft
und Verzweiflung Angestachelte tun?
Vor des Professors geistigem
Auge erschien das totenblasse Gesicht
eines jungen Mädchens, das man
am Abend des vergangenen Tages
mit einem Schuß in der Schläfe ins
Krankenhaus gebracht hatte. Die
Mutter der Verwundeten hatte bei
der Einlieferung unter heißen Tränen
erzählt, der frühere Bräutigam ihrer
Tochter, außer sich darüber, daß man
die wegen seiner Unzuverlässigkeit
aufgelöste Verlobung nicht wieder
hatte Herstellen wollen, hätte im
Verlaus einer neuen Abweisung, die
er sich geholt, blitzschnell einen Revol-
ver hervorgezogen und zwei Schüsse
auf das Mädchen abgegeben.
Wie viele, wie unendlich viele
Opfer zügellos leidenschaftlicher Men-
schen, durch verschmähte Liebe zur
Raserei getriebener Tollköpfe, waren
nicht, seit er den ärztlichen Beruf
ausübte, durch seine Hände gegangen!
Unwirsch strich Altdorf sich über
die Augen. Unsinn — ein Offizier
verfiel nicht auf solche Verrückt-
heiten!


vgs Nismarckstandbild für da; Nathau; in Nickern, (5, 350)

XVI. 1907.
 
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