Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 42.1907

DOI Heft:
Heft 12
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.60738#0296
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
varLuchfülMe
Illustllette siamilienreitung
12. kiest. 1907.

(roNsehung.)

Lin Üderfall. Ilach einem SemZIde von Mbert Nraaken-Weder. (8. 2öZ)

„Da kommen Borgstedts," sagte Julia plötzlich
mit sichtlichem Aufatmen. Ihr war während der
Unterhaltung, die ihr Vater mit Fräulein v. Schlie-
ben geführt, gar nicht behaglich zu Mut gewesen.
Die „kleine Zigeunerin" — wie sie die Komtesse in
Gedanken doppelsinnig zu nennen pflegte — hatte
schon tüchtig was durchgemacht in ihrem jungen
Leben! Es steckte überhaupt in dem winzigen Per-
sönchen ein gutes Stück Kraft und Charakter, das
wohl einem jeden Achtung und Mitgefühl abnötigen
mußte. Schade, daß sie selbst durchaus keinen Her-
zenston zu dem interessanten Mädchen finden konnte,
daß das eine zwischen ihnen stand — das eine.-
Aber Torheit! Tas war ja alles Torheit, süße Tor-
heit — Träume — Sommertrüume!
Und Julia faltete die feinen, schlanken Hände
im Schoß und blickte höchst angelegentlich in die
sprühenden Tropfen des Springbrunnens, gleich als
sähe sie den auffallend stattlichen und schönen Mann
gar nicht, der eben mit einer für ihre sechzig Jahre
etwas jugendlich gekleideten Dame die Veranda

betrat, und nach dem alles ringsumher, Männer,
Frauen und Mädchen, die Köpfe wandte.
Der Oberst hatte seine Uhr gezogen. „Fünf
Minuten nach fünf! Also richtig auf den Kopf eine
volle Stunde Verspätung," rief er den beiden An-
kömmlingen, die eben an seinen Tisch traten, vor-
wurfsvoll zu. „Da wird aus unserem Gang nach
Schloß Altenstein wieder nichts. Und das Wetter

berst v. Rottenburg blickte plötzlich sehr
ernst. „Haben Sie denn nie Sehnsucht,
Kind? Sehnsucht nach Hause, Sehnsucht
uach Vater und Mutter?"
„Sehnsucht!" Um Vilmas vollen roten
Mund zuckte es. „Was kommt's im Leben darauf
an, wonach wir uns sehnen? Wer fragt danach?
Und wozu auch? Mit seinem Sehnen wird jeder
am besten allein fertig."
Rottenburg räusperte sich und zupfte an seinem
Schnurrbart. „Ihr Herr Vater und ich waren einst
auf der Kriegsakademie gute Kameraden und haben
uns auch sonst im Leben noch manches liebe Mal
gesehen und
gern gehabt.
Das letzte Mal
— wo war's
doch gleich? —
richtig, bei ei-
ner Treibjagd
in Schlesien.
Es ist aller-
dings nun auch
wohl schon an
die zehn Jahre
her. Aber ich
denke, wenn ich
an meinen al-
ten Kamera-
den schriebe,
daß Sie eigen-
sinniges klei-
nes Kind —"
„Nein, nie-
mals!" fiel ihm
Vilma fast
schroff in die
Rede. „Nie-
mals. Man
würde von
neuem die Be-
dingung stel-
len, daß ich
meine Kunst
aufgeben soll.
Wozu neue
Stürme und
Kämpfe, die
doch zu keinem
Zielführenkön-
ncn!"
„Das Auf-
geben Ihrer
Kunst würde
man wohl nicht
von Ihnen ver-
langen," suchte
der Oberst zu
begütigen,
„sondern nur das Aufgeben der öffentlichen Be-
tätigung. Und das ist doch ein gewaltiger Unter-
schied."
„Durchaus nicht. Sagen Sie einmal einem
Maler, der wirklich was kann, er solle hinfort nur
für die Familie malen; oder einem Schriftsteller,
der Talent hat, er solle nur für den Freundeskreis
schreiben — was die Ihnen antworten würden."

Mr anr knde des Welt.
Noman von
Maximilian kökkchei-.
(Nachdruck verboten.)

Wäre zu dieser Partie so brillant, geradezu wie eigens
bestellt gewesen! Anfang nächster Woche kommt der
Herzog — dann darf man überhaupt nicht mehr
in den inneren Park hinein."
Rottenburgs und die Baronin waren in der-
selben Provinzstadt ansässig, man verkehrte schon
seit Jahren miteinander, wenn auch nicht gerade
intim, so doch regelmäßig; darum durfte sich der
Oberst schon erlauben, seine Meinung frei von der
Leber weg zu sagen, was er einer neuen Bade-
bekanntschaft gegenüber auf keinen Fall getan hätte.
„Ich bitte tausendmal um Entschuldigung," ant-
wortete Oberleutnant v. Borgstedt, mit gewinnen-
dem Lächeln seinen Panamahut ziehend. „Mama
hatte das schreckliche Pech, an dem Prachtexemplar
von Bluse, das sie da anhat, eine zerplatzte Naht
zu finden. Es kostete Zeit, viel Zeit, den schlimmen
Schaden zu reparieren. Erst war das Zimmer-
mädchen nicht da, dann war die mit schwerer Mühe
aufgestöberte Seide eine Nüance zu dunkel, und
dann — dann —. Na, die Damen werden ja wissen."
Er lachte,
wobeiuntersei-
nemstarkenund
wohlgepflegten
schwarzen
Schnurrbart
zwei Reihen
tadelloser,blen-
dend weißer
Zähne sichtbar
wurden, und
ging von Frau
v. Rottenburg
zu Julia, von
Julia zu Vilma
v. Schlieben,
jede galant mit
einem Hand-
kuß begrüßend.
Der Kuß
aber, den Ju-
lia empfing,
war länger,
flammender,
als die beiden
anderen, die er
austeilte.
„Und gnü-
digeFraukonm
ten von Ihren
— wie ich zu
schätzen wage
— mindestens
zwölf mitge-
brachten Kostü-
men nicht ir-
gend ein ande-
res anziehen?"
fragte Rotten-
burg die Baro-
nin, die eben
umständlich
Platz nahm,
nicht ohne den
schwarzen
Samtrock so zu
raffen, daß die buutseidenen, spitzeuumrauschten
Dessous über den Lackstiefeletten ein wenig zum Vor-
schein kamen.
„Ach," ertönte die säuselnde Antwort, „ich hatte
mich nun einmal auf diese rosa Bluse kapriziert, weil
ich sie hier noch nie angehabt habe. — Wie gefällt
sie Ihnen übrigens, liebe gnädige Frau?" wandte
sie sich an Frau v. Rottenburg.



XII. IM7.
 
Annotationen